TE Vwgh Erkenntnis 2017/11/22 Ra 2017/13/0010

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Veröffentlicht am 22.11.2017
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
14/01 Verwaltungsorganisation;
14/03 Abgabenverwaltungsorganisation;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §3;
AVG §6 Abs1;
AVOG 2010;
BAO §262;
BAO §263;
BAO §264;
BAO §278;
BAO §279;
BAO §291;
BAO §2a;
BAO §50;
BFGG 2014 §1;
B-VG Art133 Abs1 Z3;
VwGG §38;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):Ra 2016/13/0023 E 22. November 2017

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des R S in T, vertreten durch Dr. Markus Singer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilerstätte 17/3. Stock, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichtes vom 13. Oktober 2016, Zl. RV/7103438/2016, betreffend Feststellung der Unzuständigkeit des Bundesfinanzgerichtes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Bundesfinanzgerichtes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Auf der Grundlage eines Berichtes vom 29. Oktober 2014 über das Ergebnis einer beim Revisionswerber, einem Gastronomen, durchgeführten Außenprüfung erließ das Finanzamt Bescheide vom

13. und 19. November 2014 über die Wiederaufnahme von Verfahren betreffend Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 2009 bis 2011, Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 2009 bis 2012 sowie Festsetzung von Anspruchszinsen für die Jahre 2009 bis 2012.

2 Mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2014 gab der Vertreter des Revisionswerbers dem Finanzamt seine Bevollmächtigung bekannt. Er beantragte die Verlängerung der Beschwerdefrist bis zum 28. Februar 2015 und die Aussetzung der Einhebung der festgesetzten Abgaben sowie Anspruchszinsen.

3 Mit Schriftsatz vom 8. Jänner 2015, zur Post gegeben am 20. Jänner 2015, brachte der Vertreter des Revisionswerbers die Beschwerde gegen die Bescheide vom 13. und 19. November 2014 sowie gegen einen in den vorgelegten Akten nicht enthaltenen Bescheid vom 17. Dezember 2014 über die Abweisung eines Aussetzungsantrages ein.

4 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 10. März 2016 wies das Finanzamt "die Beschwerde vom 08.01.2015" als unbegründet ab, wobei es im Kopf dieser Entscheidung als Gegenstand der Beschwerde unter "Anspruchszinsen" nur solche für "2009 - 2011" anführte. In der Begründung der Beschwerdevorentscheidung wurde zu den Anspruchszinsen ohne Bezugnahme auf bestimmte Jahre auf die Abweisung bezüglich der "Grundlagenbescheide" verwiesen. Die Zustellung der Beschwerdevorentscheidung erfolgte am 15. März 2016.

5 Am 14. April 2016 sandte der Vertreter des Revisionswerbers - nach dem Vorbringen in der Revision - u.a. den mit diesem Datum versehenen, in den vorgelegten Akten in Kopien enthaltenen Vorlageantrag zur Beschwerde vom 8. Jänner 2015 per Telefax an das Finanzamt. Gegenstand des Vorlageantrages war auch die Beschwerde gegen den Bescheid über Anspruchszinsen für das Jahr 2012.

6 Am 13. Mai 2016 setzte das Finanzamt - nach dem Vorbringen in der Revision - Einbringungsmaßnahmen im Betrieb des Revisionswerbers, was am 17. Mai 2016 zu einem Telefonat des Vertreters des Revisionswerbers mit der Sachbearbeiterin des Finanzamtes führte. Dem Vertreter wurde dabei - nach dem Vorbringen in der Revision - mitgeteilt, sein Vorlageantrag und drei weitere per Telefax übermittelte Eingaben für den Revisionswerber vom 14. April 2016 seien beim Finanzamt nicht eingelangt. Er möge sie dem Finanzamt per E-Mail übermitteln.

