Entscheidungsdatum
04.12.2017Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L521 2138335-1/28E
Schriftliche Ausfertigung des am 23.11.2017 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, 1090 Wien, Alser Straße 20, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.10.2016, Zl. 1072908610-150650733, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 23.11.2017 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57 und § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z. 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 10.06.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Wöllersdorf am Tag der Antragstellung gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehöriger des Irak zu sein. Er sei am XXXX in Bagdad geboren und habe dort zuletzt auch im Bezirk
XXXX gelebt, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung. Er habe im Irak die Grundschule, eine weiterführende Schule und zuletzt die Universität besucht.
Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, den Irak am 01.10.2015 legal von Bagdad ausgehend im Luftweg in die Türkei verlassen zu haben. In weiterer Folge sei er schlepperunterstützt im Seeweg nach Griechenland gelangt und anschließend in einem Kleintransporter nach Österreich verbracht worden.
Zu den Gründen seiner Ausreise aus dem Heimatland befragt, führte der Beschwerdeführer aus, er habe am 28.05.2015 eine Drohung von einem schiitischen Fußballklub erhalten. Nach dem Spiel habe er in seinem Gewand eine Patrone und eine Schreiben gefunden, wonach er mit dieser Patrone erschossen werde, wenn er nur wiederkommen würde. Ferner sei ihm erzählt worden, dass er in Österreich nur "sitzen" müsse und dafür Geld erhalten würde.
2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 29.09.2015 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, im Beisein einer geeigneten Dolmetscherin in arabischer Sprache niederschriftlich vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.
Eingangs bestätigte der Beschwerdeführer, bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht zu haben, der arabischen Sprache mächtig zu sein und die Dolmetscherin einwandfrei zu verstehen.
Zur Person befragt führte der Beschwerdeführer insbesondere aus, er sei ledig und habe keine Kinder. Seine Eltern und seine Geschwister
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mit Ausnahme einer Schwester, die sich in Schweden aufhalten würde
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lebten nach wie vor in Bagdad unter er unterhalte mit seiner Familie täglich Kontaktüber das Internet. Er selbst habe zuletzt an der Universität Bagdad Englisch und Persisch studiert und außerdem als Fußballprofi in der Nachwuchsmannschaft des irakischen Nationalteams gearbeitet.
Zu den Gründen für das Verlassen seines Heimatstaates befragt gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen, dies sei der Stammesname von Saddam Hussein. Er habe deshalb des Öfteren beim Herzeigen seines Ausweises Schwierigkeiten gehabt. Sein Vorname deute auf sein sunnitisches Bekenntnis hin, was ebenfalls Probleme bereiten würde. Zu Beginn seines Trainings bei der Nachwuchsmannschaft des irakischen Nationalteams habe er eines Tages eine Patrone und einen Drohbrief in seinem Rucksack vorgefunden.
Auf Nachfrage legte der Beschwerdeführer dar, er habe mehrmals versucht, in die autonome Region Kurdistan zu fliehen, was jedoch nicht gelungen sei. Den Vorfall im Irak habe er der Polizei nicht gemeldet. Seine Angaben bei der Erstbefragung wären zustande gekommen, da ihn der Dolmetscher provoziert habe.
3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.10.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
Begründend führte die belangte Behörde nach der Wiedergabe der Einvernahme des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat einer Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. Im Rückkehrfall verfüge der Beschwerdeführer über familiäre Anknüpfungspunkte und es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehre einer Gefährdung oder Bedrohung durch staatliche Stellen, Privatpersonen oder andere Organisationen oder Gruppierungen ausgesetzt wäre.
In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewärtigen, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Dem Beschwerdeführer sei der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, da er im Irak über genügend Anknüpfungspunkte verfüge und keine reale Gefahr einer Verletzung in elementaren Rechte sowie keine Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts drohe. Dem Beschwerdeführer sei schließlich kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen.
