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L72003 Beschaffung Vergabe Niederösterreich;Norm
BVergG 2006 §331 Abs4 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler, die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Mitter, über die Revision der A GmbH in S, vertreten durch MMag. Dr. Philipp Götzl, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Imbergstraße 19, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 28. April 2017, LVwG-AV-1148/003-2015, betreffend vergaberechtliches Feststellungsverfahren (mitbeteiligte Partei:
Stadtgemeinde Tulln, vertreten durch die Hoffmann & Sykora Rechtsanwälte KG in 3430 Tulln, Nußallee 3), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 1. Zur Vorgeschichte wird auf die Erkenntnisse VwGH 9.9.2015, Ro 2014/04/0007, sowie VwGH 23.11.2016, Ra 2016/04/0085, verwiesen.
2 Diesen Verfahren lag der mit Eingabe vom 30. August 2013 gestellte Antrag der Revisionswerberin zugrunde festzustellen, dass der - von der mitbeteiligten Partei (Auftraggeberin) im Verfahren betreffend die Vergabe eines Bauauftrags über das Gewerk "Badewasseraufbereitung" im Wege einer Direktvergabe mit vorheriger Bekanntmachung erteilte - Zuschlag wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften im Bereich des öffentlichen Auftragswesens rechtswidrig gewesen sei. Mit dem erstzitierten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich (UVS) vom 19. Dezember 2013 betreffend die Abweisung dieses Antrags wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (konkret wegen fehlender Feststellungen) aufgehoben.
3 Mit dem zweitzitierten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof das im fortgesetzten Verfahren ergangene Erkenntnis des zuständig gewordenen Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich, mit dem der Feststellungsantrag der Revisionswerberin erneut abgewiesen worden war, wiederum wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (nunmehr wegen unterbliebener Durchführung einer mündlichen Verhandlung) aufgehoben.
4 2. Im fortgesetzten Verfahren fasste das Verwaltungsgericht den Beschluss, dass das Verfahren eingestellt werde. Die ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt.
5 Das Verwaltungsgericht hielt nach Darstellung des Verfahrensganges in seinen rechtlichen Erwägungen fest, dass die Zuschlagserteilung im gegenständlichen Vergabeverfahren am 15. Juli 2013 erfolgt sei. Der Nachprüfungsantrag sei am 30. August 2013 beim UVS eingebracht worden, welcher am 19. Dezember 2013 entschieden habe. Am 22. Oktober 2015 sei beim Verwaltungsgericht "der Fortsetzungsantrag" eingebracht worden, welcher mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 27. Mai 2016 (das in der Folge mit dem zitierten Erkenntnis VwGH Ra 2016/04/0085 aufgehoben worden ist) erledigt worden sei. Gemäß § 16 Abs. 9 in Verbindung mit § 11 Abs. 6 Niederösterreichisches Vergabe-Nachprüfungsgesetz (im Folgenden: NÖ VNG), LGBl. 7200, sei "die 6-monatige Frist zur Stellung eines weiteren Fortsetzungsantrag im November 2015 abgelaufen, weil diese ab Zuschlagserteilung mit 15.01.2014 endet, bzw. bereits vorher, ab Erhebung der Revision geendet hat". Das Verfahren sei daher einzustellen gewesen.
6 3. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
7 Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 4. Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit vor, das Verwaltungsgericht leite aus § 16 Abs. 9 in Verbindung mit § 11 Abs. 6 NÖ VNG unzutreffender Weise ab, dass nach Aufhebung einer in einem vergaberechtlichen Feststellungsverfahren ergangenen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof ein nochmaliger Feststellungsantrag notwendig wäre.
9 Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig und auch berechtigt.
10 5. Die maßgeblichen Regelungen des NÖ VNG lauten
auszugsweise:
"§ 1 Geltungsbereich
(1) Dieses Gesetz regelt die Nachprüfung von Entscheidungen eines Auftraggebers im Sinne der Vorschriften im Bereich des öffentlichen Auftragswesens (Art. 14b Abs. 1 und 5 B-VG) in einem Vergabeverfahren, das gemäß Art. 14b Abs. 2 B-VG in den Vollziehungsbereich des Landes fällt.
(2) Die Nachprüfung umfasst:
...
2. Folgende Nachprüfungsverfahren beim
Landesverwaltungsgericht Niederösterreich:
- das Verfahren zur Erlassung einstweiliger Verfügungen (§ 13)
- das Verfahren zur Nichtigerklärung (§ 15)
- das Feststellungsverfahren einschließlich der
Nichtigerklärung des Vertrages und der Unwirksamerklärung des Widerrufes sowie der Verhängung von Sanktionen (§§ 16 und 16a).
...
§ 4 Zuständigkeiten des Landesverwaltungsgerichtes
...
(2) Bis zur Zuschlagserteilung bzw. bis zum Widerruf des Vergabeverfahrens ist das Landesverwaltungsgericht zum Zwecke der Beseitigung von Verstößen gegen Vorschriften im Bereich des öffentlichen Auftragswesens (Art. 14b Abs. 1 und 5 B-VG) oder von Verstößen gegen unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht zuständig
1.