7 Die vorgelegten Akten enthalten dazu den Ausdruck einer E-Mail des Vertreters des Revisionswerbers an das Finanzamt vom 17. Mai 2016 samt Beilagen, darunter der Vorlageantrag und der dazugehörige Sendebericht, der als Datum der Übermittlung "03/03/2011" angibt. Die Ausdrucke der E-Mail und des Vorlageantrages tragen handschriftliche Vermerke darüber, dass die Fax-Schreiben beim Finanzamt nicht eingelangt seien.

8 Mit E-Mail vom 14. Juni 2016 übermittelte der anwaltliche Vertreter dem Finanzamt Einzelentgeltnachweise, die für den 14. April 2016 vier Verbindungen mit dem Faxanschluss des Finanzamtes auswiesen.

9 Mit Vorlagebericht vom 13. Juli 2016 legte das Finanzamt dem Bundesfinanzgericht die Beschwerde vom 8. Jänner 2015 vor. Im Vorlagebericht wurde dargelegt, "vorrangig strittig" sei die "Rechtzeitigkeit" des - im Vorlagebericht mit 17. Mai 2016 datierten - Vorlageantrages. Ein Faxschreiben vom 14. April 2016 sei beim Finanzamt nicht eingelangt.

10 Die Richterin des Bundesfinanzgerichtes führte am 25. Juli 2016 ein Telefonat mit dem Finanzamt, in dem ihr mitgeteilt wurde, Fax-Protokolle aus der Zeit der behaupteten Übermittlung seien nicht mehr vorhanden. Eine Störung des Fax-Gerätes am 14. April 2016 sei nicht bekannt.

11 Mit Beschluss vom 25. Juli 2016 forderte die Richterin den Revisionswerber auf, das Einlangen des Faxschreibens, mit dem "angeblich" ein Vorlageantrag eingebracht worden sei, zumindest glaubhaft zu machen, da andernfalls kein zur Behandlung durch das Bundesfinanzgericht geeigneter Vorlageantrag vorliege. Hiezu verwies die Richterin u.a. auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach "ein per E-Mail eingebrachtes Anbringen keine zur Behandlung geeignete Eingabe darstellt".

12 In seiner dazu mit Schriftsatz vom 16. August 2016 erstatteten Äußerung legte der Vertreter des Revisionswerbers u. a. dar, das falsche Datum des Sendeberichtes sei darauf zurückzuführen, dass sein Gerät aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht richtig eingestellt gewesen sei, doch gehe aus den Einzelentgeltnachweisen hervor, dass und wann der Übertragungsvorgang stattgefunden habe. Er trat weiters der verwaltungsgerichtlichen Judikatur entgegen, wonach der Absender den Nachweis zu erbringen habe, dass die Faxübermittlung erfolgreich gewesen sei, und verwies dazu auf näher dargestellte zivilgerichtliche Judikatur. Das Gerät des Vertreters sei aber außerdem auch mit einem "Error Correction Mode" ausgestattet, was bei positivem Sendungsprotokoll bedeute, dass ein Übertragungsfehler auszuschließen sei. Die Faxeingabe müsse daher beim Finanzamt in Verstoß geraten sein. Es werde beantragt, dem Finanzamt die Vorlage des Empfangs- bzw. Speicherprotokolls seines Faxgerätes aufzutragen.

13 Dieser Äußerung schloss der anwaltliche Vertreter u. a. einen Aktenvermerk vom 17. Mai 2016 über Telefonate am 13. und 17. Mai 2016, eine eidesstattliche Erklärung seiner Kanzleileiterin über die Faxübermittlungen am 14. April 2016 sowie Kopien des Blattes mit den Einzelentgeltnachweisen und auch des Vorlageantrages mit dem Vermerk der Kanzleileiterin über die Abfertigung am 14. April 2016 an.

14 Der Spruch des nunmehr angefochtenen Beschlusses des Bundesfinanzgerichtes vom 13. Oktober 2016 lautet:

"Es wird die Unzuständigkeit des Bundesfinanzgerichtes festgestellt.

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig".

