TE Bvwg Erkenntnis 2017/12/4 L512 2153548-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.12.2017
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Entscheidungsdatum

04.12.2017

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L512 2153548-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marlene JUNGWIRT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. der islamischen Republik Iran, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 29.03.2017, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3, § 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, §§ 46, 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als "BF" bezeichnet), ein Staatsangehöriger der islamischen Republik Iran (in weiterer Folge "Iran" genannt), stellte am 08.05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte der BF am 09.05.2016 Folgendes vor:

Er sei ledig, spreche Kumanji/Bhedini (Nordkurdisch) und Farsi, sei sunnitischer Moslem, gehöre der Volksgruppe der Kurden an, habe sieben Jahre die Grundschule besucht und zuletzt als Koch gearbeitet.

Zum Fluchtgrund befragt gab der BF an, dass er im Iran als Kurde diskriminiert werde und deswegen in den Irak gegangen sei. Da er dort auch keine Rechte gehabt habe, habe er nach vier Jahren beschlossen, nach Europa zu reisen. Er sei legal ausgereist, den iranischen Reisepass habe er verloren. Bei einer Rückkehr in seine Heimat habe der BF Angst, von den iranischen Behörden verfolgt zu werden [Aktenseite (AS) 15 ff.].

Vor einer Organwalterin der belangten Behörde brachte der BF am 21.03.2017 Folgendes ergänzend vor:

Er habe in XXXX und in XXXX ungefähr sechs Jahre lang als Koch gearbeitet. Vor fünf oder sechs Jahren habe er den Iran verlassen und ungefähr viereinhalb bis fünf Jahre im Irak gelebt und als Koch gearbeitet. Er habe den Iran verlassen, weil sie als Kurden unterdrückt werden, sich nicht so frei bewegen könnten und ständig kontrolliert werden. Auch als Sunnit werde er unterdrückt. Finanziell würde es ihm auch sehr schlecht gehen. Bei einer Rückkehr würde er hingerichtet werden. Seine Familie könne im Gegensatz zu ihm im Iran leben, da nur er aktiv gewesen sei und wegen der Unterdrückung Propaganda gemacht habe. Als Kurden würden sie nicht ihre Sprache sprechen und Berufe frei ausüben dürfen. Sie würden ständig beleidigt und diskriminiert werden. Es gäbe keine Menschenrechte, keine Gerechtigkeit im Iran. Der BF schätze die Demokratie und die Menschen im Ausland.

Er sei in Österreich in keinem Verein oder religiösen Verbindung, gehe keiner Beschäftigung nach und habe hier keine Verwandten (AS 147 ff.).

I.2. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde folglich mit im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist zur freiwilligen Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV., AS 179 ff.).

I.2.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung führte die belangte Behörde aus, dass die Angaben des BF bezüglich seines Ausreisegrundes der rechtlichen Beurteilung zu Grunde gelegt werden. Die Feststellungen, der BF leide an Schlafstörungen mit Panikattacken und lehne eine medikamentöse Behandlung ab, ergeben sich aus dem Schreiben vom 24.01.2017. Die Gewährleistung der medizinischen Versorgungslage basiere auf objektive und aktuelle Quellen der Länderfeststellungen der Staatendokumentation des BFA. Dem BF sei es, da er ein Mann im arbeitsfähigen Alter sei und jahrelang als Koch gearbeitet habe, zumutbar, erneut Arbeit zu finden, um für einen unbedingt notwendigen Lebensunterhalt aufzukommen und fände er bei einer Rückkehr Unterstützungs- und Unterkunftsmöglichkeiten, da sich seine gesamte Familie im Iran aufhalte (AS 231 f.).

I.2.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Iran traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.

I.2.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK dar. Zudem sei die Abschiebung zulässig, da kein Sachverhalt im Sinne des § 50 Abs 1, 2 und 3 FPG vorliege.

I.3. Gegen diesen Bescheid wurde wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, mangelhafter bzw. unrichtiger Bescheidbegründung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

I.3.1. Der BF legte dar, dass die belangte Behörde ihre Ermittlungspflicht verletzt und ihre Entscheidung nicht bzw. nur unzureichend begründet habe. Die belangte Behörde habe bei der Entscheidungsfällung die Diskriminierung von Minderheiten und Andersgläubigen, sowie die Praxis der regelmäßig verhängten und vollzogenen Todesstrafen außer Acht gelassen.

I.3.2. Der BF beantragte,

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den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dem BF den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen;

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in eventu dem BF den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen;

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allenfalls die Rückkehrentscheidung aufzuheben und die Abschiebung auf Dauer für unzulässig zu erklären ;

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eine mündliche Verhandlung anzuordnen (AS 277).

I.4. Hinsichtlich des Verfahrensherganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

II.1.1. Der Beschwerdeführer

Beim BF handelt es sich um einen männlichen, iranischen Staatsbürger, welcher die Sprache Kurmandschi und Farsi spricht. Der BF ist Angehöriger der Volksgruppe der Kurden und sunnitischer Moslem. Der BF ist somit Drittstaatsangehöriger.

