Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Schramm, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U***** AG, *****, vertreten durch Wiedenbauer Mutz Winkler & Partner Rechtsanwälte GmbH in Klagenfurt, gegen die beklagten Parteien 1. Dr. M*****, vertreten durch Dr. Manfred Angerer, Rechtsanwalt in Klagenfurt, 2. S*****, vertreten durch Dr. Robert Kugler, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen zuletzt 173.795,26 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 29. März 2017, GZ 5 R 100/16i-50, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 10. Februar 2015, GZ 26 Cg 76/12s-26, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die neuerliche Entscheidung aufgetragen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem Erstgericht vorbehalten.
Text
Begründung:
Die Gesamtrechtsvorgängerin der Klägerin gewährte dem Erstbeklagten zu Kontonummer 10410388211 im Jahr 2001 befristet bis zum 31. 3. 2021 einen Fremdwährungskredit (japanische Yen) bis zu 1,5 Mio S/109.009,25 EUR (erster Kredit). Als Tilgungsträger wurden zwei fondsgebundene Lebensversicherungen für den Erstbeklagten angelegt. Der Erstbeklagte trat der Klägerin die Rechte aus den Lebensversicherungen ab und verpfändete ihr seine Lohn-, Gehalts-, Pensions- und sonstigen Bezüge.
Im Oktober 2008 gewährte die Klägerin dem Erstbeklagten und der Zweitbeklagten als Mitschuldnerin zu Kontonummer 50100044296 einen weiteren Fremdwährungskredit (japanische Yen) über bis zu 50.000 EUR, befristet bis zum 1. 1. 2025 (zweiter Kredit). Ein neuer Tilgungsträger sollte nicht angelegt werden, weil erwartet wurde, dass die Gesamtbelastung aus beiden Krediten zum jeweiligen Endfälligkeitstermin aus den bestehenden Tilgungsträgern gedeckt werden könne.
Der Erstbeklagte hatte bei der Klägerin zu Kontonummer 1041038820 ein Girokonto mit einem Überziehungsrahmen von ursprünglich 20.000 EUR. Von diesem sollten vereinbarungsgemäß die monatlichen Prämien für die beiden Lebensversicherungen bedient und die quartalsmäßig abgerechneten Kreditzinsen auf die genannten Kreditkonten überwiesen werden.
Mit ihrer am 20. 6. 2012 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin von beiden Beklagten aus dem zweiten Kredit 68.395,06 EUR sA, vom Erstbeklagten aus dem ersten Kredit 115.371,15 EUR sA – in der Folge eingeschränkt um den Erlös aus dem Rückkauf der beiden abgetretenen Lebensversicherungen von insgesamt 44.016,55 EUR – sowie 34.045,60 EUR sA aus dem Girokonto. Zusammengefasst führte sie aus, sie habe mit Schreiben vom 5. 3. 2012 die Geschäftsverbindung nach Z 23 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen in der Fassung von August 2009 mit sofortiger Wirkung aufgekündigt, weil die Beklagten ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen und konstruktiven Lösungsvorschlägen nicht zugänglich gewesen seien. Sämtliche Forderungen seien nach Konvertierung der Fremdwährungskredite abgerechnet und mit 26. 3. 2012 fällig gestellt worden. Der Überziehungsrahmen des Girokontos sei im Jänner 2011 befristet bis 31. 12. 2011 auf 35.000 EUR erhöht worden. Die Überziehung von 15.000 EUR sei nicht bis zum 31. 12. 2011 reduziert worden. Die Klägerin habe daraus ersehen, dass der Erstbeklagte seinen laufenden Zahlungsverbindlichkeiten aus den Kreditverhältnissen nicht mehr nachkommen könne.
Der Erstbeklagte wendete – soweit noch relevant – neben seiner (unstrittigen) Verbrauchereigenschaft ein, die Aufkündigung der Geschäftsverbindung sowie die Fälligstellung der aushaftenden Verbindlichkeiten sei vertragswidrig erfolgt. Obwohl er den Rahmen des Girokontos von 35.000 EUR niemals überschritten hätte, habe die Klägerin die Reduktion des Saldos auf 20.000 EUR verlangt, seine Kreditkarten eingezogen und ihn dadurch in eine wirtschaftliche Notsituation gebracht. Die nach dem 10. 6. 2010 erfolgte Ausdehnung des Überziehungsrahmens auf 35.000 EUR unterliege dem Verbraucherkreditgesetz (VKrG). Die Klägerin sei nach §§ 18 f VKrG verpflichtet gewesen, eine schriftliche Vertragsausfertigung mit den vereinbarten Bedingungen – insbesondere zu den Kündigungsmodalitäten – zur Verfügung zu stellen. Der Erstbeklagte sei aufgrund einer mündlichen Zusage davon ausgegangen, dass der höhere Überziehungsrahmen unbefristet eingeräumt werde, wenn die Parifizierung der Liegenschaft seiner Mutter umgesetzt würde. Die Ausweitung des Rahmens sei für die Kosten der Parifizierung notwendig gewesen. Die Klägerin habe die Vertragsbeziehung nur deshalb aufgekündigt, weil sie die Risiken des spekulativen Finanzierungsmodells nicht mehr habe tragen wollen. Sie wäre jedoch verpflichtet gewesen, die Zinsenbelastung und die monatliche Prämie für die Tilgungsträger weiterhin aus dem Girokonto zu decken, soweit der vereinbarte Rahmen nicht überschritten worden wäre.
Den behaupteten Verstoß der Klauseln zur Konvertierung der Fremdwährungskredite gegen § 879 ABGB und § 6 KSchG sowie die aus der vorzeitigen Aufkündigung der Geschäftsbeziehung abgeleiteten, compensando eingewendeten Schadenersatzansprüche behandelte der Erstbeklagte in seiner Berufung nicht inhaltlich. Diese, in erster Instanz erhobenen selbständigen Einwendungen sind daher für das Revisionsverfahren nicht mehr von Bedeutung (RIS-Justiz RS0043338).
