TE Bvwg Erkenntnis 2017/11/29 L519 2142945-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.11.2017
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Entscheidungsdatum

29.11.2017

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L519 2142945-1/18E

Schriftliche Ausfertigung des am 02.03.2017 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Islamische Republik Pakistan (im Folgenden: Pakistan), vertreten durch RA Mag. Thomas LOOS, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 30.11.2016, Zl. 1106848107-160303186, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.03.2017 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57 und 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als "BF" bezeichnet), ein Staatsangehöriger Pakistans, brachte nach nicht rechtmäßiger Einreise am 27.2.2016 bei der belangten Behörde einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte der BF im Wesentlichen vor, dass er gekommen sei, um hier zu arbeiten und seine Familie finanziell zu unterstützen. Beim BFA gab er zusammengefasst an, dass Kriminelle von ihm verlangen würden, dass er mit ihnen zusammen arbeitet und Bombenanschläge verübt.

I.2. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde mit im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung des BF nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

I.2.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus:

Als Fluchtgrund habe der BF vorgebracht, dass Kriminelle seinen Vater etwa 1 Monat vor der Ausreise aufgefordert hätten, den BF und seinen Bruder bei ihnen mitarbeiten zu lassen. Der BF sei zu dieser Zeit nicht zu Hause im Dorf, sondern in der Stadt gewesen. Als er und sein Bruder nach Hause kamen, habe ihnen der Vater davon erzählt. Noch am selben Abend habe der BF das Dorf verlassen. Danach sei noch einmal kurz zu Hause beim Vater gewesen, ehe er die Ausreise angetreten hat. Der Vater habe die Ausreise durch den Verkauf eines Grundstückes finanziert.

Unterzieht man die Beschreibung der angeblichen Aufforderung der Kriminellen einer eingehenden Betrachtung, so könne man diese Schilderung nur als äußerst vage und oberflächlich bezeichnen. Obwohl die angedrohte Rekrutierung dazu geführt haben soll, dass der BF aus dem Heimatland ausgereist ist, sei seine Beschreibung überaus knapp gewesen. Insbesondere habe es an jeglichen persönlichen Eindrücken gefehlt, wie diese typischerweise von Personen berichtet werden, die in einer Gefahrensituation waren und diese vor der Schutz gewährenden Behörde möglichst detailliert und aus eigenem Antrieb schildern, um den beantragten Schutz zu erhalten. Die Schilderung des BF habe sich hingegen darauf beschränkt, einen reinen Handlungsablauf wiederzugeben, wobei zahlreiche Nachfragen erforderlich waren, um überhaupt Informationen zu erhalten. Obwohl dem BF mehrfach Gelegenheit geboten wurde und er sogar aufgefordert wurde, den Sachverhalt detailliert zu schildern, gab er lediglich einsilbige Antworten. So entgegnete er auf die Frage "Können sie bitte etwas freier und detaillierter schildern, was vorfiel?" lediglich lapidar: "Ich habe ihnen eh schon alles gesagt. Außerdem ist mein Name falsch geschrieben." Auch dabei handle es sich um eindeutige Hinweise, dass es sich beim Vorbringen des BF lediglich um ein Konstrukt handelt.

Hinzu kamen Widersprüche und Sinnwidrigkeiten, welche der BF nicht aufklärte. So hat er aus eigenem angeführt, einmal auch bei den Kriminellen gewesen zu sein. Widersprüchlich dazu gab er an, die Kriminellen im Dorf nur gesehen zu haben, als diese herumgingen, aber nicht mit ihm redeten. Weiter sei das Unwissen des BF zu den kriminellen, die letztlich ursächlich zu seiner Flucht führten, logisch nicht nachvollziehbar. Der BF konnte über diese Menschen nur sagen, dass sie rauben und illegale Sachen machen. Betrachtet man aber die Lage, in der sich der BF angeblich befunden hat, wäre von ihm als geistig gesundem Erwachsenen wohl zu erwarten gewesen, Informationen über die Kriminellen beispielsweise bei seinem Vater zu erfragen, um sich vor diesen bestmöglich schützen zu können. Auch dieses behauptete Unwissen zu den Kriminellen deute darauf hin, dass sich der BF bei seiner Einvernahme eines tatsachenwidrigen Konstrukts bediente.

In Anbetracht der Angaben bei der Erstbefragung habe sich die Unglaubwürdigkeit noch verdichtet. Dort hat der BF nämlich angegeben, dass der Vater den ganzen Besitz verkauft hat, um den BF ins Ausland zu schicken. Er sei gekommen um hier zu arbeiten und seine Familie finanziell zu unterstützen. Als Rückkehrbefürchtung habe der BF "Armut" genannt. Dass der BF das nicht gesagt hat, sei insofern nicht glaubhaft, als er am Beginn seiner Einvernahme beim BFA bestätigte, dass seine Angaben im bisherigen Verfahren korrekt übersetzt und protokolliert wurden.

I.2.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Pakistan traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.

I.2.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam.

Es hätten sich weiter keine Hinweise für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK (§§ 55, 10 Abs. 2 AsylG 2005) dar.

I.3. Gegen diesen Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

Im Wesentlichen wurde neben Wiederholungen und allgemeinen Angaben vorgebracht, dass das Ermittlungsverfahren mangelhaft sei und Verfahrensvorschriften verletzt worden wären. Die Länderfeststellungen seien unvollständig und würden, soweit sie verfahrensrelevant sind, nicht in die Beweiswürdigung einfließen. Aus mehreren berichten ( USDOS, AA) gehe hervor, dass eine Schutzgewährung durch den Staat in Pakistan nicht gegeben sei.