Der BF ist ein junger, arbeitsfähiger Mann, mit bestehenden familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage. Der BF leidet an Schlafstörungen mit Panikattacken. Der BF lehnt eine diesbezügliche Behandlung ab.

Die Mutter des BF, seine drei Schwestern und sein Bruder leben nach wie vor im Herkunftsstaat des BF.

Der BF hat keine Verwandten in Österreich. Der BF befindet sich in Grundversorgung und verfügt in Österreich über keine eigene, den Lebensunterhalt deckenden Mittel. Der BF geht keiner Beschäftigung nach. Der BF hat Bekannte in Österreich. Der BF ist bestrebt über Internet die deutsche Sprache zu erlernen.

Mit Urteil vom XXXX, GZ: XXXX, wurde der BF vom Landesgericht XXXX rechtskräftig wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten (Probezeit drei Jahre) verurteilt.

Die Identität des BF steht nicht fest.

II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat Iran:

Politische Lage

Höchste politische Instanz ist Ayatollah Ali Khamenei, der "Oberste Führer der Islamischen Revolution". Dieser verfügt als Ausdruck des Prinzips der "Herrschaft der Islamischen Rechtsgelehrten" über eine verfassungsrechtlich verankerte Richtlinienkompetenz, ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und hat das letzte Wort in politischen Grundsatz- und ggf. auch Detailfragen. Die beiden Kernelemente der "Herrschaft des Rechtsgelehrten" sind zum einen das "göttliche Recht" als einzige Quelle staatlicher Legitimität und politischer Autorität sowie zum anderen die verbindliche Interpretation dieses Rechts durch den religiösen (Revolutions-)Führer bis zur Wiederkehr des verborgenen Imams (AA 9.12.2015).

Seit 1979 ist der Iran eine Islamische Republik, wobei versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Kriterien beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden. Das iranische Regierungssystem ist ein präsidentielles, d.h. an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (derzeitiger Amtsinhaber seit 2013 Hassan Rohani). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird die Madschlis - Majlese Shorâ-ye Eslami / Islamische Beratende Versammlung -, ein Einkammerparlament, das (mit europäischen Parlamenten vergleichbare) legislative Kompetenzen hat sowie Regierungsmitgliedern das Vertrauen entziehen kann. Über dem Präsidenten, der lt. Verfassung auch Regierungschef ist, steht der Oberste Führer, seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei. Der Oberste Führer ist wesentlich mächtiger als der Präsident, ihm unterstehen u.a. die Revolutionsgarden (Pasdaran; Abk.: IRGC) und damit auch die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen. Für die entscheidenden Fragen der Islamischen Republik ist letztlich der Oberste Führer verantwortlich. Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern, sowie der Wächterrat mit 12 Mitgliedern (davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs vom Majlis gewählte Juristen). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Normenkontrolle), ist jedoch insgesamt wesentlich mächtiger als ein europäisches Verfassungsgericht. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei Wahlen (ÖB XXXX 10.2015, vgl. AA 9.12.2015, FH 27.1.2016). Weiters gibt es den Schlichtungsrat, der zwischen dem Parlament und dem Wächterrat, der als Verfassungsgericht fungiert vermittelt, wenn zwischen beiden ein Patt eintritt. Dann kann der Schlichtungsrat im Interesse der Staatsräson das Inkrafttreten eines Gesetzes erzwingen (FAZ 11.3.2015). Ausschließlich politische Parteien und Fraktionen, die sich dem Establishment und der Staatsideologie als loyal erweisen, ist es erlaubt, im Iran zu arbeiten. Reformistische Parteien und Politiker sind seit 2009 immer wieder unter Druck geraten (FH 27.1.2016).

Mit dem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen über das iranische Atomprogramm und der Einigung auf ein Abkommen ("Joint Comprehensive Plan of Action") geht die Hoffnung auf eine Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Iran und der internationalen Gemeinschaft einher. Nach der Implementierung der im Atomabkommen vorhergesehenen Bestimmungen (starke Einschränkung iranischer Atomanreicherung, Umbau des Reaktors in Arak) ist eine schrittweise Aufhebung der bisher bestehenden Sanktionen vorgesehen (ÖB XXXX 10.2015, vgl. AA 9.12.2015). Die Sanktionen der USA und EU gegen den Iran sind aufgehoben. Das teilten US-Außenminister John Kerry und die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini am 16.1.2016 in Wien mit. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) bescheinigte zuvor dem Iran, allen Verpflichtungen nachgekommen zu sein, die in dem 2015 geschlossenen Atomabkommen vereinbart wurden. Ohne Sanktionen wird der Iran unter anderem wieder viele Industriegüter frei einführen und Öl auf dem Weltmarkt frei verkaufen können. Zahlreiche westliche Länder warten darauf, wieder Geschäfte mit der Islamischen Republik machen zu können. Eine Reihe von Sanktionen, wie die zum Verkauf schwerer Waffen, bleibt jedoch noch für einige Jahre in Kraft. Beim Verstoß gegen die Vereinbarungen kann es zum Wiedereinsetzen der UN-Sanktionen ("snapback") kommen. Das wäre zugleich das Ende des Atom-Deals (Welt.de 16.1.2016).