Die Zweitbeklagte berief sich auf Irrtum, Täuschung und Dissens. Sie habe aufgrund kaum vorhandener Deutschkenntnisse bei Abschluss des Kreditvertrags nicht gewusst, was sie unterschreibe, sondern angenommen, es gehe um eine Kreditkarte. Angestellte der Klägerin hätten Aufklärungs- und Sorgfaltspflichten, insbesondere die Belehrungspflicht nach § 25a KSchG verletzt und die Bonität der damals einkommens- und vermögenslosen Mitschuldnerin nicht überprüft. Eine allfällige Verbindlichkeit sei bei dem auffallenden Missverhältnis der Schuldhöhe zur Leistungsfähigkeit der Interzedentin nach § 25d KSchG zu erlassen.
Das Erstgericht sprach aus, dass die Klagsforderung von 173.795,26 EUR sA gegenüber dem Erstbeklagten zu Recht, dessen Gegenforderung nicht zu Recht bestehe, und verpflichtete den Erstbeklagten zur Zahlung von 68.395,06 EUR sA und 105.400,20 EUR samt gestaffelter Zinsen. Das Klagebegehren gegen die Zweitbeklagte wies es ab. Zusätzlich zu dem eingangs wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt stellte es zusammengefasst – soweit relevant – Folgendes fest:
Der Erstbeklagte begann im Jahr 2001 mit der Zustimmung seiner Mutter deren an einem Kärntner See gelegenes, in den Sommermonaten benutztes Haus auszubauen und aufzustocken. Der Umbau sollte mit dem ersten Fremdwährungskredit finanziert werden. Unter dem Punkt „Kündigung zur sofortigen Rückzahlung“ wurde vereinbart, dass die Klägerin den Kredit aus wichtigen Gründen zur sofortigen Rückzahlung fällig stellen kann, insbesondere, wenn der Kreditnehmer mit der Zahlung einer Zinsrate länger als sechs Wochen in Verzug geriet, auch nur eine Teilzahlung für die Tilgungsträger nicht erfolgte oder der Kreditnehmer den berechtigten Aufforderungen zur Aufstockung der Tilgungsträger nicht innerhalb der genannten Frist nachkommt. Der Kreditnehmer durfte den Kredit jederzeit in Euro umwandeln. Die Klägerin war berechtigt, bei Erhöhung der Kursparität um mindestens 15 % zusätzliche Sicherheiten zu verlangen und den aushaftenden Kredit in Euro zu konvertieren, falls Sicherheiten nicht erbracht werden. Der Vertrag hielt fest, dass der Erstbeklagte zur Kenntnis nahm, dass seitens der Bank keine Überprüfung des Tilgungsträgermodells erfolgte und für allfällige vom Kreditvermittler oder Vermögensberater abgegebenen Erklärungen jede Haftung der Bank ausgeschlossen wird.
Der Kredit wurde über Vermittlung eines Versicherungsmaklers geschlossen, der auch für den Tilgungsträger sorgte.
2006 übergab die Eigentümerin der Liegenschaft dem Erstbeklagten und seinen beiden Geschwistern Miteigentum zu je einem Drittel und ließ sich ein Wohnungsrecht sowie ein Belastungs- und Veräußerungsverbot einräumen. Der Übergabevertrag schloss eine Teilungsklage zwischen den Geschwistern aus. Der Erstbeklagte einigte sich mit den anderen Miteigentümern dahingehend, dass er die oberste Ebene des Hauses nutzen durfte.
Im Sommer 2007 lernte er die Zweitbeklagte in Uganda kennen. Die Zweitbeklagte lebt seit 1. 9. 2007 in Österreich. Die beiden sind seit 10. 12. 2010 verheiratet. Aufgrund der Notwendigkeit, den Wohnraum zu vergrößern, wandte sich der Erstbeklagte mit einem weiteren Kreditwunsch über 50.000 EUR an die Klägerin. Als Kreditzweck des zweiten, bis 1. 1. 2025 eingeräumten Fremdwährungskredits wurde der Zubau des Eigenheims angegeben. Beide Beklagte verpfändeten zur Sicherheit Lohn-, Gehalts- und Pensionsbezüge. Die Klägerin war nach dem schriftlichen Kreditvertrag berechtigt, den Kredit vorzeitig fällig zu stellen, wenn die Kreditnehmer ihrer Verpflichtung, die Prämien- bzw Veranlagungssummen in der vertraglich festgelegten Höhe und im dafür vorgesehenen Zeitraum beizubringen, nicht nachkommen und zum Beispiel mit der Zahlung eines Veranlagungsbetrags in Verzug geraten. Vereinbart wurde die Geltung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin. Die Kreditnehmer wurden nach § 25a KSchG belehrt.
Die Zweitbeklagte konnte damals nur mäßig Deutsch, sie war zu diesem Zeitpunkt in Karenz. Sie hatte in Uganda eine Managerausbildung absolviert und war in führender Position in einem Hotel tätig gewesen. Sie beabsichtigte, nach der Karenz in Österreich zu arbeiten. Vor der Kreditgewährung wurde die Bonität des Erstbeklagten geprüft, der auch sämtliche Vorgespräche alleine führte. Da die Zweitbeklagte nur Karenzgeld bezog, unterblieb die Prüfung ihrer Bonität.
Im Jänner 2011 ersuchte der Erstbeklagte seine Kundenbetreuerin bei der Klägerin um Erhöhung des Überziehungsrahmens auf dem Girokonto von 20.000 auf 35.000 EUR. Ein Mitarbeiter des UR-Teams der Klägerin teilte der Kundenbetreuerin mit, dass eine Rahmenanhebung bis 31. 12. 2011 genehmigt werde, „künftig aber keine weitere GO-Ausweitung über Überschreitung, PKK's, Bank- bzw Kreditkarten oder Leasing“. Dabei verwies er auf einen hohen Blankoanteil. In der internen Rahmeneingabe wurde die Ausnützung bis 31. 12. 2011 festgehalten, ebenso dass der Verwendungszweck die Vorfinanzierung von Gebühren, Parifizierung und Umbau sei und die Abdeckung durch einen, nach Auskunft des Bankkunden zu erwartenden Eingang eines größeren Betrags aus dem Ausland erfolgen werde.