4. Mit Verfahrensanordnung vom 06.10.2016 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.
5. Gegen den dem Beschwerdeführer am 10.10.2016 eigenhändig zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die im Wege der beigegebenen Rechtsberatungsorganisation fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
6. Die Beschwerdevorlage langte am 28.10.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.
7. Nach Durchführung eines Mängelbehebungsverfahrens wurden dem Beschwerdeführer im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung am 13.09.2017 länderkundliche Dokumente zur Lage im Irak sowie zur Lage von Personen mit sunnitisch konnotierten Namen und zur Lage von aktiven Baathisten und ehemaligen Mitgliedern der Baath-Partei zur Abgabe einer Stellungnahme übermitteln. Eine Stellungnahem hiezu wurde seitens des Beschwerdeführers nicht abgegeben.
8. Am 06.10.2017 und am 23.11.2017 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers sowie eines Dolmetschers für die arabische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand der dem Beschwerdeführer bereits übermittelten Länderdokumentationsunterlagen erörtert. Seitens des Beschwerdeführers wurden Urkunden betreffend seine Integration in Österreich in Vorlage gebracht.
Im Anschluss an die mündliche Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen am 23.11.2017 mündlich verkündet. Seitens des Beschwerdeführers wurde mit Eingabe vom 28.11.2017 fristgerecht die Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung des Erkenntnisses begehrt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX, ist Staatsangehöriger des Irak und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Er wurde am XXXX in Bagdad geboren und lebte dort zuletzt im Distrikt XXXX. Der Beschwerdeführer ist Moslem und bekennt sich zu keiner bestimmten Glaubensrichtung des Islam, stammt jedoch aus einer sunnitischen Familie. Er ist ledig und hat keine Kinder, gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung.
Der Beschwerdeführer besuchte in Bagdad zwölf Jahre die Grundschule und eine allgemeinbildende höhere Schule, an welcher er die Matura erfolgreich ablegte. Zuletzt studierte der Beschwerdeführer an der Universität Bagdad die englische und die persische Sprache. Darüber hinaus war der Beschwerdeführer im Alter von 17 bis 18 Jahren Spieler in der Nachwuchsmannschaft des irakischen Nationalteams.
Die Eltern des Beschwerdeführers und dessen Schwester XXXX sowie dessen Bruder XXXX leben in Bagdad im Haus im Eigentum der Familie im sunnitischen Distrikt XXXX. Eine weitere Schwester lebt mit ihrem Ehemann in Schweden. Der Beschwerdeführer steht mit seiner Familie in Kontakt. Seine Mutter ist führt den Haushalt und sein Vater arbeitet als Beamter bei einer Behörde und nebenberuflich als Immobilienmakler. Er war zuvor zur Zeit des Regimes von Saddam Hussein als Beamter im Präsidialamt tätig und gehörte dem Verein der Freunde von Saddam Hussein an. Die Familie des Beschwerdeführers ist sunnitischen Bekenntnisses. Sie wurde im Jahr 2014 aus einer vom seinerzeitigen Regime zur Verfügung gestellten Wohnung im Bezirk XXXX vertrieben und siedelte sich im Anschluss daran im sunnitischen Distrikt XXXX an.
Am 01.06.2015 verließ der Beschwerdeführer den Irak legal mit dem Flugzeug in die Türkei und reiste in weiterer Folge schlepperunterstützt nach Österreich, wo er am 10.06.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
1.2. Der Beschwerdeführer gehört keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer während seiner Zeit als Spieler in der Nachwuchsmannschaft des irakischen Nationalteams Drohungen oder Übergriffen ausgesetzt war.
Es kann ferner nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer sonstigen individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.
Ein Onkel des Beschwerdeführers wurde im Jahr 2007 von unbekannten Tätern ermordet.
1.3. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschlichen Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.
Der Beschwerdeführer ist ein gesunder, arbeitsfähiger Mensch mit hinreichender Ausbildung in der Schule und einem begonnene Universitätsstudium. Der Beschwerdeführer verfügt über eine - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherte Existenzgrundlage in seinem Herkunftsstaat sowie über familiäre Anknüpfungspunkte und eine hinreichende Versorgung mit Nahrung und Unterkunft durch seine Familie. Der Beschwerdeführer verfügt über irakische Ausweisdokumente im Original (Personalausweis und Staatsbürgerschaftsnachweis).
1.4. Der Beschwerdeführer hält sich seit dem 10.06.2015 in Österreich auf. Er reiste rechtswidrig in Österreich ein, ist seither Asylwerber und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel. Er ist strafgerichtlich unbescholten. Ein Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen § 84 StGB wurde im Jahr 2017 eingestellt.
