TE Vwgh Erkenntnis 2017/11/29 Ra 2017/18/0157

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Veröffentlicht am 29.11.2017
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1;
AVG §37;
VwGG §25a Abs4a;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §29 Abs2;
VwGVG 2014 §29 Abs2a Z1;
VwGVG 2014 §29 Abs4;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2017/18/0159 Ra 2017/18/0158

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revision 1. der

N A, 2. des H G, vertreten durch N A, und 3. des S G, vertreten durch N A, alle in W, alle vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2017,

1)

Zl. L519 2141765-1/12E, 2) Zl. L519 2141766-1/7E und

3)

Zl. L519 2141767-1/7E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter der minderjährigen Zweit- und Drittrevisionswerber. Die revisionswerbenden Parteien sind armenische Staatsangehörige und stellten am 11. Jänner 2016 Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Zu ihren Fluchtgründen befragt, gab die Erstrevisionswerberin zusammengefasst an, ihr Exmann, von welchem sie seit 2005 geschieden sei, habe sie regelmäßig misshandelt und drohe ihr ständig mit Gewalttaten. Sie habe im Jahr 2003 eine schriftliche Anzeige erstattet, die anderen Male habe sie sich telefonisch an die Polizei gewandt, diese habe jedoch nichts unternommen, weil ihr Exmann einflussreiche Freunde in Armenien habe; sein Onkel sei Abgeordneter der Region Armavir. Trotz der Scheidung würde er sie weiterhin verfolgen und bedrohen. Er habe ihr die Kinder, den Zweit- und Drittrevisionswerber, wegnehmen wollen und habe auch die Kinder geschlagen. Die letzte Bedrohung habe am 25. Oktober 2015 stattgefunden. Der Zweit- und Drittrevisionswerber hätten keine eigenen Fluchtgründe.

2 Mit Bescheiden vom 24. November 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anträge der revisionswerbenden Parteien gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) und stellte fest, dass die Abschiebungen nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig seien.

3 Das BFA ging in seinen Entscheidungen von der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens aus. Im Falle einer tatsächlichen Bedrohung verfüge Armenien zudem über zahlreiche NGOs, die Opfer von häuslicher Gewalt unterstützten, weshalb es den revisionswerbenden Parteien offen stehe, sich an diese zu wenden. Überdies bestehe die Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative.

4 Im Zuge der vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) durchgeführten mündlichen Verhandlung am 27. Februar 2017 wiederholte die Erstrevisionswerberin im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen. Zudem wurde auf das anhaltend hohe Gewaltniveau gegenüber Frauen in Armenien sowie die vorherrschende Korruption speziell bei Justiz, Polizei und Strafvollzug hingewiesen. Laut den Länderberichten sei das Gesetz über die häusliche Gewalt nicht verabschiedet worden und es gebe nur ein Frauenhaus in Armenien.

5 Mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 27. Februar 2017 wies das BVwG die Beschwerde der revisionswerbenden Parteien als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

6 In der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 27. Februar 2017 hielt das BVwG abschließend fest: "Den Parteien wird eine schriftliche Ausfertigung der Entscheidung zu einem späteren Zeitpunkt zugestellt."

7 In weiterer Folge erstellte das BVwG eine mit 30. März 2017 datierte vollständige schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses, die den revisionswerbenden Parteien zugestellt wurde.