Nach seiner Wahl zum Präsidenten kündigte der Kleriker Hassan Rohani in innen- und außenpolitischen Fragen einen moderaten Kurs und eine Abkehr von Extremismus und Konfrontation an. Rohanis Regierung von "Weitsicht und Hoffnung" (tadbir va omid) - so der Slogan seiner Wahlkampagne - gipfelte im Juli 2015 in der Unterzeichnung des "Gemeinsamen umfassenden Aktionsplans" (JCPOA), der vorläufigen Beilegung des Streits über das iranische Atomprogramm und der bevorstehenden wirtschaftlichen Öffnung des Landes. Gleichzeitig konnte Rohani die in ihn gesetzten - wohl auch zu optimistischen - Erwartungen hinsichtlich substantieller Reformen innerhalb des Landes nicht erfüllen. Dies mag auch daran liegen, dass er sein gesamtes politisches Kapital in die Nuklearfrage investiert (hat) und sein Handlungsspielraum gering ist. Tatsache ist, dass bis dato weder das Wahlversprechen Rohanis einer Lockerung der Zensur noch die Freilassung politischer Gefangener (von wenigen Ausnahmen zu Anfang seiner Regierungsperiode, die rückblickend eher den Eindruck einer PR-Kampagne erwecken, abgesehen) eingelöst wurden. Mir Hussein Moussavi und Mehdi Karroubi stehen nach wie vor unter Hausarrest. Twitter, Facebook, YouTube und Millionen anderer Websites sind weiterhin blockiert; regierungskritischen Nutzern sozialer Netzwerke drohen hohe Haftstrafen. Die Anzahl an Hinrichtungen stieg seit Rohanis Amtsübernahme an und verbleibt weiterhin auf hohem Niveau. Bislang gibt es auch keine stichhaltigen Hinweise, dass der erfolgreiche Abschluss der Verhandlungen zu einer größeren Dynamik hinsichtlich innerer Reformen führen wird. Die vorläufige Bilanz der Regierung Rohanis ist daher eher ernüchternd. Ein stärkerer Durchgriff der moderaten Regierungskräfte auf Sicherheitsapparat und Judikative zeichnete sich weder ab, noch erscheint er angesichts des internen Machtgefüges realistisch. Die Initiative einer Bürgerrechts-Charta der Regierung Rohani, die den Schutz der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte stärken soll, ist bislang ohne konkretes Ergebnis geblieben. Ein Entwurf der Charta wurde am 26. November 2013 veröffentlicht; die Annahme der endgültigen Version steht weiterhin aus. Allerdings wurde die Charta von MenschenrechtsverteidigerInnen als nicht weit genug gehend kritisiert, insbesondere da alle von ihr garantierten Rechte unter der Einschränkung "im Rahmen des Gesetzes" und der Voraussetzung, dass sie die "Prinzipien des Islam nicht verletzen" stehen (ÖB XXXX 10.2015). Zwei Jahre nach Amtsantritt von Präsident Hassan Rohani ist eine punktuelle Liberalisierung etwa im Bereich der Kulturpolitik und an Hochschulen spürbar, angekündigte grundlegende Reformen auf den Gebieten Pressefreiheit und Frauenrechte bleiben bislang aus. Verfassungsmäßige Vetorechte des Revolutionsführers und des von ihm ernannten Wächterrates sowie der Umstand, dass Spitzenfunktionäre in Justiz und Sicherheitsorganen vom Revolutionsführer ernannt werden, setzen der gewählten Regierung bei ihren Reformbemühungen sehr enge Grenzen (AA 9.12.2015).

Das Konstrukt der Islamischen Republik gibt regelmäßigen Wahlen einen festen Platz, schränkt aber die Kandidaten durch Vorselektion ein. Dies erlaubt einen begrenzten Wettbewerb innerhalb einer prinzipiell systemtreuen Elite, über den das Regime flexibel auf innere und äußere Herausforderungen reagiert. Rohani steht für das Lager der Pragmatiker und Technokraten. Deren Vertreter wollen die Stabilität des Regimes über wirtschaftliche Entwicklung und konstruktive Außenbeziehungen sichern. Rohanis Kandidatur wurde von einem breiten politischen Spektrum getragen - angefangen von den Reformern über die traditionelle Geistlichkeit bis hinein ins konservative Lager. Die iranischen Wähler wollten Veränderung, doch der Verlauf der Protestbewegung nach den Präsidentschaftswahlen von 2009 und auch das Beispiel Syriens hatten ihnen gezeigt, wohin die direkte Konfrontation mit einem gewaltbereiten Regime führen konnte. Also stimmten sie für graduellen Wandel und zeigten damit eine in der Region kaum erreichte politische Reife. Doch Rohanis Versprechen von mehr Freiheiten und Bürgerrechten blieb bislang weitgehend unerfüllt. Zwar sind in der Presse Tabus gefallen und sogar Regierungsmitglieder kommunizieren über die eigentlich zensierten sozialen Netzwerke im Internet. Auch veröffentlichte Rohani einen vielbeachteten Entwurf einer Charta der Bürgerrechte. Doch Justiz und Sicherheitsapparat tun alles, um den Eindruck von größerer Offenheit zu trüben. Trotz Freilassung einiger prominenter politischer Gefangener sitzen noch immer dutzende Aktivisten und Kritiker in Haft. Erneut wurden Zeitungen geschlossen und Generalstaatsanwalt Mohseni Ejei warnte vor einer Wiedereröffnung der unabhängigen Journalistengewerkschaft. Die Zahl der Hinrichtungen ist alarmierend. Der Iran drängt selbstbewusst auf die internationale Bühne und agiert dabei keinesfalls immer so, als wäre er nach Jahren der Konfrontation endlich durch internationalen Druck auf eine konziliante Linie gebracht worden. Rohani vertritt die Interessen des Regimes und handelt in Übereinstimmung mit dem Revolutionsführer (IPG 27.1.2014).