Der Beschwerdeführer bezieht seit der Antragstellung bis dato Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und war zunächst in der Gemeinde XXXX und dann in der Stadtgemeine XXXX in einer Unterkunft für Asylwerber untergebracht. Seit dem 01.01.2017 bewohnt der Beschwerdeführer ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft in der Stadt Salzburg. Ein Mitbewohner attestiert ihm ein angenehmes Auftreten und ein problemloses Zusammenleben. Er ist nicht legal erwerbstätig, verrichtet jedoch bei der Stadtgemeine XXXX eine Woche lang gemeinnützige Tätigkeiten und pflegt Grünanlagen. Über eine konkrete Erwerbstätigkeit am regulären Arbeitsmarkt verfügt der Beschwerdeführer nicht, ihm wurde jedoch einige Beschäftigung - etwa in einem türkischen Restaurant und als Hausmeister - in Aussicht gestellt.
Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Verwandten und pflegt, insbesondere im Rahmen seiner Freizeitaktivitäten, im Übrigen normale soziale Kontakte zu Arabern und auch zu österreichischen Staatsangehörigen. Er war als Fußballspieler (Amateur) zunächst beim FC XXXX engagiert und wechselte per 01.02.2017 zum USV Eugendorf.
Der Beschwerdeführer ist für keine Person im Bundesgebiet sorgepflichtig und in Österreich alleinstehend. Er besuchte Deutschkurse und hat am 21.11.2016 die Prüfung auf dem Niveau A1 und am 17.06.2017 die Prüfung auf dem Niveau A2 abgelegt und verfügt über grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache.
1.5. 1.5. Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der angeführten Quellen getroffen:
1. Politische Lage
Im März 2003 kam es zum Einmarsch von Truppen einer Koalition, die von den USA angeführt wurde (BBC 12.7.2017). Als Grund hierfür wurden Massenvernichtungswaffen angegeben, deren Existenz jedoch nie bestätigt werden konnte. Nach dem im März 2003 erfolgten Sturz von Saddam Hussein, einem Angehörigen der sunnitischen Minderheit, wurden die Regierungen von Vertretern der schiitischen Mehrheitsbevölkerung geführt (BPB 9.11.2015). Mit 2003 begann der Aufstieg von [vorwiegend] irantreuen bzw. dem Iran nahestehenden schiitischen Parteien/Milizen, denen die amerikanischen Invasoren erlaubten, aus dem iranischen Exil in ihre Heimat zurückzukehren (SWP 8.2016; vgl. Hiltermann 26.4.2017). Es konnte nach der Entmachtung Husseins weder eine umfassende Demokratisierung noch eine Stabilisierung erreicht werden, da die Strukturen des neuen politischen Systems das Land entlang ethnisch-konfessioneller Linien fragmentierten (BPB 9.11.2015). Die von der US-Besatzung beschlossene Auflösung der irakischen Armee sowie das Verbot der Baath-Partei ließen viele Sunniten, darunter erfahrene Militärs, radikalen islamistischen Gruppen zuströmen (Spiegel 18.4.2015). Die sunnitische Minderheit fühlte sich zunehmend diskriminiert und radikale Anführer konnten immer mehr Anhänger gewinnen (AI 28.5.2008). Zudem hatte die Demontage der irakischen Armee und irakischen Sicherheitskräfte durch die US-geführte Koalition ein Sicherheitsvakuum hinterlassen, das die schiitischen Milizen zu füllen versuchten, wodurch es zu einem sunnitischen Aufstand kam (Hiltermann 26.4.2017). Die US-Regierung (sowohl die Bush-, als auch die Obama-Regierung) arbeitete zum Teil mit diesen Kräften (Badr-Miliz) zusammen, und verschloss vor den Gewaltexzessen der schiitischen Milizen gegenüber der sunnitischen Bevölkerung die Augen (Reuters 14.12.2015). Während die Revolte der Sunniten gegen die US-Präsenz seit 2003 eher eine nationalistisch als eine religiös geprägte Bewegung war, entwickelte die Revolte zunehmend einen dominanten radikal-sunnitisch-islamistischen Zug. Der in der Folge entstehende konfessionelle Bürgerkrieg (ca. 2005 bis 2007) führte zu einer Änderung der US-Politik im Irak, die wiederum die Niederlage von Al-Qaida im Irak (AQI) herbeiführte. Doch dadurch, dass das Problem der Ausgrenzung der Sunniten weiter bestehen blieb, kam es zu weiteren Protesten in den sunnitischen Gebieten in den Jahren 2013 und 2014, daraufhin zu einer