Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl, die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kacic-Löffler, LL.M., über die Revision der Föderation der Aleviten Gemeinden in Österreich in Wien, vertreten durch die SHMP Schwartz Huber-Medek Pallitsch Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Hohenstaufengasse 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11. März 2016, Zl. W213 2113447- 1/4E, betreffend Erwerb der Rechtspersönlichkeit für eine religiöse Bekenntnisgemeinschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien, nunmehr: Bundeskanzler), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das mittels Vorlageantrag gegen die Beschwerdevorentscheidung vom 7. August 2015 angerufene Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die von der Revisionswerberin erhobene Beschwerde gegen die mit Bescheid des Bundesministers für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien vom 11. Mai 2015 - im zweiten Rechtsgang - erfolgte Abweisung des Antrags der Föderation der Aleviten Gemeinden in Österreich auf Erwerb der Rechtspersönlichkeit als religiöse Bekenntnisgemeinschaft, und zwar als "Alevitische Religionsgesellschaft in Österreich", ab.
2 Seine Zuständigkeit begründete das BVwG mit Art. 131 Abs. 2
1. Satz B-VG, wonach es zur Entscheidung über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden, zuständig sei.
3 In der Sache gelangte das BVwG zu dem Ergebnis, dass sich die in den Statuten der "Alevitischen Religionsgesellschaft in Österreich" dargestellte Religionslehre nicht von jener der gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaft "Islamische Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich" unterscheide, weshalb die Beschwerde gemäß §§ 4 Abs. 1 Z 2 und 5 Abs. 1 Z 2 des Bundesgesetzes über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften (in der Folge: RelBekGemG) abzuweisen gewesen sei.
4 Die Unzulässigkeit der Revision begründete das BVwG damit, dass die maßgebliche Rechtsfrage, nämlich die Darstellung einer eigenständigen religiösen Lehre in den Statuten durch die Antragstellerin, anhand der im Anlassfall ergangenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. November 2014, Zl. 2012/10/0005, als geklärt zu betrachten sei.
5 Die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis von der Revisionswerberin erhobenen Beschwerde lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 24. November 2016 unter Verweis auf seinen Beschluss vom 7. Oktober 2015, E 1279/2015, mit der Begründung ab, dass, solange die Frage der Zuständigkeit eines Verwaltungsgerichts im Rahmen eines Revisionsverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof bindend beurteilt werden könne, es einer Klärung der Zuständigkeitsfrage durch den Verfassungsgerichtshof nicht bedürfe.
6 Die vorliegende Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit einerseits vor, es bestehe für die Allgemeinheit ein Interesse an einer Rechtsprechung zur Frage, ob die durch einen "Vergleich der Statuten" vorzunehmende Beurteilung, ob eine eigenständige religiöse Bekenntnisgemeinschaft vorliegt, tatsächlich die Einbeziehung ergänzender Unterlagen ausschließt, obwohl § 3 Abs. 2 RelBekGemG bestimme, dass "(d)em Antrag ... Statuten und ergänzende Unterlagen beizulegen (sind), aus denen sich Inhalt und Praxis des Religionsbekenntnisses ergeben." Andererseits sei die Zuständigkeit in religionsrechtlichen Beschwerdeverfahren ungeklärt, zumal es diesbezüglich unterschiedliche, näher bezeichnete Judikatur innerhalb des Bundesverwaltungsgerichts gebe.
7 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragte.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die zulässige Revision erwogen:
9 Art. 131 B-VG sieht eine Aufteilung der (sachlichen) Zuständigkeiten der Verwaltungsgerichte in Form von Generalklauseln zugunsten der Landesverwaltungsgerichte (Abs. 1 und Abs. 6 leg. cit.) in Verbindung mit einer taxativen Aufzählung jener Angelegenheiten, über die die Verwaltungsgerichte des Bundes entscheiden (Abs. 2 und Abs. 3 leg. cit.), vor. Gemäß Art. 131 Abs. 2 erster Satz B-VG ist das Bundesverwaltungsgericht zuständig "in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden". Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes knüpft also daran an, dass eine Angelegenheit in unmittelbarer Bundesverwaltung im Sinne des Art. 102 Abs. 2 B-VG erledigt wird (vgl. VwGH 24.6.2015, Ra 2015/04/0035, mwN). Rechtssachen in Angelegenheiten, die in mittelbarer Bundesverwaltung besorgt werden, fallen nach der Generalklausel des Art. 131 Abs. 1 B-VG zur Gänze in die Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte. Den Erläuterungen zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 ist zudem zu entnehmen, dass eine Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes nicht besteht, wenn in einer Angelegenheit, die in mittelbarer Bundesverwaltung besorgt wird, (ausnahmsweise) eine erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des Bundesministers vorgesehen ist (vgl. RV 1618 BlgNR 24. GP 15, sowie VwGH 24.6.2015, Ra 2015/04/0035, und 12.9.2016, Ro 2016/04/0014).
10 Angelegenheiten des Kultus, auf welchen Kompetenztatbestand sich auch das RelBekGemG stützt (vgl. RV 938 BlgNR 20. GP, 8), sind gemäß Art. 10 Abs. 1 Z 13 B-VG Bundessache in Gesetzgebung und Vollziehung. Es handelt sich jedoch weder um eine in Art. 102 Abs. 2 B-VG genannte Angelegenheit noch um einen Anwendungsfall des Art. 102 Abs. 4 B-VG. Eine verfassungsrechtliche Grundlage für die Vollziehung dieser Angelegenheit in unmittelbarer Bundesverwaltung ist dem RelBekGemG nicht zu entnehmen.
11 Dass das RelBekGemG erstinstanzliche Ministerialzuständigkeiten - wie die hier gegenständliche Zuständigkeit zur Versagung der Rechtspersönlichkeit für eine religiöse Bekenntnisgemeinschaft - beinhaltet, ändert nichts an seiner Vollziehung in mittelbarer Bundesverwaltung (vgl. jüngst VfGH 10.10.2017, G 419/2016, unter Hinweis auf die historischen Grundlagen zum Kompetenztatbestand Kultus, die vom Verfassungsgesetzgeber des Jahres 1920 übernommen wurden, und die verfassungsrechtliche Zulässigkeit, im Bereich der mittelbaren Bundesverwaltung in einem bestimmten Ausmaß und unter Einhaltung sonstiger verfassungsrechtlicher Vorgaben dem Bundesminister Agenden zur Besorgung in erster Instanz zu übertragen).
12 Nach dem oben Ausgeführten ist davon auszugehen, dass es sich beim RelBekGemG um eine Angelegenheit der mittelbaren Bundesverwaltung handelt, in der in verfassungsrechtlich zulässiger Weise erstinstanzliche Ministerialzuständigkeiten bestehen (vgl. zu Angelegenheiten des Islamgesetzes VwGH 29.9.2017, Ro 2016/10/0043). Damit geht der Rechtsmittelzug im vorliegenden Fall gemäß Art. 131 Abs. 1 B-VG an das (jeweils örtlich zuständige) Landesverwaltungsgericht; das BVwG war hingegen zur Entscheidung nicht zuständig.
13 Das angefochtene Erkenntnis war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des BVwG aufzuheben.
14 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 2 VwGG abgesehen werden.
15 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 22. November 2017
Schlagworte
sachliche Zuständigkeit in einzelnen AngelegenheitenInstanzenzugBesondere RechtsgebieteAuslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016100038.L00Im RIS seit
22.12.2017Zuletzt aktualisiert am
08.01.2018