Parteien nach westlichem Verständnis gibt es nicht, auch wenn zahlreiche Gruppierungen nach dem iranischen Verfahren als "Partei" registriert sind. Bei Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen werden keine Parteien, sondern Personen gewählt. Zahlreiche reformorientierte Gruppierungen wurden seit den Präsidentschaftswahlen 2009 verboten oder anderweitigen Repressionen ausgesetzt (AA 1.2016a).

Die Machtkämpfe zwischen Hardlinern und Reformern dauern im Iran schon fast vierzig Jahre an. Nie zuvor jedoch disqualifizierten die greisen Kleriker des allmächtigen Wächterrates so viele Bewerber bei einer Parlamentswahl [26.2.2016] wie diesmal. Sieben lange Wochen dauerte das Ringen hinter den Kulissen, sieben kurze Tage der eigentliche Wahlkampf. Am Ende kam auf den Stimmzetteln ein Reformkandidat auf 30 Hardliner. Landesweit lag die Zahl der zugelassenen Politiker, die für eine Öffnung der Islamischen Republik eintreten, bei kümmerlichen 200 und damit sogar unterhalb der Gesamtmenge von 290 Wahlkreisen. Und trotzdem erteilte das Volk den durch beispiellose klerikale Machtwillkür dezimierten Mitstreitern des moderaten Präsidenten Hassan Rohani ein eindeutiges Mandat. In der 16-Millionen-Metropolregion XXXX eroberten die Reformer sämtliche Sitze. In der Provinz verschoben sich ebenfalls die Gewichte, wenn auch nicht so fundamental wie in der Hauptstadt. Noch stehen nicht alle Ergebnisse fest, weil in zwanzig Prozent der Wahlkreise Stichwahlen nötig sind. Doch die lähmende Dominanz der Erzkonservativen ist vorbei. Die Mehrheit der Iraner zeigte auf dem Stimmzettel, dass sie dem Ende des Atomkonflikts zustimmt und für mehr Offenheit und Pluralität im Inneren votiert. Hassan Rohani, der den Wahltag zu einem Referendum über seine Politik erklärt hatte, ist gestärkt. Er kann künftig bei der Regierungsbildung freier agieren. Das vorherige Parlament hatte mehreren Ministerkandidaten den Weg ins Kabinett verbaut, allein für den Hochschulminister brauchte der Regierungschef drei Anläufe. Zudem sind die Hardliner durch diese Niederlage mit ihrem Ziel gescheitert, den Handlungsspielraum des Präsidenten in einer möglichen zweiten Amtszeit ab 2017 einzuschränken. Nun aber hat Rohani gute Chancen, während der ersten Neuwahl eines Revolutionsführers in der Geschichte der Islamischen Republik Präsident zu sein. Machthaber Ali Chamenei ist betagt [76 Jahre] und hat [Prostata]Krebs. 2009 verhinderten er und seine erzkonservative Gefolgschaft den Ansturm der Reformer mit einer Unterdrückungskampagne. Doch seit dem Atomkompromiss verschieben sich die innenpolitischen Gewichte massiv. Das Volk will nach dem außenpolitischen Aufbruch nun auch die Umsetzung der Reformen im Inneren. 2013 bei seiner Wahl hatte Rohani den Bürgern sogar eine Grundrechtecharta in Aussicht gestellt, die die Willkürmacht der islamischen Herrschaft begrenzen soll. Gut zwei Jahre hielten die 81 Millionen Iraner still und ertrugen die Betonfraktion, wohl wissend, dass ihr Präsident zunächst den Atomstreit lösen würde. Die Zahl der Hinrichtungen stieg auf ein Rekordniveau, politische Aktivisten und sogar Musiker wurden zu drakonischen Haftstrafen verurteilt, Zeitungen geschlossen. Entsprechend lang ist die politische, soziale und kulturelle Forderungsliste der Menschen für die nächsten beiden Jahre - angefangen von Pressefreiheit und Parteienvielfalt bis hin zur Freilassung aller politischen Häftlinge, allen voran der Ikonen der Grünen Bewegung von 2009, die damaligen Präsidentschaftsbewerber Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karroubi. Ob Rohani diese Erwartungen erfüllen kann, ist ungewiss. Bei den Atomgesprächen jedenfalls entpuppte er sich als Meisterstratege. Und so könnte es jetzt auch daheim noch einige Überraschungen geben (Zeit Online 29.2.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran

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AA - Auswärtiges Amt (1.2016a): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Iran/Innenpolitik_node.html, Zugriff 21.2.2016

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FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (11.3.2015): Gewinn für die Hardliner,

http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/asien/machtgewinn-fuer-irans-hardliner-13477598.html, Zugriff 30.3.2016

-

FH - Freedom House (27.1.2016): Freedom in the World 2016, http://www.ecoi.net/local_link/320134/459362_de.html, Zugriff 21.3.2016

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IPG - Internationale Politik und Gesellschaft (27.1.2014): Wer jetzt Druck fordert, versteht den Iran nicht!

http://www.ipg-journal.de/kommentar/artikel/wer-jetzt-an-druck-glaubt-versteht-den-iran-nicht-244/, Zugriff 21.3.2015

-

ÖB XXXX (10.2015): Asylländerbericht

-

Wel.de (16.1.2016): Internationale Sanktionen gegen den Iran aufgehoben,

http://www.welt.de/politik/ausland/article151089740/Internationale-Sanktionen-gegen-den-Iran-aufgehoben.html, Zugriff 30.3.2016

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Zeit Online (29.2.2016): Neue Aufgabe für den Meisterstrategen, http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-02/iran-wahl-parlament-reformer-hassan-ruhani, Zugriff 24.2.2016

Sicherheitslage

Auch wenn die allgemeine Lage als ruhig bezeichnet werden kann, bestehen latente Spannungen im Land, speziell in den größeren Städten. Sie haben in der Vergangenheit gelegentlich zu Kundgebungen geführt, besonders während (religiösen) Feiertagen und Gedenktagen. Dabei ist es verschiedentlich zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gekommen, die Todesopfer und Verletzte gefordert haben. Das Risiko von Anschlägen kann nicht ausgeschlossen werden (EDA 21.3.2016). In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Seit den Pariser Anschlägen vom November 2015 haben iranische Behörden die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt XXXX, erhöht (AA 21.3.2016b).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen. Die iranische Regierung hat die Provinz im November 2007 für ausländische Staatsangehörige zur "no-go-area" erklärt. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschieht vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 21.3.2016b, vgl. BMEIA 21.3.2016).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gab es vor einigen Jahren wiederholte Anschlagsserien gegen lokale Repräsentanten aus Justiz, Sicherheitskräften und sunnitischem Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr bereits seit Frühjahr 2009 intensiviertes Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen noch einmal verstärkt. Seit März 2011 gab es in der Region wieder verstärkt Kampfhandlungen zwischen Militär und der kurdischen Separatistenorganisation PJAK mit mehreren Todesopfern auf beiden Seiten. Insbesondere die Grenzregionen zum Irak und die Region um die Stadt Sardasht waren betroffen. Trotz eines im September 2011 vereinbarten Waffenstillstandes kommt es weiterhin zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. In bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Revolutionsgarden und der PJAK nahe der Stadt Khoy, im iranisch-türkischen Grenzgebiet (Provinz West-Aserbaidschan), sind am 8.9.2015 zwei Angehörige der Revolutionsgarden getötet und zwei weitere verletzt worden. Daneben soll es zwei PJAK-Todesopfer und fünf verletzte PJAK-Mitglieder gegeben haben. In Kurdistan besteht ein erhöhtes Aufkommen an Sicherheitskräften, mit häufigen Kontrollen bzw. Checkpoints ist zu rechnen (AA 21.3.2016b, vgl. BMEIA 21.3.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.3.2016b): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise,

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/IranSicherheit.html, Zugriff 21.3.2016

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BMeiA - Bundesminsterium für europäische und internationale Angelegenheiten (21.3.2016): Reiseinformation Iran, http://www.bmeia.gv.at/aussenministerium/buergerservice/reiseinformation/a-z-laender/iran-de.html, Zugriff 21.3.2016

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EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (21.3.2016): Reisehinweise Iran, http://www.eda.admin.ch/eda/de/home/travad/hidden/hidde2/iran.html, Zugriff 21.3.2016