15 In der Begründung vertrat das Bundesfinanzgericht zur Beschwerdevorentscheidung die Ansicht, über die Beschwerde gegen den Bescheid betreffend Anspruchszinsen für das Jahr 2012 sei damit "nicht abgesprochen" worden. Die Beschwerde sei insoweit "ohne Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt" worden.

16 Zur strittigen Frage der Einbringung des Vorlageantrages legte das Bundesfinanzgericht dar, auf den Sendeberichten mit dem falschen Datum sei in Bezug auf das jeweils übermittelte Schriftstück "lediglich der Beschwerdeführer und sein rechtsfreundlicher Vertreter und das Finanzamt als Adressat des Schriftstückes, aber keinerlei Betreff" sichtbar (Anmerkung:

wiedergegeben ist jeweils die obere Hälfte der ersten Seite des Schriftstücks). Aus den Einzelentgeltnachweisen sei die Übermittlung "von nicht näher definierten Sendungen ersichtlich". Feststellungen über andere Faxeingaben des Vertreters des Revisionswerbers an das Finanzamt, auf die sich diese Sendeberichte und Einzelentgeltnachweise beziehen könnten, traf das Bundesfinanzgericht nicht.

17 Zum Antrag, dem Finanzamt die Vorlage eines Faxprotokolls "des angeblichen Übermittlungstages" aufzutragen, stellte das Bundesfinanzgericht fest, nach Auskunft des Bundesrechenzentrums würden die Protokolle nur drei Wochen lang aufbewahrt.

18 Ob die Eingabe eingelangt sei, sei eine Sachverhaltsfrage, die nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung zu beantworten sei. Das Bundesfinanzgericht sei aus näher dargestellten Gründen - darunter die Auskunft des Finanzamtes, einlangende Faxeingaben würden stets ordnungsgemäß bearbeitet - der Ansicht, dass der Nachweis des Einlangens der Faxeingabe nicht gelungen sei.

19 Zur späteren Übermittlung des Vorlageantrages als Anlage zu einer E-Mail sei auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach über eine "auf unzulässige Weise (mittels E-Mail) und damit nicht rechtswirksam" eingebrachte Eingabe kein Mängelbehebungsverfahren einzuleiten sei. Die Abgabenbehörde sei "nicht einmal befugt, das ‚Anbringen' als unzulässig zurückzuweisen, weil es sich bei einem solchen E-Mail eben nicht um eine Eingabe an die Behörde handelt".

20 Das Bundesfinanzgericht sei zur Entscheidung über eine Beschwerde nur zuständig, wenn zuvor die Abgabenbehörde mit Beschwerdevorentscheidung entschieden habe und dagegen ein Vorlageantrag erhoben worden sei (Hinweis auf VwGH 29.1.2015, Ro 2015/15/0001). Im vorliegenden Fall sei die zweite und in Bezug auf die Anspruchszinsen für das Jahr 2012 auch die erste dieser Voraussetzungen nicht erfüllt.

21 Zur Unzulässigkeit einer Revision legte das Bundesfinanzgericht dar, die Unzuständigkeit ergebe sich "unmittelbar aus dem Gesetz" (nochmaliger Hinweis auf das genannte Erkenntnis) und sowohl die Nichteinbringung eines rechtswirksamen Vorlageantrages als auch (bezüglich der Anspruchszinsen für das Jahr 2012) das Nichtvorliegen von Gründen für ein Absehen von einer Beschwerdevorentscheidung seien "reine Sachverhaltsfragen".

22 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision, deren Zulässigkeit u.a. damit begründet wird, dass das Bundesfinanzgericht von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Unzulässigkeit von Feststellungsbescheiden einer Behörde über ihre Unzuständigkeit abgewichen sei.

23 Das Finanzamt hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der auf diese Frage nicht eingegangen wird. Dem Beschluss des Bundesfinanzgerichtes sei "vollinhaltlich zu folgen". Als Gegenstand der Beschwerdevorentscheidung vom 10. März 2016 werden in der Darstellung des Sachverhalts u.a. "Anspruchszinsen 2009 - 2012" angeführt.