8 Begründend führte das BVwG aus, die Angaben der revisionswerbenden Parteien zum Ausreisegrund seien nicht glaubhaft. So spreche etwa der Umstand, dass die revisionswerbenden Parteien legal ausgereist seien, gegen eine Verfolgung. Die Angaben der Erstrevisionswerberin zum eigentlichen Verfolger seien widersprüchlich gewesen. Im Rahmen der Erstbefragung habe sie mit keinem Wort erwähnt, dass ein Onkel ihres Exmannes Abgeordneter sei. Ihr sei es nicht gelungen, ein tatsächliches Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Abgeordneten und ihrem Exmann nachzuweisen. Die Erstrevisionswerberin sei nicht in der Lage gewesen, konkret die Anzahl der Verfolgungshandlungen anzugeben. Hinsichtlich des Beginns der Gewalttaten im Jahr 2002 habe sie kein genaues Datum nennen können. Bezüglich des letzten Vorfalls habe sie beim BFA angegeben, es sei am 25. Oktober 2015 gewesen, bei Gericht hingegen, es wäre am 15. November 2015 gewesen. Es sei zudem nicht glaubhaft, dass sie nur einmal im Jahr 2004 schriftlich bei der Polizei Anzeige erstattet habe, wäre sie tatsächlich über Jahre hinweg misshandelt worden. Auf das Thema der Vergewaltigungen angesprochen, habe sich die Erstrevisionswerberin völlig ruhig und emotionslos gezeigt und keine konkreten Antworten gegeben. Sie habe nicht detailliert angeben können, was sich genau zugetragen habe, nachdem sie im April 2004 wieder zu ihren Eltern gezogen sei. Sie habe nicht sagen können, wie viele Übergriffe es gewesen seien, sondern nur, dass es "sehr viele" gewesen seien. Sie sei den Fragen ausgewichen. Völlig unglaubwürdig sei, dass die Tür in ihrem Elternhaus immer offen stehe. Zudem fehle es großteils am zeitlichen Konnex zur Ausreise. Selbst für den Fall der hypothetischen Wahrunterstellung liege kein asylrelevanter Sachverhalt vor, weil von einer grundsätzlich ausreichenden Schutzfähigkeit und -willigkeit des armenischen Staates ausgegangen werden könne, wenngleich gewisse Defizite zugestanden würden.

9 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit und in der Sache unter anderem vorgebracht wird, das BVwG sei unberechtigterweise von der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens ausgegangen. Es habe sich nicht ausreichend mit der Schutzfähigkeit und -willigkeit Armeniens auseinandergesetzt. Es sei die konkrete Situation der revisionswerbenden Parteien, nämlich dass diese durch einen mächtigen Politiker mittelbar bedroht würden, nicht berücksichtigt worden. Das BVwG habe seine amtswegige Ermittlungspflicht verletzt.

10 Das BFA erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

     11 Die Revision ist zulässig, sie ist auch begründet.

Zur Zulässigkeit der Revision:

     12 Gemäß § 25a Abs. 4a letzter Satz VwGG idF

BGBl. I Nr. 24/2017 ist, wenn das Erkenntnis des

Verwaltungsgerichts mündlich verkündet wurde (§ 29 Abs. 2 VwGVG),

eine Revision nur nach einem Antrag auf Ausfertigung des

Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG durch mindestens einen der

hiezu Berechtigten zulässig.

13 Gemäß § 29 Abs. 2a VwGVG idF BGBl. I Nr. 24/2017 ist im Falle einer mündlichen Verkündung die Niederschrift den zur Erhebung einer Revision beim Verwaltungsgerichtshof legitimierten Parteien und Organen auszufolgen oder zuzustellen. Der Niederschrift ist eine Belehrung über das Recht, binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Niederschrift eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses zu verlangen, und darüber, dass ein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses eine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision beim Verwaltungsgerichtshof und der Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof darstellt, anzuschließen.

14 Im gegenständlichen Fall wurde das angefochtene Erkenntnis des BVwG am 27. Februar 2017 mündlich verkündet und die Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung zu einem späteren Zeitpunkt protokolliert. Im Anschluss an die Verhandlung wurde den revisionswerbenden Parteien und deren Rechtsvertreter eine Ausfertigung der Niederschrift persönlich ausgefolgt. Eine Belehrung gemäß § 29 Abs. 2a VwGVG wurde nicht erteilt. In der Folge erstellte das BVwG - wie in der Niederschrift angekündigt - eine vollständige schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses und übermittelte sie den revisionswerbenden Parteien.