Bei der PJAK gibt es zwei Arten von Mitgliedschaft. Professionelle Mitglieder, die unter anderem auch militärisches Training erhalten und Waffen tragen. Diese sind unverheiratet und haben ihr Leben der PJAK gewidmet. Sie werden von der PJAK z.B. in kurdische Dörfer oder Städte gesandt, wo sie versuchen, die Leute zu organisieren und verschiedene Komitees und legale Organisationen gründen, um ihre Ideologie zu verbreiten. Professionelle Mitglieder nehmen an militärischen und politischen Aktivitäten der PJAK teil. Als zweite Gruppe werden die semi-professionellen oder lokalen Mitglieder genannt, die ein ganz normales Leben mit ihren Familien führen. Sie nehmen nicht an militärischen Aktivitäten teil, führen aber politische Aktivitäten aus, wie z.B. Flyer verteilen. Um ein semi-professionelles Mitglied zu werden, muss man das Ausbildungsprogramm der Partei durchlaufen. Neben diesen beiden Gruppen gibt es auch noch die Sympathisanten, die selten auch Flyer verteilen oder an Demonstrationen teilnehmen. Diese sind nicht direkt an der Organisation von Demonstrationen beteiligt und haben auch keine Verbindung zur Organisation der Partei. Die Sympathisanten arbeiten unter der Führung der semi-professionellen Mitglieder. Da die PJAK im Iran eine verbotene Organisation ist, müssen sowohl Mitglieder als auch Sympathisanten mit ernstzunehmenden Strafen rechnen, wenn ihre Aktivitäten enthüllt werden (DIS/DRC 30.9.2013).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran

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BMI - Langanger, Simone (2015): Kurdish political parties in Iran, in: BMI - Bundesministerium für Inneres (Taucher, Wolfgang; Vogl, Mathias; Webinger, Peter [eds.]): regiones et res publicae - The Kurds: History - Religion - Language - Politics, 2015 (veröffentlicht von BFA Staatendokumentation, verfügbar auf ecoi.net)

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1447760239_bfa-regiones-et-res-publicae-the-kurds-2015.pdf, Zugriff 29.3.2016

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DIS/DRC - Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (30.9.2013): Iranian Kurds, On Conditions for Iranian Kurdish Parties in Iran and KRI, Activities in the Kurdish Area of Iran, Conditions in Border Area and Situation of Returnees from KRI to Iran,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1380796700_fact-finding-iranian-kurds-2013.pdf, Zugriff 29.3.2016

-

Rudaw (27.10.2013a): PJAK Warns Iran of Retribution for Leader's Execution, http://rudaw.net/english/kurdistan/271020132, Zugriff 29.3.2016

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Rudaw (23.1.2014b): Iranian Repression of Kurds Behind Rise of Militant PJAK, http://rudaw.net/english/middleeast/iran/23012014, Zugriff 29.3.2016

Kurdish Democratic Party of Iran (KDPI/PDKI) und Komala(h) (Kurdistan Organization of the Communist Party of Iran, Komala, SKHKI)

Neben der PJAK stehen weitere kurdische Gruppierungen, denen die Regierung separatistische Tendenzen unterstellt, im Zentrum der Aufmerksamkeit der Sicherheitskräfte. Hierzu zählen insbesondere die marxistische Komalah-Partei und die Democratic Party of Iranian Kurdistan (DPIK). Letztere wird von der Regierung als konterrevolutionäre und terroristische Gruppe betrachtet, die vom Irak aus das Regime bekämpft. Berichten zufolge wurde der Kurde Mansour Arvand am 14. Juni 2015 erhängt, nachdem er wegen angeblicher Zusammenarbeit mit der DPIK unter dem Vorwurf "Kampf gegen Gott" verurteilt wurde. (AA 9.12.2015, vgl. BMI 2015).

Komala (SKHKI) hat ihre Zentrale in der Autonomen Kurdischen Region Irak. Es gibt Parteimitglieder und -sympathisanten. Organisiert ist sie in einzelnen Zellen, die von Mitgliedern geführt werden. Die Mitglieder einer Zelle teilen sich die Arbeit auf, aber nur eine Person nimmt Kontakt zur Zentrale auf. Sympathisanten hören das Parteiradio, schauen Komala TV und beteiligen sich an Aktivitäten, die von Komala empfohlen werden. Die Zellen fungieren als eine Art Schirmorganisation, die eine große Anzahl an Sympathisanten abdecken. Geheime Aktivitäten der Partei im Iran werden von der Einheit "Takesh" durchgeführt. Komala erlaubt ihren Mitgliedern im Iran nicht, sich in größeren Gruppen als zwei oder drei Personen zu treffen (DIS/DRC 30.9.2013).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran

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BMI - Langanger, Simone (2015): Kurdish political parties in Iran, in: BMI - Bundesministerium für Inneres (Taucher, Wolfgang; Vogl, Mathias; Webinger, Peter [eds.]): regiones et res publicae - The Kurds: History - Religion - Language - Politics, 2015 (veröffentlicht von BFA Staatendokumentation, verfügbar auf ecoi.net)

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1447760239_bfa-regiones-et-res-publicae-the-kurds-2015.pdf, Zugriff 29.3.2016

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DIS/DRC - Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (30.9.2013): Iranian Kurds, On Conditions for Iranian Kurdish Parties in Iran and KRI, Activities in the Kurdish Area of Iran, Conditions in Border Area and Situation of Returnees from KRI to Iran,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1380796700_fact-finding-iranian-kurds-2013.pdf, Zugriff 21.3.2016

Rechtsschutz/Justizwesen

Seit 1979 ist der Iran eine Islamische Republik, wobei versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Kriterien beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB XXXX 10.2015). In der Verfassung ist eine unabhängige Justiz verankert, in der Praxis steht sie unter politischem Einfluss. Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Der Oberste Führer ernennt den Chef der Judikative. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 25.6.2015).