24 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

25 Die Revision ist aus dem in ihr genannten Grund zulässig und begründet.

26 Es trifft zu, dass das Bundesfinanzgericht zur Entscheidung (in der Sache) über eine Bescheidbeschwerde in der Regel nur zuständig ist, wenn zuvor bereits die Abgabenbehörde mit Beschwerdevorentscheidung entschieden hat und dagegen ein Vorlageantrag erhoben wurde (vgl. VwGH 29.1.2015, Ro 2015/15/0001).

27 Im vorliegenden Fall ist das Bundesfinanzgericht im Gegensatz zur Ansicht des Finanzamtes (in der Sachverhaltsdarstellung der Revisionsbeantwortung) und des Revisionswerbers (im Vorlageantrag) der Meinung, zu den Anspruchszinsen für das Jahr 2012 fehle es schon an einer Beschwerdevorentscheidung. Im Gegensatz zur ursprünglichen Meinung des Finanzamtes (bei der Vorlage der Beschwerde) und zur Meinung des Revisionswerbers verneint das Bundesfinanzgericht auch die Einbringung eines Vorlageantrages durch den Revisionswerber.

28 Der Behandlung der dadurch aufgeworfenen Frage, ob dies das Bundesfinanzgericht zur Erlassung des angefochtenen Beschlusses berechtigte, ist vorauszuschicken, dass schon die dargestellten Prämissen nicht mängelfrei begründet sind.

29 In Bezug auf die Anspruchszinsen für das Jahr 2012 hat sich das Bundesfinanzgericht nicht damit auseinandergesetzt, ob die Angabe der Jahreszahl "2011" statt "2012" im Kopf der Beschwerdevorentscheidung in Verbindung mit der uneingeschränkten Abweisung der auch gegen die Entscheidung über Anspruchszinsen für das Jahr 2012 gerichteten Beschwerde und der Begründung der Beschwerdevorentscheidung, die keinerlei Hinweise auf ein rechtliches Sonderschicksal der Anspruchszinsen für dieses Jahr enthält, nicht ein gemäß § 293 BAO berichtigungsfähiger Schreibfehler war (vgl. zu den Rechtsfolgen auch schon vor Durchführung der Berichtigung etwa die Ausführungen bei Hengstschläger/Leeb, § 62 AVG Rz 75, zu Berichtigungen gemäß § 62 Abs. 4 AVG; zu § 293 BAO etwa VwGH 26.2.2013, 2010/15/0064, m.w.N.).

30 In Bezug auf das Fehlen auch eines verspäteten und in diesem Fall gemäß § 264 Abs. 5 BAO vom Bundesfinanzgericht zu erledigenden Vorlageantrages greift der bloße Verweis des Bundesfinanzgerichtes auf Judikatur zu E-Mails zu kurz, weil der Vorlageantrag auch dem Schriftsatz vom 16. August 2016 angeschlossen war.

31 Was schließlich die Frage der rechtzeitigen Einbringung des Vorlageantrages mittels Telefax am 14. April 2016 anlangt, so wäre der Hinweis des Bundesfinanzgerichtes auf die mangelnde Zuordenbarkeit der Sendeberichte und Einzelentgeltnachweise zu den vier Eingaben nur im Hinblick auf vier andere in Betracht kommende Eingaben desselben Vertreters (im Fall der Sendeberichte auch: für dieselbe Partei) unter Verwendung derselben Faxnummer des Finanzamtes (im Fall der Einzelentgeltnachweise: am selben Tag) gedanklich nachvollziehbar. In der Argumentation des Bundesfinanzgerichtes wird weiters auf das Vorbringen, ein Misslingen der Übermittlung sei auf Grund des "Error Correction Mode" auszuschließen, nur mit Behauptungen eingegangen, die sich nicht auf konkrete Ermittlungsergebnisse gründen. Wenn ohne Beleg ins Treffen geführt wird, die "Hersteller von Faxgeräten" würden einräumen, "dass auch bei aktiviertem ECM aufgrund schlechter Telefonverbindungen manchmal Fehler auftreten können", so sagt dies auch nichts darüber aus, ob solche "Fehler" darin bestehen können, dass vier scheinbar gelungene Übertragungen beim Empfänger keine Spuren hinterlassen.