gewaltsamen Antwort von Seiten des Staates und danach zur Übernahme sunnitischer Gebiete durch eine noch radikalere Version von Al-Qaida - durch die Organisation "Islamischer Staat" [IS, auch ISIS oder ISIL, vormals ISI, arabisch Daesh] (Hiltermann 26.4.2017). Diese konnte in große Teile der sunnitischen Gebiete im Westen des Irak, in kurdische Gebiete im Norden des Irak und in Teile Syriens vordringen (ACCORD 12.2016). Als die nach der Entmachtung Saddam Husseins neu aufgestellte Armee vorübergehend "kollabierte", mobilisierten schiitische Führer in Notwehr ihre Gefolgschaft, wodurch die schiitischen Milizen (allen voran die Badr Organisation, Asaib Ahl al-Haq und Kataeb Hezbollah, mit Unterstützung des Irans) verstärkt auf den Plan traten und sich nordwärts in die sunnitischen Gebiete bewegten (Hiltermann 26.4.2017).
Das politische Geschehen ist trotz großer Erfolge bei der Rückeroberung von IS weiterhin vom Kampf gegen den IS geprägt (ÖB 12.2016). Seit Ende 2015 wird der IS mit einem Bündnis auf Zeit aus irakischem Militär, kurdischen Peschmerga, schiitischen Milizen und Luftschlägen der internationalen US-geführten Anti-IS-Koalition bekämpft (AA 7.2.2017).
Staatsform & Parteien
Der Irak ist formal-konstitutionell eine republikanische, demokratische, föderal organisierte und parlamentarische Republik. So sieht es die gültige Verfassung von 2005 vor. Sitz von Regierung und Parlament ist Bagdad. Staatspräsident ist seit dem 24.07.2014 der Kurde Fuad Massum, Angehöriger der irakisch-kurdischen Partei Patriotic Union of Kurdistan - PUK. Ein Teil des föderalen Staates ist auch das kurdische Autonomiegebiet, das im Nordosten des Iraks angesiedelt ist. Diese Föderale Region Kurdistan hat weitgehende Souveränität. Sie verfügt über eigene exekutive, legislative und judikative Organe und besitzt seit 2009 eine eigene Verfassung, sowie gesonderte Militäreinheiten, die Peschmerga (LIP 6.2015). Im Irak gibt es eine Vielzahl von Parteien (zu einer Anerkennung genügen laut Parteiengesetz 500 Unterschriften). Sie haben sich vor und nach den Wahlen zu Bündnissen zusammengeschlossen (AA 7.2.2017):
Wahlen & Premierminister
Die letzten nationalen Wahlen, die im April 2014 stattfanden, hatte zwar abermals der zuvor amtierende Premierminister Nouri al-Maliki gewonnen, da es jedoch auf Grund seines autoritären und pro-schiitischen Regierungsstils massive Widerstände gegen ihn gab, trat er im August 2014 auf kurdischen, internationalen, aber auch auf innerparteilichen Druck hin zurück (GIZ 6.2015). Maliki wird unter anderem vorgeworfen, mit seiner sunnitenfeindlichen Politik (Ausgrenzung von sunnitischen Politikern, Niederschlagung sunnitischer Demonstrationen, etc.) deutlich zur Entstehung radikaler sunnitischer Gruppen, wie dem IS, beigetragen zu haben (Qantara 17.8.2015; vgl. auch Abschnitt "Sicherheitslage"). Infolge dessen wurde die schiitisch dominierte Regierung des Premierministers Nuri al-Maliki von einer nationalen Einheitsregierung mit Beteiligung von Sunniten und Kurden unter dem gemäßigteren Premierminister Haidar al-Abadi abgelöst (HRW 29.1.2015). Abadi ist ebenfalls Schiite und ein Parteikollege Malikis in der Da'wa-Partei. Er ist mit dem Versprechen angetreten, das ethno-religiöse Spektrum der irakischen Bevölkerung wieder stärker abzudecken (GIZ 6.2015), und zunächst konnten durch seine Ernennung zum irakischen Premierminister tatsächlich einige gesellschaftliche Gräben geschmälert werden. Von einer tatsächlichen Versöhnung zwischen den ethnischen und religiösen Gruppierungen ist jedoch nichts zu bemerken (ÖB 12.2016). Die Besetzung aller politischen Führungspositionen, so auch der Kabinettsposten, folgt seit Jahren einem Kalkül ethnisch/religiöser Balance. Die sunnitischen Regierungs- und Parlamentsmitglieder stehen unter Druck, da ihre Kooperation in Bagdad bislang kaum dazu beitrug, ihre Klientel zu schützen (ÖB 12.2016). Das irakische Parlament wählte den moderaten sunnitischen Politiker Salim al-Jabouri zum Parlamentspräsidenten (Al Arabiya 15.7.2014).