Die Beweiswürdigung sei unschlüssig. Außerdem sei der psychische und physische Zustand des BF bei der Erstbefragung nicht hinreichend berücksichtigt worden. Die Beweiswürdigung stütze sich primär auf Widersprüche zwischen Erstbefragung und Einvernahme. Der BF sei bei der Erstbefragung in einem fremden Land neben Uniformierten eingeschüchtert gewesen.

Der BF sei durch die drohende Zwangsrekrutierung einer kriminellen Organisation asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt, da er der sozialen Gruppe von Männern im rekrutierfähigen Alter angehört. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe ihm aufgrund der guten Kontakte der Organisation in ganz Pakistan nicht offen.

I.4. Für den 2.3.2017 lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer mündlichen Beschwerdeverhandlung, an der der BF mit seinem Rechtsvertreter teilnahm.

Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung am 02.03.2017 wurde das Erkenntnis des BVwG vom selben Tag, Zl. L519 2142945-1/8E mündlich verkündet.

Die Beschwerde wurde gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen. Die Revision wurde gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

Nach Verkündung des Erkenntnisses wurde dem BF sowie dessen damaliger rechtsfreundlichen Vertretung eine Ausfertigung der Niederschrift ausgefolgt.

Am 24.03.2017 wurde der damaligen rechtsfreundlichen Vertretung des BF eine schriftliche Ausfertigung des am 02.03.2017 mündlich verkündeten Erkenntnisses des BVwG vom 23.03.2017 zugestellt.

I.5. Der VfGH lehnte mit Beschluss vom 09.06.2017, Zl. E 1391/2017-5 die Behandlung der dagegen eingebrachten Beschwerde sowie den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenshilfe ab und hielt fest, dass sich damit ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, erübrige.

I.6. Der BF brachte auch eine Revision beim VwGH gegen das Erkenntnis des BVwG vom 20.03.2017 ein. Der VwGH wies mit Beschluss vom 08.08.2017, Zl. Ra 2017/19/0239 die Revision auf Grundlage von § 25 a Abs. 4a AVG als unzulässig zurück.

I.7. Mit Schreiben vom 22.05.2017 stellte der BF gegen die Versäumung der Frist für den Antrag auf schriftliche Ausfertigung des am 02.03.2017 mündlich verkündeten Erkenntnisses des BVwG einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Unter einem wurde der Antrag auf schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses gestellt.

I.8. Mit Entscheidung vom heutigen Tag wurde dem Wiedereinsetzungsantrag sowie dem Antrag auf schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses stattgegeben.

I.9. Hinsichtlich des Verfahrensganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

II.1.1. Der Beschwerdeführer:

Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen ledigen pakistanischen Staatsangehörigen, welcher aus dem Punjab stammt und sich zum sunnitischen Islam bekennt. Der BF ist damit Drittstaatsangehöriger.

Der BF ist ein junger, gesunder, arbeitsfähiger Mann mit einer in Pakistan – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherten Existenzgrundlage.

Der BF hat in Pakistan 8 Jahre die Grundschule besucht. Er spricht neben Urdu auch Punjabi.

In Pakistan leben nach wie vor zumindest die Mutter und 2 Schwestern des BF.

Der BF ist in Österreich strafrechtlich bislang unbescholten und bezieht nach wie vor Grundversorgung. Der BF besucht einen Deutschkurs, hat aber noch keine Deutschprüfung abgelegt. Er besucht weder eine Schule noch eine sonstige Bildungseinrichtung. Er ist auch nicht Mitglied in einem Verein oder einer Organisation.

Der BF hat keine familiären oder relevanten privaten Anknüpfungspunkte in Österreich.

Die Identität des BF steht nicht fest.

Er reiste unrechtmäßig in die Europäische Union und in weiterer Folge in Österreich ein. Am 8.2.2016 hat der BF in Ungarn einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt ( XXXX ).

Der BF hält sich lediglich aufgrund der Bestimmungen des Asylgesetzes vorübergehend legal in Österreich auf und besteht kein Aufenthaltsrecht nach anderen gesetzlichen Bestimmungen.

II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat Pakistan:

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Pakistan werden folgende Feststellungen getroffen:

Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen

KI vom 14.11.2016: Anschlag auf Sufi-Schrein in Provinz Baluchistan (betrifft Abschnitt 16/Religionsfreiheit)

Bei einem Selbstmordanschlag beim Schah Noorani-Schrein im Gebiet Khuzdar, in der südlichen Provinz Baluchistan sind am 12.11.2016 mindestens 52 Menschen getötet worden. Rund 105 weitere Personen sind durch die Explosion, welche sich rund 760 Kilometer von der Provinzhauptstadt Quetta ereignete, verletzt worden (RP 14.11.2016). Zum Zeitpunkt des Anschlags feierten hunderte Gläubige eine Sufi-Zeremonie. Der Sufismus stellt eine mystische Bewegung im Islam dar. Islamische Fundamentalisten sehen diese Glaubensrichtung als ketzerisch an (SN 13.11.2016). Ihre Schreine werden regelmäßig von pakistanischen Taliban angegriffen, die meinen, dass Musik und Tanz beim Gebet unislamisch sind. Unter den Besuchern befanden sich Männer, Frauen und Kinder (nTV 14.11.2016). Der Anschlag reiht sich unter die vier heftigsten Terroranschläge im bisherigen Jahr (TET 14.11.2016). Zu dem Anschlag bekannte sich die Terrormiliz Islamischer Staat (RP 14.11.2016). Die Tat wurde von pakistanischen Politikern scharf verurteilt (nTV 14.11.2016).

