TE Bvwg Erkenntnis 2017/11/22 W200 2150962-1

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Veröffentlicht am 22.11.2017
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Entscheidungsdatum

22.11.2017

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W200 2150962-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Scherz als Vorsitzende und durch den Richter Dr. Kuzminski sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Halbauer als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX, geb.XXXX, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservices, Landesstelle Niederösterreich vom 21.02.2017, Zl. 57390634400026, mit welchem der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" abgewiesen wurde, zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid

aufgehoben.

Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass liegen vor.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die beschwerdeführende Partei ist seit 07.05.2015 in Besitz eines Behindertenpasses mit einem Gesamtwert der Behinderung von 70 von

100. Kausal dafür waren laut Gutachten vom 27.04.2015 folgende Funktionseinschränkungen:

1. Hochgradige bis an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit, Pos.Nr. 120201; Gdb 70%

2. Morbus Crohn; Pos.Nr. g.z. 070411; Gdb 40%.

Gegenständliches Verfahren:

Am 24.01.2017 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b STVO sowie auf Vornahme der Zusatzantrag "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in dem Behindertenpass".

Dem Antrag angeschlossen war ein Konvolut medizinischer Unterlagen, inklusive Coloskopie-Befund sowie histologischer Befund.

Das Gutachten einer Fachärztin für Innere Medizin vom 21.02.2017 ergab Folgendes:

"Anamnese:

( ) Im Jänner 2017 stationärer Aufenthalt an der Chirurgie Neukirchen zwecks Durchführung eines MRT,CT und Coloskopie bei Kolik dokumentiert- wegen verifizierter Stenos im terminalen Ileum knapp vor der Anastomose wurde die Vorstellung an einer Crohn Ambulanz auch bei subjektiver Beschwerdefreiheit empfohlen- ein therapeutisches Prozedere aber nicht eingeleitet, da sich weder laborchemisch noch in der Bildgebung Anzeichen für einen akut entzündlichen Crohnschub fanden.

Die Vorstellung an der Crohnambulanz in Baden wurde laut Frau XXXX wurde für 1. März vereinbart.

Frau XXXX beantragt die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel"

Derzeitige Beschwerden:

Ständiger Toilettengang, ernähre sich nur flüssig, die Stühle auch nur flüssig. und reichlich am Morgen.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel: Derzeit keine Medikation , 2 Hörgeräte

Sozialanamnese: Frau XXXX ist geschieden, 1 erwachsene Tochter, ist seit 10/2016 bei AMS arbeitssuchend gemeldet.

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Befundbericht der Abteilung f. Chirurgie LKH Neunkirchen, vom 17.1.2017, Dg.: Morbus Crohn mit Stenose im neoterminalen lleum bei Zustand nach komplizierter Ileocoecalresektion 2002,Makrozytäre normochrome Anämie, Verdacht auf Vitamin B12 Mangel (Befund mit Vorbehalt da Probe hämolytisch) - TH: Konservative Therapie (CT, MR, Coloskopie)- Anzeichen für einen akut entzündlichen Crohnschub fanden sich weder laborchemisch noch in der Bildgebung. Eine chirurgische Intervention nicht erforderlich, Patientin zuletzt wieder subjektiv völlig beschwerdefrei.TH: Keine Medikation -Vorstellung an einer Crohn Ambulanz empfohlen.

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand: gut

Ernährungszustand: herabgesetzt

Größe: 162,00 cm Gewicht: 50,00 kg Blutdruck: 135/80 Klinischer

Status - Fachstatus:

Haut und sichtbare Schleimhäute unauffällig, HNO Bereich frei, Sehen mit Brille korrigiert, Hören - versorgt mit 2 Hörgeräten normal, Thorax symmetrisch, Cor und Pulmo klinisch unauffällig, Abdomen weich, kein DS, keine Defense oder Resistenz, blande Narbe median, unauffällige Peristaltik auskultierbar, Hepar und Lien nicht tastbar, OE: Faustschluss seitengleich und kräftig (KG 5), Schultergelenke bds. frei beweglich,Schürzen- und Nackengriff bds. ungehindert, WS: gerade, kein Klopfschmerz, Seitwärtsneigung ungehindert, FBA 0, Nierenlager bds. frei, UE: Hüft- und Kniegelenke in allen Ebenen frei beweglich, keine Ödeme oder Varicen, Fußpulse bds. gut tastbar, neurologischer Status: grob klinisch unauffällig

Gesamtmobilität - Gangbild: In Straßenschuhen normalschrittig sicher und frei

Status Psychicus: Stimmung und Antrieb unauffällig, Logorrhoe, gute Orientierung

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1

12.02.01 Tab.5/Z5 Hochgradige bis an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit

2

g.z. 07.04.11 Morbus Crohn mit Zustand nach Ileocaecal- und Sigmaresektion und Stenose im Anastomosenbereich, derzeit aber ohne Therapiebedarf

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Im Vergleich zum VGA wurde zwischenzeitlich eine Stenose im Anastomosenbereich bei aber ausgeschlossenem akut entzündlichem Geschehen und fehlender therapeutischer Konsequenz verifiziert, sodass das Zustandsbild insgesamt als unverändert gewertet wird. ( )

1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Keine

2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?

Nein

Gutachterliche Stellungnahme:

Bei anamnestisch bekanntem Morbus Crohn mit zwar im Jänner 2017 erfasster Stenose im Anastomosenbereich, aber Ausschluss eines akut entzündlichen Schubes sowie weiterhin fehlender therapeutischer Konsequenz, wie auch fehlender Bewegungseinschränkung sämtlicher Gelenke ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar."

Mit Bescheid vom 21.02.2017 wurde der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass abgewiesen. In der Begründung wurde auf das eingeholte fachärztliche Gutachten verwiesen.

Im Rahmen der dagegen erhobenen Beschwerde machte die Beschwerdeführerin geltend, dass die Sachverständige zwar den Befundbericht des Landeskrankenhauses Neunkirchen vom 17.01.2017 zitiere, aber nicht näher darauf eingehe, wie die vorliegende Morbus Crohn-Erkrankung sich auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirke. Bei der Beschwerdeführerin liege aufgrund der Grunderkrankung ein Zustand nach Ileocoecal- und Sigmaresektion vor sowie eine Stenose im Anastomosenbereich. Aufgrund dieser Darmverengung hätte die Beschwerdeführerin acht bis zehn Mal Stuhlgang, der hauptsächlich flüssig sei. Diese Stuhlgänge seien nicht vorhersehbar und machten es ihr unzumutbar, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Der Beschwerde angeschlossen waren der bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte ärztliche Entlassungsbrief des LKH Neunkirchen sowie ein Arztbrief des Allgemeinen öffentlichen Krankenhauses Neunkirchen vom 25.05.2010.

Das BVwG holte in weiterer Folge ein Gutachten eines bisher mit der Angelegenheit nicht befassten Facharztes für Innere Medizin unter Zugrundelegung des von der belangten Behörde eingeholten internistischen Gutachten sowie der vorgelegten Befunde ein und verwies darauf, dass die Beschwerdeführerin häufige Stuhlgänge (ständiger flüssiger Stuhlgang, acht bis zehn Mal, unvorhersehbarer flüssiger Stuhlgang) behaupte.

Folgende Fragen stellte das BVwG dem Gutachter:

"( )

2. Es wird ersucht auszuführen, in welchem Ausmaß die angeführten Leidenszustände vorliegen und wie sich diese auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirken.

3. Liegen erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit vor?

4. Liegen erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten vor?

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128, 20.10.2011, Zl. 2009/11/0032, 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186) sind auch die Art und das Ausmaß der vom BF angegebenen Schmerzen sowie deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zu klären.

Mit welchen Schmerzen (Art und Ausmaß) ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, insbesondere das Gehen bei der/dem BF verbunden?

5. Liegen erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen vor?

6. Liegt eine hochgradige Immunschwäche vor?

7. Ad Stuhlgang:

a) Sind die Ausführungen der BF zur Häufigkeit des Stuhlganges (lt. Anamnese vom 21.02.2017 ständiger flüssiger Stuhlgang, AS 32, sowie 8-10xTag unvorhersehbarer flüssiger Stuhlgang, AS 41, letzter Absatz), im Hinblick auf ihren körperlichen Zustand glaubwürdig (vgl. AS 32, Markierung)?

b) Entspricht das objektive Erscheinungsbild der BF ihren Behauptungen?

c) Entsprechen die vorgelegten Unterlagen (AS 16 – 28, 57, 58) ihren Behauptungen?

d) Trägt die BF bei der Untersuchung Einlagen?

e) Wie ist die BF zur Untersuchung angereist?

8. Begründung einer eventuell vom bisherigen Ergebnis (AS 31-35) abweichenden Beurteilung.

9. Feststellung, ob bzw. wann eine ärztliche Nachuntersuchung erforderlich ist."

Das fachärztliche internistische Gutachten vom 25.07.2017 ergab Folgendes:

"( ) Bei anamnestisch bekanntem Morbus Crohn mit zwar im Jänner 2017 erfasster Stenose im Anastomosenbereich, aber Ausschluss eines akut entzündlichen Schubes sowie weiterhin fehlender therapeutischer Konsequenz sowie auch fehlender Bewegungseinschränkung sämtlicher Gelenke, ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar (Abi. 35).

Dagegen richtet sich die Beschwerde ( ) dort wird auf die Ileozökal- und Sigmaresektion sowie eine Stenose im Anastomosenbereich hingewiesen, aufgrund dieser Darmverengung hat die Beschwerdeführerin 8 - 10x täglich Stuhlgang, der hauptsächlich flüssig ist. Diese Stuhlgänge sind nicht vorhersehbar und machen es der Beschwerdeführerin unzumutbar, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen.

Ergänzende Anamnese mit der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin gibt an, dass die Angaben stimmen, der letzte operative Eingriff war im Jänner 2017, der Stuhlgang ist nach wie vor häufig, 8 - 10x täglich. Auch die Arbeit wird durch Stuhlgang unterbrochen, manchmal zwar nur 1x pro Arbeitstag, manchmal auf öfter, wesentlich ist dabei aber, dass sie, wenn sie Stuhldrang verspürt, sehr dringend die Toilette aufsuchen muss.

Das passiert aber auch immer wieder in der Nacht, etwa 2 - 3x im Monat, bei schlechter Verfassung manchmal auch öfter.

Bezüglich der Schwerhörigkeit keine Auffälligkeiten, mit Hörgerät ist eine normale Verständigung möglich.

Aktuelle Medikation, physikalische Behandlung und andere Maßnahmen:

Derzeit lediglich Bioflorin sowie Vitamin B und Vitamin D.

Untersuchungsbefund (klinisch-physikalischer Status):

Allgemeinzustand, Ernährungszustand ausreichend, 164 cm, 47 kg, vor Krankheitsbeginn war sie auch immer schlank, zu Beginn der Erkrankung hat sie in einem schweren Schub allerdings dann auf 40 kg abgenommen

Hörgeräte beidseits

( )

Abdomen: Bauchdecken weich, schlank, ausgedehnte OP-Narben, mediane Narbe, in der unteren Hälfte verbreitert durch P S.-Heilung, derzeit aber keine Auffälligkeiten, insbesondere auch kein klinischer Hinweis auf Herniation

Leber am Rippenbogen, Milz nicht abgrenzbar

Rektal nicht untersucht, Nierenlager frei

Extremitäten und Wirbelsäule: Wirbelsäule unauffällig, Arme normal, an den Beinen altersgemäß normaler Gelenksstatus, Pulse tastbar, keine Varizen, keine Ödeme

Gangbild normal

Beurteilung und Beantwortung der im nicht nummerierten Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.05.2017 gestellten Fragen

Frage 1:

Schwerhörigkeit, mit Hörgeräten gut ausgeglichen

Morbus Crohn, mit ausgedehnter OP, vermehrte und dringliche Stuhlgänge

Frage 2:

Die erforderlichen Wegstrecken können zurückgelegt werden, Ein- und Aussteigen ist möglich, ebenso ist der sichere Transport gegeben. Die Beschwerdeführerin muss allerdings die Möglichkeit haben, das Verkehrsmittel verlassen zu können, um eine Toilette aufzusuchen, wie sie etwa im städtischen Bereich gegeben ist, bei längeren Fahrten sollten Verkehrsmittel gewählt werden, die mit einer Toilette ausgestattet sind (Bahn, Flugzeuge, jedoch nicht sämtliche Autobusse).

Frage 3: Es liegen keine erheblichen Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit vor.

Frage 4: Es liegen keine erheblichen Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten vor. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist nicht mit Schmerzen verbunden.

Frage 5: Es liegen keine Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen vor.

Frage 6: Es liegt keine hochgradige Immunschwäche vor.

Frage 7:

a) Die Angaben sind glaubwürdig, wobei darauf hinzuweisen ist, dass vermehrter und dringlicher Stuhlgang nicht unbedingt zu einer Verschlechterung des Allgemein- und Ernährungszustandes führen muss. Aus der allgemeinen Erfahrung mit dem Krankheitsbild, an dem die Beschwerdeführerin leidet, ist anzunehmen, dass unvorhersehbar bedeutet, dass sie innerhalb von einigen Minuten die Toilette aufsuchen muss, dies ist unter Umständen wie an ihrem Arbeitsplatz, hier im Amtsgebäude, oder auch in Zügen möglich.

b) Das objektive Erscheinungsbild der Beschwerdeführerin entspricht ihren Behauptungen.

c) Die vorgelegten Unterlagen, Aktenseite 16-28, 57, 58, stehen mit den Angaben der Beschwerdeführerin im Einklang. In Abl. 57 ist ein Befund aus Neunkirchen mit 25.05 2010 datiert, bezieht sich aber auf die stationäre Behandlung 2002. Damals war der Zustand der Beschwerdeführerin wesentlich schlechter, es hat sich um den akuten Krankheitsbeginn gehandelt. Der Befund ist daher für die aktuelle Beurteilung nur mehr von untergeordneter Bedeutung.

d) Die Beschwerdeführerin trägt bei der Untersuchung keine Einlagen.

e) Mit dem Wagen.

Frage 8: Keine Abweichung

Frage 9: Keine Nachuntersuchung erforderlich"

Im gewährten Parteiengehör wurde wiederholt, dass die Beschwerdeführerin an einer Morbus Crohn-Erkrankung mit hauptsächlich flüssigem Stuhlgang leide, der acht bis zehn Mal täglich aufträte. Diese Stuhlgänge seien nicht vorhersehbar und führten dazu, dass die Beschwerdeführerin sehr rasch eine Toilette aufsuchen müsse. Der Gutachter führe in seinem Gutachten selbst aus, dass die Angaben der Beschwerdeführerin glaubwürdig seien und sie innerhalb weniger Minuten eine Toilette aufsuchen müsse, wenn sie Stuhlgang verspüre. Die Beschwerdeführerin leide an Untergewicht und sei lebensfremd anzunehmen, dass sie bei auftretendem Stuhlgang das Verkehrsmittel verlassen könne, um eine Toilette aufzusuchen, wenn dieser Stuhldrang sowohl unvorhersehbar als auch nicht beeinflussbar sei.

Die Beurteilung, ob der bei der Beschwerdeführerin vorliegende Gesundheitszustand die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung erfülle, obliege nicht dem Sachverständigen, sondern es handle sich um eine Rechtsfrage.

Vom Vertreter der Beschwerdeführerin wurde auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 23.09.2016 (E439/216-13) verwiesen, in welcher dieser feststellte, dass sich der Zweck der Norm nicht in der Vermeidung einer nach außen zutage tretenden Verschmutzung oder einer möglichen Geruchsbelästigung für Umstehende erschöpfe. Bei der Beschwerdeführerin liege eine so schwere anhaltende Erkrankung des Verdauungstraktes vor, die es ihr aufgrund der unvorhersehbaren häufig auftretenden Stuhlgänge unzumutbar mache, ein öffentliches Verkehrsmittel zu benützen. Ihr Ernährungszustand sei schlecht und die Erkrankung liege bereits seit 2002 vor. Erschwert werde die Erkrankung durch ein Kurzdarmsyndrom, dass es ihr laut behandelndem Arzt unmöglich mache, den Stuhl zurückzuhalten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Beschwerdeführerin ist im Besitz eines Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung in der Höhe von 70 von Hundert.

1.2. Der Beschwerdeführerin ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar.

1.2.1. Art und Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen:

Hörgeräte beidseits

Allgemeinzustand, Ernährungszustand ausreichend, 164 cm, 47 kg, vor Krankheitsbeginn war sie auch immer schlank, zu Beginn der Erkrankung hat sie in einem schweren Schub allerdings dann auf 40 kg abgenommen

Abdomen: Bauchdecken weich, schlank, ausgedehnte OP-Narben, mediane Narbe, in der unteren Hälfte verbreitert durch P S.-Heilung, derzeit aber keine Auffälligkeiten, insbesondere auch kein klinischer Hinweis auf Herniation

Leber am Rippenbogen, Milz nicht abgrenzbar, Nierenlager frei

Art der Funktionseinschränkungen: Schwerhörigkeit, mit Hörgeräten gut ausgeglichen; Morbus Crohn, mit ausgedehnter OP, vermehrte und dringliche Stuhlgänge

Die Beschwerdeführerin leidet an einer Morbus Crohn-Erkrankung mit hauptsächlich flüssigem Stuhlgang und imperativem Stuhldrang mit mehrmals täglichem (acht bis zehn Mal) Absetzen von flüssigem Stuhl.

1.2.2. Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:

Die Zeitpunkte, wann die Beschwerdeführerin Stuhl absetzt, sind aufgrund der festgestellten Funktionseinschränkungen nicht vorhersehbar und können von ihr in der Regel auch nicht beeinflusst werden.

Die festgestellten Funktionseinschränkungen wirken sich im Zusammenwirken in erheblichem Ausmaß negativ auf die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel aus.

Angesichts der gegenständlich schweren Ausprägung der Erkrankung kann mit den im Handel erhältlichen Inkontinenzprodukten der durch das Krankheitsbild der Beschwerdeführerin bedingten Verunreinigung und Geruchsbelästigung nicht in einem zumutbaren Ausmaß angemessen vorgebeugt werden.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zu Art, Ausmaß und Auswirkungen der Funktionseinschränkungen gründen sich – in freier Beweiswürdigung – in nachstehend ausgeführtem Umfang auf die vorgelegten und eingeholten Beweismittel:

Die von beiden Fachärzten für Innere Medizin getroffene Beurteilung der Auswirkungen der festgestellten Funktionseinschränkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist nicht überzeugend. Der vom BVwG bestellte Sachverständige hat die anamnestisch erhobenen Beschwerdeangaben der Beschwerdeführerin (acht bis zehnmaliger flüssiger Stuhlgang, der von der Beschwerdeführerin nicht steuerbar ist) nicht in Abrede gestellt, im Gegenteil hat er auf konkrete Befragung, ob die Angaben der Beschwerdeführerin unter Zugrundelegung ihres körperlichen Zustandes glaubwürdig sind, diese bejaht.

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin ist gleichbleibend und ohne Widersprüche. Die Angaben werden auch durch die vorgelegten Beweismittel bekräftigt.

Ob der Beschwerdeführerin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist, stellt keine medizinische Frage, sondern eine Rechtsfrage dar und obliegt dem erkennenden Senat. Zu deren Erörterung, siehe die rechtlichen Erwägungen unter Punkt II. 3.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird (§ 45 Abs. 2 BBG).

Zur Frage der Unzumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel:

Gemäß § 1 Abs. 2 Z. 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II Nr. 495/2013 ist die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist, einzutragen; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

? erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

? erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

? erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

? eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

? eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.

Entscheidend für die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist, wie sich eine bestehende Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH vom 20.10.2011, Zl. 2009/11/0032).

In den Erläuterungen zu § 1 Abs. 2 Z 3 wird ausgeführt:

Ausgehend von den bisherigen durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Beurteilungskriterien zur Frage "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" sind Funktionseinschränkungen relevant, die die selbstständige Fortbewegung im öffentlichen Raum sowie den sicheren, gefährdungsfreien Transport im öffentlichen Verkehrsmittel erheblich einschränken. Als Aktionsradius ist eine Gehstrecke von rund 10 Minuten, entsprechend einer Entfernung von rund 200 bis 300 m anzunehmen.

Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Alle therapeutischen Möglichkeiten sind zu berücksichtigen. Therapierefraktion - das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen - ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des behandelnden Arztes/der behandelnden Ärztin ist nicht ausreichend.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.

Der VwGH hatte sich bereits wiederholt mit der Frage zu beschäftigen, ob die Inkontinenz zur Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel führt und eine entsprechende Zusatzeintragung in den Behindertenpass rechtfertigt (Hinweis E vom 17. Juni 2013, 2010/11/0021, und jenes vom 23. Februar 2011, 2007/11/0142). In beiden Erkenntnissen hielt der VwGH die Annahme der Behörden, die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel durch den Betroffenen sei zumutbar, im Hinblick auf Art und Ausmaß der Inkontinenz für nicht nachvollziehbar. In beiden Erkenntnissen wurde ausgeführt, dass es zur Beantwortung dieser Frage - sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt - eines ärztlichen Sachverständigengutachtens bedarf, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Dem steht § 1 Abs. 2 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, und die dort - demonstrative ("insbesondere") - Aufzählung solcher Fälle, in denen die Feststellung der genannten Unzumutbarkeit gerechtfertigt erscheint, nicht entgegen (vgl. vielmehr § 1 Abs. 3 leg. cit. zur gebotenen individuellen (ganzheitlichen) Beurteilung auf Basis eines ärztlichen Sachverständigengutachtens). Die Erläuterungen zu § 1 Abs. 2 Z 3 dieser Verordnung führen aus, dass "bei anhaltend schweren Erkrankungen des Verdauungstraktes" in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar sei. (VwGH vom 21.04.2016, Ra 2016/11/0018)

Weiters führt der VwGH in dieser Entscheidung aus:

Im gegenständlichen Fall ist die Inkontinenz der Revisionswerberin noch deutlich stärker ausgeprägt als in jenen Konstellationen, die den beiden zitierten Erkenntnissen zugrunde lagen: Das Verwaltungsgericht hat zugrunde gelegt, dass die Revisionswerberin an einer Durchfallerkrankung "mit häufigem und imperativem Stuhlgang" (nach ihren unwidersprochenen Angaben mindestens 20mal pro Tag und mit Flatulenzen verbunden) leidet und dass die Zeitpunkte des Stuhlganges für sie in der Regel weder vorhersehbar noch beeinflussbar sind.

Es ist geradezu offenkundig und bedarf keiner weiteren Erörterung, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bei diesem Krankheitsbild unzumutbar ist. Daran ändern - angesichts der gegenständlich schweren Ausprägung der Erkrankung - die im Handel erhältlichen, vom Verwaltungsgericht angesprochenen Inkontinenzprodukte (saugfähige Einmalhosen) nichts.

Bei der Beschwerdeführerin liegen nach Ansicht des erkennenden Senates – unter Zugrundelegung der Ausführungen der Beschwerdeführerin und der ständigen VwGH-Judikatur - unzweifelhaft die Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung vor.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. (§ 24 Abs. 1 VwGVG)

Die Verhandlung kann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist. (§ 24 Abs. 2 Z.1 VwGVG)

Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. (§ 24 Abs. 3 VwGVG)

Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. (§ 24 Abs. 4 VwGVG)

Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden. (§ 24 Abs. 5 VwGVG)

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).

Der Sachverhalt erscheint geklärt, dem Bundesverwaltungsgericht liegt kein Beschwerdevorbringen vor, das mit der Beschwerdeführerin mündlich zu erörtern gewesen wäre und konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben, zumal dem Beschwerdeantrag stattgegeben wurde.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, sondern von Tatsachenfragen. Maßgebend ist das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Schlagworte

Behindertenpass, Sachverständigengutachten, Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2017:W200.2150962.1.00

Zuletzt aktualisiert am

22.12.2017
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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