Abadis Reformen sind bislang nur oberflächlicher Natur oder harren noch ihrer Umsetzung. Unterstützt werden die Reformpläne der Regierung bislang immerhin durch die höchste geistliche Autorität der Schiiten, Großajatollah Al-Sistani (AA 7.2.2017). Insgesamt ist die Zentralregierung aber schwach, Premierminister Abadi kann gegen die internen Rivalitäten der schiitischen Parteien nicht viel ausrichten. Er ist von zahlreichen Herausforderern umgeben: Dem Ex-Premierminister Nouri al-Maliki, dem Oppositionsführer und populärer Priester Muqtada al-Sadr, sowie den anderen Anführern schiitischer Milizen (Stansfield 26.4.2017).
Das irakische Parlament hat am 29.01.2017 die neuen Minister für Verteidigung und Inneres bestätigt. Der Armeegeneral Erfan al-Hiyali von der sunnitischen Minderheit im Land wird künftig das Verteidigungsministerium führen. Kasim al-Aradschi von der schiitischen Badr-Organisation leitet das Ressort Inneres. Ministerpräsident Haider al-Abadi lobte die Entscheidung des Parlaments als "guten Fortschritt zu einer entscheidenden Zeit". Beide Posten waren monatelang unbesetzt (ORF, 30.01.2017).
Schiitische Milizen, Rolle des Ex-Premierminister Maliki und Einfluss des Iran
Abadi hat mit dem Iran-freundlichen Ex-Premierminister Maliki (nunmehr Vize-Premierminister und Vorsitzender der State of Law Coalition, sowie Da'wa-Parteiführer) einen starken Widersacher innerhalb seiner Partei. Ein Problem Abadis ist auch die Macht der schiitischen Milizen - einerseits unverzichtbar für Abadi im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (Standard 5.11.2015), gleichzeitig wird deren Einsatz aber von der sunnitischen Bevölkerung als das "Austreiben des Teufels mit dem Beelzebub" gesehen. Das Vertrauen der sunnitischen Bevölkerung in die schiitisch dominierte Zentralregierung bleibt weiterhin minimal. Der Einsatz dieser Milizen im Kampf gegen den IS wird von Sunniten meist abgelehnt, sie fürchten ein ruchloses Vorgehen der Milizen und dulden daher oft die sunnitischen Extremisten in ihren Gebieten. Berichte zu Übergriffen der schiitischen Milizen konterkarieren die Versuche von Premierminister Haidar al-Abadi, den arabischen Sunniten wieder Vertrauen in den irakischen Staat einzuflößen (ÖB 12.2016). Bezüglich der schiitischen Milizen spielt auch der schiitisch dominierte Iran eine große Rolle, der insgesamt einen großen Einfluss auf den Irak ausübt. An den Schalthebeln der Macht in Bagdad werden selbst hochrangige irakische Kabinettsmitglieder von der iranischen Führung abgesegnet oder "hinauskomplementiert". Dadurch kommt es auch dazu, dass Gesetze verabschiedet werden, wie z. B. jenes vom November 2016, das die schiitischen Milizen effektiv zu einem permanenten Fixum der irakischen Sicherheitskräfte macht (NYTimes 15.7.2017), und sie im Rahmen der Dachorganisation PMF (auch PMU, Popular Mobilisation Forces/Units, Volksmobilisierung, arabisch