Quellen:

-

n TV: Bombenanschlag in Pakistan, Taliban attackieren religiöse Stätte,

http://www.n-tv.de/politik/Taliban-attackieren-religioese-Staette-article19075991.html, Zugriff 14.11.2016

-

SN – Salzburger Nachrichten (13.11.2016): Zahl der Toten nach Anschlag in Pakistan auf 52 gestiegen http://www.salzburg.com/nachrichten/welt/politik/sn/artikel/zahl-der-toten-nach-anschlag-in-pakistan-auf-52-gestiegen-221955/ Zugriff 14.11.2016

-

TET – The Express Tribune (14.11.2016): Khuzdar shrine bombing: At saint’s abode, survivors relive the nightmare, http://tribune.com.pk/story/1230241/khuzdar-shrine-bombing-saints-abode-survivors-relive-nightmare/ , Zugriff 14.11.2016

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RP - Rheinische Post (14.11.2016): 52 Menschen sterben bei Bombenanschlag auf Schrein

http://www.rp-online.de/panorama/ausland/is-anschlag-in-pakistan-52-menschen-sterben-bei-bombenanschlag-auf-schrein-aid-1.6391694, Zugriff 14.11.2016

KI vom 17.3.2016: Feiertage religiöser Minderheiten (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 16)

Die pakistanische Nationalversammlung hat am Dienstag den 15. März 2016, eine Resolution angenommen, die beinhaltet Maßnahmen zu ergreifen, damit Holi [Frühlingsfest (Holi Festival o.D.)], Diwali [Lichterfest der Hindu (9.11.2015)] und Ostern als Feiertage für die jeweiligen Minderheiten erklärt werden. Dr. Ramesh Kumar Vankwani, ein Hindu aus der Partei "Pakistan Muslim League-Nawaz", der einen reservierten Sitz der Minderheiten in der Nationalversammlung hat, präsentierte die Resolution (TET 16.3.2016; vgl. auch: BS 15.3.2016). Wenn sich die Regierung an die Resolution hält, wird das Innenministerium eine Verlautbarung der Feiertage verkünden (BS 15.3.2016).

Quellen:

-

BS – Business Standard (15.3.2016): Pakistan to declare Holi, Diwali as holidays,

http://www.business-standard.com/article/news-ians/pakistan-to-declare-holi-diwali-as-holidays-116031500952_1.html, Zugriff 17.3.2016

-

Holi Festival (o.D.): Holi in India, http://www.holifestival.org/holi-in-india.html, Zugriff 17.3.2016

-

Independent (9.11.2015): What is Diwali? When is the festival of lights?,

http://www.independent.co.uk/news/world/asia/diwali-what-is-the-festival-of-lights-and-when-is-it-celebrated-a6720796.html, Zugriff 17.3.2016

-

TET – The Express Tribune (16.3.2016): Govt agrees to Holi, Easter holidays,

http://tribune.com.pk/story/1066391/govt-agrees-to-holi-easter-holidays/, Zugriff 17.3.2016

Politische Lage

Der Bundesstaat Pakistan besteht aus den vier Provinzen Punjab, Sindh, Baluchistan, Khyber Pakhtunkhwa (ehemals North West Frontier Province) und den "Federally Administered Tribal Areas" (FATA). Die pakistanische Verfassung bestimmt, dass die vom Parlament beschlossenen Gesetze in den FATA nur gelten, wenn dies der Präsident explizit anordnet. Daneben kontrolliert Pakistan die Gebiete von Gilgit-Baltistan (die früheren "Northern Areas") und Azad Jammu & Kashmir (AJK - "freies Kaschmir"), den auf der pakistanischen Seite der Demarkationslinie ("Line of Control") zwischen Indien und Pakistan liegenden Teil Kaschmirs. Beide Gebiete werden offiziell nicht zum pakistanischen Staatsgebiet gerechnet. Gilgit-Baltistan hat im September 2009 eine Teilautonomie erhalten. Es war bis dahin von Islamabad aus regiert worden. AJK genießt ebenfalls Autonomie, ist aber finanziell und politisch von der Regierung in Islamabad abhängig (AA 8.2015a).

Die pakistanische Bevölkerung wird vom CIA World Factbook mit Stand Juli 2015 auf über 199 Millionen geschätzt. Pakistan ist damit der siebtbevölkerungsreichste Staat der Welt (CIA 15.9.2015).

Die gesetzgebende Gewalt in Pakistan liegt beim Parlament. Das Parlament besteht aus zwei Kammern, der Nationalversammlung und dem Senat. Daneben werden in den Provinzen Pakistans Provinzversammlungen gewählt. Die Nationalversammlung umfasst 342 Abgeordnete, von denen 272 vom Volk direkt gewählt werden. 60 Sitze sind für Frauen, 10 weitere für Vertreter religiöser Minderheiten reserviert. Die Legislaturperiode dauert fünf Jahre (AA 8.2015a).

