TE Bvwg Erkenntnis 2017/11/29 L519 2141664-1

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Veröffentlicht am 29.11.2017
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Entscheidungsdatum

29.11.2017

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L519 2141664-1/18E

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 07.02.2017 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Armenien, vertreten durch RA Dr. Farhad PAYA, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 19.11.2016, Zl. 1116631804-160751430, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.02.2017 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als "BF" bezeichnet), ein Staatsangehöriger Armeniens, brachte nach nicht rechtmäßiger Einreise am 30.5.2016 bei der belangten Behörde einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bzw. dem BFA brachte der BF im Wesentlichen Folgendes vor:

Seine Eltern seien politisch verfolgt worden und deshalb geflüchtet. Möglicherweise werde er auch verfolgt. In Karabach gebe es derzeit Probleme. Es gebe keine Polizei und keine Juristen, die die Menschenrechte vertreten. Der KGB bringe Menschen in Keller und misshandle sie dort. Eine leistbare medizinische Versorgung sei ebenfalls nicht gesichert.

I.2. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde mit im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung des BF nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

I.2.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus:

Bei der Erstbefragung gab der BF an, seine Eltern seien in Armenien politisch verfolgt worden und möglicherweise werde auch er politisch verfolgt. Beim BFA gab er nach ca. 1 ¿ Stunden Einvernahme an, dass er die Dolmetscherin (armenische Muttersprache) nicht verstünde und eine Vertrauensperson hinzuziehen wolle. Weiter verlangte der BF, dass die Vertrauensperson als Dolmetscher fungieren solle. Er wurde mehrmals über seine Mitwirkungspflichten belehrt, sei aber trotzdem nicht bereit gewesen, Angaben zum Fluchtgrund zu machen. Am Ende der Einvernahme wurden dem BF die Länderfeststellungen zu Armenien zur Kenntnis gebracht. Obwohl er zuvor vorgab, die Dolmetscherin nicht zu verstehen, gab der BF dazu eine umfangreiche mündliche Stellungnahme ab. Danach wurde ihm die Einvernahme rückübersetzt und der BF machte davon Gebrauch, Korrekturen vorzunehmen. Nach durchgeführter Korrektur wurde dem BF auch dieser Teil rückübersetzt. Er gab dezidiert an, dass alles passen würde und unterfertigte die Niederschrift.

Da der BF selbst zu seinen Fluchtgründen keine Angaben machen wollte, werde die Entscheidung auf Grundlage der Erstbefragung getroffen, wo der BF angab, alles sei korrekt protokolliert und rückübersetzt worden.

Zu den Fluchtgründen gab er dabei an, dass seine Eltern in Armenien politisch verfolgt seien, weshalb auch er geflüchtet sei. Die Fluchtgründe der Eltern hätten sich in deren Verfahren nicht glaubhaft erwiesen, weshalb auch nicht glaubhaft sei, dass der BF in Armenien wegen seiner Eltern verfolgt würde.

Zu den Fluchtgründen befragt, habe der Vater des BF bei seien Einvernahmen zusammengefasst angegeben, dass er Armenien aufgrund politischer Probleme bzw. seiner Zugehörigkeit zur "Tigran Mec Partei" und der Verfolgung deren Anhänger verlassen habe. Seit 1996 stünde er auf der "Schwarzen Liste" der armenischen Regierung und sei immer verfolgt worden.

Zur Überprüfung der Angaben des Vaters des BF wurde eine Anfrage an die Staatendokumentation gestellt. Aus der Beantwortung geht hervor, dass es keine Informationen oder Berichte über die Existenz einer "Schwarzen Liste" der armenischen Regierung, in welcher verfolgte Personen eingetragen werden, bekannt seien. Fest stehe überdies, dass Mitglieder der "Metsn Tigan" in Armenien keine besonderen Probleme haben. Die Organisation selbst sei in den politischen Prozess nicht involviert. Viele der führenden Mitglieder der "AJM" Partei seien an der Regierung in Armenien beteiligt. Völlig unglaubwürdig erscheine auch die Tatsache, dass der Vater des BF seit 1996 auf einer sog. "Schwarzen Liste" der armenischen Regierung eingetragen sein soll, immer wieder verfolgt und verhaftet wurde, versteckt leben musste und ihm die Regierung nach dem Leben trachten würde, ihm aber trotzdem seitens des armenischen Verteidigungsministeriums am 19.1.2012 eine Auszeichnung verliehen wurde.

I.2.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Armenien traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.

I.2.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam.

Es hätten sich weiter keine Hinweise für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK (§§ 55, 10 Abs. 2 AsylG 2005) dar.

