Entscheidungsdatum
28.11.2017Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W137 2141192-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Peter HAMMER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Islamische Republik Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.11.2016, Zl. 1049922508/150042679, zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 28.11.2018 erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte am 13.01.2015 einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz.
2. Bei der Erstbefragung am 15.01.2015 gab er an, dass er afghanischer Staatsangehöriger schiitischen Glaubens sei und der Volksgruppe der Hazara angehöre. Er sei im Iran geboren und aufgewachsen und habe keine Schule besucht. Er habe als Hilfsarbeiter gearbeitet. In Afghanistan habe er nie gelebt. Seine Mutter und seine beiden Brüder lebten weiterhin im Iran. Sein Vater sei bereits verstorben. Als Fluchtgrund gab er an, dass er im Iran unter Druck gesetzt worden sei, in Syrien für die Regierung zu kämpfen, andernfalls würde er nach Afghanistan abgeschoben. Seine Mutter habe ihm geraten, nach Europa zu fliehen. In Afghanistan sei er noch nie gewesen und er habe dort niemanden.
3. Ein Gesamtgutachten des Ludwig Boltzmann Institutes vom 30.03.2015 basierend auf einer multifaktoriellen Altersschätzung kam zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer zum Untersuchungstag 20.03.2015 ein Mindestalter von 15 Jahren habe. Das vom Beschwerdeführer zum Untersuchungszeitpunkt angegebene Alter von 16 Jahren und 10 Monaten könne nicht ausgeschlossen werden.
4. Am 09.11.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers für die Sprache Farsi einvernommen. Dabei gab er an, dass er im Iran geboren und niemals in Afghanistan gewesen sei. Seine Eltern hätten in der Provinz Ghazni gelebt und seien aus Afghanistan geflohen, weil die Taliban in ihrem Gebiet gewesen seien. Alle seine Verwandten seien im Iran. Er habe niemals einen Reisepass besessen und es gebe auch keine Identitätsdokumente, die er sich zuschicken lassen könne. Im Iran sei er öfter festgenommen worden, weil er als Afghane dort illegal gelebt habe. Er habe Schmiergeld bezahlt, um freizukommen. Er habe drei Jahre eine inoffizielle afghanische Schule besucht und als Schneidergehilfe gearbeitet. Zum Fluchtgrund befragt, wiederholte der Beschwerdeführer etwas detaillierter sein Vorbringen aus der Erstbefragung. Zu Afghanistan gab er an, dass die Taliban für ihn wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seiner Glaubensrichtung eine Gefahr seien. In Österreich oder in einem anderen Unionsstaat habe er keine Verwandten. Zu seinem Gesundheitszustand gab er an, dass er seit seiner Operation am Ohr keine Medikamente mehr brauche. Dazu legte er eine Ambulanzkarte eines Krankenhauses in Wien vom 24.06.2015 vor.
5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.11.2016, Zl. 1049922508/150042679, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Ebenso wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.) und dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass dessen Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für dessen freiwillige Ausreise auf zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.
Das Bundesamt zweifelte die afghanische Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers und dessen Angaben zu seinen Familienangehörigen nicht an. Auch die Angaben zu seiner Biographie – insbesondere die Geburt im Iran und der fehlende Aufenthalt in Afghanistan – wurden nicht erkennbar in Zweifel gezogen. Der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung zu Afghanistan geltend gemacht. Seine Lebenssituation im Iran bilde keinen Prüfungsgegenstand im inhaltlichen Asylverfahren.
Zu Spruchpunkt II. wurde in der Beweiswürdigung ausgeführt, dass seine im Iran lebenden Angehörigen ihm auch von dort Unterstützungsleistungen zukommen lassen könnten. Dem Beschwerdeführer sei es möglich, sich entweder an seine Familienangehörigen oder an in Kabul oder anderen Großstädten ansässige staatliche, nichtstaatliche oder internationale Hilfseinrichtungen, im Speziellen solche für Rückkehrer aus dem Ausland, zu wenden. In der rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt II. wurde erwogen: "Es sind keine Umstände ersichtlich, dass sie nach ihrer Rückkehr nicht wieder Ihr gewohntes, existenzgesichertes Leben aufnehmen können. [ ]. Zudem verfügen Sie – wie bereits erörtert – über familiäre Anknüpfungspunkte, wodurch eine Unterstützung unmittelbar nach der Rückkehr und in Zeiten einer allfälligen Erwerbslosigkeit gegeben wäre."
6. Der Beschwerdeführer erhob innerhalb offener Frist Beschwerde gegen den oben genannten Bescheid. In dieser wurde im Wesentlichen neuerlich ausgeführt, dass er niemals in Afghanistan gewesen sei und dort keine sozialen oder familiären Netzwerke habe, auf die er zurückgreifen könnte. Daher bestehe für ihn auch keine zumutbare innerstaatliche "Schutzalternative". Es sei notorisch bekannt, dass die Versorgung mit Wohnraum und Nahrungsmitteln ohne soziale und familiäre Netzwerke sehr schwierig sei. Eine "Rückführung" des Beschwerdeführers nach Afghanistan stünde im Widerspruch zu Art 3
EMRK.
Beantragt wurde, dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen; in eventu den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan zuzuerkennen; in eventu den Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides aufzuheben; in eventu dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen; in eventu den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückzuverweisen sowie eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
7. Am 23.03.2017 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme des Beschwerdeführers ein. In dieser wurde ausgeführt, dass das Bundesamt sich nicht damit auseinandergesetzt habe, dass der Beschwerdeführer im Iran geboren sei und noch nie afghanischen Boden betreten habe. Ebenso habe das Bundesamt ignoriert, dass der Beschwerdeführer Farsi und nicht Dari spreche und deshalb in Afghanistan Diskriminierungen ausgesetzt werden würde. Zudem sei ignoriert worden, dass er wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara besonders vulnerabel sei. Das Bundesamt habe die Aktenlage verkannt, indem es ausgeführt habe, dass er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan bei seinen Familienangehörigen Unterstützung finden könnte. Denn es sei aktenkundig, dass er dort keine familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte habe. Wenn das Bundesamt in der rechtlichen Beurteilung auf Seite 90 des Bescheides schreibe: "Es sind keine Umstände ersichtlich, dass sie nach ihrer Rückkehr nicht wieder Ihr gewohntes, existenzgesichertes Leben aufnehmen können." verkenne es ebenfalls die Aktenlage. Da der Beschwerdeführer niemals in Afghanistan gelebt habe, sei es ihm nicht möglich, dort wieder sein "gewohntes, existenzgesichertes Leben" aufzunehmen. Ein solches würde voraussetzen, dass er schon einmal dort gelebt habe. Auch die Ausführung: "Zudem verfügen Sie – wie bereits erörtert – über familiäre Anknüpfungspunkte, wodurch eine Unterstützung unmittelbar nach der Rückkehr und in Zeiten einer allfälligen Erwerbslosigkeit gegeben wäre." stehe im Widerspruch zur Aktenlage und seinen – nie erkennbar in Zweifel gezogenen - Angaben. Das Bundesamt verweise auf die positive Entwicklung der Sicherheitslage in Kabul. Es sei jedoch notorisch, dass sich die Sicherheitslage dort verschlechtert habe. Dem Beschwerdeführer drohe in Afghanistan Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden jungen Afghanen ohne jeglichen Bezug zu ihrem Herkunftsland. Aufgrund dieser Zugehörigkeit sei er in Afghanistan einer "Vielzahl von Verfolgungen" ausgesetzt, die bei kumulativer Betrachtung eine asylrelevante Intensität entfalteten. Erschwerend komme hinzu, dass er als schiitischer Hazara von der "paschtunischen Mehrheitsbevölkerung" diskriminiert und von den über weite Landesteile die faktische Kontrolle ausübenden Taliban sogar verfolgt werden würde. Dazu wurde auf Berichtsmaterial verschiedener Organisationen sowie diverse Presseartikel, vorwiegend aus den Jahren 2016 und 2017, verwiesen.