Im April 2010 wurde eine weitreichende Verfassungsreform verabschiedet, die von einem parteiübergreifenden Parlamentsausschuss seit Juni 2009 vorbereitet worden war. Ziel war es, zur Grundgestalt der unter Präsident Zulfikar A. Bhutto 1973 verabschiedeten Verfassung zurückzukehren, die nach zahlreichen Eingriffen der Militärherrscher Zia-ul Haq und Musharraf fast bis zur Unkenntlichkeit verändert worden war. Kernelemente der vorgenommenen Verfassungsänderungen sind eine Stärkung der Position des Ministerpräsidenten bei gleichzeitiger Einschränkung der Machtbefugnisse des Präsidenten, eine Stärkung des Föderalismus durch eine deutliche Ausweitung der Kompetenzen der Provinzen, eine Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz durch ein neues Ernennungsverfahren für die obersten Richter und die Einführung zweier neuer Grundrechte: des Rechts auf Information und des Rechts auf Erziehung (AA 8.2015a).

Die Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen am 11. Mai 2013 war überraschend hoch. Unter den vor den Wahllokalen Wartenden befanden sich ungewöhnlich viele junge Wähler und Frauen (NZZ 11.5.2013). Die mit der Al-Kaida verbündete TTP (Tehrik-e-Taliban Pakistan) hielt die Wahl für unislamisch und hatte für den Wahltag Selbstmordanschläge angekündigt. Die Wahl fand deshalb unter großen Sicherheitsvorkehrungen statt, mehr als 620.000 Polizisten, Paramilitärs und Soldaten waren im Einsatz (DZ 11.5.2013). Im Rahmen der Wahlen verübten die Taliban und andere Gruppen mehr als 150 Terroranschläge, bei denen ca. 170 Menschen getötet und 700 verletzt wurden (BFA 10.2014).

Im Anschluss an die Wahlen wurde eine von der Pakistan Peoples Party (PPP) geführte Regierung von der Pakistan Muslim League-N (PML-N) unter Nawaz Sharif abgelöst. Die PML-N erreichte eine absolute Mehrheit der Mandate. Zweitstärkste Partei in der Nationalversammlung wurde die ehemalige Regierungspartei PPP, dicht gefolgt von der PTI des ehemaligen Cricket-Stars Imran Khan. Die MQM (Muttahida Quami Movement), mit ihren Hochburgen in den beiden Großstädten der Provinz Sindh, Karatschi und Hyderabad, stellt die viertstärkste Fraktion im Parlament. Am 5. Juni 2013 wurde Nawaz Sharif vom Parlament zum Ministerpräsidenten gewählt. Es war das erste Mal in der Geschichte Pakistans, dass eine zivile Regierung eine volle Legislaturperiode (2008 – 2013) regieren konnte und dass der demokratische Wechsel verfassungsgemäß ablief (AA 8.2015a). Erst im Herbst 2008 war Pakistan zu demokratischen Verhältnissen zurückgekehrt, nachdem der seit 1999 regierende Militärherrscher Musharraf das Land verlassen hatte, um einem drohenden Amtsenthebungsverfahren zuvorzukommen (AA 8.4.2014).

Ebenfalls am 11. Mai 2013 fanden die Wahlen zu den vier Provinzversammlungen statt. In Punjab, der bevölkerungsreichsten Provinz (ca. 50 Prozent der Bevölkerung Pakistans), errang die PML-N mehr als zwei Drittel der Mandate. In Sindh konnte die PPP ihre Vormachtstellung verteidigen, in Khyber-Pakhtunkhwa errang die PTI die meisten Mandate und führt dort nun eine Koalitionsregierung. Die Regierung von Belutschistan wird von einem Chief Minister der belutschischen Nationalistenpartei NP geführt, die eine Koalition mit PML-N und weiteren Parteien eingegangen ist (AA 8.2015a).

Am 30. Juli 2013 wählten beide Kammern des Parlaments und Abgeordnete der Provinzparlamente mit großer Mehrheit den PML-N Politiker Mamnoon Hussain zum neuen pakistanischen Staatsoberhaupt, der am 9. September 2013 vereidigt wurde. Hussain löst Asif Ali Zardari als Staatspräsidenten ab, der als erstes Staatsoberhaupt in der Geschichte Pakistans seine Amtszeit geordnet beenden konnte. Der verfassungsmäßige Machtübergang sowohl in der Regierung als auch im Amt des Staatsoberhaupts hat die Demokratie in Pakistan erheblich gestärkt (AA 8.2015a; vgl. auch: BFA 10.2014).

Ministerpräsident Nawaz Sharif hat wirtschafts- und finanzpolitische Themen sowie die Verbesserung der Beziehungen zu den Nachbarstaaten Afghanistan und Indien zu den Schwerpunkten seiner Amtszeit erklärt. Die Regierung von Ministerpräsident Nawaz Sharif hatte sich zunächst - mandatiert durch eine Allparteienkonferenz - um eine Verständigung mit den pakistanischen Taliban auf dem Verhandlungsweg bemüht. Da sich ungeachtet der von der Regierung demonstrierten Dialogbereitschaft die schweren Terrorakte im ganzen Land fortsetzten, wurde der Dialogprozess jedoch mit Beginn der Militäroperation in Nord-Wasiristan im Juni 2014 abgebrochen (AA 8.2015a). Im Gefolge des schweren Terrorangriffs auf eine Armeeschule in Peshawar am 16.12.2014, bei dem über 150 Menschen ums Leben kamen und für den die pakistanischen Taliban die Verantwortung übernahmen, haben Regierung und Militär mit Zustimmung aller politischen Kräfte des Landes ein weitreichendes Maßnahmenpaket ("National Action Plan") zur Bekämpfung von Terror und Extremismus beschlossen. Es umfasst u.a. die Aufhebung des seit 2008 geltenden Todesstrafenmoratoriums für Terrorismus-Straftaten, die Einführung von Militärgerichten zur Aburteilung ziviler Terrorismusverdächtiger und Maßnahmen gegen Hassprediger, Terrorfinanzierung, etc. Ferner sind Ansätze erkennbar, konsequenter als bisher gegen extremistische Organisationen unterschiedlicher Couleur im ganzen Land vorzugehen und die staatliche Kontrolle über die zahlreichen Koranschulen (Madrassen) zu verstärken (AA 8.2015a; vgl. auch: BFA 9.2015).