32 In der Revisionsbeantwortung merkt das Finanzamt zur Unterstützung der Meinung des Bundesfinanzgerichtes an, die Übermittlungsdauer im Sendebericht stimme mit der im Einzelentgeltnachweis jeweils nicht überein. Wenn die Sendeberichte drei Übermittlungen zu 52 Sekunden in unmittelbarer Aufeinanderfolge und eine vierte in der Dauer von einer Minute und drei Sekunden 19 Minuten später ausweisen und in den Einzelentgeltnachweisen drei unmittelbar aufeinanderfolgende Verbindungen in der Dauer von je 59 Sekunden und eine in der Dauer von einer Minute und zehn Sekunden 18 Minuten später aufscheinen, so scheint dies aber eher dafür als dagegen zu sprechen, dass hier jeweils derselbe Vorgang aufgezeichnet wurde.

33 Zu der bekämpften Feststellung war das Bundesfinanzgericht aber jedenfalls - auch ausgehend von seinen Annahmen - nicht zuständig, weil die BAO kein Zwischenverfahren darüber vorsieht, ob die Zuständigkeit zur Erledigung einer Beschwerde vom Finanzamt auf das Bundesfinanzgericht (auch im Sinne des § 291 BAO) übergegangen oder dies trotz Vorlage der Beschwerde wegen des (nicht durch eine der Ausnahmen des § 262 Abs. 2 bis 4 BAO gedeckten) Fehlens einer (wirksam zugestellten) Beschwerdevorentscheidung oder mangels eines (wirksam eingebrachten) Vorlageantrages nicht der Fall ist.

34 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Judikatur zu anderen Fällen einer angenommenen Unzuständigkeit wiederholt ausgesprochen, die Zuständigkeitsfrage könne nicht zum Gegenstand eines von der Erledigung des Sachbegehrens unabhängigen Feststellungsbescheides gemacht werden. Bedürfe es einer bescheidmäßigen Wahrnehmung der Unzuständigkeit, so habe sie in der Form einer Zurückweisung des Anbringens zu erfolgen (vgl. in diesem Sinn zunächst VwGH 14.5.1959, 187/57, VwSlg 4974/A; 14.9.1970, 1297/69; 21.6.1994, 92/07/0203; 22.12.2005, 2004/07/0010; 31.1.2008, 2007/06/0210).

35 Nach dem Erkenntnis eines verstärkten Senates (VwGH 30.5.1996, 94/05/0370, VwSlg 14.475/A) kommt eine Zurückweisung freilich nicht in Betracht, wenn eine richtig bei der Erstbehörde eingebrachte Berufung einer falschen Berufungsbehörde vorgelegt wird. Dieses Erkenntnis sprach aus, "mit einer Zurückweisung der Berufung wegen Unzuständigkeit" werde "über die Berufung endgültig entschieden" und eine solche Entscheidung finde nicht Deckung in § 66 Abs. 4 AVG, weil keiner der darin (wie nunmehr in § 260 Abs. 1 BAO für die Beschwerde) normierten Zurückweisungsgründe der Unzulässigkeit oder Verspätung vorliege und die allenfalls vorgenommene Bezeichnung der Berufungsbehörde durch die Partei nicht zu dem in § 63 Abs. 3 AVG (wie in § 250 Abs. 1 BAO für die Beschwerde) gesetzlich vorgesehenen Inhalt der Berufung gehöre. Die Anwendbarkeit dieser Judikatur auf Maßnahmenbeschwerden an unabhängige Verwaltungssenate wurde zum Teil nicht angenommen (VwGH 23.6.2009, 2009/06/0085, 0086, Aufhebung einer Feststellung der Unzuständigkeit mit Verweis auf die dargestellte Judikatur und den Vorrang der Zurückweisung; anders die spätere Erledigung eines Parallelfalles, VwGH 28.2.2011, 2010/17/0279), zum Teil aber auch bejaht (VwGH 21.9.2005, 2005/13/0064).

36 Zum VwGVG wird judiziert, als förmlicher Abspruch über die Nichtzuständigkeit eines Verwaltungsgerichtes für eine (richtig eingebrachte, aber falsch vorgelegte) Beschwerde komme "nur ein Zurückweisungsbeschluss in Betracht". Eine solche Zurückweisung sei aber - anders, als für Berufungen vom verstärkten Senat ausgesprochen - keine "abschließende" Erledigung der Beschwerde. Zum Erfordernis eines förmlichen Abspruchs wird auf die Voraussetzungen für eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes im neu eingeführten Verfahren über Kompetenzkonflikte verwiesen (vgl. grundlegend VwGH 24.6.2015, Ra 2015/04/0035, VwSlg 19.148/A, mit Verweis auf VwGH 18.2.2015, Ko 2015/03/0001, VwSlg 19.052/A; zuletzt etwa VwGH 20.9.2017, Ro 2017/11/0001, in Punkt III.1. der Begründung). Fasst ein Verwaltungsgericht einen auf § 3 AVG gestützten Feststellungsbeschluss über seine Unzuständigkeit, so wird er als Zurückweisung (mit lediglich feststellender Wirkung) gedeutet (VwGH 23.3.2017, Ro 2017/11/0002, Rn 17).

37 Die Zuständigkeitsverteilung zwischen Finanzämtern und dem Bundesfinanzgericht fällt nicht in die neu geschaffene Kompetenz des Verwaltungsgerichtshofes zur Entscheidung von Kompetenzkonflikten zwischen Verwaltungsgerichten oder zwischen einem Verwaltungsgericht und dem Verwaltungsgerichtshof (Art. 133 Abs. 1 Z 3 B-VG). Die Voraussetzungen eines solchen Verfahrens können in einem Fall wie dem vorliegenden daher nicht herangezogen werden, um das Erfordernis eines förmlichen Abspruchs zu begründen. Dass ein solcher Abspruch im hier gegebenen Zusammenhang - im Sinne des vom Bundesfinanzgericht im vorliegenden und in vergleichbaren Fällen gewählten Vorgehens - eher in einem Feststellungsbeschluss als in einer (in § 260 Abs. 1 BAO nicht vorgesehenen und anders als die dort vorgesehenen Zurückweisungen nicht als abschließend zu deutenden) Zurückweisung der fehlerfrei eingebrachten Eingabe zu bestehen hätte, lässt sich für den angefochtenen Beschluss auf diesem Weg nicht ins Treffen führen.

38 Können Feststellungsbescheide im öffentlichen Interesse oder im Rechtsschutzinteresse einer Partei auch dann zulässig sein, wenn sie nicht gesetzlich vorgesehen sind (vgl. dazu Hengstschläger/Leeb, a.a.O., § 56 Rz 73 ff), so müsste dies im Prinzip auch für Feststellungen in Zuständigkeitsfragen gelten, woraus unter dem Blickwinkel des § 93a BAO - vorbehaltlich der dem Wortlaut nach entgegenstehenden Anordnung des § 279 Abs. 1 erster Satz BAO, wonach das Verwaltungsgericht außer in den Fällen des § 278 BAO immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden hat - folgen könnte, dass auch das Bundesfinanzgericht einen Feststellungsbeschluss in einer Zuständigkeitsfrage fassen kann. In Fällen, in denen die Zulässigkeit einer (beantragten bescheidmäßigen) Feststellung in einer Zuständigkeitsfrage in ausdrücklicher Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung zur Zulässigkeit nicht gesetzlich vorgesehener Feststellungen geprüft wurde, wurde das Vorliegen einer die Feststellung rechtfertigenden Situation bisher aber jeweils verneint (vgl. VfGH 1.6.1962, B 62/62, VfSlg 4197; VwGH 31.1.2008, 2007/06/0210). Der Verfassungsgerichtshof verwies dazu auf die Möglichkeit der Herbeiführung einer (auch die Klärung der Zuständigkeitsfrage ermöglichenden) Entscheidung in der Sache mit den Mitteln des Säumnisschutzes.

