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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
BAO §278 Abs1 idF 2013/I/014;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und den Hofrat Dr. Nowakowski sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf in 1030 Wien, Marxergasse 4, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichtes vom 3. Dezember 2015, Zl. RV/7103087/2008, betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 1996 bis 2002 (mitbeteiligte Partei: F K in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Im Bericht vom 5. Juli 2005 über eine beim Mitbeteiligten erfolgte abgabenbehördliche Prüfung hielt die Prüferin fest, dass dem Mitbeteiligten im gerichtlichen Finanzstrafverfahren aufgrund beschlagnahmter Unterlagen vorgeworfen worden sei, zwischen 1995 und 2002 massiv Gründungshandlungen von Baufirmen betrieben und Drittstaatsangehörige als handelsrechtliche Geschäftsführer an die Anteilsinhaber zu gründender Baufirmen vermittelt zu haben. Dadurch seien "Firmenmäntel" entstanden, die über Vermittlung des Mitbeteiligten verkauft worden seien. Auch die in der Baubranche notwendigen gewerberechtlichen Geschäftsführer habe der Mitbeteiligte vermittelt. Im Rahmen von Hausdurchsuchungen bei anderen Personen seien Unterlagen beschlagnahmt worden, in denen "massenhaft" Anhaltspunkte für durch den Mitbeteiligten verwirklichte Firmengründungen und Vermittlungen von gewerberechtlichen Geschäftsführern gefunden worden seien. Weiters folge aus diesen Unterlagen, dass der Mitbeteiligte bei diversen (in der Beilage 1 des Berichts aufgelisteten) Baufirmen vorübergehend als Gesellschafter und/oder handelsrechtlicher Geschäftsführer fungiert habe. Dabei habe es sich lediglich um "Firmenmäntel" gehandelt, die der Mitbeteiligte anschließend in der Baubranche veräußert habe. Aus niederschriftlichen Zeugeneinvernahmen von mehr als 300 gewerberechtlichen Geschäftsführern habe sich eine Gründungs- und Vermittlungstätigkeit des Mitbeteiligten für 89 Firmen ergeben. Diesen Niederschriften sei in der Regel auch ein Geldfluss zu entnehmen.
2 Da der Mitbeteiligte keine Steuererklärungen eingereicht und trotz wiederholter Zusage keine Bücher und Aufzeichnungen vorgelegt habe, seien die Besteuerungsgrundlagen nach § 184 BAO im Wege der Schätzung zu ermitteln. Dabei seien die im Zuge der Auswertung der Unterlagen und der durchgeführten Zeugen- und Beschuldigteneinvernahmen festgestellten Beträge zugrunde zu legen. Da nicht davon ausgegangen werden könne, dass die sich aus den Unterlagen ergebende Anzahl an Firmengründungen durch den Mitbeteiligten vollständig sei, erfolge eine Zuschätzung in Höhe von 20 %. In weiterer Folge schlüsselte die Prüferin - ausgehend von (Netto-)Einnahmen pro Firmengründung in Höhe von ATS 30.000,-- - die geschätzten Einnahmen des Mitbeteiligten für Firmengründungen in den Jahren 1997 bis 2002 im Detail auf und hielt fest, dass diese umsatzsteuerrechtlich mit dem Normalsteuersatz zu besteuern seien. Hinsichtlich der Vermittlung von gewerberechtlichen Geschäftsführern führte die Prüferin aus, dass die vom Mitbeteiligten erzielten Einnahmen unter Zugrundelegung der sich aus den Unterlagen über die Zeugen- und Beschuldigteneinvernahmen festgestellten Beträge zu schätzen seien. Aus den Einvernahmen ergebe sich eine größere Unvollständigkeit als bei den Firmengründungen, sodass eine Zuschätzung hinsichtlich der Anzahl der vermittelten Geschäftsführer um 30 % gerechtfertigt sei. Ausgehend von (Netto-)Einnahmen in Höhe von ATS 25.000,-- pro Vermittlung eines Baumeisters und ATS 15.000,-- pro Vermittlung eines Geschäftsführers im Baunebengewerbe schlüsselte die Prüferin die geschätzten Einnahmen des Mitbeteiligten aus der Vermittlung von gewerberechtlichen Geschäftsführern in den Jahren 1997 bis 2002 detailliert auf und hielt fest, dass diese umsatzsteuerrechtlich dem Normalsteuersatz zu unterwerfen seien. Weiters setzte die Prüferin für die (in der Beilage 2 des Berichts aufgelistete) Geschäftsführertätigkeit des Mitbeteiligten (Netto-)Einnahmen von monatlich ATS 15.000,-- an, die umsatzsteuerrechtlich dem Normalsteuersatz unterlägen. Darüber hinaus setzte die Prüferin im Schätzungsweg (Netto-)Einnahmen von ATS 225.170,-- jährlich aus künstlerischer Tätigkeit fest und wies darauf hin, dass der Mitbeteiligte selbst wiederholt angegeben habe, Einnahmen als Dichter und Liedtexter zu erzielen. Diese seien umsatzsteuerrechtlich dem ermäßigten Steuersatz von 10 % zu unterwerfen. Mangels Vorlage von Belegen seien für die Schätzung der Betriebsausgaben des Mitbeteiligten die Durchschnittssätze des § 17 EStG heranzuziehen und ein Vorsteuerabzug sei nicht zu gewähren.