Katastrophen

Die aufeinanderfolgenden Regierungen haben nur geringe Investitionen in die Bewältigung von Naturkatastrophen getätigt. Seit 2005 gibt es die National Disaster Management Authority (NDMA), die schnell auf Naturkatastrophen reagieren soll. Die NDMA arbeitet mit dem Militär zusammen, wenn Helikopter, Boote und Fahrzeuge benötigt werden (IRIN 3.4.2014). 2012 wurden Katastrophenmanagement-Behörden in Distrikten und Provinzen eingerichtet, doch gibt es einen Mangel an ausgebildetem Personal und finanziellen Ressourcen (TRF 9.9.2013; vgl. auch: IRIN 3.4.2014). Bei einem Erdbeben am 26.10.2015, welches in Pakistan am meisten Khyber Pakhtunkhwa, FATA, Gilgit Baltistan, Azad Jammu & Kashmir und Punjab traf, kamen mindestens 248 Menschen ums Leben. Das pakistanische Militär und Zivilbehörden entsandten mehrere Hubschrauber in die betroffenen Gebiete, um Rettungsmaßnahmen durchführen zu können (Dawn 28.10.2015). Rettungskräfte wurden auch in abgelegene bergige Gebiete entsandt, wo die Auswirkungen des Erdbebens noch unklar waren. Die NDMA berichtet, dass sie einige entlegenen Gebiete noch nicht erreicht hatten, da diese aufgrund von Erdrutschen unzugänglich wurden (BBC 27.10.2015). Die Taliban forderten ihre Kämpfer auf, die Opfer des Erdbebens zu unterstützen und gaben auch bekannt, dass sie staatliche Hilfsmaßnahmen im nördlichen Afghanistan und Pakistan nicht blockieren werden (USA Today 27.10.2015; vgl. auch: BBC 27.10.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (8.4.2014): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan

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AA - Auswärtiges Amt (8.2015a): Pakistan - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Pakistan/Innenpolitik_node.html, Zugriff 11.9.2015

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BBC - Afghanistan-Pakistan quake: Rescue efforts expanded, http://www.bbc.com/news/world-asia-34644125, Zugriff 29.10.2015

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BFA Staatendokumentation (10.2014): Pakistan – Challenges & Perspectives

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BFA Staatendokumentation (9.2015): Fact Finding Mission Report Pakistan,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1443527547_bfa-paki-ffm-report-2015-09.pdf, Zugriff 30.9.2015

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CIA – Central Intelligence Agency (15.9.2015): World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/pk.html, Zugriff 18.9.2015

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Dawn (28.10.2015): Earthquake toll reaches 248, relief efforts continue, http://www.dawn.com/news/1215703, Zugriff 29.10.2015

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IRIN (3.4.2014): Analysis: How effective is Pakistan’s disaster authority?,

http://www.irinnews.org/report/99880/analysis-how-effective-is-pakistan-s-disaster-authority, Zugriff 28.10.2014

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NZZ – Neue Zürcher Zeitung (11.5.2013): Hohe Wahlbeteiligung in Pakistan Anschläge fordern mindestens 24 Todesopfer, http://www.nzz.ch/aktuell/international/anschlaege-islamistischer-extremisten-auf-wahllokale-fordern-mindestens-16-todesopfer-1.18079638, Zugriff 25.11.2014

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TRF - Thomas Reuters Foundation (9.9.2013): Floods have halved Pakistan's economic growth – expert, http://www.trust.org/item/20130909134725-rm708/, Zugriff 25.11.2014

-

USA Today (27.10.2015): Taliban backs relief efforts after deadly Pakistan quake,

http://www.usatoday.com/story/news/world/2015/10/27/taliban-backs-relief-efforts-after-killer-quake/74675272/, Zugriff 29.10.2015

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DZ – Die Zeit (11.5.2013): Anschläge überschatten Wahlauftakt in Pakistan,

http://www.zeit.de/politik/ausland/2013-05/pakistan-parlamentswahl-anschlag, Zugriff 25.11.2014

Sicherheitslage

Pakistan sieht sich mit Herausforderungen, wie aufständischen terroristischen Gruppen, aber auch gewalttätigen kriminellen Banden und bewaffneten politischen Parteien konfrontiert. Jedoch hat sich die allgemeine Sicherheitslage im ganzen Land verbessert (BFA 9.2015; vgl. auch: PIPS 4.1.2015). Die pakistanischen Taliban, die Lashkar-e-Jhangvi, die Belutschistan Liberation Army und andere bewaffnete Gruppen nehmen Sicherheitskräfte, Zivilisten, teilweise Mitglieder religiöser Minderheiten, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, Aktivisten und Journalisten ins Visier (AI 5.2013; vgl. auch: USDOS 25.6.2015). Die westlichen Grenzgebiete zu Afghanistan - Belutschistan, die FATA (Federal Administered Tribal Areas) und Khyber Pakhtunkhwa - leiden seit Jahren an Gewalt zwischen Militanten und Regierungskräften (Reuters 11.4.2013; vgl. auch: BFA 10.2014).