39 Der vorliegende Fall liegt - wieder abgesehen von der ausdrücklichen Anordnung in § 279 Abs. 1 erster Satz BAO - nicht anders. Verneint das Bundesfinanzgericht nach der Vorlage der Beschwerde zu Unrecht seine Zuständigkeit, weil es fälschlich annimmt, es fehle (ohne Rechtfertigung durch eine der Ausnahmen des § 262 Abs. 2 bis 4 BAO) an einer (wirksam zugestellten) Beschwerdevorentscheidung oder es sei kein Vorlageantrag (wirksam) eingebracht worden, und unterlässt es daher die Erledigung der Beschwerde, so steht beiden Parteien (vgl. zur Amtspartei VwGH 6.4.2016, Fr 2015/03/0011) des Verfahrens vor dem Bundesfinanzgericht der Fristsetzungsantrag an den Verwaltungsgerichtshof offen. Dem Revisionswerber ist daher beizupflichten, wenn er gegen die Zuständigkeit des Bundesfinanzgerichtes zu der bekämpften Feststellung ins Treffen führt, die Frage, ob ein Vorlageantrag eingebracht worden sei, lasse sich "im Rahmen des Säumnisrechtsschutzes klären".

40 Dem ist hinzuzufügen, dass zwar - kraft eines Größenschlusses aus § 50 zweiter Satz BAO, den gemäß § 2a BAO auch das Bundesfinanzgericht zu beachten hat - auch eine richtig eingebrachte und nur vielleicht falsch (im hier gegebenen Zusammenhang: zu früh) vorgelegte Beschwerde an die richtige Stelle weiterzuleiten sein wird. Ein Fall eines zumindest vermeintlich falschen Einschreitens mit Weiterleitung "auf Gefahr des Einschreiters" liegt jedoch nicht vor. Auf das Verhältnis zwischen Finanzamt und Bundesfinanzgericht bei der Behandlung der unstrittig richtig eingebrachten Beschwerde ist auch die Judikatur zu der (§ 50 BAO entsprechenden) Bestimmung des § 6 Abs. 1 AVG insoweit, als ein Erlöschen von Entscheidungspflichten selbst durch falsche Weiterleitungen angenommen und das Erfordernis eines "Beharrens" der vermeintlich falsch einschreitenden Partei für ein Wiederaufleben der Entscheidungspflicht der zuständigen Behörde vertreten wird, nicht übertragbar. Verneint das Bundesfinanzgericht aus Gründen wie den hier behandelten zu Unrecht seine Zuständigkeit, so ist die Entscheidungspflicht nach Ablauf der in § 291 BAO normierten Frist auch dann verletzt, wenn das Bundesfinanzgericht die Beschwerde an das nicht mehr zuständige Finanzamt zurück- oder an eine andere nicht zuständige Stelle weitergeleitet hat.

41 Bei dieser Sachlage erübrigt sich eine Auseinandersetzung damit, dass der Spruch des angefochtenen Beschlusses auch insoweit, als das Fehlen einer Beschwerdevorentscheidung angenommen wurde, eine uneingeschränkte Feststellung der Unzuständigkeit des Bundesfinanzgerichtes enthält und erst aus den Gründen ersichtlich ist, dass die Unzuständigkeit wohl insoweit nur vorläufig sein soll. Das Bundesfinanzgericht, auf das die Zuständigkeit in dieser Rechtssache seiner Ansicht nach insgesamt nicht übergegangen war, hat mit der bekämpften Entscheidung eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihm unabhängig davon, ob seine Ansicht zutraf oder nicht, nicht zukam.

42 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Bundesfinanzgerichtes aufzuheben.

43 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 22. November 2017

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017130010.L00

Im RIS seit

20.12.2017

Zuletzt aktualisiert am

07.02.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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