Al-Hashd al-Shaabi) der irakischen Armee gleichstellt (Harrer 9.12.2016). Diese Integration der schiitischen Milizen in die Regierungskräfte, die von vielen sunnitischen Politikern bekämpft wurde (HRW 16.2.2017), ist mehr formeller Natur, um den äußeren Schein zu wahren. In der Realität gibt es im Irak keine offizielle Instanz (auch nicht die Regierung), die die Fähigkeit hat, die Milizen zu kontrollieren (Hiltermann 26.4.2017). Die Eingliederung der Milizen in die irakische Sicherheitsstruktur sichert ihnen einerseits eine Finanzierung durch den Irak, während die [effektive] Kontrolle über einige der mächtigsten Einheiten weiterhin dem Iran obliegt. Dem Iran geht es dabei nicht nur um die weitere Ausbreitung der Kontrolle über irakisches Gebiet, sondern auch darum, einen Korridor zu den Stellvertreterkräften in Syrien und im Libanon zu bilden. Was im März 2017 passierte, nämlich, dass Iran-gestützte schiitische Milizen zum ersten Mal den gesamten Weg westwärts bis zur syrisch-irakischen Grenze vorstoßen konnten, quer durch irakisches, vorwiegend sunnitisches Gebiet, veranschaulicht dieses Vorhaben (ICG 31.5.2017; vgl. NY Times 15.7.2017). Der ehemalige Premierminister Maliki, der sich bereits zu seiner Amtszeit stark in Richtung Iran gelehnt hatte, und der nach Ende seiner Amtszeit weiterhin massiv von der Zusammenarbeit mit dem Iran profitierte, spielt heute auf politischer Ebene in Bezug auf die PMF eine zentrale Rolle. Unter anderem aufgrund der Schwäche des Irakischen Staates, der Dominanz des Irans, sowie ganz besonders aufgrund der Hilfe, die der reguläre irakische Sicherheitsapparat für das Zurückschlagen des IS benötigt(e), blieb Abadi keine andere Wahl, als den PMF-Milizen zu noch weiterem Einfluss zu verhelfen - in Fortsetzung der bezüglich der Milizen vorangetriebenen Legitimierungspolitik Malikis. Die PMF sind somit einerseits eine vom Staat mittlerweile legitimierte und der Armee gleichgestellte Dachorganisation von - fast ausschließlich - schiitischen Milizen, gleichzeitig werden sie aber von nicht-staatlichen Anführern befehligt (Carnegie 28.4.2017). Maliki versucht, an die Spitze der irakischen Politik zurückzukehren, und hat als Verbündete dabei den Iran und "seine" neue Hausmacht, die schiitischen Milizen (Harrer 13.2.2017). Gegen dieses Vorhaben regt sich insbesondere auch im Süden verstärkter Widerstand: Die Anhänger der Sadr-Bewegung [Muqtada al-Sadr: Führer der Sadr-Bewegung, einer politischen Partei, sowie Führer der Saraya al-Salam] wollen mittels Demonstrationen die Hoffnung Malikis auf eine Rückkehr verhindern. Ein innerschiitischer Konflikt zwischen Sadristen und Maliki-Anhängern ist spürbar, auch wenn diesbezügliche militärische Auseinandersetzungen unwahrscheinlich sind (Al Monitor 26.1.2017). Zu solchen Auseinandersetzungen war es zwischen diesen beiden Lagern im Jahr 2008 in Basra gekommen (BBC 12.7.2017).
Die Sadr-Bewegung ist aber auch gegenüber Abadis Regierung kritisch eingestellt. Muqtada al-Sadr stilisiert sich als irakischer Nationalist, der gegen den konfessionell-ethnischen Proporz in der irakischen Politik ankämpft, der jedoch andererseits Abadis Reformen zum Teil sogar blockiert, wie z.B. Abadis Versuch, eine Technokratenregierung aufzustellen. Darüber hinaus führt die Sadr-Bewegung regierungskritische Demonstrationen durch, die - trotz Aufrufs Sadrs, friedlich zu protestieren - außer Kontrolle geraten können und zuletzt im Februar 2017 in Bagdad zur wiederholten Erstürmung der Grünen Zone führten. Die Proteste der Sadr-Bewegung spielen Maliki in die Hände und schwächen Abadi zusätzlich, der in der Schusslinie zwischen Sadr und Maliki steht (Harrer 13.2.2017). In Hinblick auf die Parlamentswahl im Jahr 2018 und einen möglichen Erfolg des pro-iranischen Maliki, näherte sich Premierminister Abadi einer Koalition einflussreicher schiitischer religiöser und politischer Führer (darunter auch besagter Muqtada al-Sadr) an, mit dem Ziel Maliki zu isolieren (IFK 9.6.2017).
Der gemeinsame Gegner IS schweißte 2014 das Land und teilweise auch die Bevölkerung etwas zusammen, doch die Bruchlinien bleiben insbesondere mit zunehmenden Erfolgen gegen den IS akut: Nicht nur zwischen Schiiten und Sunniten oder innerhalb der schiitischen Kräfte, sondern auch zwischen der KRI (Kurdische Region im Irak) und der Zentralregierung, innerhalb der kurdischen Gruppierungen sowie zwischen de facto allen Mehrheitsbevölkerungen und Religionen und den Minderheiten in ihrem Bereich. Mit zunehmenden Erfolgen gegen den IS gehen auch ein verstärkter Terrorismus, neue humanitäre Herausforderungen und wiederaufflammende Spannungen einher. Eine ethnisch-religiöse Aussöhnung hat nicht stattgefunden. Die Gefahr eines weiteren Zerfalls des Staates, samt bewaffneten Auseinandersetzungen ist nach wie vor nicht gebannt (ÖB 12.2016). Insbesondere ist auch unklar, ob die vom IS zurückeroberten sunnitischen Gebiete auf eine Weise verwaltet werden, die nicht erneuten Unfrieden und eine erneute Rebellion (unter dem Banner des IS oder einer anderen Organisation) provozieren wird (OA/EASO 2.2017). Die Islamisten genießen im Irak in der Bevölkerung nach wie vor Unterstützung, da sie sich als Beschützer der sunnitischen Gemeinschaft präsentieren. Der IS ist ja ursprünglich vorrangig eine irakische Organisation mit starken lokalen Wurzeln (Stansfield 26.4.2017), und selbst das Zurückschlagen des IS in Mossul vermag es nicht, die schiitisch-sunnitischen Spannungen zu lösen, die das Ergebnis einer mangelnden politischen Übereinkunft sind (USCIRF 26.4.2017). Die Gewalt, der die Sunniten seit der US-geführten Invasion im Irak von Seiten Iran-gestützter Regierungen und Milizen ausgesetzt waren [und sind], hat in der sunnitisch-arabischen Bevölkerung ein tiefgreifendes und gefährliches Gefühl der Viktimisierung bewirkt, das Rekrutierungsbemühungen von Jihadisten in die Hände spielt (ICG 22.3.2017). Die Rolle der internationalen Koalition gegen den IS ist zwiespältig. Während diese sich selbst als unparteiischen Akteur sehen mag (abgesehen vom Kampf gegen den IS), sehen das die irakischen Akteure anders, die die Koalition alleine schon auf Grund der Wahl ihrer Verbündeten als völlig parteiisch ansehen (ICG 31.5.2017).
Quellen:
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AI - Amnesty International (28.5.2008): Jahresbericht 2008, , http://www.amnesty.de/jahresbericht/2008/irak, Zugriff 9.8.2017
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Al Arabiya (15.7.2014): Iraq parliament elects Salim Jabouri as speaker,
http://english.alarabiya.net/en/News/middle-east/2014/07/15/Iraq-parliament-elects-Salim-al-Juburi-as-speaker-TV.html, Zugriff am 9.5.2016
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Al Monitor (26.1.2017): Can public outcry in southern Iraq end Maliki's political ambitions?,
http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/01/southern-iraq-muqtada-maliki-abadi-reform-shiite-protest.html, Zugriff 2.8.2017
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Al-Monitor (21.7.2017): If Iran has its way, Abadi won't see a second term in Iraq,
http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/07/iran-iraq-prime-minister-abadi-khamenei-pmu-shiite-militias.html, Zugriff 9.8.2017
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Al-Monitor (24.8.2017): Iraq's Hakim moves out of Iran's shadow, http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/08/ammar-hakim-supreme-islamic-council-iraq-iran.html, Zugriff 28.8.2017
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BBC (12.7.2017): Iraq profile - timeline, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-14546763, Zugriff 4.8.2017
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BPB - Bundeszentrale für politische Bildung (9.11.2015):
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2. Sicherheitslage
Hintergrund
Nachdem die irakische Armee im Sommer 2014 vorübergehend Auflösungserscheinungen zeigte und dem IS kampflos große Gebiete des Landes überließ (Spiegel 15.6.2014), veröffentlichte der schiitische Religionsführer im Irak, Großayatollah Ali al-Sistani einen Aufruf zur Mobilisierung gegen den IS, infolge dessen sich zahlreiche schiitische Milizen gründeten. Auch ältere schiitische Milizen aus der Zeit der religiös motivierten Gewalt von 2006 gewannen wieder an Einfluss. Mit Unterstützung des Irans konnten diese einen Angriff des IS auf die Hauptstadt verhindern und die Terrororganisation weiter nach Norden zurückdrängen. Seit Ende 2015 forciert Bagdad eine Regierungsoffensive gegen den IS, bei der mit Einsatz von schiitischen Milizen, sunnitischen Stammeskämpfern und Luftunterstützung der USA vorige IS-Hochburgen wie Ramadi und Fallujah zurückerobert werden konnten (ACCORD 12.2016). In den Jahren 2015 und 2016 wurden auch die Städte Tikrit, Hit, Rutba, sowie die Gegend um Sinjar, die sich unter der Kontrolle des IS befunden hatten, zurückerobert (ÖB 12.2016). Der bewaffnete Konflikt ging somit im Jahr 2016 unvermindert weiter (AI 31.12.2016), und mit Stand Dezember 2016 waren bereits 60 Prozent des Gebietes, das im Irak unter Kontrolle des IS stand, zurückerobert (ÖB 12.2016). Laut dem Irakexperten des "Institute for the Study of War", Patrick Martin, hat der IS im Irak mit Stand Juli 2017 nur noch etwa sieben Prozent des ursprünglichen IS-Gebietes unter seiner Kontrolle, gleichzeitig warnt er jedoch davor, den IS zu früh als mögliche weitere Bedrohung abzuschreiben (Daily Star 10.7.2017). Im Zuge der Rückeroberungen werden im Irak immer wieder zahlreiche Massengräber gefunden (Standard 11.5.2017; USDOS 3.3.2017, HRW 16.11.2016). Die Offensive zur Rückeroberung Mossuls startete im Oktober 2016 und am 9. Juli 2017 verkündete Premierminister Abadi (nach fast neun Monaten schwerer Kämpfe und fast einer Million Vertriebener) den erfolgreichen Abschluss derselben (OCHA 13.7.2017).
Im Irak leben ca. 36 Millionen Einwohner, wobei die diesbezüglichen Schätzungen unterschiedlich sind. Die letzte Volkszählung wurde 1997 durchgeführt. Im Gouvernement Bagdad leben ca. 7,6 Millionen Einwohner. Geschätzte 99% der Einwohner sind Moslems, wovon ca. 60%-65% der schiitischen und ca. 32%-37% der sunnitischen Glaubensrichtung angehören (CIA World Factbook 2014-2015, AA 10.5.2016).
Die Maps des The Gulf/2000 Project, das vom Nahostinstitut der Columbia University in New York finanziert wird, stellt die ethno-religiöse Zusammensetzung in Zentralirak im Jahr 2015 dar.
Bild kann nicht dargestellt werden
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gulf2000.columbia (2015): The Gulf/2000 Project, Maps, Central Iraq, Ethnic 2015,
http://gulf2000.columbia.edu/images/maps/Central_Iraq_Ethnic_2015_lg.png, Zugriff 5.12.2016
Der folgende Atlas, den das österreichische Bundesministerium für Inneres in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport im Jahr 2016 ausgearbeitet hat, stellt in der folgenden Karte religiöse und sektiererische Zusammensetzung in wichtigsten irakischen Ansiedlungen im Jahr 2014 dar.