Im Kampf gegen die Gewalt kündigten sowohl die Bundes- als auch die provinzielle Regierung einige Maßnahmen an. Nach dem Anschlag auf eine Schule am 17. Dezember 2014 führte die Regierung die Todesstrafe wieder ein. Die Regierung genehmigte auch den 20-Punkte umfassenden National Action Plan gegen Terrorismus und veröffentlichte eine Liste von 5.400 Terrorismusverdächtigen. Nach der Implementierung dieses Plans wurden über 600 sogenannte "hardcore" Aufständische verhaftet, einschließlich 320 Anhänger der pakistanischen Taliban (SATP 2015).

Die pakistanischen Taliban hatten in einigen Regionen an der Grenze zu Afghanistan über die Jahre eigene Herrschaftsstrukturen etabliert und versucht, ihre extrem konservative Interpretation der Scharia durchzusetzen. Willkürherrschaft und Gewaltausübung der Taliban richteten sich nicht nur gegen den pakistanischen Staat und politische Gegner, sondern auch gegen dem Sufismus verbundene und andere moderate Sunniten, Schiiten und andere Minderheiten. Seit Juni 2014 ist eine groß angelegte Operation der Sicherheitskräfte in Nord-Wasiristan und den benachbarten Regionen der sogenannten Stammesgebiete (Federally Administered Tribal Areas – FATA) im Gange, die das Ziel hat, Terrorismus zu zerschlagen und die vollständige Kontrolle des Staates über die Stammesgebiete, wieder herzustellen (AA 23.7.2015).

Der Schwerpunkt der Armee liegt mehr und mehr auf der Bekämpfung der Taliban und anderer jihadistischer Gruppen (BFA 10.2014). Seit Ende April 2009, als die Armee die vorübergehende Herrschaft der Taliban über das im Norden Pakistans gelegene Swat-Tal mit einer Militäraktion beendete, haben sich die Auseinandersetzungen zwischen dem pakistanischen Militär und den pakistanischen Taliban verschärft. Von Oktober bis Dezember 2009 wurden die Taliban aus Süd-Wasiristan (FATA) vertrieben, einer Region, die von ihnen jahrelang kontrolliert worden war. 2013 lag der Schwerpunkt der Auseinandersetzungen auf dem Tirah-Tal unweit Peshawar, wo die Taliban zunächst die örtlichen Milizen und Sicherheitskräfte überrennen und die Kontrolle übernehmen konnten, bevor sie vom Militär wieder vertrieben wurden. Am 15. Juni 2014 begann eine umfassende Militäroperation in der bis dahin weitgehend von militanten und terroristischen Organisationen kontrollierten Region Nord-Wasiristan, in deren Verlauf inzwischen deren Rückzugsräume und Infrastruktur in der Region weitgehend zerstört werden konnten. Ein erheblicher Teil der Militanten und Terroristen wich jedoch vor der Militäroperation in andere Gebiete Pakistans oder über die Grenze nach Afghanistan aus, so dass der Anti-Terror-Kampf auf absehbare Zeit weiter eine große Herausforderung für das Land darstellen wird (AA 8.2015a). Weiterhin verüben die Taliban und andere militante Gruppen auch in den übrigen Teilen des Landes, insbesondere in Belutschistan, in Khyber-Pakhtunkhwa und in der Wirtschaftsmetropole Karachi, regelmäßig Anschläge. 2014 kamen laut Auswärtigem Amt bei Terroranschlägen landesweit ca. 1.750 Menschen ums Leben (AA 23.7.2015). Laut Pak Institute for Peace Studies (PIPS) dagegen führten militante nationalistisch und konfessionell motivierte Gruppen in Pakistan im Jahr 2014 1.206 Terrorattacken durch, bei welchen 1.723 Menschen ums Leben kamen. Die Anzahl der Terrorattacken im Vergleich zu 2013 sank im Jahr 2014 um 30 Prozent. In 144 sektiererischen – gegen andere muslimische Konfessionen gerichteten – Terrorakten verschiedener Gruppen wurden 255 Menschen getötet. Die Anzahl der sektiererisch motivierten Gewaltattacken sank im Jahr 2014 um 35 Prozent (PIPS 4.1.2015).

Regierungsstrategie ist es, kurz vor Militäroperationen gegen Taliban die Bevölkerung der jeweils betroffenen Agency bzw. Region zu informieren, das bedeutet die Agency wird "notified". Nach den Militäroperationen wird die Zone "denotified" und damit vom Militär als sicher für die Rückkehr erklärt und somit für die Rückkehr freigegeben. Das Militär arbeitet in diesem Prozess mit den Zivilbehörden zusammen, die zum Teil bei der Rückkehr unterstützen. Oft jedoch wurden die Regionen nicht vorher informiert, was zu massiven Vertreibungen der Menschen und zur Zerstörung der Häuser führte (BAA 6.2013; vgl. auch: BFA 10.2014).