Der Erstbeklagte ersuchte mit Mail vom 7. 6. 2011 seine Kundenbetreuerin um die Erhöhung des Rahmens auf 50.000 EUR bis zum 31. 12. 2011. Dabei verwies er auf die Parifizierung der Liegenschaft als eine der Voraussetzungen für den Umbau und die damit verbundenen Kosten. Damals waren bereits für die Planung und die Erstellung eines Nutzwertgutachtens Kosten von rund 60.000 EUR entstanden, die er zu finanzieren hatte. Der Antrag wurde von der Kundenbetreuerin abgelehnt, die Sache wurde an die Revisionsabteilung abgetreten. Der Erstbeklagte finanzierte die auflaufenden Kosten vorläufig unter anderem über Kreditkarten und ein anderes Konto.
Nach einem Gespräch mit dem Erstbeklagten am 20. 10. 2011 lehnte der zuständige Mitarbeiter der Klägerin den Antrag auf Erhöhung des Kontorahmens auf 50.000 EUR schriftlich ab. Dabei rief er dem Erstbeklagten in Erinnerung, dass ein Teil der stillschweigend tolerierten Überschreitung auf dem Girokonto in der Höhe von 15.000 EUR per 31. 12. 2011 zur Rückzahlung fällig sei und ersuchte um fristgerechte Abdeckung.
Der Erstbeklagte bemühte sich, die Parifizierung abzuschließen. Am 30. 12. 2011 übermittelte er dem zuständigen Mitarbeiter den von allen Miteigentümern unterschriebenen Wohnungseigentumsvertrag. Nach diesem blieb das 2006 intabulierte Belastungs- und Veräußerungsverbot zugunsten der früheren Liegenschaftseigentümerin aufrecht und sollte sich – auch im Fall einer notwendigen Neueintragung – auf alle Wohnungseigentumsobjekte beziehen. Wechselseitig räumten sich die Miteigentümer ein Vorkaufsrecht ein. Es kann nicht festgestellt werden, dass mit der Parifizierung die Verpflichtung zur Reduktion des Überziehungsrahmens erlöschen sollte.
Die Klägerin hielt mit Schreiben vom 11. 1. 2012 an den Erstbeklagten fest, dass das Girokonto per 11. 1. 2012 mit 31.603,85 EUR sA ungeregelt aushaftet, ein Teilbetrag von 11.603,85 EUR seit 1. 1. 2012 zur Zahlung fällig ist, entgegenkommenderweise eine Frist bis 31. 1. 2012 zur endgültigen Begleichung des fälligen Betrags eingeräumt wird und der aushaftende Betrag auf mindestens 20.000 EUR zu reduzieren ist, die Kreditkarten nicht mehr verwendet werden dürfen, Zinsen und Spesen auf den Fremdwährungskrediten von 51.714 Yen (erster Kredit) und 38.528 Yen (zweiter Kredit) fällig mit 1. 1. 2012 nicht beglichen wurden und daher um Abdeckung dieser Beträge bis spätestens 31. 1. 2012 ersucht wird. Hingewiesen wurde auch auf die Fälligstellung des „Gesamtengagements“ und die Konvertierung in Euro im Fall der Nichtabdeckung bzw der nicht fristgerechten Bezahlung.
Der Erstbeklagte konnte ab diesem Zeitpunkt keine Überweisungen über sein Konto vornehmen, weil der Rahmen überzogen war. Der Saldo wurde nicht bis 31. 1. 2012 abgedeckt.
Die Klägerin kündigte mit Schreiben vom 5. 3. 2012 die Geschäftsverbindung auf und hielt fest, dass sie sich aufgrund der wirtschaftlichen Situation des Erstbeklagten und der Tatsache der bestehenden Zahlungsrückstände gezwungen sehe, die Geschäftsverbindung gemäß Punkt 23. der Allgemeinen Geschäftsbedingungen mit sofortiger Wirkung aufzukündigen. Die Debetsalden wurden mit Stichtag 26. 3. 2012 mit 33.461,07 EUR für das Girokonto, 11.944.265 Yen (erster Kredit) und 7.087.323 Yen (zweiter Kredit) angegeben.
Zum 14. 6. 2012 war das Girokonto mit 34.045,60 EUR im Minus. Beim ersten Kredit hafteten – nach Konvertierung – 115.371,15 EUR aus, beim zweiten Kredit 68.395,06 EUR.
Rechtlich folgerte das Erstgericht, der Erstbeklagte sei nicht in der Lage gewesen, die Überziehung des Girokontos auf die vereinbarte Summe zu reduzieren und die Raten für den Tilgungsträger zu leisten, weshalb die klagende Bank aus einem wichtigen Grund zur Kündigung berechtigt gewesen sei. Die Zweitbeklagte sei über Sinn und Zweck des Kreditvertrags nicht aufgeklärt und in Irrtum geführt worden, weshalb mit ihr kein gültiger Kreditvertrag zustande gekommen sei.
Dieses Urteil bekämpfte die Klägerin in seinem abweisenden Teil, der Erstbeklagte in der Klagsstattgebung.