I.3. Gegen diesen Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

Im Wesentlichen wurde neben Wiederholungen und allgemeinen Angaben vorgebracht:

Der BF habe wegen der politischen Verfolgung seiner Eltern fliehen müssen. Zudem habe er deswegen gesundheitliche Probleme bekommen. Im Zuge der Einvernahme habe es offenkundig Verständigungsprobleme gegeben. Deshalb habe der BF auch die Einvernahme nicht fortsetzen wollen. Aus der Einvernahme gehe hervor, dass der BF auf die Problematik in Karabach verwies und wiederholt auch gesundheitliche Probleme ansprach. Er leide an einer Lumboischialgie. Der maßgebliche Sachverhalt sei von der belangten Behörde nicht hinreichend erforscht worden. Nach Ansicht des BF wären auch seine Eltern als Zeugen, auch zu seinen offenkundig bestehenden gesundheitlichen Problemen zu vernehmen gewesen. Im Übrigen habe sich die belangte Behörde mit Textbausteinen begnügt, anstatt sich mit den offensichtlich bei der Einvernahme aufgetretenen Problemen zu befassen.

I.4. Für den 7.2.2017 lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer mündlichen Beschwerdeverhandlung, in welcher die Entscheidung des BVwG mündlich verkündet wurde.

I.5. Der BF brachte eine außerordentliche Revision gegen dieses Erkenntnis ein. Der VwGH wies mit Beschluss vom 20.04.2017, Zl. Ra 2017/19/0099-5 die Revision auf Grundlage von § 25 a Abs. 4a AVG als unzulässig zurück.

I.6. Mit Schreiben vom 25.04.2017 stellte der BF gegen die Versäumung der Frist für den Antrag auf schriftliche Ausfertigung des am 07.02.2017 mündlich verkündeten Erkenntnisses des BVwG einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Unter einem wurde der Antrag auf schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses gestellt und die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt.

Vorgelegt wurden ein MRT, ein Ambulanzbericht, eine Ambulanzbestätigung und ein Dekurs einer Ärztin.

I.7. Mit Beschluss des BVwG vom heutigen Tag wurde den Anträgen des BF vom 25.04.2017 betreffend der Wiedereinsetzung und schriftlichen Ausfertigung stattgegeben. Die aufschiebende Wirkung wurde nicht zuerkannt.

I.8. Hinsichtlich des Verfahrensganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

II.1.1. Der Beschwerdeführer:

Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen verheirateten armenischen Staatsangehörigen, welcher zur Volksgruppe der Armenier gehört und sich zum Christentum bekennt. Der BF ist damit Drittstaatsangehöriger.

Der BF ist ein junger, weitgehend gesunder, arbeitsfähiger Mann mit einer in Armenien –wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherten Existenzgrundlage. Der BF leidet an keiner schwerwiegenden oder lebensbedrohenden, in Armenien nicht behandelbaren Erkrankung.

Er hat die Grundschule besucht und spricht Armenisch auf muttersprachlichem Niveau.

In Armenien leben zumindest die Kinder des Cousins des Vaters des BF. Die Asylverfahren der Eltern des BF sowie seines Neffen ( L519 2129542-1, L519 2129544-1 und L519 2129545-1) wurden mit Erkenntnis des BVwG vom 4.1.2017 rechtskräftig negativ abgeschlossen. Den dagegen an den VwGH gestellten Anträgen, den erhobenen Revisionen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wurde mit Beschlüssen vom 03.03.2017 stattgegeben.

Der BF ist strafrechtlich bislang unbescholten und lebt in Österreich von der Grundversorgung.

Der BF verfügt in Österreich über keine eigenen, den Lebensunterhalt deckenden Mittel.

Der BF hat keine relevanten privaten Anknüpfungspunkte in Österreich.

Der BF verfügt in Armenien noch über familiären Anschluss.

Die Identität des BF steht nicht fest.

Er reiste unrechtmäßig in die Europäische Union ein.

Der BF hält sich lediglich aufgrund der Bestimmungen des Asylgesetzes vorübergehend legal in Österreich auf und besteht kein Aufenthaltsrecht nach anderen gesetzlichen Bestimmungen.