Seit Jahren verüben die Taliban und andere terroristische Organisationen auch außerhalb von Süd-Wasiristan schwere Terroranschläge, von denen vor allem die Provinz Khyber-Pakhtunkhwa und Belutschistan, aber auch die pakistanischen Großstädte wie Karachi, Lahore und Rawalpindi betroffen sind. Die Terroranschläge zielen vor allem auf Einrichtungen des Militärs und der Polizei. Opfer sind aber auch politische Gegner der Taliban, Medienvertreter, religiöse Minderheiten, Schiiten sowie Muslime, die nicht der strikt konservativen Islam-Auslegung der Taliban folgen, wie z.B. die Sufis (AA 8.2015a).

Bei insgesamt 2.099 Vorfällen im Zusammenhang mit Gewalt (Terroranschläge, Operationen durch die Sicherheitskräfte und deren Zusammenstöße mit Militanten, ethnopolitische Gewalt, Drohnenangriffe, Gewalt zwischen den Stämmen und zwischen den Militanten, interreligiöse Zusammenstöße, religiös-kommunale Gewalt, grenzübergreifende Zusammenstöße und Zusammenstöße zwischen kriminellen Banden bzw. zwischen diesen und der Polizei) wurden 2014

5.308 Menschen getötet. Die Anzahl der Vorfälle von Gewalt sank im Jahr 2014 um 18 Prozent, jedoch stieg die Zahl der Todesopfer um 12 Prozent. Dieser Anstieg ist darauf zurück zu führen, dass viele Aufständische durch militärische Operationen getötet wurden (PIPS 4.1.2015).

Die Vorfälle der Gewalt stiegen in der Wahlzeit 2013 an (BAA 6.2013) aber im Jahr 2014 verbesserte sich die Sicherheitslage wieder. Weiters kann gesagt werden, dass sich die allgemeine Sicherheitslage in ganz Pakistan und auch in der FATA verbessert hat (BFA 9.2015). Staatliche Maßnahmen, so wie Militäroperationen in den FATA, führten in einigen kritischen Regionen zur Verbesserung der Lage. Im Swat-Tal, in Süd-Wasiristan und Nord-Wasiristan ist ein Erfolg der Militäroperationen sichtbar (BFA 9.2015). Den Drohnenangriffen der USA im Grenzgebiet zu Afghanistan fielen einige hohe Führer der Taliban zum Opfer, dies schadete besonders den strategischen Kapazitäten der Extremisten. Die Bevölkerung hat die Militanten satt. (BAA 6.2013; vgl. auch: BFA 9.2015; BFA 10.2014).

Am 15. Juni 2014 wurden Militäroperationen in Nord-Wasiristan gestartet. Über 800.000 Menschen sind aus Nord-Wasiristan geflohen (BFA 10.2014).Das Militär behauptet auch, dass sie bereits 90 Prozent der Gegend unter Kontrolle haben und dass es noch wenig Gebiete gibt, wo die Kämpfe noch andauern (BFA 9.2015). Laut dem Mediensprecher der pakistanischen Armee wurden bis zum 28. Dezember 2014 2.100 Aufständische getötet. Es wird angenommen, dass viele Führer der Aufständischen sich in andere Gebiete zurückgezogen haben (PIPS 4.1.2015).

Das pakistanische Militär führte in der FATA Anti-Terrorismus Maßnahmen und Operationen durch (USDOS 25.6.2015). 130 operative Militärschläge wurden im Jahr 2014 in den Regionen FATA, Belutschistan, Khyber Pakhtunkhwa und Karachi durchgeführt. 1.930 Menschen wurden in diesen Operationen getötet, einschließlich 1.917 Aufständische und 9 Zivilisten (PIPS 4.1.2015). Es wurden auch Maßnahmen ergriffen um die Verbindungen zwischen den Terroristen zu schwächen und Rekrutierungen durch militante Organisationen zu verhindern. Große Waffenarsenale wurden in städtischen Gebieten, wie Islamabad, Lahore und Karatschi, ausgehoben, Gang-Mitglieder und TTP-Kommandanten, die logistische Unterstützung für Militante in Stammesgebieten boten, wurden in Karatschi verhaftet, Selbstmordattentäter wurden vor der Tat verhaftet und Anschlagspläne vereitelt (USDOS 25.6.2015). Ein weiterer Weg der Bekämpfung ist die Kontrolle und Beschneidung des internationalen Geldflusses zu diesen Organisationen (BAA 6.2013).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (23.7.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan

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AA - Auswärtiges Amt (8.2015a): Pakistan - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Pakistan/Innenpolitik_node.html, Zugriff 11.9.2015

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AI - Amnesty International (23.5.2013): Amnesty International Report 2013 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte - Pakistan, http://www.ecoi.net/local_link/248024/374206_de.html, Zugriff 10.11.2015

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BAA - Bundesasylamt (6.2013): Bericht zur Fact Finding Mission Pakistan vom 8-16.3.2013 mit den Schwerpunkten Sicherheitslage, Religiöse Minderheiten Landrechte Medizinische und soziale Versorgung, Afghanische Flüchtlinge

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BFA Staatendokumentation (9.2015): Fact Finding Mission Report Pakistan,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1443527547_bfa-paki-ffm-report-2015-09.pdf, Zugriff 30.9.2015

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BFA Staatendokumentation (10.2014): Pakistan – Challenges & Perspectives