15 Aus der Niederschrift der mündlichen Verhandlung ergibt sich, dass das BVwG - offensichtlich in Übereinstimmung mit den revisionswerbenden Parteien - bereits von einem Verlangen auf Ausfertigung der revisionswerbenden Parteien im Sinne des § 29 Abs. 2a Z 1 VwGVG ausgegangen ist und dessen Entsprechung zu einem späteren Zeitpunkt in Aussicht gestellt hat.

16 Ein gesonderter neuerlicher expliziter Antrag auf Ausfertigung war vor diesem Hintergrund nicht mehr erforderlich und stellte somit im Revisionsfall keine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Erhebung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof mehr dar.

17 Da die vorliegende außerordentliche Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung auch Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufzeigt, erweist sie sich auch darüber hinaus als zulässig.

Zur Entscheidung in der Sache:

18 Die vorliegende Revision wendet sich zunächst gegen die Nichterteilung des Status der Asylberechtigten (vgl. zur hg. Rechtsprechung betreffend Gewalt innerhalb der Familie jeweils mwN etwa VwGH 19.11.2010, 2007/19/0203; 28.8.2009, 2008/19/1027; und 11.11.2009, 2008/23/0366) und moniert, das BVwG sei unberechtigterweise von der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens ausgegangen.

19 Dazu ist auszuführen, dass nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig ist und zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt - als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs - allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 23. 2. 2016, Ra 2015/20/0161, mwN).

20 Wie der Verwaltungsgerichtshof schon zu dem gemäß § 17 VwGVG auch von den Verwaltungsgerichten anzuwendenden § 45 Abs. 2 AVG ausgesprochen hat, bedeutet der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht, dass der in der Begründung der (nunmehr verwaltungsgerichtlichen) Entscheidung niederzulegende Denkvorgang der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der zur Rechtskontrolle berufene Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, das heißt sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. wiederum VwGH 23. 2. 2016, Ra 2015/20/0161, mwN).

21 Diesen Grundsätzen wird die verwaltungsgerichtliche Entscheidung im gegenständlichen Fall nicht gerecht:

22 Insoweit das BVwG die Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens auf vermeintliche Widersprüche in den Angaben der Erstrevisionswerberin zum eigentlichen Verfolger stützt, ist darauf hinzuweisen, dass die Erstrevisionswerberin stets übereinstimmend angab, aufgrund der Gewalttaten durch ihren Exmann geflüchtet zu sein. Dieser habe Unterstützung durch seinen Onkel, einen armenischen Abgeordneten, sowie dessen Leibwächter erhalten, weshalb die Polizei nichts unternommen habe. Soweit das BVwG im Rahmen der Beweiswürdigung ausführt, die Erstrevisionswerberin habe bei der Erstbefragung mit keinem Wort erwähnt, dass der Onkel des Exmannes ein Abgeordneter sei, ist zunächst auf den begrenzten Zweck der Erstbefragung zu verweisen (vgl. VwGH 13. 11. 2014, Ra 2014/18/0061, mwN, wonach sich diese nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat). Zudem ist anzuführen, dass die Erstrevisionswerberin im Rahmen der Erstbefragung sehr wohl die hohen Regierungsbekanntschaften und einflussreichen Freunde ihres Exmannes angegeben hat.