II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat Armenien:

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Armenien werden folgende Feststellungen getroffen:

Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen

KI vom 2.8.2016, Geiselnahme in Polizeistation durch Regierungsgegner (relevant für Abschnitt 3/ Sicherheitslage)

Mitglieder der Oppositionsgruppe "Gründungsparlament" haben am 17.7.2016 in Jerewan eine Polizeistation besetzt und zeitweise mehrere Geiseln genommen, ein Polizist starb dabei (RFE/RL 17.7.2016). Die Geiselnehmer forderten die Freilassung von Schirajr Sefiljan, eines inhaftierten Oppositionsführers, und den Rücktritt des Staatspräsidenten. Sefiljan kritisiert vor allem das Verhalten der Regierung im Konflikt um die Region Berg-Karabach (DW 17.7.2016). In der darauffolgenden Woche kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei. Die Demonstranten verlangten eine Versorgung der Geiselnehmer mit Lebensmitteln, was die Polizei jedoch ablehnte. Nach offiziellen Angaben wurden 51 Personen verletzt und 136 verhaftet (NZZ 21.7.2016). Am 29.7.2016 kam es erneut zu Zusammenstößen zwischen Sympathisanten der Besetzer der Polizeistation und Sicherheitskräften, bei denen 75 Personen verletzt und 20 verhaftet wurden (RFE/RL 30.7.2016). Nach zwei Wochen endete der Konflikt um die besetzte Polizeistation mit der Kapitulation der bewaffneten Gruppe unter Führung von Varuzhan Avetisian (RFE/RL 1.8.2016, vgl. Spiegel online 31.7.2016).

Quellen:

? DW – Deutsche Welle (17.7.2016): Blutige Geiselnahme in Armeniens Hauptstadt,

http://www.dw.com/de/blutige-geiselnahme-in-armeniens-hauptstadt/a-19406245, Zugriff 28.7.2016

? NZZ – Neue Zürcher Zeitung (21.7.2016): Blutiges Patt in Armenien, http://www.nzz.ch/international/europa/proteste-und-geiselnahme-blutiges-patt-in-armenien-ld.106951, Zugriff 28.7.2016

? RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (1.8.2016): Remaining Gunmen In Armenia Standoff Surrender, http://www.rferl.org/content/armenia-yerevan-standoff-police-killed/27890220.html, Zugriff 1.8.2016

? RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (17.7.2016): Armed Attackers Storm Yerevan Police Headquarters, http://www.rferl.org/media/video/armenia-police-hq/27863342.html, Zugriff 29.7.2016

? RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (30.7.2016): Dozens Injured In Police Clashes With Protesters In Yerevan, http://www.rferl.org/content/dozens-injured-police-protester-clashes-yerevan-/27889053.html, Zugriff 1.8.2016

? Spiegel online (31.7.2016): Armenien: Geiselnahme in Eriwan nach zwei Wochen beendet,

http://www.spiegel.de/politik/ausland/armenien-bewaffnete-regierungsgegner-ergeben-sich-a-1105565.html, Zugriff 1.8.2016

KI vom 6.4.2016, Gefechte um Bergkarabach (relevant für Abschnitt 3/ Sicherheitslage)

Bei heftigen Gefechten vom 2.4 bis zum 5.4.2016, den schwersten seit 22 Jahren, zwischen den Nachbarländern Armenien und Aserbaidschan an der Frontlinie zu Bergkarabach kam es zu Opfern unter den militärischen Einheiten. Laut aserbaidschanischen Angaben starben auch Zivilisten. Während Vertreter der Internationalen Gemeinschaft inklusive Russlands als Schutzmacht Armeniens beide Seiten zur Deeskalation aufriefen, erklärten sowohl der türkische Staatspräsident Erdo?an als auch Ministerpräsident Davuto?lu mehrmals, Aserbaidschan bis zum Ende zu unterstützen (HDN 5.4.2016, vgl. Standard 3.4.2016, RFL/RL 4.4.2016). Das Verteidigungsministerium der de facto Republik Bergkarabach berichtete ebenfalls von zivilen Opfern (CN 2.4.2016). Am 5.4.2016 vereinbarten Aserbaidschan und Bergkarabach einen Waffenstillstand (Standard 5.4.2016). Im Zuge der viertägigen Kampfhandlungen starben mehr als 64 Menschen (Standard 5.4.2016).

Quellen:

-

CN – Caucasus Knot (2.4.2016): One child killed and two wounded in shelling in the Karabakh conflict zone, http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/35119/, Zugriff 4.4.2016

-

Der Standard (3.4.2016): Bergkarabach: Militärische Eskalation im Kaukasus,

http://derstandard.at/2000034103285/Bergkarabach-Militaerische-Eskalation-am-Kaukasus, Zugriff 4.4.2016

-

Der Standard (5.4.2016): Aserbaidschan und Bergkarabach vereinbaren Waffenstillstand,

http://derstandard.at/2000034221180/Aserbaidschan-und-Bergkarabach-vereinbaren-Waffenstillstand, Zugriff 5.4.2016

-

Der Standard (5.4.2016): Waffenruhe nach vier Tagen Krieg im Kaukasus,

http://derstandard.at/2000034245475/Waffenruhe-nach-vier-Tagen-Krieg-im-Kaukasus, Zugriff 6.4.2016

-

HDN – Hürriyet Daily News (5.4.2016): Turkey backs Azerbaijan in conflict with Armenia,

http://www.hurriyetdailynews.com/turkey-backs-azerbaijan-in-conflict-with-armenia.aspx?pageID=238&nID=97338&NewsCatID=510, Zugriff 6.4.2016

-

RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (4.4.2016): Baku Announces Cease-Fire Amid Continued Karabakh Fighting, http://www.rferl.org/content/azerbaijan-armenia-nagorno-karabakh-violence-erupts/27651414.html, Zugriff 4.4.2016

KI vom 14.12.2015, Verfassungsreferendum (relevant für Abschnitt 2/ Politische Lage).