3 Das Finanzamt folgte den Feststellungen der Prüferin und erließ am 21. Juli 2005 entsprechende Umsatz- und Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1996 bis 2002.
4 Gegen diese Bescheide erhob der Mitbeteiligte am 18. August 2005 Berufung und brachte vor, dass die Bescheide jeglicher Grundlage entbehrten, da er die geschätzten Einkünfte und Umsätze nicht erzielt habe. Der Mitbeteiligte beantragte die ersatzlose Behebung der Bescheide, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Entscheidung durch den Berufungssenat.
5 In einer Beantwortung eines Mängelbehebungsauftrages des Finanzamtes vom 21. Mai 2007 führte der Mitbeteiligte ergänzend aus, er sei nur vereinzelt in Gesellschaftsgründungen, Geschäftsanteilsabtretungen und Geschäftsführerbestellungen involviert gewesen und sei dies "auf rein freundschaftlicher Basis" erfolgt. Es gebe keinerlei Aussagen oder Belege, die eine Zahlung an ihn dokumentieren würden, sodass ihm keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb zugerechnet werden könnten. Weiters beantragte er die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit geschätzt mit ATS 206.404,50 abzüglich pauschaler Betriebsausgaben in Höhe von 12 % für die Jahre 1996 bis 2002 festzusetzen.
Umsatzsteuerrechtlich sei die Kleinunternehmerregelung nach § 6 Abs. 1 Z 27 UStG 1994 anwendbar. Im Übrigen habe ihm das Finanzamt keine vollständige Akteneinsicht in den Arbeitsbogen der Betriebsprüfung gewährt.
6 Mit dem angefochtenen Beschluss vom 3. Dezember 2015 hob das Bundesfinanzgericht die Bescheide des revisionswerbenden Finanzamts gemäß § 278 Abs. 1 BAO unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde auf und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.
7 In der Begründung führte das Bundesfinanzgericht aus, die Beschwerdesache sei nicht entscheidungsreif, da es insbesondere an Feststellungen fehle, von wem und in welcher Höhe der Mitbeteiligte für die beschwerdegegenständlichen Tätigkeiten (Firmengründungen und -verkäufe, Vermittlung von gewerberechtlichen Geschäftsführern, handelsrechtliche Geschäftsführung) Zahlungen erhalten habe. Aus den Zeugenaussagen gehe nicht hervor, dass ein Geldfluss an den Mitbeteiligten erfolgt sei. Die Zeugen hätten lediglich angegeben, ihrerseits Geld vom Mitbeteiligten erhalten zu haben. Die Abgabenbehörde hätte daher weitere Ermittlungen führen und etwa die "Geschäftspartner" des Mitbeteiligten gezielt befragen müssen. Im fortgesetzten Verfahren habe das Finanzamt diese Aspekte nach Wahrung des Parteiengehörs in die (voraussichtlich mangels Mitwirkung des Mitbeteiligten erforderliche) Schätzung und in die Bescheidbegründung miteinzubeziehen. Allenfalls seien Ermittlungen hinsichtlich der Lebenshaltungskosten des Mitbeteiligten erforderlich, um zu dokumentieren, ob der Mitbeteiligte mit den angegebenen Einkünften aus selbstständiger Arbeit überhaupt das Auslangen hätte finden können. Es sei nicht die Aufgabe des Bundesfinanzgerichts, erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt vollständig zu ermitteln und einer Beurteilung zu unterziehen. Im Hinblick auf den Umfang der durchzuführenden Ermittlungen, die das Ausmaß einer Betriebsprüfung erreichen würden und ohnehin im Amtshilfeweg durchzuführen wären, und den Umstand, dass bereits Hausdurchsuchungen stattgefunden hätten sowie Bescheide erlassen worden seien, ohne die näheren Umstände der Zahlungen an den Mitbeteiligten verfahrensrechtskonform zu ermitteln und in den Bescheidbegründungen festzustellen, erweise sich die Zurückverweisung als geboten. Die Durchführung dieser Ermittlungen durch das Bundesfinanzgericht sei im Hinblick auf deren Umfang unzweckmäßig. Die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes sowie die damit verbundene Gewährung des Parteiengehörs durch das Bundesfinanzgericht seien "keinesfalls" im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden.