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PIPS - Pak Institute for Peace Studies (4.1.2015): Pakistan Security Report 2014

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Reuters (11.4.2013): Pakistan violence, http://www.trust.org/spotlight/Pakistan-violence, Zugriff 25.11.2014

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SATP-South Asia Terrorism Portal (23.2.2015): Pakistan, http://www.satp.org/satporgtp/sair/Archives/sair13/13_34.htm, Zugriff 12.11.2015

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USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014– Pakistan, http://www.ecoi.net/local_link/306342/443617_de.html, Zugriff 23.9.2015

Regionale Verteilung der Gewalt

Gewalt wurde aus ganz Pakistan im Jahr 2014 gemeldet. FATA war am meisten von Gewalt geprägt mit 2.863 Todesfällen, gefolgt von Sindh mit 1.180, Belutschistan mit 653, Khyber Pakhtunkhwa mit 617, Punjab mit 180 und Gilgit Baltistan mit 3 Todesfällen (SATP 2015).

Die Gefährdung durch terroristische Anschläge seitens der pakistanischen Taliban und mit den Taliban verbundener Gruppen, insbesondere Sprengstoffanschläge und Selbstmordattentate, bleibt in Pakistan hoch. Daneben besteht weiterhin die Gefahr religiös motivierter Terroranschläge durch radikale Gruppierungen. Der regionale Schwerpunkt terroristischer Anschläge mit den meisten Opfern liegt in Khyber Pakhtunkhwa, den Stammesgebieten FATA und in Belutschistan. Die Anschläge richten sich vor allem gegen Streitkräfte, Sicherheitsdienste und Polizei sowie religiöse Stätten (AA 5.11.2015).

Laut einem lokalen Experten in Pakistan, ist Punjab, besonders der nördliche Teil dieser Provinz, das sicherste Gebiet Pakistans, gefolgt von Sindh (obwohl Teile von Karachi ziemlich gefährlich sind). An dritter Stelle liegt Khyber Pakhtunkhwa. Die unsichersten Gegenden sind Belutschistan und FATA (BFA 9.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt Deutschland (5.11.2015): Pakistan - Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung) http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/PakistanSicherh eit.html, Zugriff 29.9.2015

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BFA Staatendokumentation (9.2015): Fact Finding Mission Report Pakistan,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1443527547_bfa-paki-ffm-report-2015-09.pdf, Zugriff 30.9.2015

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SATP – South Asia Terrorism Portal (2015): Pakistan Assessment 2015, http://www.satp.org/satporgtp/countries/pakistan/index.htm, Zugriff 5.11.2015

Rechtsschutz/Justizwesen

Die Justiz verteidigt ihre nach Ende der Militärherrschaft zurückgewonnene Unabhängigkeit erfolgreich und bemüht sich, den Rechtsstaat in Pakistan zu stärken (AA 23.7.2015). Das pakistanische Justizwesen bleibt weiterhin unabhängig aber auch umstritten (HRW 21.1.2014).

Erhebliche Unzulänglichkeiten im Justizapparat und Schwächen bei der Durchsetzung des geltenden Rechts bestehen allerdings fort. Nach dem Index des "World Justice Project" zur Rechtsstaatlichkeit gehört Pakistan zu den Ländern mit großen Defiziten in diesem Bereich (AA 23.7.2015). Teil VII der Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Judikative, die zwar eine politische Stärkung erfahren hat, die aber insgesamt gesehen nach wie vor ineffizient und vor allem in den unteren Gerichtsinstanzen auch weitgehend wirkungslos ist (AA 8.4.2014). In der Praxis ist die Justiz oft von externen Einflüssen, wie der Angst vor Repressionen bei Fällen von Terrorismus oder Blasphemie, beeinträchtigt. Viele Gerichte unterer Instanzen bleiben korrupt, ineffizient und Opfer des Drucks prominenter wohlhabender, religiöser und politischer Akteure. Die politische Ernennung von Richtern erhöht den Einfluss der Regierung auf die Justiz. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes und der Hohen Gerichte ist für einige Gebiete, die andere juristische Systeme haben, nicht zuständig (USDOS 25.6.2015).

Die erwähnte weitverbreitete Korruption vor allem unterer Gerichtsinstanzen in Zusammenhang mit einem veralteten Prozessrecht sowie überlasteten und überforderten Strafverfolgungsbehörden führen zu einer Vielzahl unerledigter Fälle, langen Inhaftierungen ohne gerichtliches Verfahren oder nach Fehlurteilen, da Beweissicherungen nicht möglich sind (AA 8.4.2014; vgl. auch: USDOS 25.6.2015). Laut dem Obersten Richter gab es im Jahr 2013 1,6 Millionen ausstehende Verfahren (USDOS 27.2.2014). Trotz der Annahme der "National Judicial Policy" 2009 blieb der Rückstand an Fällen auf allen Ebenen hoch, die Probleme der Korruption und Inkompetenz in den Gerichten weiterhin verbreitet (HRW 31.1.2013) und der Zugang zur Gerichtsbarkeit kostenintensiv und schwierig (AA 8.4.2014; vgl. auch: HRW 21.1.2014). Schließlich ist der Aufbau der Judikative mit unterschiedlichen Sondergerichten (z.B. Militär, Scharia, zur Bekämpfung des Terrorismus usw.) komplex und wird als nicht jedermann zugänglich empfunden (AA 8.4.2014).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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