Das Berufungsgericht gab nur der Berufung des Erstbeklagten Folge und wies auch das gegen ihn gerichtete Klagebegehren ab. In seiner rechtlichen Beurteilung verneinte es die Berechtigung der Klägerin, die Geschäftsbeziehung aus wichtigem Grund zu kündigen und die offenen Forderungen fällig zu stellen. Dabei ging es von der seiner Auffassung nach nicht bekämpften Sachverhaltsgrundlage aus, dass die Klägerin dem Erstbeklagten ohne nähere Absprachen, insbesondere zu einer Befristung der Rahmenanhebung bis 31. 12. 2011, einen erhöhten Überziehungsrahmen von 35.000 EUR auf dem Girokonto gewährt hätte. Diese Überziehungsmöglichkeit sei ein ausdrücklicher Kreditvertrag im Sinn des § 18 Abs 1 Verbraucherkreditgesetz (VKrG), auf den der zweite Abschnitt dieses Gesetzes mit den in §§ 21 und 22 geregelten Besonderheiten anzuwenden sei. Ein Kreditvertrag könne im Sinn der weitgehend einhelligen Lehre auch durch die konkludente Gewährung eines erhöhten Überziehungsrahmens zustande kommen. Die erfolgte Rahmenerhöhung sei daher nicht als bloße Überschreitung im Sinn des § 23 VKrG mit geringerem Schutz des Verbrauchers zu werten. Die konkludent ohne bestimmte Laufzeit oder konkrete Beendigungsmodalitäten vereinbarte Rahmenausdehnung unterfalle daher als sogenannte sonstige Überziehungsmöglichkeit nach § 18 Abs 3 VKrG den Regelungen des zweiten Abschnitts (§§ 14–17) dieses Gesetzes. Nach § 14 Abs 1 VKrG könne der Kreditgeber eine auf unbestimmte Zeit geschlossene sonstige Überziehungsmöglichkeit nur dann ordentlich kündigen, wenn er dieses Recht mit dem Verbraucher vereinbart habe und er eine zumindest zweimonatige Kündigungsfrist einhalte. Mangels entsprechender Vereinbarung hätte die Klägerin die Überziehungsmöglichkeit nach allgemeinen Grundsätzen im Sinn des § 987 ABGB nur dann aus wichtigen Gründen durch außerordentliche Kündigung einseitig beenden können, wenn ihr die Aufrechterhaltung des Vertrags unzumutbar gewesen wäre. Eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund habe die Klägerin nicht behauptet. Sie sei auch nach dem 31. 12. 2011 verpflichtet gewesen, dem Erstbeklagten den Kontorahmen von 35.000 EUR zur Verfügung zu stellen und mangels Ausnutzung des Überziehungsrahmens Prämienzahlungen hinsichtlich der beiden Tilgungsträger sowie Zinsenzahlungen auf die Kreditkonten vom Girokonto zu leisten. Der Zahlungsverzug sei allein auf das eigene vertragswidrige Verhalten der Klägerin zurückzuführen. Auf andere wichtige Gründe, etwa die Verschlechterung der Bonität des Erstbeklagten oder die unterlassene Beschaffung zusätzlicher Sicherheiten habe sich die Klägerin nach ihrem dezidierten Vorbringen in erster Instanz gerade nicht berufen. Die Behauptungen im Berufungsverfahren zur Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation des Erstbeklagten, das Ansteigen der Verbindlichkeiten bei Dritten sowie das Fehlen weiterer Sicherheiten, seien damit unbeachtliche Neuerungen. Mangels Fälligkeit seien die Forderungen nicht durchsetzbar, was die Abweisung des gesamten Klagebegehrens gegen den Erstbeklagten zur Folge habe. Ausgehend von dieser Rechtsansicht erachtete das Berufungsgericht die zusätzlichen Ausführungen des Erstbeklagten in seiner Berufung (keine Verschlechterung seiner Bonität, kein wichtiger Grund für die sofortige Aufkündigung) als nicht relevant. Ebenso für unerheblich hielt es die Beweis- und Rechtsrüge der Klägerin, die sich mit der Irreführung der Zweitbeklagten, dem behaupteten Dissens und der Anwendbarkeit der §§ 25a ff KSchG befassten.
Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Abgrenzung von Kontoüberziehungsmöglichkeiten nach § 18 Abs 1 VKrG und Kontoüberschreitungen nach § 23 VKrG fehle.
Rechtliche Beurteilung
Die – nur vom Erstbeklagten beantwortete – Revision der Klägerin ist zulässig, sie ist auch im Sinn einer Aufhebung des Berufungsurteils berechtigt.
I. Überziehungsmöglichkeit oder Überschreitung:
1. § 18 Abs 1 Verbraucherkreditgesetz (VKrG) definiert eine Überziehungsmöglichkeit als ausdrücklichen Kreditvertrag, mit dem sich der Kreditgeber verpflichtet, dem Verbraucher Beträge zur Verfügung zustellen, die das aktuelle Guthaben auf dem laufenden Konto des Verbrauchers überschreiten.
2. Auf Überziehungsmöglichkeiten, bei denen der Kredit nach Aufforderung oder binnen drei Monaten zurückzuzahlen ist (kurzfristige Überziehungsmöglichkeiten) sind nach § 18 Abs 2 VKrG vom zweiten Abschnitt dieses Gesetzes nur die §§ 4, 5 Abs 1 Z 1 bis 3 und Abs 2, die §§ 7, 8, 9 Abs 1 und 3 sowie die §§ 13 und 14 Abs 3 mit den in §§ 21 und 22 geregelten Besonderheiten anzuwenden. Für sonstige Überziehungsmöglichkeiten gilt hingegen nach § 18 Abs 3 VKrG der gesamte zweite Abschnitt mit den in §§ 21 und 22 geregelten Besonderheiten.
3. Überschreitung ist nach § 23 Abs 1 VKrG eine stillschweigend akzeptierte Überziehung, bei der der Kreditgeber dem Verbraucher entgeltlich Beträge zur Verfügung stellt, die das aktuelle Guthaben auf dem laufenden Konto des Verbrauchers oder die vereinbarte Überziehungsmöglichkeit überschreiten. Der zweite Abschnitt ist auf Überschreitungen nicht anwendbar (§ 23 Abs 2 Satz 2 VKrG).
4. Umstritten ist die Auslegung des Begriffs „ausdrücklich“ (§ 18 Abs 1 VKrG) bei der Überziehungsmöglichkeit als Abgrenzung zur stillschweigend akzeptierten Überschreitung (§ 23 Abs 1 VKrG).