...
2.
zur Nichtigerklärung gesondert anfechtbarer
Entscheidungen des Auftraggebers im Rahmen der vom Antragsteller geltend gemachten Beschwerdepunkte (§ 15).
(3) Nach Zuschlagserteilung ist das Landesverwaltungsgericht zuständig,
1. zur Feststellung, ob im Rahmen der vom Antragsteller
geltend gemachten Beschwerdepunkte wegen eines Verstoßes gegen Vorschriften im Bereich des öffentlichen Auftragswesens (Art. 14b Abs. 1 und 5 B-VG) oder wegen eines Verstoßes gegen unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht der Zuschlag nicht gemäß den Angaben in der Ausschreibung dem Angebot mit dem niedrigsten Preis oder dem technisch und wirtschaftlich günstigsten Angebot erteilt wurde, und zusätzlich
...
§ 5 Einleitung des Verfahrens zur Nichtigerklärung
(1) Ein Unternehmer, der ein Interesse am Abschluss eines den Vorschriften im Bereich des öffentlichen Auftragswesens (Art. 14b Abs. 1 und 5 B-VG) unterliegenden Vertrages behauptet, kann die Nachprüfung einer gesondert anfechtbaren Entscheidung des Auftraggebers im Vergabeverfahren wegen Rechtswidrigkeit beantragen, sofern ihm durch die behauptete Rechtswidrigkeit ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. In einem kann beantragt werden, nicht gesondert anfechtbare Entscheidungen, die dieser gesondert anfechtbaren Entscheidung zeitlich vorangegangen sind, nachzuprüfen.
...
(3) Dem Antrag auf Nachprüfung kommt - unbeschadet der Bestimmungen des § 13 über die einstweiligen Verfügungen - keine aufschiebende Wirkung für das Vergabeverfahren zu.
§ 6 Einleitung des Feststellungsverfahrens
(1) Ein Unternehmer, der ein Interesse am Abschluss eines den Vorschriften im Bereich des öffentlichen Auftragswesens (Art. 14b Abs. 1 und 5 B-VG) unterliegenden Vertrages hatte, kann, sofern ihm durch die behauptete Rechtswidrigkeit ein Schaden entstanden ist, die Feststellung beantragen, dass
...
2. wegen eines Verstoßes gegen Vorschriften im Bereich des
öffentlichen Auftragswesens (Art. 14b Abs. 1 und 5 B-VG) oder wegen eines Verstoßes gegen unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht der Zuschlag nicht gemäß den Angaben in der Ausschreibung dem Angebot mit dem niedrigsten Preis oder dem technisch und wirtschaftlich günstigsten Angebot erteilt wurde, oder
...
§ 11 Nachprüfungsfristen
...
(6) Anträge gemäß § 6 Abs. 1 Z 2 und 3 sind binnen sechs Wochen ab dem Zeitpunkt einzubringen, in dem der Antragsteller vom Zuschlag bzw. vom Widerruf Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können, längstens jedoch innerhalb eines Zeitraumes von sechs Monaten, nachdem der Zuschlag erteilt oder das Vergabeverfahren widerrufen wurde.
...
§ 16 Feststellung von Rechtsverstößen, Nichtigerklärung
des Vertrages und Verhängung von Sanktionen
...
(9) Wird ein Erkenntnis oder Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes vom Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshof aufgehoben und wurde vor der Entscheidung des Verfassungs- oder des Verwaltungsgerichtshofes der Zuschlag erteilt oder das Vergabeverfahren widerrufen, so hat das Landesverwaltungsgericht auf Antrag des Unternehmers, der den Nachprüfungsantrag gestellt hat, unter Zugrundelegung der festgestellten Rechtsanschauung festzustellen, ob die angefochtene Entscheidung des Auftraggebers rechtswidrig war. Wird bis zum Ablauf der Frist nach § 11 Abs. 6 kein Antrag gestellt, ist das Verfahren formlos einzustellen. § 11 Abs. 6 ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Zeit eines Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof oder vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht einzurechnen ist.
(10) Wird während eines anhängigen Nachprüfungsverfahrens der Zuschlag erteilt oder das Vergabeverfahren widerrufen, ist das Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht auf Antrag des Unternehmers, der den Nachprüfungsantrag gestellt hat, als Feststellungsverfahren weiterzuführen. Bis zur Stellung eines entsprechenden Antrages ruht das Verfahren. Wird bis zum Ablauf der Frist nach § 11 Abs. 6 kein Antrag gestellt, ist das Verfahren formlos einzustellen."