Zur Frage der Gewährung des subsidiären Schutzes wurde vorgebracht, dass die Sicherheitslage im Jahr 2016 sich in ganz Afghanistan, und insbesondere in Kabul, verschlechtert habe. Dazu wurde auf zahlreiche Berichte verschiedener Organisationen aus den Jahren 2015 bis 2017 verwiesen. Bereits aufgrund der schlechten Sicherheitslage sei dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.
Zur fehlenden Möglichkeit des Beschwerdeführers, sich in Kabul niederzulassen wurde auf VfGH 07.06.2013, U 2436/2012 verwiesen. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer mangels sozialer oder familiärer Anknüpfungspunkte in Kabul im Fall einer "Rückkehr" nach Afghanistan in eine völlig ausweglose Situation geraten würde, weil ihm die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Eine Niederlassung in einem anderen Landesteil wäre aufgrund der dortigen "familiär und clanmäßig verfassten Strukturen schon von vornherein völlig illusorisch."
Der Beschwerdeführer sei unter mehreren Gesichtspunkten in besonderer Weise vulnerabel und der Gefahr einer Verletzung seiner durch Art 2 und 3 EMRK geschützten Rechte ausgesetzt. Als Angehöriger der schiitischen Minderheit der Hazara sei er in einem hohen Ausmaß Diskriminierungen ausgesetzt und er wäre bei einer "Rückkehr" ohne familiäre Anknüpfungspunkte. Besonders vulnerabel sei er, weil er im Iran geboren und Afghanistan für ihn ein fremdes Land sei. Daher stehe ihm auch keine zumutbare Fluchtalternative in Afghanistan offen. Ein - wie vom UNHCR in den Anmerkungen zur Situation in Afghanistan vom Dezember 2016 gefordertes – starkes soziales Netzwerk im Gebiet der Neuansiedlung habe der Beschwerdeführer nirgendwo in Afghanistan. Darüber hinaus befinde sich Kabul infolge der hohen Anzahl unfreiwilliger und nicht versorgter Rückkehrer, etwa infolge von Massenausweisungen aus Pakistan, in einer humanitären Krise. Dazu wurde unter anderem auf die UNHCR Anmerkungen zur Situation in Afghanistan vom Dezember 2016 verwiesen. Der Beschwerdeführer habe keine Fachausbildung, welche ihm angesichts der prekären Arbeitsmarktsituation in Kabul eine Arbeit verschaffen könnte. Es wäre ihm aufgrund all dieser Umstände nicht möglich, in Kabul oder anderswo in Afghanistan seine Existenz zu sichern.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der bei Antragstellung minderjährige Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger schiitischen Glaubens und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Seine Eltern zogen vor seiner Geburt in den Iran. Er ist im Iran geboren und aufgewachsen und hat sich nie in Afghanistan aufgehalten. Er spricht Farsi und nicht Dari. Er ist ledig und kinderlos.
Als Grund seiner Ausreise aus dem Iran gab er an, dass er als afghanischer Staatsangehöriger im Iran unter Druck gesetzt worden sei, in Syrien für die Regierung zu kämpfen, andernfalls würde er nach Afghanistan abgeschoben. Zu seiner Befürchtung hinsichtlich Afghanistan gab er an, dass die Taliban für ihn wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seiner Glaubensrichtung eine Gefahr seien. Er sei noch nie in Afghanistan gewesen und habe dort keine Verwandten.
Der Beschwerdeführer wäre in Afghanistan weder aufgrund seiner schiitischen Glaubensrichtung noch wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen ausgesetzt. Auch seine Geburt im Iran, der langjährige Aufenthalt dort und der laufende Aufenthalt in Europa würden ihn (für sich oder in Kombination mit den oben angeführten Merkmalen) in Afghanistan keiner maßgeblichen Verfolgungsgefahr aussetzen.
Die Familienangehörigen des Beschwerdeführers leben nach wie vor im Iran, gleiches gilt für die übrigen dem Beschwerdeführer bekannten Verwandten. In Afghanistan hat er keine (ihm bekannten) Verwandten. Eine notdürftige Existenzsicherung in Kabul wäre ihm – unter erheblichen Mühen und Einbeziehung aller Grauzonen des Arbeitsmarktes – möglich.
1.2. Zur Situation in Afghanistan werden folgende Feststellungen getroffen:
KI vom 19.9.2016: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan – Q3.2016
Die afghanischen Sicherheitskräfte konnten mit Hilfe der NATO den verstärkten Aktivitäten der Taliban, aber auch von al-Qaida und Islamischem Staat, standhalten (SCR 1.9.2016). Laut dem Vizechef der NATO-Mission "Resolute Support" funktionieren die afghanischen Kräfte, in Einklang mit ihrem offensiven Schlachtplan und positiven Entwicklungen, dieses Jahr besser als letztes Jahr (USDOD 25.8.2016).
Aufgrund intensiver Talibanoperationen war die Sicherheitslage auch weiterhin volatil. Während des Berichtszeitraumes (20.5. – 15.8.2016) konzentrierten sich die Taliban darauf, die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten der Provinzen Baghlan, Kunduz, Takhar, Faryab, Jawzjan und Uruzgan zu bekämpfen, in dem sie versuchten Bezirksverwaltungszentren einzunehmen und Versorgungsrouten zu unterbrechen. In den Monaten Mai und Juli erhöhte sich die Anzahl der bewaffneten Angriffe um 14,7% im Vergleich zu den drei Monaten davor und war ferner um 24% höher als im Vergleichszeitraum des Jahres 2015 (GASC 7.9.2016).