4.1. § 18 Abs 1 VKrG übernimmt die Definition der Überziehungsmöglichkeit des Art 3d der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (Verbraucherkredite-RL) nahezu wörtlich (Zöchling-Jud in Wendehorst/Zöchling-Jud, VKrG § 18 Rz 5). Wie der Begriff „ausdrücklich“ zu verstehen ist, wird weder in der zitierten Richtline noch in den nationalen Materialien erklärt (Foglar-Deinhardstein in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 18 VKrG Rz 13). In den ErläutRV 650 BlgNR 24. GP 30 f findet sich dazu zunächst folgender, wenig aussagekräftiger Satz: „Diese Begriffsbestimmung unterscheidet sich insofern von dem bisher in Österreich gebräuchlichen Verständnis des Begriffs Überziehung, als sie eine ausdrückliche Vereinbarung zwischen Kreditgeber und Verbraucher voraussetzt.“
4.2. In Österreich versteht die herrschende Lehre „ausdrücklich“ nicht im wörtlichen (engen) Sinn des § 863 ABGB, sondern als hinreichend deutlich und akzeptiert demnach auch eine konkludente Vereinbarung einer Überziehungsmöglichkeit (Foglar-Deinhardstein in Klang³ § 18 VKrG Rz 14 f; Dullinger, Kreditgewährung durch Kontoüberziehung und Kontoüberschreitung, Neuregelung durch das Verbraucherkreditgesetz, JBl 2010, 690 [691]; Zöchling-Jud in Wendehorst/Zöchling-Jud, VKrG § 18 Rz 10; Dehn in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht IV² 2/209, 285; Heinrich/Pendl in Schwimann/Kodek4 § 18 VKrG Rz 4). Dies wird für den Bereich des Zivilrechts nicht als Besonderheit gesehen, weil auch in anderen Fällen, in denen das Gesetz eine ausdrückliche Erklärung verlangt (vgl §§ 891, 901, 1000 Abs 2 oder 1170a ABGB) ebenfalls nur „deutliche“ oder „unzweifelhafte“ Willensakte gefordert werden (Foglar-Deinhardstein in Klang³ § 18 VKrG Rz 14 mN in FN 49).
4.3. Entscheidendes Kriterium für die Abgrenzung der Überziehungs- von der Überschreitungsmöglichkeit ist der Zeitpunkt der Einräumung des Rechts auf Kreditgewährung. Im Sinn der Lehre setzt die Überziehungsmöglichkeit das Zustandekommen eines Vertrags voraus, der den Verbraucher berechtigt, sein laufendes Konto (Girokonto) bis zu dem vereinbarten Rahmen zu überziehen (Zöchling-Jud, VKrG § 18 Rz 10; Foglar-Deinhardstein in Klang³ § 18 VKrG Rz 14; Dehn, Österreichisches Bankvertragsrecht IV² Rz 2/209, 285; Heinrich/Pendl in Schwimann/Kodek4 § 18 VKrG Rz 4; Laimer in Klang³ § 23 VKrG Rz 9; Ramharter, Verbraucherkredit- und Leasingverträge, Abzahlungsgeschäftes, Drittfinanzierung, Kontoüberziehungen und -überschreitungen, die Neuerungen durch das VKrG im Überblick, RZ 2011, 156 [160], Gelbmann/Jungwirth/Kolba, Konsumentenrecht und Banken [2011] 192). Bei der Überschreitung kommt ein Kreditvertrag hingegen erst im Nachhinein zustande, wenn der Verbraucher Beträge über das aktuelle Kontoguthaben oder über eine vereinbarte Überziehungsmöglichkeit hinaus beansprucht (als Angebot auf Abschluss eines Kreditvertrags) und die Bank dies stillschweigend duldet (Laimer in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 23 VKrG Rz 9; Zöchling-Jud VKrG § 18 Rz 10, § 23 Rz 5; Heinrich/Pendl in Schwimann/Kodek ABGB4 § 23 VKrG Rz 1; Ramharter, RZ 2011, 161).
4.4. Dieses Abgrenzungskriterium klingt auch in den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 650 BlgNR 24. GP 31) an, in denen es heißt: „Aufgrund dieser Vereinbarung stellt der Kreditgeber dem Verbraucher Beträge zur Verfügung, die das Guthaben auf dem laufenden Konto des Verbrauchers überschreiten. Die Vereinbarung gibt somit einen Rahmen vor, innerhalb dessen der Verbraucher die Möglichkeit hat, den Kredit ganz oder teilweise abzurufen.“
4.5. Nach Meinung der Klägerin wollte der Gesetzgeber hier eine griffige Unterscheidung zwischen Überziehung und Überschreitung finden und verwendete das Wort „ausdrücklich“ deshalb als Gegensatz zur stillschweigenden Akzeptanz in § 23 VKrG. Diese stillschweigende Akzeptanz ist allerdings Reaktion auf ein nicht ausdrückliches, sondern konkludentes Angebot des Verbrauchers, der sein Konto überzogen hat. Bei der Überschreitung entsteht der Vertrag somit durch ein beidseitiges konkludentes Verhalten. Anders bei der Überziehung: Dort muss ein ausdrückliches, hinreichend bestimmtes Angebot auf Einräumung eines (weiteren) Überziehungsrahmens vorliegen.
4.6. Die Klägerin stützt sich in ihrer Revision auf die zu RIS-Justiz RS0019462 (zuletzt 3 Ob 573/90) dokumentierte Judikatur: „Nach der österreichischen Bankpraxis ist das Ansuchen eines präsumtiven Kreditnehmers um Einräumung eines Kredits üblicherweise noch kein Angebot auf Abschluss eines Kreditvertrags, es ist vielmehr nur eine Einladung an die Bank, dem Kunden ein Anbot auf Abschluss eines Kreditvertrags zugehen zu lassen, dass dann alle wesentlichen Einzelheiten des Vertragsabschlusses enthält. Ein solches Anbot erfolgt aber üblicherweise nur nach Prüfung der Kreditwürdigkeit des präsumtiven Kreditnehmers, in deren Zusammenhang auch die Rechtsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit sowie die Identität des zukünftigen Kreditnehmers geprüft wird. Erst nach positivem Verlauf dieser Prüfung wird der Kreditvertrag in der Regel in Form eines Korrespondezvertrags in Form eines Angebots der Kreditgewährung durch die Bank und dessen Annahme durch den Kreditnehmer abgeschlossen. Der Abschluss eines Kreditvertrags durch konkludentes Verhalten ist nicht üblich.“
4.7. Diese Rechtsprechung basiert allerdings auf der Rechtslage vor dem Inkrafttreten des VKrG mit 11. 6. 2010. Die dokumentierten Entscheidungen behandelten zudem keine Fälle von Vereinbarungen über die Einräumung oder Erweiterung eines Überziehungsrahmens für ein Girokonto, in denen die konkludente Annahme eines ausdrücklichen Antrags zur Diskussion stand und ein bestehender Girokontovertrag geändert wurde oder werden sollte.