11 6. Das Verwaltungsgericht geht offenbar davon aus, dass nach Aufhebung der im gegenständlichen Verfahren ergangenen Entscheidungen (des UVS bzw. des Landesverwaltungsgerichtes) jeweils ein auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Zuschlagsentscheidung der Auftraggeberin gerichteter "Fortsetzungsantrag" durch die Revisionswerberin zu stellen gewesen wäre. Diese Auffassung besteht aus folgenden Gründen nicht zu Recht:
12 Unstrittig ist vorliegend, dass das zugrunde liegende Verfahren mit einem Feststellungsantrag der Revisionswerberin eingeleitet worden ist, dem kein Antrag auf Nichtigerklärung einer Auftraggeberentscheidung vorausgegangen ist.
13 Die vom Verwaltungsgericht begründend herangezogene Regelung des § 16 Abs. 9 NÖ VNG überbindet es dem Unternehmer, "der den Nachprüfungsantrag gestellt hat," im Fall einer Zuschlagserteilung vor der aufhebenden Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes binnen der Frist des § 11 Abs. 6 NÖ VNG einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung des Auftraggebers zu stellen, widrigenfalls das Verfahren formlos einzustellen ist.
14 Zwar wird der Begriff "Nachprüfungsverfahren" in § 1 Abs. 2 Z 2 NÖ VNG als Überbegriff für (u.a.) "Verfahren zur Nichtigerklärung" und "Feststellungsverfahren" verwendet. Allerdings wird in § 5 NÖ VNG im Zusammenhang mit der Einleitung des Verfahrens zur Nichtigerklärung explizit vom Antrag auf Nachprüfung gesprochen.
15 Jedenfalls aus der Umschreibung des Tatbestandes, an den die Regelung des § 16 Abs. 9 NÖ VNG anknüpft, ergibt sich aber unzweifelhaft, dass sie nur für Unternehmer gilt, die ursprünglich einen Nichtigerklärungsantrag gestellt haben. Da ein Feststellungsantrag erst nach Zuschlagserteilung gestellt werden kann (§ 4 NÖ VNG), wäre eine gesonderte Regelung für den Fall einer Zuschlagserteilung vor der aufhebenden Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes in einem vergaberechtlichen Feststellungsverfahren nämlich sinnlos, weil der Zuschlag voraussetzungsgemäß bereits vor Einleitung des Verfahrens - und somit vor jeglicher Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes - erteilt worden sein muss (vgl. zur früheren Fassung des § 16 NÖ VNG das Erkenntnis VwGH 11.10.2007, 2006/04/0119, mit dem ausgesprochen wurde, dass der ursprüngliche, auf Nichtigerklärung einer Auftraggeberentscheidung gerichtete Nachprüfungsantrag durch den gesonderten Antrag zu einem Feststellungsantrag modifiziert wird). Noch deutlicher kommt dieses Verständnis bei der (ähnlich gelagerten) Regelung des § 16 Abs. 10 NÖ VNG zum Ausdruck, die von der Zuschlagserteilung "während eines anhängigen Nachprüfungsverfahrens" spricht, bei dem es sich - ungeachtet des verwendeten Begriffs - im Hinblick auf die Zuständigkeitsregelung in § 4 NÖ VNG nur um ein Verfahren zur Nichtigerklärung handeln kann.
16 Die dem § 16 Abs. 9 NÖ VNG inhaltlich entsprechende bundesgesetzliche Regelung des § 331 Abs. 4 Z 2 BVergG 2006 stellt denn auch ausdrücklich auf die Aufhebung einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes "über den Antrag auf Nichtigerklärung einer Auftraggeberentscheidung" ab.
17 Dieses Verständnis ist auch vor dem Hintergrund der Zielsetzung der Regelung zu sehen. Da eine Fortführung eines auf Nichtigerklärung einer Auftraggeberentscheidung gerichteten Verfahrens als solches nach der Zuschlagserteilung angesichts der Zuständigkeitsregelungen (sowohl des NÖ VNG als auch des BVergG 2006) nicht mehr in Betracht kommt (vgl. zur entsprechenden bundesgesetzlichen Regelung Thienel, in Schramm/Aicher/Fruhmann (Hrsg.), Bundesvergabegesetz 2006, § 331 Rz. 28), wird dem antragstellenden Unternehmer (der sein primäres Ziel - nämlich die Nichtigerklärung der von ihm angefochtenen Auftraggeberentscheidung - im Hinblick auf die zwischenzeitige Zuschlagserteilung nicht mehr erreichen kann) zumindest ermöglicht, die Weiterführung des Verfahrens als Feststellungsverfahren zu begehren. Eine (gleichsam) Erneuerung eines ohnehin bereits gestellten Feststellungantrags nach Aufhebung der im ersten Rechtsgang ergangenen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof ist hingegen nicht geboten.
18 7. Das Verwaltungsgericht ist somit zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Revisionswerberin vorliegend einen "Fortsetzungsantrag" hätte stellen müssen und das Verfahren daher mangels eines derartigen Antrags einzustellen war. Der angefochtene Beschluss war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
19 Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 29. November 2017
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017040075.L00Im RIS seit
22.12.2017Zuletzt aktualisiert am
30.01.2018