In der Normenhierarchie der Rechtsordnung des Iran steht die Scharia an oberster Stelle. Darunter stehen die Verfassung und das übrige kodifizierte Recht. Die Richter sind nach der Verfassung angehalten, bei der Rechtsanwendung zuerst auf Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden. Im Zweifelsfall kann jedoch gemäß Art. 167, 170 der iranischen Verfassung die Scharia vorrangig angewendet werden.

Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative; Er ist laut Art. 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz; der Justizminister hat demgegenüber vorwiegend Verwaltungskompetenzen. In Iran gibt es eine Rechtsanwaltskammer ("Iranian Bar Association"; IBA) sowie das "Centre for Legal Consultants of the Judiciary", dessen Mitglieder ebenfalls als Rechtsanwälte tätig werden dürfen. Die IBA gilt als unabhängige Organisation und arbeitet mit vielen internationalen Anwaltskammern eng zusammen. Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen insbesondere in politischen Verfahren ausgesetzt. So kritisiert die IBA beispielsweise ein am 22.06.2015 in Kraft getretenes Gesetz, wonach Verteidiger von Angeklagten, denen politische oder sicherheitsgefährdende Straftaten vorgeworfen werden, zukünftig von der Justiz dafür zugelassen werden müssen (AA 9.12.2015).

Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Einschränkungen. Die Vorgehensweise zahlreicher Gerichte bei politischen Verfahren lässt darauf schließen, dass die Justiz in der Praxis nicht unabhängig ist, weder gegenüber der Exekutive noch gegenüber dem Revolutionsführer. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane - wie etwa der Geheimdienst oder die Revolutionsgarden - trotz formalen Verbots in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung genommen haben. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption; nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit. Unzureichende Ausbildung der jungen Richter fördert zudem Abhängigkeit vom direkten Vorgesetzten (AA 9.12.2015).

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die "Sondergerichte für die Geistlichkeit" sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015).

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

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Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden";

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Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

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Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

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Spionage für fremde Mächte;

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Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

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Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

Durch entsprechende Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft und arbiträr weite Auslegung der Straftatbestände kann die Zuständigkeit anderer Gerichte umgangen werden. Grundsätzlich finden Verfahren mit politischem Bezug vor dem Revolutionsgericht statt, da die Anklage regelmäßig auf "Handlungen gegen die Sicherheit des Landes" lautet. Die Revolutionsgerichte sind mit besonders linientreuen Richtern besetzt. Die Verfahren vor Revolutionsgerichten sind häufig kurz und summarisch, eine umfassende Überprüfung des Sachverhalts findet kaum statt, die Verteidigung hat oft nur unzureichend oder keine Zeit zur Vorbereitung und zur angemessenen Verteidigung ihres Mandanten. In vielen Fällen findet trotz gegenteiliger Anweisung des Chefs der Judikative keine oder nur eine mangelhafte Verteidigung durch einen Anwalt statt. Gegen Entscheidungen der ordentlichen Strafgerichte und der Revolutionsgerichte können Rechtsmittel zunächst beim Berufungsgericht und dann beim Obersten Gerichtshof eingelegt werden, die jeweils spezielle Kammern für Verfahren vor dem Revolutionsgericht haben. Bei Todesurteilen, Haftstrafen von mehr als zehn Jahren und Amputationsstrafen ist der Oberste Gerichtshof alleinige Rechtsmittelinstanz (AA 9.12.2015, vgl. AI 24.2.2015).

Im Juni 2015 trat die neue Strafprozessordnung in Kraft, die nahezu ein Jahrzehnt in Arbeit war. Es sind nun einige überfällige Reformen im Justizsystem enthalten, wie Einschränkungen der provisorischen Untersuchungshaft bei Fällen von Fluchtgefahr oder Gefahr für die öffentliche Sicherheit, striktere Regulierungen betreffend Befragungen von beschuldigten Personen und die Ausweitung des Rechts auf einen Anwalt. Nichtsdestotrotz scheitert die Strafprozessordnung an vielen großen Mängeln im iranischen Strafjustizsystem (AI 11.2.2016). Die neue Strafprozessordnung verbesserte zwar den Zugang von Häftlingen zu einem Rechtsbeistand; sie garantierte allerdings nicht den Kontakt zu einem Rechtsanwalt unmittelbar nach der Festnahme. Dies wäre aber notwendig, um Häftlinge vor Folter zu schützen. Außerdem konnte die Staatsanwaltschaft Rechtsbeiständen die Einsicht in die Fallakten ihrer Mandanten teilweise oder gänzlich verweigern, wenn sie der Ansicht war, dass eine Akteneinsicht "die Wahrheitsfindung" behindern würde, sowie in Fällen, die die innere oder äußere Sicherheit betreffen. Damit wurde das Recht der Rechtsanwälte auf eine angemessene Vorbereitung der Verteidigung behindert. Im August 2014 brachte die Justiz- und Gesetzeskommission des Parlaments einen Gesetzentwurf ein, um das geplante Inkrafttreten der neuen Strafprozessordnung im Oktober zu verschieben. Begründet wurde dies mit "ernsthaften Problemen und Hindernissen bei der Umsetzung". Die Gesetzesvorlage zielte außerdem darauf ab, geplante Reformschritte wieder rückgängig zu machen, indem Änderungen zu 19 Artikeln vorgeschlagen wurden, in denen es zumeist um einen besseren Zugang zu Rechtsbeiständen ging (AI 25.2.2015).