4.8. § 9 Abs 1 VKrG steht einer konkludenten Annahme eines ausdrücklichen Angebots, das auf Einräumung oder Erweiterung eines Überziehungsrahmens gerichtet ist, nicht entgegen. Nach dieser Bestimmung sind Kreditverträge auf Papier oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger zu erstellen. Der Kreditgeber hat allen Vertragsparteien unverzüglich nach Vertragsabschluss eine Ausfertigung des Kreditvertrags zur Verfügung zu stellen. Die Verletzung dieses Formgebots ist im österreichischen Recht ebenso wenig mit Nichtigkeit bedroht wie die Verletzung der zwingenden Mindestangaben des § 9 Abs 2 VKrG. Der Vertrag bleibt dennoch wirksam (Zöchling-Jud, VKrG § 9 Rz 57; vgl Griss/Bollenberger in KBB5 § 988 Rz 3).
4.9. Der erkennende Senat schließt sich der herrschenden Lehre zur Auslegung des § 18 Abs 1 VKrG an: Die Wortfolge „ausdrücklicher Kreditvertrag“ in § 18 Abs 1 VKrG schließt das konkludente Zustandekommen einer Überziehungsmöglichkeit als Sonderform des Kreditvertrags nicht aus. Entscheidend für die Abgrenzung zur Überschreitung iSd § 23 VKrG ist es, dass eine Vereinbarung dem Verbraucher von vornherein einen Kreditrahmen gewährt, innerhalb dessen er frei entscheiden kann, ob und in welcher Höhe er den Kredit abruft.
5. Ein Teil der Lehre scheint bei der Zulässigkeit des konkludenten Kreditvertragsabschlusses danach zu unterscheiden, von wem das Angebot auf Einräumung eines Überziehungsrahmens oder Überschreitung eines bereits vereinbarten Rahmens kommt:
5.1 Foglar-Deinhardstein (in Klang³ § 18 VKrG Rz 14), Dullinger (in JBl 2010, 691) sowie Laimer (in Klang³ § 23 VKrG) nennen als Beispiel für einen konkludenten Abschluss eines Überziehungskredits den Fall, dass das Kreditinstitut dem Verbraucher das Recht zur Überziehung anbietet und dieser das Angebot nicht ausdrücklich, sondern durch tatsächliche Inanspruchnahme annimmt. Foglar-Deinhardstein (in Klang³ § 18 VKrG Rz 15) sieht die Voraussetzungen für die Annahme einer konkludenten Erklärung – zumindest auf Seiten der Bank als Kreditinstitut des BWG oder als Zahlungsinstitut iSd ZaDiG, welche typischerweise nur schriftliche Verpflichtungen übernehmen und für die Kreditform, Kreditrahmen und die Verzinsung von ausschlaggebender Bedeutung sind –, nur als selten gegeben. Selbst bei wiederholter Gewährung von Krediten sei im Zweifel kein Bildungswille der Bank pro futuro anzunehmen, weshalb auch aus einer wiederholten Überschreitung des Kontos nicht auf den Abschluss einer Überziehungsmöglichkeit geschlossen werden könne.
5.2. Diese Einschränkung zum konkludenten Abschlusss eines Kreditvertrags ist für § 18 Abs 1 VKrG abzulehnen, zumindest im hier zu beurteilenden Fall, in dem der Verbraucher mündlich (also ausdrücklich iSd § 863 ABGB) die Ausweitung des bestehenden, somit bereits vereinbarten Überziehungsrahmens auf eine konkrete Summe beantragt, die beanspruchte Überschreitung (nach bankinterner Überprüfung und Bewilligung) tatsächlich gewährt wird und nur der Zugang einer mündlichen oder schriftlichen Annahmeerklärung fehlt oder fehlen soll – was nach den bisherigen Feststellungen noch unklar ist.
5.3. Überziehung und Überschreitung unterscheiden sich nämlich ganz wesentlich in den zum Schutz der Verbraucher angeordneten Pflichten des Kreditgebers. Bei der Kontoüberschreitung sind dessen Informationspflichten erheblich reduziert. Er ist nicht zur Prüfung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers verpflichtet, es muss auch kein Kreditvertrag mit zwingenden Angaben ausgefertigt werden. Diese Unterschiede werden sachlich damit gerechtfertigt, dass der Kreditnehmer offenbar für weniger schutzwürdig angesehen wird, wenn er selbst durch Überschreitung seiner Kontodeckung die Initiative zum entsprechenden Vertragsschluss setzt (Dullinger JBl 2010, 690). Der Verbraucher soll eher zu einer Verschuldung verleitet werden, wenn ihm die Bank einen Kreditrahmen zugesteht, als wenn er aus eigener Initiative seine Kontodeckung überschreitet, um ein aktuelles Kreditbedürfnis zu befriedigen (Laimer in Klang³ § 23 VKrG Rz 2 mwN).
5.4 Es setzt zwar auch der Bankkunde, der ausdrücklich um Einräumung oder Erweiterung eines Überziehungsrahmens ansucht, eine Initiative zum Vertragsabschluss. Die Bank hätte es jedoch in der Hand, das höhere Schutzniveau des § 18 VKrG auszuschalten, indem sie zwar nach Prüfung der Bonität etc der gewünschten Überziehung zustimmt und diese gewährt, eine Mitteilung an den Kunden jedoch unterlässt und sich – wie hier offenbar nach den bisher getroffenen Feststellungen geschehen – nachträglich auf den Standpunkt zurückzieht, es habe sich ja nur um eine stillschweigend akzeptierte Überschreitung gehandelt.