8 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Amtsrevision des Finanzamts, in der zur Zulässigkeit vorgebracht wird, das Bundesfinanzgericht sei von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen des § 278 Abs. 1 BAO (§ 289 BAO aF) für eine Bescheidaufhebung und Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde abgewichen. Der Verwaltungsgerichtshof habe mehrfach betont, dass der unabhängige Finanzsenat bzw. das Bundesfinanzgericht grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden habe und die bloß kassatorische Erledigung die absolute Ausnahme darstelle. Das Bundesfinanzgericht habe den Mitbeteiligten weder zum Sachverhalt befragt, noch nachvollziehbar begründet, warum es zur Gänze davon Abstand genommen habe, eigene Ermittlungen anzustellen. Das Bundesfinanzgericht habe, in Verkennung der Rechtslage, eine Erhebung der Zahlungsflüsse an den Mitbeteiligten für erforderlich erachtet und eine vollständige Offenlegung der Besteuerungsgrundlagen verlangt, obwohl der Mitbeteiligte keine Unterlagen und Aufzeichnungen vorgelegt habe und seiner Mitwirkungspflicht in keiner Weise nachgekommen sei. Daher habe im vorliegenden Fall eine Verpflichtung zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen im Schätzungswege bestanden. Selbst wenn dem Bundesfinanzgericht der Sachverhalt ergänzungsbedürftig erscheine, stehe ihm die Möglichkeit offen, der Abgabenbehörde Ermittlungsaufträge zu erteilen, Erörterungstermine abzuhalten oder offene Fragestellungen in der beantragten mündlichen Verhandlung abzuklären. Von einer Beschleunigung des Verfahrens durch Kassation der Bescheide könne in einer Beschwerdesache, die mehr als sieben Jahre beim Bundesfinanzgericht anhängig gewesen sei, ohne dass eine Ermittlungshandlung gesetzt worden sei, nicht gesprochen werden. Hinzu komme, dass das Bundesfinanzgericht selbst eine unentgeltliche Leistungserbringung für nicht glaubwürdig erachte und aus dem Berufungsbegehren des Mitbeteiligten ersichtlich sei, dass er eine Festsetzung entsprechender Einkünfte wieder bekämpfen würde.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verfahrensakten durch das Bundesfinanzgericht - der Mitbeteiligte hat keine Revisionsbeantwortung erstattet - in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
10 Die Amtsrevision ist zulässig und begründet. 11 Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung
ausgesprochen hat, normiert § 278 Abs. 1 BAO idF FVwGG (abgesehen von den in lit. a und b vorgesehenen Formalentscheidungen) den Grundsatz des Vorrangs der Entscheidung in der Sache vor einer ausnahmsweisen Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde. Eine solche Aufhebung ist jedenfalls unzulässig, wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Die Ausnahmebestimmung (der Ermächtigung zur Aufhebung und Zurückweisung) ist, an den Zielsetzungen der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 orientiert, restriktiv (im Sinne eines engen Anwendungsbereiches) zu verstehen (vgl. zuletzt beispielsweise das Erkenntnis VwGH 26.1.2017, Ra 2015/15/0063, mwN).
12 Im angefochtenen Beschluss wird zur Begründung der Zurückverweisung ausgeführt, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst "keinesfalls" im Interesse der Raschheit gelegen wäre.
13 Dieser Begründung kann nicht gefolgt werden. Aus der Schilderung des Verfahrensablaufes im angefochtenen Beschluss selbst ergibt sich, dass seitens des Finanzamtes umfangreiche Prüfungshandlungen unter Beischaffung entsprechender Unterlagen (die Rede ist dazu im angefochtenen Beschluss auch von "tausenden Seiten") erfolgten. Mögen die vorliegenden Ermittlungsergebnisse nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes für eine abschließende Beurteilung auch noch nicht ausreichen, ist es nicht erkennbar, weshalb es nicht im Sinne einer raschen Feststellung des vom Bundesfinanzgericht für maßgeblich erachteten Sachverhaltes gelegen wäre, selbst im Rahmen der amtswegigen Ermittlungspflicht (unter Beachtung der Mitwirkungspflichten des Mitbeteiligten; vgl. z.B. Ritz, BAO6, § 115 Tz 6 ff) als notwendig erachtete Ermittlungsschritte (etwa auch unter ergänzender Befragung der Betriebsprüferin oder auch Erteilung - bestimmter - Ermittlungsaufträge an die Abgabenbehörde) zu setzen und nach Maßgabe der Grundsätze der freien Beweiswürdigung nach § 167 BAO den entscheidungswesentlichen Sachverhalt festzustellen. Weshalb demgegenüber "umfangreiche detaillierte Feststellungen" seitens des Finanzamtes eine Zurückverweisung der Sache im Interesse der Raschheit iSd § 278 Abs. 1 BAO (des im Übrigen bereits rund sieben Jahre laufenden Rechtsmittelverfahrens) rechtfertigen könnten, macht der angefochtene Beschluss nicht einsichtig.
14 Der angefochtene Beschluss erweist sich daher schon deshalb als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Wien, am 22. November 2017
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016130018.L00Im RIS seit
20.12.2017Zuletzt aktualisiert am
07.02.2018