Gerichte verurteilten Angeklagte weiterhin in Abwesenheit eines Rechtsbeistandes und aufgrund von "Geständnissen" oder anderen Informationen, die durch Folter und Misshandlung erpresst worden waren. In einigen Fällen wurden auf Anordnung der Behörden bereits vor der Gerichtsverhandlung "Geständnisse" der Angeklagten im staatlichen Fernsehen ausgestrahlt und damit gegen die Unschuldsvermutung verstoßen. Im September 2014 verabschiedete das Kabinett ein Gesetz über die Anwaltschaft, das von den Justizbehörden entworfen worden war, und legte es dem Parlament zur Zustimmung vor. Der Gesetzentwurf diskriminiert Nichtmuslime, weil er sie vom Vorstand der iranischen Rechtsanwaltskammer ausschließt. Auch die Unabhängigkeit der Kammer ist durch den Entwurf gefährdet (AI 24.2.2015).

Das iranische Strafrecht ist islamisch geprägt. Es ist kodifiziert im "Gesetz über die islamischen Strafen" vom 30. Juli 1991. Die letzte Änderung des Gesetzes trat am 18.06.2013 in Kraft. Zudem existieren einige strafrechtliche Nebengesetze, darunter das Betäubungsmittelgesetz sowie das Antikorruptionsgesetz. Die statuierten Straftatbestände und Rechtsfolgen enthalten zum Teil unbestimmte Formulierungen. Den Kern des "Scharia-Strafrechts", also des islamischen Strafrechts mit seinen z.T. erniedrigenden Strafen wie Auspeitschung, Verstümmelung, Steinigung, sowie der Todesstrafe bilden die Abschnitte zu den Qesas-und Hudud-Delikten:

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"Hudud" (Verstoß gegen das Recht Gottes) enthält Straftatbestände, die im Koran und in der Sunna genauer beschrieben sind, wie z.B. Diebstahl, Raub, Alkoholgenuss, Sexualstraftaten inkl. Homosexualität und Unzucht, sowie Verbrechen gegen Gott. Zu all diesen Tatbeständen enthält das Gesetz detaillierte Beweisregelungen, nach denen der Täter jeweils nur bei Geständnis oder ihn belastenden Aussagen mehrerer Zeugen verurteilt werden soll.

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"Qesas"(Vergeltung) ist gekennzeichnet durch das Prinzip der körperlichen Vergeltung für die Tatbestände Mord und Körperverletzung mit Folge des Verlustes von Gliedmaßen. Hierbei können Geschädigte oder deren Familie selbst bestimmen, ob sie auf Vergeltung bestehen oder sich mit einer Schadensersatzzahlung zufrieden geben ("Diyeh" oder "Dyat", sog. Blutgeld; Minimalsatz rund 31.500 €). Für die in Art. 13 der Verfassung genannten religiösen Minderheiten ist Blutgeld in gleicher Höhe zu zahlen wie für die Tötung von Muslimen (AA 9.12.2015).

Die "Taazirat"-Vorschriften (vom Richter verhängte Strafen), Strafnormen, die nicht auf religiösen Quellen beruhen, bezwecken in erster Linie den Schutz des Staates und seiner Institutionen. Während für Hudud- und Qesas- Straftaten das Strafmaß vorgeschrieben ist, hat der Richter bei Taazirat-Vorschriften einen gewissen Ermessensspielraum (AA 9.12.2015).

Die seit Juli 2008 kontrovers zwischen Parlament und Wächterrat diskutierte Strafrechtsnovelle ist im Juni 2013 in Kraft getreten. Entgegen anfänglicher Erwartungen ist die Steinigung als Bestrafung für Ehebruch noch immer vorgesehen, auch wenn der Richter auf eine andere Form der Hinrichtung ausweichen kann. Darüber hinaus wurden alternative Maßnahmen für Kinder im Alter von 9 bis 15 implementiert, wie zum Beispiel Besuche beim Psychologen oder die Unterbringung in einer Besserungsanstalt, Auch nach neuem Strafrecht ist die Verhängung der Todesstrafe für Minderjährige möglich, wobei im Einzelfall auch die mangelnde Reife des Täters festgestellt und stattdessen eine Haft- oder Geldstrafen verhängt werden kann (AA 9.12.2015).

Strafverfolgungspraxis ist insbesondere in Bezug auf politische Überzeugungen diskriminierend. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, teils, weil ihnen das Recht verwehrt wird, teils, weil ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten, z.B. Spionage für das Ausland oder Drogendelikten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch (AA 9.12.2015).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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