5.5. Ein Überziehungskredit iSd § 18 Abs 1 VKrG kommt auch dann wirksam zustande, wenn die Bank den ausdrücklichen, eine bestimmte Summe nennenden Antrag des Verbrauchers auf Einräumung oder Erweiterung eines Überziehungsrahmens konkludent annimmt, indem sie die beanspruchte Überziehung tatsächlich gewährt.
6. Nach der Tatsachengrundlage – soweit sich diese den Feststellungen des Erstgerichts bereits entnehmen lässt – ist vom Vorliegen eines Überziehungskredits iSd § 18 Abs 1 VKrG auszugehen und nicht von einer beidseitig konkludent zustande gekommenen Überschreitung nach § 23 VKrG.
7. Dass hier eine lediglich kurzfristige Überziehungsmöglichkeit (§ 18 Abs 2 VKrG) vereinbart wurde, behaupten weder die Klägerin, die ja selbst mit einer Befristung bis 31. 12. 2011 argumentiert, noch der Erstbeklagte. Der weiteren Beurteilung ist daher zugrunde zu legen, dass es sich um eine sonstige Überziehungsmöglichkeit iSd § 18 Abs 3 VKrG handelt, auf die der zweite Abschnitt dieses Gesetzes mit den in §§ 21 und 22 VKrG geregelten Besonderheiten anzuwenden ist.
8. Zu klären bleibt die Frage einer vereinbarten Befristung des Überziehungskredits. Lag ein unbefristeter Vertrag vor, konnte die Klägerin diesem zufolge § 14 Abs 1 VKrG nur dann ordentlich kündigen, wenn sie dieses Recht ausdrücklich mit dem Erstbeklagten vereinbart hatte und eine zumindest zweimonatige Kündigungsfrist einhielt. Beide Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Vereinbarung einer Kündigungsmöglichkeit wurde weder behauptet noch festgestellt. Die Klägerin kündigte mit Schreiben vom 5. 3. 2012 (auch) den gewährten Überziehungskredit mit sofortiger Wirkung auf.
8.1. Die Revision bemängelt zu Recht, dass die der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts zugrunde gelegte Tatsachengrundlage eines unbefristet vereinbarten Überziehungskredits eine im vorliegenden Fall zu korrigierende Fehlinterpretation der erstinstanzlichen Feststellungen darstellt. Diesen ist zwar nicht klar zu entnehmen, dass der Erstbeklagte die (erste) Ausweitung des Überziehungsrahmens auf 35.000 EUR bis 31. 12. 2011 beantragte und/oder ihm die Bewilligung der Überziehungsmöglichkeit bis zu diesem Termin mitgeteilt wurde. In seiner Beweiswürdigung verweist das Erstgericht allerdings auf die übereinstimmenden Angaben der beteiligten Mitarbeiter der Klägerin, wonach der Erstbeklagte auf diesen Termin hingewiesen worden sei, sowie auf jene Urkunde, mit der der Erstbeklagte um die (zweite) Erhöhung des Rahmens auf 50.000 EUR bis Ende 2011 ersuchte. In den Sachverhaltsfeststellungen selbst findet sich auch noch die Negativfeststellung, wonach die Pflicht zur Reduktion der Überziehung nicht bei Abschluss der Parifizierung erlöschen sollte. Damit lehnt das Erstgericht auf Sachverhaltsebene den Einwand des Beklagten ab, der sich auf eine (wenn auch bedingte) unbefristete Überziehung berufen hat. In der rechtlichen Beurteilung geht es eindeutig von der Verpflichtung des Erstbeklagten aus, den Rahmen des Girokontos am 31. 12. 2011 zu reduzieren.
8.2. Die Annahme des Berufungsgerichts, das Erstgericht sei auf Tatsachenebene von keiner Absprache zu einer Befristung ausgegangen, ist von den erstgerichtlichen Feststellungen daher nicht gedeckt. Dieses Abgehen von den erstinstanzlichen Feststellungen ohne Beweiswiederholung begründet eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und führt zur Aufhebung und Zurückverweisung an die zweite Instanz (RIS-Justiz RS0043461 [T3]). Wenn das Berufungsgericht die Feststellungen in diesem Punkt als unzureichend für eine abschließende rechtliche Beurteilung befunden und eine Beweiswiederholung oder Beweisergänzung abgelehnt hätte, wäre es verpflichtet gewesen, dem Erstgericht aufzutragen, ergänzende (unmissverständliche) Feststellungen zu treffen.
8.3. Im fortgesetzten Verfahren sind folgende Fragen zu klären:
Wie ist die befristete oder unbefristete Vereinbarung über die Erhöhung des Überziehungsrahmens zustande gekommen? Dabei bieten sich folgende Fallkonstellationen an: Der Erstbeklagte suchte ausdrücklich um Erhöhung des Rahmens auf 35.000 EUR bis zum 31. 12. 2011 an. Die Klägerin genehmigte diese Überschreitung entweder ausdrücklich oder konkludent durch tatsächliche Gewährung, was – wie bereits zu Punkt 5.5. dargelegt – für das rechtswirksame Zustandekommen eines (in diesem Fall befristeten) Überziehungskredits iSd § 18 Abs 1 VKrG ausreicht. Nannte der Erstbeklagte keinen Termin, ist die weitere Kommunikation mit dem Kreditnehmer (und nicht nur die bankinterne) festzustellen, um beurteilen zu können, ob eine Befristung vereinbart wurde. Maßgeblich ist dabei die Mitteilung an den Kläger über eine Genehmigung nur bis zum genannten Termin. Diese Erklärung wäre dann als ausdrückliches Angebot der Bank zum Abschluss eines nur befristeten Überziehungskredits zu sehen, das der Erstbeklagte auch konkludent durch tatsächliche Überziehung annehmen konnte.