Berichtszeitraum 20.5.2016 bis 15.8.2016
68,1% der landesweiten sicherheitsrelevanten Vorfälle konzentrierten sich auf die südlichen, südöstlichen und östlichen Regionen. Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin, durch Bedrohungen, Entführungen und gezielten Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 268 Mordanschläge registriert, davon sind 40 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015. Zusätzlich wurden landesweit 109 Entführungen, im Berichtszeitraum registriert. Selbstmordangriffe sind im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 von 26 auf 17 zurückgegangen (GASC 7.9.2016).
Zwischen 20.5. und 15.8.2016 registrierten die Vereinten Nationen landesweit 5.996 sicherheitsrelevante Vorfälle. Dies bedeutet eine Erhöhung von 4,7% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 2015 und einen Rückgang von 3,6% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 2014. In Einklang mit bisherigen Trends, waren bewaffnete Auseinandersetzungen mit 62,6% für einen Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle verantwortlich, gefolgt von Vorfällen mit improvisierten Sprengkörpern, welche 17,3% ausmachten (GASC 7.9.2016).
High-profile Angriffe in Kabul
Im Berichtszeitraum kam es zu zwei High-Profile Angriffen in Kabul (GASC 7.9.2016; vgl. auch: BBC News 23.7.2016, Reuters 1.8.2016).
Sicherheitsoperationen
Mindestens 27 Taliban, darunter drei lokale Führer der Gruppe, wurden im Rahmen von Befreiungsoperationen in der Provinz Badakhshan getötet. Ebenso wurden 32 weitere Aufständische verwundet und 12 Dörfer von Aufständischen befreit (Khaama Press 3.8.2016).
Mindestens 36 IS-Kämpfer wurden, im Zuge der Militäroperation "Qahr Silab" im Distrikt Achin in der Provinz Nangarhar im Osten Afghanistans, durch afghanische Sicherheitskräfte getötet (India Live Today 30.7.2016).
Mindestens 300 Anhänger des IS wurden seit Beginn einer weiteren großen Militäroperation im Osten Afghanistans getötet. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums bestätigte ebenso, dass etwa 100 weitere Anhänger verletzt wurden. Er führte weiter aus, dass die Operationen anhalten (Khaama Press 27.7.2016).
Im Juni führten Sicherheitskräfte Operationen in den Provinzen Nangarhar, Paktika, Ghazni, Kandahar, Uruzgan, Baghlan, Balkh, Jawzjan, Faryab, Kunduz und Helmand durch (BAMF 13.6.2016).
Im Rahmen weiterer Operationen wurden ebenfalls Taliban, darunter hochrangige Mitglieder wie Schattengouverneure (Khaama Press 2.8.2016) und Kommandanten, getötet (Xinhua 19.7.2016; Xinhua 17.8.2016). Auch Anhänger (Khaama Press 27.7.2016) und Anführer des IS (Xinhua 26.7.2016; vgl. auch: GASC 7.9.2016) waren unter den Opfern.
Sicherheitskräfte
Die afghanischen Sicherheitskräfte haben ihre Luftkapazitäten erweitert (GASC 7.9.2016).
Die derzeit 8.400 US-Soldaten bleiben bis Ende Jänner 2017 im Land. Die NATO-Mission hat gegenwärtig insgesamt eine Truppenstärke von 13.000 Mann (SCR 1.9.2016; vgl. auch: GASC 7.9.2016). Die neuen Einsatzregeln der US-Truppen erlauben mehr direkte Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte, auch werden die Luftangriffe erweitert (GASC 7.9.2016).
Berichten zufolge sind die Verluste der Sicherheitskräfte seit Juni 2016 gestiegen. Zusätzlich ist die Zahl natürlicher Abgänge hoch. Zwar wurden die Rekrutierungsziele erreicht, doch die Quote der Wiederverpflichtungen ist niedrig und muss erhöht werden um Verluste und Desertionen aufzuwiegen (GASC 7.9.2016). Derzeit werden 3.000 – 4.000 Soldaten monatlich ausgebildet (USDOD 11.2.2016).
Kabul
Provinz Kabul
Im Zeitraum 1.1. – 31.8.2015 wurden in der Provinz Kabul insgesamt 352 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 21.1.2016).
Provinzhauptstadt der Provinz Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden und (Maidan)Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten (Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.372.977 geschätzt (UN OCHA 26.8.2015).
Im Gegensatz zu den ländlichen Teilen Afghanistans, in denen das Gewaltniveau meist von jahreszeitenbedingter Witterung abhängt (erhöhte Angriffszahlen in den Sommermonaten), hängt die Sicherheitslage in Kabul stark von den politischen Entwicklungen innerhalb Afghanistans und internationalen Beziehungen ab (EI o.D.).
Die Sicherheitsumgebung in Kabul ist momentan extrem herausfordernd, Koordinierte Angriffe auf Regierungsgebäude und auf ausländische Organisationen, ist auf einem Niveau, wie zuletzt im November 2014 beobachtet wurde. Die allgemeine Gewalt, Selbstmordattentate, Autobomben und magnetisch angebrachte IEDs (improvised explosive devices) befinden sich im Großen und Ganzen auf dem Niveau von 2014. Dieses Gewaltniveau wird scheinbar von einer größeren Strategie extremistischer Gruppen vorangetrieben (EI o.D.). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren (USDOD 12.2015). Innerhalb Kabuls gibt es verschiedene Viertel mit unterschiedlichen Sicherheitslagen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).
Von Jänner bis November 2015, wurden 28 hochrangige Angriffe in Kabul durchgeführt. Dies bedeutet eine Steigerung von 27% gegenüber dem Vergleichseitraum 2014. Diese Angriffe erreichen ein Hauptziel der Taliban, nämlich mediale Aufmerksamkeit, und gleichzeitig die Verbreitung eines Gefühls der Unsicherheit (USDOD 12.2015).
Traditionell erfüllen Angriffe auf die Stadt Kabul zwei Zwecke:
Erstens, physisch die Macht der afghanischen Regierung zu schwächen. Dies geschieht üblicherweise durch die Ermordung von Beamten und Zerstörung von Versorgungswegen. Zweitens, Propagandasiege durch Angriffe in Kabul. Aus demselben Grund werden internationale Organisationen (die einen ähnlichen Propagandawert für Aufständischenorganisationen haben) regelmäßig angegriffen. Oftmals dann, wenn es zu schwer war wichtige Regierungs- oder NATO-Gebäude erfolgreich zu infiltrieren. Während die Sicherheitskräfte sich fortwährend verbessern und ihre Fähigkeiten, solchen Angriffen entgegenzuwirken, entwickeln, ist es eher unwahrscheinlich, dass eine unterschwellige Bedrohung, insbesondere innerhalb der zentralen Kabuler Distrikte, in naher Zukunft gänzlich ausgeschlossen werden kann (EI o.D.).
Ministerien sind bevorzugte Ziele von Raketenbeschuß, Sprengsätzen oder Selbstmordanschlägen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014; vgl. UNAMA 8.2015). Hier steht die mediale Wirkung im Vordergrund. Die Anstrengungen der Sicherheitskräfte zeigen allerdings langsam Wirkung (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).
Nach einer erhöhten Anzahl von Angriffen und Störungen im Sommer – vorläufige Daten zeigen im Jahr 2015 eine nennenswerte Steigerung zum Vergleichszeitraum 2014 in Bezug auf Selbstmordattentate und allgemeine Aufständischenaktivitäten in der Stadt Kabul. Allgemein wurde erwartet, dass die Gewalt mit Beginn des Winters 2015 abnehmen würde. Winterliche Gegebenheiten schränken allgemein die Bewegung extremistischer Gruppen am Boden ein, wodurch weniger Kämpfer und weniger Kampfmittel nach Kabul Stadt kommen. Ungeachtet dessen existiert weiterhin ein Potential für unerwartete Talibanangriffe. Auch das IS-Phänomen könnte das Risikoprofil innerhalb der Hauptstadt 2016 erweitern, jedoch müssen diese Gruppen ihre Effektivität innerhalb der Hauptstadt erst nachweisen. IS-Zweige treten derzeit mehr in interne Fehden mit den Taliban und anderen extremistischen Fraktionen, in Gebieten wie dem ländlichen Nangarhar, Farah und Zabul in Erscheinung, anstatt durch gezielte Angriffe auf internationale Organisationen (EI o.D.).
Die Stadt Kabul zieht auch weiterhin eine signifikante Zahl an Binnenvertriebenen an. Mindestens 3.000 Familien benötigen Hilfe (UN GASC 10.12.2015).
Allgemeine Menschenrechtslage
Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen erhebliche Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine starke Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern nur schwer durchzusetzen. Sie müssen landesweit weiterhin gegen große Widerstände in der konservativen Bevölkerung verteidigt werden. Insbesondere geschlechtsspezifische Gewalt ist weitverbreitet; die Rechte von Frauen und Mädchen werden trotz fortschrittlicher Gesetzgebung nur unzureichend respektiert und umgesetzt (AA 6.11.2015).
Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage. Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog. Ferner, hat Afghanistan die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert (AA 6.11.2015).
Als ein positives Signal wurde von Frauen- und Menschenrechtsgruppen gewertet, dass der ehemalige Präsident Karzai sich weigerte ein vom afghanischen Parlament erlassenes Gesetz zu unterzeichnen, welches Familienangehörigen eines Beschuldigten verbieten würde in strafrechtlichen Fällen auszusagen. Da ein Großteil gemeldeter Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt innerhalb der Familie geschehen, würde dies eine erfolgreiche strafrechtliche Verfolgung erschweren und weiters, Opfern von Vergewaltigung und häuslicher Gewalt, sowie jenen die Zwangsverheiratung und Kinderheirat ausgesetzt sind, Gerechtigkeit verwehren (AI 25.2.2015).
Religionsfreiheit
80% der Bevölkerung sind Anhänger des sunnitischen und 19% Anhänger des schiitischen Islams; 1% entfällt auf andere Religionen (The CIA World Factbook 20.10.2015). Es lebt offiziell noch ein Jude in Afghanistan, der sich um die verwaiste Synagoge kümmert (AA 16.11.2015).
Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen (AA 16.11.2015; vgl. Max Planck Institut 27.1.2004). Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt (AA 16.11..2015).
Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 verbessert, wird aber noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformierte Muslime behindert. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Nichtmuslimische Religionen sind erlaubt, doch es wird stark versucht, deren Missionierungsbestrebungen zu behindern. Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (FH 28.4.2015).
Angaben eines Vertreters einer internationalen Organisation mit Sitz in Kabul berichtete, dass entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung, Hazara keiner gezoelten Diskriminierung aufgrund ihrer Religungszugehörigkeit ausgesetzt sind (Vertrauliche Quelle 29.9.2015).
Die Bedingungen für Religionsfreiheit sind für andersdenkende sunnitische Muslime, aber auch schiitische Muslime, Sikhs, Christen und Bahais weiterhin schlecht. Die afghanische Verfassung verabsäumt es explizit die individuellen Rechte in Bezug auf Religionsfreiheit zu schützen und einfachgesetzliche Bestimmungen werden in einer Weise angewendet, die internationale Menschenrechtsstandards verletzt. Staatliche und nicht-staatliche Akteure führen Aktionen gegen Personen aus, die ihrer Ansicht nach "unislamische" Aktivitäten setzen (USCIRF 30.4.2015).
Die sunnitische hanafitische Rechtsprechung gilt für alle afghanischen Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von ihrer Religion (AA 6.11.2015; vgl. AA 2.3.2015). Für die religiöse Minderheit der Schiiten gilt in Personenstandsfragen das schiitische Recht (AA 31.3.2014; vgl. USDOS 14.10.2015; vgl. USDOS 26.5.2015).
Nichtmuslimische Minderheiten, wie Sikh, Hindu und Christen, waren sozialer Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt, und in manchen Fällen, sogar Gewalt. Dieses Vorgehen war nicht systematisch (USDOS 14.10.2015). Im Mai 2014 zum Beispiel trat Sham Lal Bathija als erster Hindu den Posten des afghanischen Botschafters in Kanada an (RFERL 15.5.2014). Im März übergab er formell diese Position an seinen Nachfolger Dawood Qayomi (Afghan Embassy 18.3.2015). Sham Lal Bathija war bereits in der Vergangenheit als hochrangiger Wirtschaftsberater von Karzai tätig (The New Indian Express16.5.2012).
Schiiten
Etwa 19% der Bevölkerung sind schiitische Muslime und damit die größte religiöse Minderheit des Landes. Der Großteil der afghanischen Schiiten gehört der ethnischen Gruppe der Hazara an (USCIRF 30.4.2015). Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind im Alltagsleben in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsgelehrten (Ulema) als auch im Hohen Friedensrat sind auch Schiiten vertreten; beide Gremien betonen, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe (AA 16.11.2015; vgl. AA 2.3.2015).
Die Situation der afghanischen schiitisch-muslimischen Gemeinde hat sich seit dem Ende des Taliban-Regimes wesentlich gebessert. Während des Untersuchungszeitraumes war es schiitischen Muslim/innen allgemein möglich ihre traditionelle Ashura Feierlichkeiten und Rituale, ohne Hindernisse, öffentlich durchzuführen (USCIRF 30.4.2015; vgl. FH 28.4.2015). Trotzdem ist die schiitische Minderheit mit gesellschaftlichen Diskriminierungen konfrontiert (USDOS 28.7.2014). Informationen eines Vertreters einer internationalen Organisation mit Sitz in Kabul zufolge, sind Hazara, entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung, keiner gezielten Diskriminierung aufgrund ihrer Religungszugehörigkeit ausgesetzt (Vertrauliche Quelle 29.9.2015).
Der letzte große Zwischenfall, bei dem mindestens 55 Menschen getötet und mehr als 100 verletzt wurden, fand 2011 während der Ashura-Feiern in Form eines Selbstmordattentats in einer heiligen Stätte in Kabul statt (BBC 5.9.2013; vgl. AA 2.3.2015; vgl. AA 16.11.2015). Die politischen Kräfte des Landes zeigten sich über die Vorfälle erschüttert, verurteilten die Attentate und riefen zur Einigkeit auf. Im Jahr 2015 verlief das Aschura-Fest in Afghanistan friedlich (AA 16.11.2015).
Die Verfassung garantiert, dass das schiitische Gesetz in Personenstandsangelegenheiten angewendet wird, in denen alle Parteien Schiiten sind (USDOS 14.10.2015). Im Jahr 2009 wurde ein Gesetz durchgesetzt, das viele konstitutionelle Rechte der schiitischen Frauen schmälert. Erbschafts-, Heiratsfragen und Angelegenheiten persönlicher Freiheit werden von den konservativen schiitischen Autoritäten festgesetzt (USDOS 25.6.2015; vgl. BFA Staatendokumentation 3.2014).
Die Ismailiten, die sich selbst zum schiitischen Islam rechnen, machen etwa 5% der Bevölkerung aus (USDOS 28.7.2014; vgl. -CRS 12.1.2015). Es gibt wenige Berichte in Bezug auf gezielte Diskriminierung gegen Ismailiten (USDOS 25.6.2015). Auch unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Manche Mitglieder der ismailitischen Gemeinde beschwerten sich über Ausgrenzung von Position von politischen Autoritäten (USDOS 14.10.2015).
Ethnische Minderheiten
Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 16.11.2015; vgl. Max Planck Institut 27.1.2004).
In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2015 mehr als 32.5 Millionen Menschen (CIA 20.10.2015). Davon sind 42%-45% Pashtunen, 25% Tadschiken, rund 10% Hazara, 10% Usbeken. Es existieren noch mehrere andere religiöse und ethnische Minderheiten (CRS 12.1.2015). wie z.B. Aimaken 4%, Turkmenen 3%, Balutschen 2% und andere kleinere ethnische Gruppen (CIA 24.6.2014).
Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor (AA 16.11.2015). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 25.6.2015).
Ethnische Pashtunen sind die größte Ethnie in Afghanistan. Sie sprechen Paschtu/Pashto, aber die meisten ihrer Regierungsvertreter sprechen auch Dari (CSR 12.1.2015). Die Pashtunen haben mehr Sitze in beiden Häusern des Parlaments, aber nicht mehr als 50% der Gesamtsitze. Es gibt keinen Beweis, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Es gibt keine Gesetze, welche die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben verhindern. Nichtsdestotrotz beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, dass sie keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 25.6.2015). Unter den vielen Volksgruppen bilden die Paschtunen zwar die Mehrheit im Staat, dominieren aber nur im Süden, im Norden hingegen eher die persisch-sprachigen Tadschiken (DW 26.4.2014; vgl. GIZ 10.2015). Die Pashtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 31.7.2015).
Hazara
Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. Sie hat sich ökonomisch und politisch durch Bildung verbessert. In der Vergangenheit wurden die Hazara von den Pashtunen verachtet, da diese dazu tendierten, die Hazara als Hausangestellte oder für andere niedere Arbeiten einzustellen. Berichten zufolge schließen viele Hazara, inklusive Frauen, Studien ab oder schlagen den Weg in eine Ausbildung in Informationstechnologie, Medizin oder anderen Bereichen ein, die in den unterschiedlichen Sektoren der afghanischen Wirtschaft besonders gut bezahlt werden (CRS 12.1.2015).
Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage verbessert. Sie sind in der öffentlichen Verwaltung aber nach wie vor unterrepräsentiert. Unklar ist, ob dies Folge der früheren Marginalisierung oder eine gezielte Benachteiligung neueren Datums ist. Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben in lokal unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 16.11.2015; AA 2.3.2015). Gesellschaftliche Diskriminierung gegen die schiitischen Hazara mit Bezug auf Klasse, Ethnie und Religion hält weiter an - in Form von Erpressung, durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung und Zwangsarbeit, physische Misshandlung und Verhaftung (USDOS 25.6.2015). Informationen eines Vertreters einer internationalen Organisation mit Sitz in Kabul zufolge, sind Hazara, entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung, keiner gezielten Diskriminierung aufgrund ihrer Religungszugehörigkeit ausgesetzt sind (Vertrauliche Quelle 29.9.2015).
Mitglieder der Hazarastämme, meist schiitische Muslime, sind in den Provinzen Bamiyan, Daikundi und Ghazni in Zentralafghanistan vertreten (CRS 15.10.2015).
Eine prominente Vertreterin der Minderheit der Hazara ist die Vorsitzende der unabhängigen afghanischen Menschenrechtskommission Sima Simar (CRS 12.1.2015).
Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 31.7.2015).
Bewegungsfreiheit
Das Gesetz erlaubt interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr, aber die Regierung schränkte die Bewegung der Bürger/innen gelegentlich aus Sicherheitsgründen ein [Anm.:
siehe dazu auch Artikel 39 der afghanischen Verfassung] (USDOS 25.6.2015; vgl. Max Planck Institut 27.1.2004).
In manchen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In manchen Teilen machen Gewalt von Aufständischen, Landminen und Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtungen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht (USDOS 25.6.2015).
Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge
Interne Bevölkerungsbewegungen steigen an, hauptsächlich wegen militärischer Operationen, aber auch wegen bewaffneten Konflikten und der Sicherheitslage (USDOS 25.6.2015).
Ende August 2015 waren, laut UNHCR, 948.000Personen intern vertrieben (UNHCR 8.2015 vgl. IDMC 7.2015). Die Zahl der neu hinzugekommenen Binnenvertriebenen für das erste Halbjahr 2015 wird mit 103.000 angegeben. Mehr als 36.000 wurden seit April aus Kunduz intern vertrieben. Ferner wurden auch in den Provinzen Badakshan, Badghis, Baghlan, Faryab, Ghazni, Kapisa und (Maydan) Wardak seit Juni 2014 Menschen intern vertrieben (IDMC 7.2015).
UNHCR registrierte die höchste Zahl intern vertriebener aus den nordöstlichen Gebieten Afghanistans (UNHCR 5.2015). Auseinandersetzungen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und bewaffneten nicht-staatlichen Gruppen, wurden als Grund angegeben (z.B. Provinz Kunduz) (UNHCR 5.2015; vgl. UNHCR 7.2015). Die zweithöchste Zahl intern Vertriebener wurde in den Regionen Zentralafghanistans angegeben. Als Gründe wurden hier die allgemeine Sicherheitslage, militärische Operationen und gelegentliche Zusammenstöße zwischen regierungsfeindlichen Gruppen und den afghanischen Sicherheitskräften genannt (UNHCR 5.2015).
Bewaffnete Zusammenstöße zwischen regierungsfeindlichen Gruppen und den afghanischen Sicherheitskräften wurden als die Hauptursache für die Vertreibung innerhalb des Landes angegeben. Als weitere Ursachen wurden im Belästigungen und Einschüchterungen durch regierungsfeindliche Gruppen sowie stammesinterne Dispute angegeben (UNHCR 5.2015). Ferner kam es auch aufgrund von Naturkatastrophen und Arbeitsmöglichkeiten in anderen Gebieten zu internen Bevölkerungsbewegungen (USDOS 25.6.2015)
Die größten Bedürfnisse der IDP-Bevölkerung waren Nahrung, sowie Gebrauchsgüter (NFI- Non-Food-Items), die keine Lebensmittel sind. Einem Großteil der IDP gelang es temporär Behausungen in Gegenden der Vertreibung zu mieten. Anderen war es möglich bei Verwandten oder in Gastgemeinden unterzukommen bzw. aufgenommen zu werden. Situationen in denen internvertriebenen Familienen keine Behausung zur Verfügung stand, waren selten. War dies dennoch der Fall, so wurde den Familien sofort Notfallsbehausungen bzw. Zelte zur Verfügung gestellt. In gewissen Gegenden kam zu Herauforderungen im Bereich von Bildungszugang. Grund dafür waren das Fehlen notwendiger Dokumente oder Platz- oder Ressourcenmangel. Diese Fälle wurden an die notwendigen Bildungsautoritäten entweder durch UNHCR direkt oder durch UNICEF gemeldet (UNHCR 5.2015).
Flüchtlinge in Afghanistan:
Afghanistan beheimatet auch weiterhin etwa 227.000 Flüchtlinge aus Pakistan, die aufgrund militärischer Operationen in Nordwaziristan, in die südöstlichen Teile des Landes übergetreten sind (UN GASC 10.12.2015; vgl. Tolonews 21.12.2015). Laut UNHCR sind es derzeit sogar rund 300.000 Flüchtlinge (darunter viele pakistanische Staatsangehörige) und 60 Asylbewerber in Afghanistan. Allein im Juni 2014 kamen lt. UNHCR rund 100.000 Menschen aus Pakistans Nord-Waziristan-Region nach Afghanistan. Sie hatten sich vor den Auseinandersetzungen in ihrer Heimatregion geflüchtet und wurden oft direkt von paschtunischen Familien in den afghanischen Nachbarprovinzen Paktika und Khost aufgenommen. Im Dezember 2014 waren beim UNHCR rund 800.000 afghanische konflikt-induzierte Binnenflüchtlinge registriert (AA 16.11.2015).
Grundversorgung/Wirtschaft
Für das Jahr 2013 belegte Afghanistan im 'Human Development Index' (HDI) den 169 Platz von mehr als 187 (Anm.: darunter befanden sich auch einige ex aequo Platzierungen) (UNDP 2014).
Die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans wird trotz Wachstumsraten in der letzten Dekade weiterhin nicht durch ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum, sondern durch die Zuflüsse aus der internationalen Gebergemeinschaft stimuliert (AA 8.2015). Die Übergangsphase in Politik und Sicherheit haben die afghanische Wirtschaft stärker beeinträchtigt als erwartet. Das Wirtschaftswachstum ist im Jahr 2014 auf 1,3% gesunken, wobei es im Jahr davor noch 3,7% betrug (WB 10.2015; vgl. IMF 9.6.2015).
Das Wirtschaftswachstum war zum Größtenteil getrieben von Expansion in Industrie (2,4%) und Dienstleistung (2,2%). Private Investitionsaktivitäten zeigten im Jahr 2014 Anzeichen eines Rückgangs, gekennzeichnet durch einen 50%igen Rückgang an neuen Firmenregistrierungen seit dem Jahr 2012. Die Anzahl der neuen Firmenregistrierungen im ersten Halbjahr 2015, welche ein Indikator für Investorenvertrauen ist, blieb auf demselben Niveau, wie im ersten Halbjahr des Jahres 2014. Eine sanfte Erholung wird für das Jahr 2016 erwartet. (WB 2015).
Den größten Anteil am BIP (2014: 21,7 Mrd. USD) hat der Dienstleistungssektor mit 53,5%, gefolgt von der Landwirtschaft mit 27,7% des BIP. Industrieproduktion ist kaum vorhanden. Trotz einer großen Bedeutung des Außenhandels – Afghanistan ist in hohem Maße von Importen abhängig – sind afghanische Produkte bisher auf internationalen sowie regionalen Märkten kaum wettbewerbsfähig (AA 8.2015).
Es wird geschätzt, dass das reale Wachstum des Bruttoinlandprodukts um 3,1% im Jahr 2016 und 3,9% im Jahr 2017 wachsen wird, bedingt durch Verbesserungen im Bereich der Sicherheitslage und einer starken Reformdynamik (WB 10.2015). Wichtige Erfolge wurden im Bereich des Ausbaus der Infrastruktur erzielt. Durch den Bau von Straßen und Flughäfen konnte die infrastrukturelle Anbindung des Landes verbessert werden (AA 8.2015).
Trotz des seit drei Jahren hohen landwirtschaftlichen Produktionsniveaus, konnten die starken Landwirtschaftserträge des Jahres 2013 nicht mehr erreicht werden und so war die Landwirtschaft nicht Teil des Wirtschaftswachtums (WB 10.2015). Die neue Regierung hat die landwirtschaftliche Entwicklung zur Priorität erhoben. Dadurch sollen auch gering qualifizierte Afghaninnen und Afghanen bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz bekommen. Insbesondere sollen die landwirtschaftlichen Erzeugnisse Afghanistans wieder eine stärkere Rolle auf den Weltmärkten spielen. Gerade im ländlichen Raum bleiben die Herausforderungen für eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung angesichts mangelnder Infrastruktur, fehlender Erwerbsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft und geringem Ausbildungsstand der Bevölkerung (Analphabetenquote auf dem Land von rund 90 %) aber groß. Sicher ist, dass die jährlich rund 400.000 neu auf den Arbeitsmarkt drängenden jungen Menschen nicht vollständig vom landwirtschaftlichen Sektor absorbiert werden können (AA 8.2015).