23 Wenn das BVwG die Unglaubwürdigkeit weiters darauf stützt, die Erstrevisionswerberin sei nicht in der Lage gewesen, "konkret die Anzahl der Verfolgungshandlungen" und das genaue Datum des Beginns der Misshandlungen im Jahr 2002 anzugeben, ist ihm entgegenzuhalten, dass die Erstrevisionswerberin angab, über Jahre hinweg von ihrem Exmann misshandelt worden zu sein und ihr diesfalls nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, die genaue Anzahl der Übergriffe nicht nennen zu können. Ob der letzte Misshandlungsvorfall vor der Ausreise am 15. November 2015 oder am 25. Oktober 2015 stattfand, wie von der Erstrevisionswerberin beim BFA bzw. vor dem BVwG unterschiedlich angegeben, ist vor diesem Hintergrund ebensowenig als gravierender Widerspruch zu werten. Insofern das BVwG schließlich ausführt, es sei nicht glaubhaft, dass die Erstrevisionswerberin nur einmal im Jahr 2004 schriftlich bei der Polizei Anzeige erstattet habe, wenn sie tatsächlich über Jahre hinweg "traktiert" worden wäre, ist dem BVwG entgegen zu halten, dass die Erstrevisionswerberin stets angab, sich mehrmals telefonisch an die Polizei gewandt zu haben, diese hätte jedoch nichts unternommen.

24 Auch der Umstand, dass die revisionswerbenden Parteien legal ausgereist seien, spricht nicht per se für ihre Unglaubwürdigkeit, weil diese keine staatliche Verfolgung geltend machten.

25 Verfahrensgegenständlich erweist sich daher die Beweiswürdigung des BVwG als nicht schlüssig im Sinne der oben zitierten Judikatur.

26 In seiner Eventualbegründung kommt das BVwG zum Ergebnis, dass selbst für den Fall der hypothetischen Wahrunterstellung der Angaben der revisionswerbenden Parteien kein asylrelevanter Sachverhalt vorliege, weil von einer grundsätzlichen Schutzfähigkeit und -willigkeit des armenischen Staates ausgegangen werden könne. Das BVwG führt dazu weiter aus, den Länderfeststellungen und auch dem Vorbringen der revisionswerbenden Parteien seien keine konkreten Hinweise zu entnehmen, dass keine ausreichenden Schutzmechanismen der zuständigen staatlichen Behörden vorhanden wären. Die von der Erstrevisionswerberin geschilderten Übergriffe stellten amtswegig zu verfolgende strafbare Handlungen dar. Aus den Länderberichten gehe hervor, dass von einer grundsätzlich ausreichenden Schutzfähigkeit und -willigkeit des armenischen Staates ausgegangen werden könne, wenngleich gewisse Defizite durchaus zugestanden würden.

27 Dazu ist auszuführen, dass bei einer "Wahrunterstellung" vom gesamten Vorbringen der revisionswerbenden Parteien auszugehen ist (vgl. VwGH 25. 3. 2015, Ra 2014/18/0168).

28 Diesem Erfordernis hat das BVwG im vorliegenden Fall nicht entsprochen, weil es lediglich einzelne Aussagen der Erstrevisionswerberin, nämlich die Übergriffe durch ihren Exmann, würdigt, dabei aber das weitere Vorbringen, wonach die armenischen Behörden aufgrund der Verwandtschaft ihres Exmannes mit einem armenischen Abgeordneten nichts unternommen hätten, unberücksichtigt lässt. In diesem Zusammenhang zeigt die vorliegende Revision zutreffend auf, dass sich das BVwG nicht ausreichend mit der Schutzfähigkeit und -willigkeit Armeniens im Hinblick auf die konkrete Situation der revisionswerbenden Parteien auseinandergesetzt hat. Vor diesem Hintergrund wäre das BVwG gehalten gewesen, die Schutzwilligkeit und -fähigkeit Armeniens für das gesamte Vorbringen der revisionswerbenden Parteien und der konkret hier vorliegenden Sachlage zu überprüfen.

29 Im Lichte dieser Erwägungen erweist sich die Entscheidung des BVwG schon insofern als mangelhaft begründet.

30 Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit b und c VwGG aufzuheben.

31 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 29. November 2017

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung VerfahrensmangelBegründung BegründungsmangelSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Parteienvernehmung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017180157.L00.1

Im RIS seit

27.12.2017

Zuletzt aktualisiert am

05.01.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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