TE Vfgh Beschluss 2017/11/30 KR1/2017

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.11.2017
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)

Norm

B-VG Art121 Abs1, Art126a
VfGG §36a, §36f Abs2

Leitsatz

Zurückweisung des Antrags des Rechnungshofes auf Feststellung der Befugnis zur Einsichtnahme in sämtliche Unterlagen der Flughafen Wien AG zum Zweck der Gebarungsüberprüfung hinsichtlich der Instandhaltung von Anlagen und Gebäudetechnik mangels sachlicher und zeitlicher Eingrenzung sowie mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des Prüfungsumfangs

Spruch

I. Der Antrag wird zurückgewiesen.

II. Der Bund (Rechnungshof) ist schuldig, der Flughafen Wien AG zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Begründung

I.       Sachverhalt, Antrag und Vorverfahren

1.       Der Rechnungshof stellte am 4. Juli 2017 gemäß Art126a B-VG den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge

"1. feststellen, dass der Rechnungshof befugt ist, zum Zwecke der Gebarungsüberprüfung der Flughafen Wien AG hinsichtlich der Instandhaltung von Anlagen und Gebäudetechnik in sämtliche Unterlagen der Flughafen Wien AG betreffend den Zeitraum bis zur Einbringung dieses Antrags Einsicht zu nehmen, und

2. aussprechen, dass die Flughafen Wien AG schuldig ist, diese Einsicht bei sonstiger Exekution zu ermöglichen".

2.       Dem Antrag des Rechnungshofes liegt folgender – außer Streit stehender – Sachverhalt zugrunde:

2.1.    Am 25. November 2016 informierte der Rechnungshof die Flughafen Wien AG und deren in ihrem Alleineigentum stehende (Tochter-)Gesellschaft "Vienna Airport Technik GmbH" über die beabsichtigte Durchführung einer Gebarungsüberprüfung an Ort und Stelle hinsichtlich der Instandhaltung von Anlagen- und Gebäudetechnik.

2.2.    Mit Schreiben vom 21. Dezember 2016 teilte der Vorstand der Flughafen Wien AG dem Rechnungshof mit, dass die angekündigte Prüfung des Rechnungshofes abgelehnt würde. In diesem Schreiben wurde vom Vorstand auf "die 2015 und 2016 erfolgte gravierende Änderung der Eigentümerstruktur der Flughafen Wien AG nach der Annahme eines Übernahmeangebotes der Airports Group Europe S.a.r.l. hingewiesen", die "durch Zukäufe aus dem Streubesitz mittler-weile 39,9 % der Anteile an der Flughafen Wien AG" halte. Aus dieser neuen Eigentümersituation ergebe sich, dass "keine faktische Beherrschung durch die öffentliche Hand mehr vorliegt". Im Detail verwies die Flughafen Wien AG auf zwei mit dem Schreiben übermittelte Gutachten, aus denen sich ergebe, dass eine "freiwillige Tolerierung einer Prüfung durch den Rechnungshof aus rechtlichen Gründen nicht zulässig" sei.

2.3.    Gestützt auf Art127 Abs3 zweiter Satz iVm Art126b Abs2 zweiter Satz B-VG beabsichtigten die Beauftragten des Rechnungshofes am 30. Jänner 2017 mit den Prüfungs- und Einschauhandlungen in den Räumlichkeiten der Flughafen Wien AG in 1300 Wien Flughafen zu beginnen. Die Durchführung der beabsichtigten Gebarungsüberprüfung wurde durch die Vertreter der Flughafen Wien AG abgelehnt und die Zuständigkeit des Rechnungshofes zur Gebarungsüberprüfung ausdrücklich bestritten.

3.       Der Rechnungshof stellte daraufhin am 4. Juli 2017 den vorliegenden Antrag, in dem er – nach Wiedergabe des soeben dargestellten Sachverhaltes – mit näherer Begründung ausführte, weshalb seine Prüfzuständigkeit gegeben sei.

4.       Die Flughafen Wien AG erstattete eine Äußerung, in der sie den inhaltlichen Ausführungen des Rechnungshofes entgegentrat. Der Verfassungsgerichtshof stellte es der Flughafen Wien Mitarbeiterbeteiligung Privatstiftung frei, eine Stellungnahme zum Gegenstand des Antrages abzugeben; die Flughafen Wien Mitarbeiterbeteiligung Privatstiftung erstattete in der Folge unter Verzeichnung von Kosten eine Stellungnahme.