8.4. Sollte sich im fortgesetzten Verfahren aufgrund einer (nach Beweiswiederholung bzw -ergänzung) ausreichend konkretisierten Tatsachengrundlage herausstellen, dass eine Vereinbarung über einen befristeten Überziehungskredit geschlossen wurde, die Kündigungsbeschränkungen des § 14 Abs 1 VKrG somit nicht gelten und die Klägerin nach dem 31. 1. 2012 zu Recht Überweisungen vom Girokonto ablehnte, wird sich das Berufungsgericht sowohl mit den Berufungsargumenten des Erstbeklagten zu seiner Bonität als auch mit den in der Berufung der Klägerin in Ansehung der Zweitbeklagten aufgeworfenen Beweis- und Rechtsfragen zu befassen und insbesondere die Beweisrüge zur Irreführung der Mitschuldnerin zu erledigen haben.
II. Auflösung aller Verträge aus wichtigem Grund:
1. Ein Kreditvertrag kann, wenn er ein Dauerschuldverhältnis begründet, bei Vorliegen eines wichtigen Grundes (auch im Verbraucherkreditrecht: Griss/Bollenberger in KBB5 § 987 Rz 1) jederzeit gelöst werden (außerordentliche Kündigung). Ein solcher liegt vor, wenn einer Partei die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses billigerweise nicht zugemutet werden kann (RIS-Justiz RS0019365; RS0027780) Ein „allgemeiner Vertrauensverlust“ reicht dafür nicht aus. Es wird vorausgesetzt, dass aufgrund einer wesentlichen Verschlechterung der Vermögenslage des Kreditnehmers die Kreditrückzahlung gefährdet ist (RIS-Justiz RS0019365 [T4]). Auch Umstände, die für sich allein genommen noch keinen wichtigen Grund für die sofortige Vertragsbeendigung darstellen würden, können ausreichen, wenn aufgrund der Gesamtentwicklung eine unveränderte Weiterführung des Dauerschuldverhältnisses objektiv nicht mehr zumutbar ist (8 Ob 52/14a mwN). Wichtige Gründe für eine solche Vertragsaufhebung hat derjenige zu behaupten und zu beweisen, der die Auflösung erklärt (RIS-Justiz RS0027780 [T21]).
2. Die Klägerin hat zwar zunächst in ihrem Vorbringen die mangelnde Bonität des Erstbeklagten ausdrücklich nicht als Grund für die Aufkündigung der gesamten Geschäftsbeziehung und die Fälligstellung sämtlicher offener Forderungen aus Giro- und Kreditkonten herangezogen. Sie verwies allerdings darauf, sie sei nicht verpflichtet gewesen, aus dem nicht gedeckten Girokonto Überweisungen durchzuführen, weshalb die vereinbarten Zahlungen für die Tilgungsträger nicht erfolgt seien. Dieser Zahlungsverzug habe die Auflösung der Geschäftsbeziehung gerechtfertigt. Im Schriftsatz vom 9. 8. 2012 (ON 5 S 7) bestritt die Klägerin die Behauptung des Erstbeklagten, seine wirtschaftliche Situation habe sich nicht geändert und sei deshalb kein Grund für eine Auflösung der Geschäftsverbindung vorgelegen. Nach ihrem Vorbringen hätte sich das monatliche Einkommen des Erstbeklagten bedingt durch einen Arbeitsplatzwechsel verringert. Die fälligen Zinsen seien nicht ordnungsgemäß bedient worden. In der Verhandlung vom 10. 4. 2014 legte die Klägerin eine Mail des Erstbeklagten vom 10. 2. 2012 vor und brachte vor, dass sich daraus eine Verschlechterung der finanziellen Situation ergebe und die Gefahr der Nichterfüllung der Verbindlichkeiten sich erhöhe, weil der Erstbeklagte offenbar nicht mehr in der Lage sei, die im Zusammenhang mit der Parifizierung entstandenen Verbindlichkeiten gegenüber Kreditkartenunternehmen, Architekten und Anwälten zu erfüllen. Im Kündigungsschreiben vom 5. 3. 2012, das die Klägerin in ihrem Vorbringen wiedergibt, findet sich folgender Satz:
„Aufgrund Ihrer wirtschaftlichen Situation und der Tatsache, dass die Zahlungsrückstände nicht beseitigt wurden, sehen wir uns gezwungen, die Geschäftsverbindung gemäß Punkt 23 der AGB … mit sofortiger Wirkung aufzukündigen.“
3. Das Berufungsgericht interpretiert das Vorbringen der Klägerin in erster Instanz zu eng, wenn es davon ausgeht, dass sich die Klägerin auf wichtige Gründe wie die Verschlechterung der Bonität des Erstbeklagten nicht berufen hat, und ihr deshalb einen Verstoß gegen das Neuerungsverbot vorwirft. Dies rügt die Revision der Klägerin ebenfalls zu Recht als wesentliche Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (RIS-Justiz RS0041814 [T8]).
4. Die Frage nach der Berechtigung einer außerordentlichen Kündigung, die sich unabhängig von einer Befristung des Überziehungskredits stellt, behandeln die Klägerin in ihrer Revision sowie der Erstbeklagte in seiner Berufung ausführlich. Das Berufungsgericht wird sich auch mit dieser Problematik zu befassen haben. Sollte es die bereits getroffenen Feststellungen für ausreichend halten und auf deren Basis das Recht zur sofortigen Auflösung der Geschäftsverbindung bejahen, muss es sich mit den in der Berufung der Klägerin behandelten Beweis- und Rechtsfragen auseinandersetzen (s Punkt I.8.4.).
5. Das Berufungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil abgeändert und dabei ausgesprochen, dass die Kostenentscheidung bis zur rechtskräftigen Erledigung der Streitsache vorbehalten bleibt. Das Erstgericht hat daher nach § 52 Abs 1 ZPO nach rechtskräftiger Erledigung der Streitsache auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.
Textnummer
E120142European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2017:0100OB00044.17V.1114.000Im RIS seit
20.12.2017Zuletzt aktualisiert am
21.06.2018