Am 6.12.2015 entschied sich die Mehrheit der ArmenierInnen in einem Referendum für die Änderung der Verfassung zugunsten eines parlamentarischen Systems, das Befugnisse des Präsidenten auf den Regierungschef übertragen würde. Die Opposition warf dem amtierenden Präsidenten Sarksyan, dessen letzte Amtszeit 2018 ausläuft, vor, das Amt des Regierungschefs anzustreben (Standard 7.12.2015). Laut zentraler Wahlkommission stimmten bei einer Wahlbeteiligung von 50,5 Prozent 63,5 Prozent für die Annahme der Verfassungsänderungen. Die Oppositionspartei Armenischer Nationalkongress warf der Regierung Wahlbetrug vor. Hunderte Demonstranten protestierten gegen den Ausgang (RFE/RL 7.12.2015). NGOs wie das Anti-Korruptions-Zentrum von Transparency International berichtete von massiven Unregelmäßigkeiten, darunter über 900 Verletzungen der Wahlordnung sowie Fälle von Einschüchterung (Caucasian Knot 9.12.2015, vgl. EN 7.12.2015).

Quellen:

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Caucasian Knot (9.12.2015): TI states gross violations at Armenian referendum, http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/33921/, Zugriff 14.12.2015

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Der Standard (7.12.2015): Armenien: Ja zu umstrittener Verfassungsänderung,

http://derstandard.at/2000027073366/Armenier-stimmten-fuer-umstrittene-Verfassungsaenderung, Zugriff 14.12.2015

-

EN – Eurasiannet.org (7.12.2015): Armenia: Widespread Reports of Irregularities Mar Constitutional Referendum, http://www.eurasianet.org/node/76461, Zugriff 14.12.2015

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RFL/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (7.12.2015): Protesters Gather in Yerevan, Claim Fraud In Armenian Referendum,http://www.rferl.org/content/armenia-referendum-sarkisian/27410980.html, Zugriff 14.12.2015

Politische Lage

Armenien (arm.: Hayastan) ist knapp 29.800 km² groß und hat etwas über 3 Millionen Einwohner. Davon sind laut der Volkszählung von 2011 98,1% ethnische Armenier, 1,2% Jesiden, 0,4% Russen und Angehörige kleinerer Minderheiten wie Assyrer, Kurden oder Griechen (NSS-RA 2013, vgl. CIA 28.10.2015).

Armenien ist seit September 1991 eine unabhängige Republik mit einem seit 1995 semi-präsidentiellen System (SPO 17.2.2014). Allerdings ist für den 6.Dezember 2015 ein Verfassungsreferendum vorgesehen, dass das Land in ein parlamentarisches System umwandeln soll, wobei der Präsident nicht mehr durch das Volk, sondern vom Parlament gewählt wird. Die Oppositionsparteien protestierten gegen die Verfassungsänderung, weil sie dahinter die Absicht einer Machtkonzentration der Regierungspartei unter dem jetzigen Staatspräidenten, Serzh Sarksyan, vermuten (RFE/RL 8.10.2015).

Das Einkammer-Parlament (Nationalversammlung) hat 131 Mitglieder und wird alle fünf Jahre gewählt. Dabei kommt eine Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht zur Anwendung. Die Parlamentswahlen vom 6.Mai 2012 ergaben folgende Stimmenverteilung:

Republikanische Partei 44,1%, Partei „Blühendes Armenien" 30,2%, Armenischer Nationalkongress 7,1%, Rechtsstaatspartei 5,5%, Armenisch-Revolutionäre Föderation (Daschnaken) 5,7%, Partei "Erbe" 5,8%. Dank der zusätzlich errungenen Direktmandate verfügt die Republikanische Partei über die absolute Mehrheit der Parlamentssitze. Gleichwohl bildete sie eine Koalition mit der Rechtsstaatspartei, die jedoch im April 2014 die Regierung verließ. Der einstige Koalitionspartner "Blühendes Armenien" war bereits 2012 in Opposition gegangen (AA 3.2015a, vgl. RA-CEC 6.5.2012).

Obschon der Wahlkampf für die Parlamentswahlen kompetitiv verlief, und die mediale Wahlberichterstattung ausgewogen war, herrschte in der Öffentlichkeit ein Mangel an Vertrauen in die Integrität des Wahlprozesses, begleitet von Vorwürfen des Stimmenkaufs. Laut OSZE gab es Fälle von Missbrauch durch die Verwendung von Verwaltungsressourcen zugunsten der Republikanischen Partei, beispielsweise durch den Einsatz von Lehrern und Schülern im Wahlkampf (OSCE/ODHIR 26.6.2012).

Nach dem überraschenden Rücktritt von Premierminister Tigran Sargsyan Anfang April 2014 ernannte Präsident Serzh Sargsyan den bisherigen Parlamentspräsidenten Hovik Abrahamyan zu dessen Nachfolger. Im neuen Kabinett sind 12 der insgesamt 19 Minister parteilos. Viele stehen jedoch der Oppositionspartei "Blühendes Armenien" nahe (AA 3.2015a, vgl. RFL/RL 3.4.2014).

Am 1.Jänner 2015 wurde Armenien offiziell Mitglied der von Russland angeführten Eurasischen Wirtschaftsunion, deren Zollverträge schrittweise bis 2022 implementiert werden sollen. Die Unterzeichnung im Oktober 2014 wurde von Protesten und scharfer Kritik begleitet. Gegner des Vertrages fürchten insbesondere ökonomische Nachteile sowie Einschränkungen der Meinungsfreiheit (CN 2.1.2015).

Aus armenischer Sicht stellte die Vorverlegung der türkischen Feierlichkeiten zum hundertjährigen Gedenken an die Schlacht bei Galipoli just auf den 24. April, den Tag des Genozids, eine Provokation dar. Der armenische Präsident warf der Türkei Geschichtsrevisionismus vor, mit dem Versuch durch die vorverlegte Galipoli-Gedenkveranstaltung vom Völkermord abzulenken. Sargsyan ordnete Mitte Februar 2015 daraufhin an, die noch nicht ratifizierten Zürcher Protokolle zur Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Jerewan und Ankara aus dem Parlament zurückzuziehen (NZZ 24.4.2015, vgl. RFE/RL 16.2.2015, Standard 24.4.2015).

Nichtsdestoweniger sprach sich Sargsyan in einem Interview mit der türkischen Zeitung Hürriyet Daily News am Vorabend der Gedenkfeiern für die Normalisierung der bilateralen Beziehungen ohne Vorbedingungen aus. Insbesondere die Öffnung der Grenze würde helfen, eine Atmosphäre des Vertrauens herzustellen und die regionale Wirtschaft zu fördern (HDN 24.4.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2015a): Armenien: Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Armenien/Innenpolitik_node.html#doc339300bodyText1, Zugriff 19.11.2015

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CIA - Central Intelligence Agency (28.10.2015): The World Factbook, Armenia;

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/am.html, Zugriff 19.11.2015

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CN – Caucasian Knot (2.1.2015): Armenia officially joins EAEU, http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/30423/, Zugriff 19.11.2015

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Der Standard (24.4.2015): Türken und Armenier gedenken getrennt, http://derstandard.at/2000014838758/Tuerken-und-Armenier-gedenken-getrennt, Zugriff 19.11.2015

-

HDN – Hürriyet Daily News (24.4.2015): Armenia ready for normalization of ties, President Sargsyan says, http://www.hurriyetdailynews.com/armenia-ready-for-normalization-of-ties-president-sargsyan-says.aspx?pageID=238&nID=81490&NewsCatID=510, Zugriff 19.11.2015

-

NSS-RA - National Statistical Service of the Republic of Armenia (2013): The Results of 2011 Population Census of the Republic of Armenia, Table 5.1: Population (urban, rural) by Ethnicity, Sex and Age, http://armstat.am/en/?nid=517, http://armstat.am/file/doc/99486253.pdf, Zugriff 19.11.2015

-

NZZ – Neue Zürcher Zeitung (24.4.2015): Armenien zwischen Genozid und Nagorni Karabach,

http://www.nzz.ch/international/armenien-zwischen-genozid-und-nagorni-karabach-1.18528679, Zugriff 19.11.2015

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OSCE/ODHIR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (26.6.2012): Republic of Armenia, Parliamentary Elections 6 May 2012, OSCE/ODIHR Election Observation Mission Final Report, http://www.osce.org/odihr/91643?download=true, Zugriff 19.11.2015

-

RA_CEC – Republic of Armenia - Central Electoral Commission (6.5.2012): Protocol of the results of the elections to the National Assembly under proportional system, Summary, http://www.elections.am/proportional/election-24104/, Zugriff 19.11.2015

-

RFE/RL – Radio Free Europe/ Radio Liberty (16.2.2015): Armenian President Sets Date Of Constitutional Referendum, http://www.rferl.org/content/armenia-president-constitutional-referendum/27295710.html, Zugriff 19.11.2015

-

RFE/RL – Radio Free Europe/ Radio Liberty (8.10.2015): Armenian President Withdraws Protocols On Relations With Turkey, http://www.rferl.org/content/sakisian-withdraws-protocols-on-yerevan-ankara-ties-from-parliament/26852428.html, Zugriff 19.11.2015

-

RFE/RL – Radio Free Europe/ Radio Liberty (3.4.2014): Armenian PM Sarkisian Resigns,

http://www.rferl.org/content/armenia-sarkisian-pm-resignation-government/25320400.html, Zugriff 19.11.2015

-

SPO - the semi-presidential one (17.2.2014): Up-to-date list of semi-presidential countries with dates, http://www.semipresidentialism.com/?p=1053, Zugriff 19.11.2015

Sicherheitslage

Kernproblem für die armenische Außenpolitik bleibt der Konflikt um Nagorny Karabach und die in diesem Zusammenhang geschlossenen Grenzen zu Aserbaidschan und zur Türkei. Seit dem Krieg um das überwiegend von Armeniern bewohnte Gebiet Bergkarabach (1992-94) halten armenische Verbände rund 17% des aserbaidschanischen Staatsgebiets (Bergkarabach und sieben umliegende Provinzen) besetzt (AA 3.2015b).

Der Territorialkonflikt um Nagorny Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan ist immer wieder durch Perioden von höherer bzw. niedrigerer Intensität gekennzeichnet. Eine Lösung zeichnet sich derzeit nicht ab, trotz gegenteiliger Beteuerungen seitens der Konfliktparteien (ICG 26.9.2013).

Im Februar 2015 stimmten die Vertreter der Minsker Gruppe, die seit 1994 unter der OSZE-Schirmherrschaft als diplomatisches Instrument zur Lösung des Konflikts dient, darin überein, dass sich die militärische Situation sowohl entlang der Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan als auch entlang der sogenannten Kontaktlinie (das heißt, der international nicht anerkannten Grenze zu Bergkarabach) verschlimmert habe. Im Jänner 2015 gab es mit zwölf Toten die höchste Zahl an Opfern seit dem Waffenstillstandsabkommen von 1994 (OSCE 7.2.2015).

Am 24.9.2015 wurden laut armenischer Seite durch aserbaidschanisches Gefechtsfeuer drei Zivilisten getötet und mehrere verletzt (RFE/RL 25.9.2015). Daraufhin kam es zu Grenzzusammenstößen in der Berg-Karabach-Region zwischen Aserbaidschan und Armenien, bei denen ein aserbaidschanischer und vier armenische Soldaten getötet wurden. Als Konsequenz drohte Baku, den vermeintlichen armenischen Angriff mit schweren Waffen zu vergelten (EN 27.9.2015; vgl. RFE/RL 26.9.2015). Auch Armenien drohte mit einer Eskalation des Konfliktes. Das armenische Verteidigungsministerium drohte am 26.9.2015 mit dem Einsatz von Artillerie und Raketen als Antwort auf den aserbaidschanischen Artillerieangriff (VK 26.9.2015, vgl. Eurasianet 27.9.2015).

Die Minsker Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zeigte sich über den Einsatz schwerer Waffen und die zivilen Opfer besorgt und erinnerte beide Seiten an die Verpflichtung der Genfer Konvention, die Sicherheit und den Schutz von Nicht-Kombattanten zu gewährleisten (OSCE 25.9.2015). Außerdem wurden beide Seiten aufgerufen, die OSZE-Mechanismen zu akzeptieren, die die Untersuchung von Verletzungen des Waffenstillstandes vorsehen (OSZE 26.9.2015).

Die Verletzung der Waffenruhe ist durch wechselseitige Schuldzuweisungen gekennzeichnet. Überdies droht Aserbaidschan angesichts der ausbleibenden diplomatischen Lösung, das umstrittene Territorium mit Gewalt zurückzuerobern (BBC 7.4.2015, vgl. RFE/RL 23.1.2015, FH 23.1.2014).

Aserbaidschan sieht für 2015 Militärausgaben von fünf Milliarden Dollar vor, was mehr als das Staatsbudget Armeniens ist. Russland ist der Hauptverbündete Armeniens in der Region und beliefert das Land mit Waffen im Gegenzug für das Beibehalten der russischen Militärpräsenz in Armenien (FPN 23.1.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2015b): Außenpolitik, Bergkarabach-Konflikt,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_602844C2569B478F606E04F12C3931FC/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Armenien/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 19.11.2015

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BBC News (7.4.2015): Nagorno-Karabakh: 'Frozen' conflict threatens to reignite,

http://www.bbc.co.uk/news/world-europe-32202426#sa-ns_mchannel=rss&ns_source=PublicRSS20-sa, Zugriff 19.11.2015

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EN – Eurasia News (27.9.2015): Bei Grenzkonflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan in Berg-Karabach sterben fünf Soldaten, http://eurasianews.de/blog/aserbaidschan-in-berg-karabach-fuenf-tote-soldaten/, Zugriff 19.11.2015

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Eurasianet (27.9.2015): Armenia Threatens To Escalate Conflict With Azerbaijan, http://www.eurasianet.org/node/75286, Zugriff 19.11.2015

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FH - Freedom House (23.1.2014): Freedom in the World 2014 - Nagorno-Karabakh,

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FPN – Foreign Policy News (23.1.2015): More troops are reported dead on Armenia-Azerbaijan border, http://foreignpolicynews.org/2015/01/23/troops-reported-dead-armenia-azerbaijan-border/, Zugriff 19.11.2015

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ICG - International Crisis Group (26.9.2013): Update Briefing N°71, Armenia and Azerbaijan: A Season of Risks, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1380192899_b071-armenia-and-azerbaijan-a-season-of-risks.pdf, Zugriff 19.11.2015

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OSCE – Organization for Security and Co-operation in Europe (25.9.2015): Press Statement by the Co-Chairs of the OSCE Minsk Group, http://www.osce.org/mg/185001, Zugriff 19.11.2015

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OSCE – Organization for Security and Co-operation in Europe (26.9.2015): Press Statement by the Co-Chairs of the OSCE Minsk Group, http://www.osce.org/mg/185746, Zugriff 19.11.2015

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OSCE - Organization for Security and Co-operation in Europe (OSCE 7.2.2015): Statement by OSCE Chairperson-in-Office and Co-Chairs of the OSCE Minsk Group on latest developments in the Nagorno-Karabakh peace process, http://www.osce.org/cio/139411, Zugriff 19.11.2015

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RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (25.9.2015): Armenia Says Civilians Killed By 'Azerbaijani Gunfire' Near Border, http://www.rferl.org/content/armenia-civilians-killed-by-azerbaijani-gunfire-near-border/27271004.html, Zugriff 19.11.2015

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RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (26.9.2015): Armenia Threatens Retalliatory Strikes Against Azerbaijan, http://www.rferl.org/content/four-armenian-soldiers-killed-azeri-fire-near-breakaway-region/27271829.html, Zugriff 19.11.2015

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VK – Vestnik Kavkaza (26.9.2015): TITEL?

http://vestnikkavkaza.net/news/Is-Armenia-unfreezing-the-war-for-Nagorno-Karabakh.html, Zugriff 19.11.2015

1. Rechtsschutz/Justizwesen

2. Im Rahmen der Strategie zur Justizreform (2012-16) wurde die Unabhängigkeit der Richter durch Festlegung der Pflichten der Selbstverwaltungsstrukturen gesetzlich gestärkt. Die Ernennung, Beurteilung und Beförderung von Richtern wurde transparenter gestaltet. Die formelle Rolle des Staatspräsidenten in der endgültigen Bestellung der Richter wurde in der Gesetzesreform jedoch bestätigt. Das öffentliche Misstrauen gegenüber dem Justizsystem und dessen Integrität besteht weiterhin (EC 25.3.2015).

3. 4. Die Rechtsstaatlichkeit bleibt durch die mangelnde Gewaltenteilung geschwächt. Der starken Rolle des Präsidentenamtes, begleitet von einem ineffizienten Parlament, steht ein fügsames Justizwesen gegenüber. Der Mangel an Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz schwächt in weiterer Folge auch die Effizienz der staatlichen Verwaltung (BS 2014).

5. 6. Trotz der verfassungsmäßig garantierten richterlichen Unabhängigkeit mangelt es an dieser in der Praxis. Die richterliche Unabhängigkeit wird durch externe Akteure sowohl der vollziehenden Gewalt als auch innerhalb des Justizsystems, etwa durch Richter der höheren Instanzen, beeinflusst (CoE-CommDH 10.3.2015).

7. Das Prinzip der "Telefonjustiz" - Machthaber nehmen Einfluss auf laufende Verfahren - ist in politisch heiklen Fällen nach wie vor verbreitet. Wenige Fortschritte wurden somit hinsichtlich des Grundrechts auf ein faires Gerichtsverfahren und des Zugangs zur Justiz erzielt (AA 24.4.2015).

8. 9. Der Gerichtsbarkeit mangelt es nicht bloß an Vertrauen, sondern sie gilt auch als von Korruption durchdrungen und in enger Verbindung zur Exekutive stehend. Die Korruption in der Justiz wurde auch vom UN-Hochkommissar für Menschenrechte bei einem Besuch im Oktober 2014 kritisiert. Nur ein Viertel der Bevölkerung hat Vertrauen in die Justiz (FH 28.1.2015, vgl. BS 2014).

10. 11. Im Dezember 2013 veröffentlichte der armenische Ombudsmann einen Sonderbericht, worin er nicht nur die unfairen und willkürlichen Entscheidungen der Gerichte kritisierte, sondern auch die grassierende Korruption im Justizwesen. Die Studie, basierend auf zahlreichen anonymen Interviews mit Richtern, Staats- und Rechtsanwälten, ergab, dass Richter oft bestochen werden. In der Regel werden zehn Prozent der Schadensersatzsumme verlangt (AL 10.12.2013).

12. 13. So beschuldigte der Ombudsmann insbesondere das Kassationsgericht als eine kriminelle Struktur, die wirksam die Entscheidungen der meisten niederen Gerichte kontrolliert und auf diese Druck ausübt (USDOS 25.6.2015).

Der Justizrat ist für die Ernennung und Entlassung von Richtern zuständig. Dieser kann Richter wegen des Delikts eines Justizirrtums auch dann anklagen, wenn gegen das Ersturteil kein Einspruch erhoben wurde. Gegen die Entscheidungen des Justizrates kann keine Berufung eingelegt werden. Laut Ombudsmann wendet der Justizrat Disziplinarmaßnahmen gegen Richter willkürlich, unter Verletzung des Gesetzes, an (USDOS 25.6.2015, vgl. CoE-CommDH 10.3.2015).

Verfahren erfüllten üblicherweise die meisten Standards für einen fairen Prozess, jedoch waren sie der Sache nach oft unfair, da viele Richter sich veranlasst sehen, gemeinsam mit den Staatsanwälten Verurteilungen zu erwirken. Die Richter sträuben sich Expertisen von Polizeiexperten anzufechten, wodurch sie es dem Angeklagten erschweren, sich glaubwürdig zu verteidigen. Angeklagte und ihre Verteidiger verfügen kaum über die Möglichkeit, Regierungszeugen und Beweismittel der Polizei, die das Gereicht zumal als unanfechtbar ansieht, in Frage zu stellen (USDOS 25.6.2015, vgl. CoE-CommDH 10.3.2015).

Laut dem Menschrechtskommissar des Europarats werde überproportional, oft ohne richterlichen Bescheid, die Untersuchungshaft verhängt, welche zudem unverhältnismäßig lange sei. Ansuchen auf Freilassung auf Kautionen werden per se abgelehnt (CoE-CommDH 10.3.2015).

Überdies verabsäumten armenische Gerichte laut der Internationalen Föderation für Menschenrechte, wie eigentlich von Gesetz wegen vorgesehen, spezifische Fakten oder Erläuterungen zum jeweiligen Fall vorzulegen, warum die Untersuchungshaft als Zwangsmaßnahme anzuwenden sei. Stattdessen würden abstrakte Annahmen hinsichtlich des Fluchtrisikos oder der möglichen Behinderung weiterer Ermittlungen als Gründe angeführt (FIDH/CSI 5.5.2014).

Das Gesetz garantiert das Prinzip der Unschuldsvermutung, doch die Behörden respektieren dieses Recht nicht. Angeklagte, Strafverteidiger und die geschädigte Partei haben das Recht, gegen ein Gerichtsurteil in Berufung zu gehen. Es gibt keine Geschworenengerichtsbarkeit. Ein Einzelrichter entscheidet in allen Gerichtsverfahren außer bei Verbrechen, die mit lebenslanger Haftstrafe bedroht sind. Angeklagte haben das Recht, eine Rechtsberatung zu beanspruchen. Der Staat ist verpflichtet, auf Antrag einen Verteidiger zur Verfügung zu stellen. Außerhalb Jerewans wurde diese Verpflichtung aufgrund des Mangels an Verteidigern oft nicht eingehalten (USDOS 25.6.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

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AL - Armenialiberty (10.12.2013): Armenian Ombudsman Decries Judicial Corruption,

http://www.ecoi.net/local_link/264696/391342_de.html, Zugriff 19.11.2015

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BS - Bertelsmann Stiftung (2014): BTI 2014 — Armenia Country Report,

http://www.bti-project.de/reports/laenderberichte/pse/arm/index.nc#chap3, Zugriff 19.11.2015

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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