II.      Erwägungen

Der Antrag ist unzulässig.

1.       Art126a B-VG beruft den Verfassungsgerichtshof zur Entscheidung über Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Rechnungshof und einem Rechtsträger (Art121 Abs1 B-VG) "über die Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen, die die Zuständigkeit des Rechnungshofes regeln". Nähere Bestimmungen über dieses Verfahren sind in den §§36a bis 36f VfGG enthalten.

2.       Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung bereits dargelegt hat, geht aus diesen Bestimmungen hervor, dass der Verfassungsgerichtshof nicht berufen ist, über abstrakte Meinungsverschiedenheiten zu judizieren; vielmehr muss die Meinungsverschiedenheit stets einen konkreten Anlassfall betreffen (so VfSlg 3430/1958, 3552/1959, vgl. idS auch zu Art148f B-VG VfSlg 14.697/1996, 16.547/2002; vgl. auch Hengstschläger, Rechnungshof-kontrolle, Kommentar, 2000, Art126a B-VG, Rz 3; Kroneder-Partisch, Art126a B-VG, in: Korinek/Holoubek et al. [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, 4. Lfg., 2001, Rz 5), wobei die Anrufung des Verfassungsgerichtshofes den Aufschub oder die Unterbrechung der betreffenden Amtshandlung zur Folge hat (§36b VfGG).

3.       Der Verfassungsgerichtshof hat auch wiederholt die Notwendigkeit betont, die beabsichtigte Amtshandlung hinsichtlich Gegenstand, Umfang und Form so bestimmt zu bezeichnen, dass die Feststellung ihrer Identität mit früheren oder späteren Amtshandlungen ermöglicht wird (VfSlg 3430/1958, 3552/1959; vgl. idS auch VfSlg 19.910/2014; Hengstschläger, aaO, Rz 12). Er hat weiters hervorgehoben, dass das Thema der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes durch den Umfang der Meinungsverschiedenheit begrenzt ist (vgl. zB VfSlg 19.910/2014 unter Verweis auf VfSlg 7944/1976).

4.       Der Umfang einer Meinungsverschiedenheit kann dabei durch die Konkretisierung eines sachlich (etwa durch die Bezugnahme auf ein konkret zu prüfendes Projekt) oder zeitlich abgetrennten Teiles der Gebarung erfolgen (vgl. dazu bereits VfSlg 3430/1958). Eine zeitliche Konkretisierung durch den Prüfungs-antrag ist dabei auch insofern erforderlich, als die Beantwortung der Frage, ob eine Zuständigkeit des Rechnungshofes zur Gebarungsüberprüfung besteht, je nachdem, für welchen Zeitraum eine Gebarungsüberprüfung beabsichtigt ist, unterschiedlich ausfallen kann. Die Prüfungszuständigkeit für vergangene Zeiträume bleibt nämlich auch dann aufrecht, wenn die Zuständigkeits-voraussetzungen im Prüfungszeitpunkt weggefallen sind (vgl. VfSlg 11.989/1989, 17.489/2005) oder der die Gebarung führende Rechtsträger nicht mehr existiert (s. VfSlg 10.609/1985, 13.346/1993). Die Zuständigkeitsvoraussetzungen müssen daher stets in jenem Zeitpunkt gegeben sein, in dem sich die zu prüfenden Gebarungsakte ereignet haben (vgl. Baumgartner, Art126b B-VG, in: Kneihs/Lienbacher [Hrsg.], Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht, 14. Lfg., 2014, Rz 9).

5.       Der zu beurteilende Antrag des Rechnungshofes ist auf die Feststellung gerichtet, "dass der Rechnungshof befugt ist, zum Zwecke der Gebarungsüberprüfung der Flughafen Wien AG hinsichtlich der Instandhaltung von Anlagen und Gebäudetechnik in sämtliche Unterlagen der Flughafen Wien AG betreffend den Zeitraum bis zur Einbringung dieses Antrags Einsicht zu nehmen".