Große wirtschaftliche Erwartungen werden an die zunehmende Erschließung der afghanischen Rohstoffressourcen geknüpft. In Afghanistan lagern die weltweit größten Kupfervorkommen sowie Erdöl, Erdgas, Kohle, Lithium, Gold, Edelsteine und Seltene Erden. Das seit langem erwartete Rohstoffgesetz wurde im August 2014 verabschiedet. Damit wurden die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Investitionen in diesem Bereich verbessert. Entscheidend für Wachstum, Arbeitsplätze und Einnahmen aus dem Rohstoffabbau ist die Umsetzung des Gesetzes. Darüber hinaus müssen Mechanismen zum Einnahmenmanagement etabliert werden. Der Abbau der Rohstoffe erfordert große und langfristige Investitionen in die Exploration und Infrastruktur durch internationale Unternehmen. Bisher sind diese noch kaum im Abbau von Rohstoffen im Land aktiv (AA 8.2015).
Afghanistan bleibt weiterhin der weltweit größte Produzent für Opium, Heroin und Cannabis (AA 8.2015; vgl. UN GASC 6.9.2015). Rund 2,2 Mio. Afghanen leben mittelbar oder unmittelbar vom Drogenanbau, -handel und –verkauf (AA 8.2015). Trotz einer breit angelegten Strategie verhindern die angespannte Sicherheitslage in den Hauptanbaugebieten im Süden des Landes sowie die weit verbreitete Korruption eine effiziente Bekämpfung des Drogenanbaus (AA 8.2015; vgl. UN GASC 6.9.2015). Die hohen Gewinnmargen erschweren zudem die Einführung von alternativen landwirtschaftlichen Produkten (AA 8.2015).
Die Internationale Gemeinschaft und Hauptgeber haben ihr Engagement und ihre Partnerschaft für Afghanistan im Rahmen der London Konferenz im Dezeber 2014 bestätigt. Sie begrüßren das Engagement der neuen afghanischen Regierung für macroökonomische Stabilität und Reformen, welche Nachhaltigkeit und integratives Wachstum beinhaltet (IMF 5.2015).
Behandlung nach Rückkehr
In den letzten zehn Jahren sind im Rahmen der freiwiliigen Rückkehr durch UNHCR 3.5 Millionen afghanische Flüchtlinge zurückgekehrt. Insegesamt sind 5.8 Millionen Afghaninnen und Afghanen aus verschiedenen Teilen der Welt nach Afghanistan zurückgekehrt (DW 19.10.2015). USDOS berichtet, dass in den Jahren von 2002 bis 2014, Finanzierungen verwendet wurden um Transportkosten und anfängliche Notwendigkeit bei Rückkehr, für mehr als 4.7 Millionen zur Verfügung zu stellen (SIGAR 8.2015; vgl. AA 2.3.2015). Somit hat eine große Zahl der afghanischen Bevölkerung einen Flüchtlingshintergrund (AA 2.3.2015). Im Jahr 2015 sind 50.000 afghanische Flüchtlinge aus Pakistan im Rahmen des Programms der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan zurückgekehrt (DW 19.10.2015).
Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Rückkehrer aus Iran und Pakistan stark gestiegen. 2014 lag die Zahl der Rückkehrer bei knapp 17.000, davon über 12.000 aus PAK. Bis Ende Oktober 2015 sind im laufenden Jahr fast 56.000 zurückgekehrt, davon über 53.000 aus Pakistan. Zwei Drittel der Rückkehrer siedeln sich in fünf Provinzen an: Kabul, Nangarhar, Kunduz, Logar und Baghlan (AA 16.11.2015). Laut UNHCR-Afghanistan kehrten im Jahr 2014 insgesamt 17.000 Menschen freiwillig nach Afghanistan zurück (UNHCR 29.10.2015). Die Kapazität der Regierung Rückkehrer/innen aufzunehmen war auch weiterhin niedrig. Die Zahl der Rückkehrer/innen während des Jahres 2014 verringerte sich aufgrund von Unsicherheiten in Bezug auf die Sicherheitslage im Rahmen der Post-Transitionszeitraumes und aufgrund des Auslaufens der proof of Residence Card (PoR Card) für afghanische Flüchtlinge in Pakistan (USDOS 25.6.2015). In Pakistan werden etwa 1.5 Millionen afghanische Flüchtlinge, die im Besitz einer PoR Card sind von UNHCR unterstüzt (BFA Staatendokumentation 9.2015).
Die afghanische Regierung kooperierte auch weiterhin mit UNHCR, der Internationalen Organisation für Migration (IOM), sowie anderen humanitären Organisationen, um intern vertrieben Personen, Flüchtlingen, Rückkehrer/innen und andern Menschen Schutz und Unterstützung zur Verfügung zu stellen. Regierungsunterstützung für vulnerable Personen, inklusive Rückkehrer/innen aus Pakistan und Iran, war gering, mit einer anhaltenden Abhängigkeit von der internationalen Gemeinschaft. Die Reintegration von Rückkehrer/innen war schwierig.Rückkehrerinnen und Rückkehr hatten angeblich gleichwertigen Zugang zu Gesundheits-, Bildungs- und anderen Leistungen, obwohl manche Gemeinden, die für Rückkehrer/innen vorgesehen waren, angaben, dass eingeschränkter Zugang zu Transport und Straßen zu größeren, besser etablierten Dörfern und städtischen Zentren fehlte. Dies erschwerte den Zugang zu Dienstleistungen und wirtschaftlichen Möglichkeiten (USDOS 25.6.2015).
In Iran und Pakistan halten sich derzeit noch ca. 3 Millionen afghanische Flüchtlinge auf. Dazu kommen nicht registrierte Afghanen, die von der iranischen Regierung jedoch nicht als Flüchtlinge anerkannt sind. Insbesondere von iranischer Seite, in Teilen auch von Pakistan, werden sie gelegentlich als politisches Druckmittel gegenüber Afghanistan ins Feld geführt. Gleichzeitig gelten die Flüchtlinge auch als günstige Arbeitskräfte. In Afghanistan wird zwischen Rückkehrern aus den Nachbarstaaten Iran und Pakistan (die größte Gruppe afghanischer Flüchtlinge) und freiwilliger Rückkehr oder Abschiebung aus v.a. westlichen Staaten unterschieden. Für Rückkehrer aus den genannten Nachbarländern leistet UNHCR in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung bestehen Probleme in der Koordinierung zwischen humanitären Akteuren und Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit, so dass Hilfe nicht immer dort ankommt, wo Rückkehrer sich niedergelassen haben (AA 2.3.2015; vgl. AA 16.11.2015).
Die Schweiz, Australien, Iran, Norwegen, Pakistan, Dänemark, Frankreich, die Niederlande und Schweden haben mit Afghanistan und dem UNHCR sog. Drei-Parteien-Abkommen zur Regelung der freiwilligen Rückkehr von afghanischen Flüchtlingen in ihr Heimatland geschlossen. Die Abkommen sehen u.a. die Übernahme von Reisekosten, Wiedereingliederungshilfe und Unterstützungsmaßnahmen für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge vor. Von Großbritannien, Frankreich, Italien, Dänemark, Norwegen, Schweden und Australien ist bekannt, dass diese Länder abgelehnte Asylbewerber afghanischer Herkunft nach Afghanistan abschieben. Von Norwegen ist bekannt, dass auch Familien mit minderjährigen Kindern abgeschoben werden. Einige Länder arbeiten eng mit IOM in Afghanistan zusammen, insbesondere auch, um die Reintegration zu erleichtern. IOM bietet psychologische Betreuung, Unterstützung bei Reiseformalitäten, Ankunft in Kabul und Begleitung der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche an (AA 2.3.2015; vgl. AA 16.11.2015).
Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bin hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf Ghani selbst verbrachte die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 16.11.2015).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zur afghanischen Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seinem Familienstand sowie zu seiner Volksgruppenzugehörigkeit und schiitischen Glaubensrichtung basieren auf seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben. Auch das Bundesamt hat diese nicht angezweifelt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt.
Die weiteren Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, insbesondere dass er im Iran geboren wurde und dort sein ganzes Leben verbracht hat, beruhen ebenfalls auf den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben des Beschwerdeführers im Verlauf des Verfahrens. Auch das Bundesamt hat diese Angaben in der Beweiswürdigung (Seite 83 des angefochtenen Bescheides) nicht angezweifelt. Auch wird nicht ausgeführt, dass zu diesen Punkten keine Feststellungen getroffen werden können. Daraus ergibt sich aber zwingend, dass diese Angaben der Entscheidung zu Grunde gelegt werden. Dem entgegenstehend und also aktenwidrig, wurde in der rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt II. erwogen: "Es sind keine Umstände ersichtlich, dass sie nach ihrer Rückkehr nicht wieder Ihr gewohntes, existenzgesichertes Leben aufnehmen können. [ ]." (Seite 90). Damit hat das Bundesamt bei der rechtlichen Beurteilung der Frage einer Gewährung des subsidiären Schutzes die aktenwidrige Annahme eines gewohnten, existenzgesicherten Lebens im Falle einer "Rückkehr" des Beschwerdeführers nach Afghanistan zugrunde gelegt, obwohl dieser nie in Afghanistan gewesen ist. Überdies hat das Bundesamt in der rechtlichen Beurteilung aktenwidrig "familiäre Anknüpfungspunkte" des Beschwerdeführers (Seite 90) – angesichts des sprachlichen Kontextes offenkundig in Afghanistan – angenommen "wodurch eine Unterstützung unmittelbar nach der Rückkehr und in Zeiten einer allfälligen Erwerbslosigkeit gegeben wäre." (Seite 90).
Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts besteht keine Veranlassung, die in sich stimmigen und vom Bundesamt nie substanziell angezweifelten oder gar widerlegten Angaben des Beschwerdeführers in Zweifel zu ziehen, weshalb sie auch dieser Entscheidung zu Grunde gelegt werden.
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer Farsi und nicht Dari spricht, beruht auf seinem glaubhaften Vorbringen, dass er sein ganzes Leben bis zur Ausreise im Iran verbracht hat und dem Umstand, dass das Bundesamt sich zu seiner Einvernahme eines Dolmetschers für Farsi bedient hat.
Aus den Feststellungen zur Situation in Afghanistan ergibt sich kein Hinweis auf eine allgemeine Verfolgung von Hazara und Schiiten (allein aus diesem Grund). Ein wesentlicher Teil der Bevölkerung Afghanistans gehört zumindest einer der beiden Gruppen an und lebt in Afghanistan ohne Verfolgungshandlungen ausgesetzt zu sein. Eine konkrete und wohlbegründete Furcht vor Verfolgung lässt sich aus dem abstrakten Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach die Taliban allgemein für ihn als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und Schiit gefährlich seien, nicht ableiten. Aus den vom Bundesamt eingebrachten Informationen zur Situation in Afghanistan – und insbesondere Kabul – lässt keine Situation ableiten, aus der bereits argumentiert werden könnte, gesunde junge Erwachsene wären unter dem Aspekt der Versorgungslage und/oder der Sicherheitslage einem realen Risiko einer existenziellen Notlage ausgesetzt. Auch in der Beschwerde samt Ergänzung ("Stellungnahme" vom 22.03.2017) wird dieses nicht schlüssig dargelegt. Der Beschwerdeführer hat im Iran Berufserfahrung als Handwerker (Schneidergehilfe) erworben und kann von dieser auch bei der Arbeitssuche in Afghanistan (Kabul) profitieren. Dies freilich nur im Rahmen von Gelegenheitsarbeiten oder im Graubereich des Arbeitsmarktes, was allerdings schon deshalb zumutbar ist, weil die afghanische Binnenwirtschaft fast ausschließlich außerhalb eines legalen/geregelten Arbeitsmarktes nach europäischem Verständnis verortet ist. Es handelt sich damit um die lokal übliche Form der Existenzsicherung, die der Beschwerdeführer im Übrigen auch aus seiner Zeit im Iran bereits kennt. An den besonderen individuellen Mühen kann angesichts der gänzlich fehlenden Kenntnisse des Beschwerdeführers zu den lokalen Umständen in Kabul kein Zweifel bestehen.
2.2. Die oben wiedergegebenen Feststellungen zur Situation in Afghanistan sind dem angefochtenen Bescheid vom 21.11.2016 entnommen. Bei den angeführten Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Afghanistan ergeben.
Die in der Stellungnahme vom 22.03.2017 nachgereichten Berichte vertiefen zwar die bereits vom Bundesamt berücksichtigten Problemstellungen, zeigen jedoch keine substanzielle Verschlechterung zu der im angefochtenen Bescheid dargelegten Situation auf. Dies auch, weil sie überwiegend auf Quellen basieren, die nicht jünger sind, als jene der Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid. Jüngere Berichte beziehen sich auf die landesweite Sicherheitslage ohne konkret auf die hier relevante Provinz/Stadt Kabul und die spezifische Situation des Beschwerdeführers heruntergebrochen zu werden.
Den in der am 23.03.2017 eingelangten Stellungnahme eingebrachten Berichten zur Situation der Hazara sind überdies zwar Diskriminierungen und auch (selten) gezielte Anschläge gegen Angehörige dieser Volksgruppe sowie wiederholte Entführungen im afghanischen Hinterland, deutlich außerhalb Kabuls, zu entnehmen. Jedoch ergibt sich auch aus diesen keine generelle Verfolgung von Schiiten und/oder Hazara in ganz Afghanistan, insbesondere nicht in der stets gemischt-ethnischen wie gemischt-konfessionellen Hauptstadt Kabul.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.