TE Vwgh Erkenntnis 2000/6/28 95/18/0968

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Veröffentlicht am 28.06.2000
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §58 Abs2;
FrG 1993 §18 Abs1 Z1;
FrG 1993 §18 Abs2;
FrG 1993 §26;
FrG 1993 §31 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des am 1. November 1936 geborenen D in Wien, vertreten durch Dr. Sepp Brugger, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Buchfeldgasse 19a, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 23. März 1995, Zl. SD 149/94, betreffend Aufhebung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem in Rechtskraft erwachsenen Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 27. November 1991 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen deutschen Staatsangehörigen, gemäß § 3 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954, ein bis 31. Dezember 2001 gültiges Aufenthaltsverbot erlassen, weil er am 24. September 1991 vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen §§ 146, 147 Abs. 3, 159 Abs. 1 Z 2, 153 Abs. 1 und Abs. 2 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, davon 19 Monate unter bedingter Strafnachsicht, rechtskräftig verurteilt worden war.

2. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 23. März 1995 wurde der Antrag des Beschwerdeführers (vom 13. Mai 1994) auf Aufhebung des genannten Aufenthaltsverbotes gemäß § 26 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, abgewiesen.

Der Beschwerdeführer habe am 19. Oktober 1992 versucht, bei einer näher bezeichneten Grenzkontrollstelle nach Österreich einzureisen, sei jedoch wegen des Aufenthaltsverbotes zurückgewiesen worden. Am 23. Oktober 1992 habe er seine Lebensgefährtin geheiratet. Im Juni 1993 sei sein zweites Kind geboren worden.

Das vom Beschwerdeführer behauptete Wohlverhalten seit drei Jahren stelle deshalb keine relevante Änderung des Sachverhaltes zu seinen Gunsten dar, weil bei Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes davon auszugehen sei, dass die Behörde dieses Wohlverhalten während der Gültigkeitsdauer der Maßnahme vorausgesetzt habe. Es bedürfe daher keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme weiterhin gerechtfertigt sei.

Eine maßgebliche Änderung des Sachverhaltes sei aber auch im Hinblick auf die Eheschließung des Beschwerdeführers (nach der Aktenlage: mit einer österreichischen Staatsbürgerin) und die Geburt eines zweiten Kindes nicht gegeben. Die Eheschließung des Beschwerdeführers am 23. Oktober 1992 sei jedenfalls, möge er auch vom Aufenthaltsverbotsbescheid nichts gewusst haben, in Kenntnis der ihm am 31. Oktober 1991 mitgeteilten Absicht der Behörde, gegen ihn ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, und nach Zurückweisung an der Grenze erfolgt. Aus diesem Grunde komme der Legalisierung der schon seinerzeit gegeben gewesenen Verbindung und der Geburt des zweiten Kindes kein maßgebender, den Sachverhalt entscheidend verändernder Charakter zu, der nun die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes so gewichtig erscheinen ließe, dass er die nachteiligen Folgen einer Aufhebung des Aufenthaltsverbotes überwöge.

Auch die neue Rechtslage in Bezug auf EWR-Bürger stehe der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht entgegen, weil gemäß § 31 FrG die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen EWR-Bürger zulässig sei, wenn auf Grund seines Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet sei.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

4. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 26 FrG ist das Aufenthaltsverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind. Nach dieser Bestimmung, die ihren Inhalt nur aus dem Zusammenhalt der §§ 18 bis 20 FrG gewinnt, hat sich die Behörde mit der Frage auseinander zu setzen, ob eine Gefährlichkeitsprognose im Sinn des § 18 Abs. 1 leg. cit. gegen den Fremden weiterhin getroffen werden kann, ob allenfalls ein relevanter Eingriff im Sinn des § 19 FrG vorliegt

und - gegebenenfalls - die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes dringend geboten ist

und - bejahendenfalls - ferner, ob sich seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes jene Umstände, die gemäß § 20 FrG zur Beurteilung der öffentlichen Interessen einerseits und der privaten und familiären Interessen andererseits maßgebend sind, zu Gunsten des Fremden geändert haben, und daran anschließend diese Interessen gegeneinander abzuwägen (vgl. aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 31. Mai 2000, Zl. 97/18/0220).

2. Wie die belangte Behörde zutreffend erkannt hat, hatte sie mit Inkrafttreten des EWR-Abkommens (BGBl. Nr. 909/1993) am 1. Jänner 1994 die Bestimmungen des 4.Teiles des FrG, der Sonderbestimmungen für Einreise und Aufenthalt von EWR-Bürgern enthält, anzuwenden. § 31 Abs. 1 FrG bestimmt, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen EWR-Bürger (oder einen begünstigten Drittstaatsangehörigen) nur zulässig ist, wenn auf Grund seines Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. § 18 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 FrG sind bei der Frage, ob gegen einen EWR-Bürger ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, weiterhin insofern von Bedeutung, als ein Aufenthaltsverbot nur bei Vorliegen der in § 18 Abs. 1 Z. 1 genannten Voraussetzungen erlassen werden darf und auf den Katalog des § 18 Abs. 2 als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden kann (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 30. Mai 1995, Zl. 94/18/0184).

Für die Frage der Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes ist demnach maßgebend, ob die Gefährlichkeitsprognose im Sinn des § 18 Abs. 1 Z. 1 iVm § 31 Abs. 1 FrG gegen den EWR-Bürger weiterhin getroffen werden kann. Wesentliche Voraussetzung für das Treffen einer solchen Prognose ist, dass ein Verhalten dieses Fremden festgestellt wird, auf Grund dessen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist.

Die belangte Behörde ist im angefochtenen Bescheid zu dem Ergebnis gelangt, dass im Fall des Beschwerdeführers die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 iVm § 31 Abs. 1 FrG auch zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides erfüllt seien. (Dem steht nicht entgegen, dass sie auch ausgeführt hat, es bedürfe "keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme weiterhin gerechtfertigt" sei, weil dies im gegebenen Kontext - vgl. oben I. 2. - im Sinn einer Bejahung dieser Annahme zu verstehen ist.) Welches Verhalten des Beschwerdeführers die belangte Behörde dieser Beurteilung zugrundegelegt hat, wird indes - auch durch den Verweis auf die Gründe des erstinstanzlichen Bescheides der Bundespolizeidirektion Wien - nicht dargelegt. (Der erstinstanzliche Bescheid führt lediglich aus, dass im Hinblick auf die strafrechtliche Verurteilung und "das der Verurteilung zu Grunde liegende Straftatverhalten" das Verhalten des Beschwerdeführers eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit bilde; dieses "Straftatverhalten" wird nicht dargestellt und ist im Übrigen auch dem Bescheid, mit dem das verfahrensgegenständliche Aufenthaltsverbot verhängt wurde, nicht zu entnehmen.)

3. Da der angefochtene Bescheid nach dem Gesagten mit einem relevanten Verfahrensmangel behaftet ist, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

4. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die von der Beschwerde weiters aufgeworfenen Fragen im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsrecht und dem damit verbundenen Antrag, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften einzuholen.

5. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft die geltend gemachte Umsatzsteuer, deren Ersatz neben dem pauschalierten Ersatz des Schriftsatzaufwandes nicht vorgesehen ist. Stempelgebührenersatz war nur für die Einbringung der Beschwerde in dreifacher und die Vorlage des angefochtenen Bescheides in einfacher Ausfertigung zuzuerkennen.

Wien, am 28. Juni 2000

Schlagworte

Verweisung auf die Entscheidungsgründe der ersten Instanz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1995180968.X00

Im RIS seit

23.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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