Angesichts der Umschreibung des Prüfungsgegenstandes ("Instandhaltung von Anlagen und Gebäudetechnik"), die keine sachliche Eingrenzung des Prüfungsumfanges ermöglicht, muss der Anlassfall in diesem Fall auch durch den Prüfungszeitraum bestimmt werden. Der Antrag umfasst jedoch einen unbegrenzten Zeitraum, in dem unterschiedliche Beteiligungsverhältnisse an der Flughafen Wien AG bestanden haben. Im Hinblick auf die in der Vergangenheit erfolgten Änderungen der Beteiligungsverhältnisse an der Flughafen Wien AG müsste – auf Grund der zeitraumbezogenen Betrachtungsweise (vgl. Punkt II.4.) – auf die Frage des Bestehens einer Prüfungszuständigkeit möglicherweise unterschiedlich zu antworten sein (vgl. so auch VfSlg 16.547/2002). Der Antrag erweist sich daher mangels Eingrenzung eines Zeitraumes, für den die Gebarungsüberprüfung beabsichtigt ist, als nicht ausreichend bestimmt.

Zudem wird durch den vorliegenden – schlechthin auf die Überprüfung der Gebarung hinsichtlich der Instandhaltung von Anlagen und Gebäudetechnik betreffend den Zeitraum bis zur Einbringung gerichteten – Antrag eine Feststellung der Identität der beabsichtigten Amtshandlung mit früheren, aber auch mit späteren Amtshandlungen nicht ermöglicht (vgl. Punkt II.3.): So kann schon mangels näherer Konkretisierung (insbesondere in zeitlicher Hinsicht) nicht ausgeschlossen werden, dass auch Bereiche umfasst werden, in denen bereits ein Prüfungsverfahren durchgeführt wurde (zB Bericht des Rechnungshofes, Flughafen Wien AG; Projekt Skylink, Reihe Niederösterreich 2011/1 und Reihe Wien 2011/1; Bericht des Rechnungshofes, Flughafen Wien AG – Projekt Skylink; Follow-up-Überprüfung, Reihe Niederösterreich 2015/4 und Reihe Wien 2015/3; vgl. idS zu Art148f B-VG VfSlg 14.697/1996, wonach eine Meinungs-verschiedenheit über die Auslegung einer gesetzlichen Vorschrift, die die Zuständigkeit der Volksanwaltschaft regelt, an den Verfassungsgerichtshof nur aus Anlass eines anhängigen Kontrollverfahrens herangetragen werden kann, nicht aber nach Abschluss eines solchen Verfahrens; zustimmend Thienel/Leitl-Staudinger, Art148f B-VG, in: Kneihs/Lienbacher [Hrsg.], Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht, 18. Lfg., 2017, Rz 3).

6.       Da der Antrag somit weder einen genau bestimmten noch einen bestimmbaren Umfang umfasst, erweist er sich als unzulässig.

Dem Verfassungsgerichtshof ist es im Übrigen auch verwehrt, den Antrag des Rechnungshofes in bestimmter Weise reduzierend zu deuten und – den Antragsteller insofern substituierend – die Zuständigkeit des Rechnungshofes bloß im Hinblick auf jene konkrete Meinungsverschiedenheit zu klären, die für den Rechnungshof möglicherweise in Betracht kommt. Denn der Verfassungsgerichtshof ist insoweit an den Antrag zur Feststellung einer Meinungs-verschiedenheit über die Zuständigkeit gebunden (vgl. VfSlg 16.547/2002).

III.    Ergebnis

1.       Der Antrag ist daher zurückzuweisen. Mangels Vorliegens der Antrags-voraussetzungen ist der Verfassungsgerichthof nicht in der Lage, über den Antrag in der Sache selbst zu entscheiden.

2.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3.       Die Kostenentscheidung gründet sich auf §36f Abs2 VfGG; nach dieser Bestimmung kann in Verfahren über eine Meinungsverschiedenheit zwischen einem Rechtsträger, der keine Gebietskörperschaft ist, und dem Rechnungshof der unterlegenen Partei auf Antrag der Ersatz der Prozesskosten auferlegt werden. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

Der von der Flughafen Wien Mitarbeiterbeteiligung Privatstiftung geltend gemachte Ersatz der Verfahrenskosten ist schon deshalb nicht zuzusprechen, weil es sich bei dem von ihr eingebrachten Schriftsatz, mit dem sie von der ihr freigestellten Möglichkeit der Erstattung einer Stellungnahme Gebrauch gemacht hat, nicht um einen abverlangten Schriftsatz handelt (VfSlg 13.847/1994, 14.976/1997, 15.300/1998).

Schlagworte

VfGH / Rechnungshofzuständigkeit, Luftfahrt, Privatisierung, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:KR1.2017

Zuletzt aktualisiert am

21.12.2017
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten