Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Schwarzenbacher, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, *****, vertreten durch Dr. Walter Reichholf, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei I***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Bertram Broesigke, Rechtsanwalt in Wien, wegen 3.284,17 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 17. August 2017, GZ 1 R 151/17b-15, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 11. Mai 2017, GZ 9 C 559/16w-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 730,97 EUR (darin 121,83 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 749,76 EUR (darin 357 EUR Barauslagen und 65,46 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Konsumenten Ing. M***** und D***** van H***** nahmen 2001 bei der beklagten Bank einen Euro-Kredit auf, der mit Konvertierungsvereinbarung vom 8./19. 1. 2004 in einen endfälligen Schweizer-Franken-Kredit umgewandelt wurde. Die Beklagte verrechnete den Kreditnehmern für den Zeitraum 1. 2. 2009 bis 31. 7. 2012 einen Refinanzierungsaufschlag in der Höhe des Klagsbetrags.
Die Vertragsparteien trafen (ohne weitere Verhandlungen) eine schriftliche Konvertierungsvereinbarung, der ein standardmäßig erstelltes Vertragsformular der beklagten Partei zugrundelag. Darin wurde auch ein von den Kreditnehmern zu zahlender Refinanzierungsaufschlag („Libor-Aufschlag“) vereinbart, „welcher aufgrund der Mitteilung der von der Bank kontaktierten Referenzbanken festgelegt wird.“, wobei „das Höchstausmaß des … Libor-Aufschlages mit 1 % festgelegt wird“.
Die klagende Partei begehrt als im § 29 KSchG genannter Verband, dem die Ansprüche der Kreditnehmer abgetreten wurden, die (Rück-)Zahlung des verrechneten Refinanzierungsaufschlags in Höhe des Klagsbetrags. Es handle sich um einen Bereicherungsanspruch, weil die beklagte Partei diesbezüglich ohne Rechtsgrundlage Zahlungen verlangt und erhalten habe. Die beklagte Partei habe eine Erstattung abgelehnt. Die Aufschlags-Klausel sei durch ein Vertragsformblatt von der beklagten Partei vorgegeben und nicht im Einzelnen ausgehandelt worden. Diese Klausel sei intransparent und gemäß § 6 Abs 3 KSchG unwirksam. Der Anspruch werde auch auf Schadenersatz gestützt.
Die beklagte Partei bestritt die Aktivlegitimation der klagenden Partei und brachte vor, dass der von den Kreditnehmern geleistete Refinanzierungsaufschlag rechtsgültig vereinbart worden sei. Die aufgrund des Vertrags erbrachten Leistungen seien gerechtfertigt, weil dieser in Form der Konvertierungsvereinbarung gültig bestehe. Der geltend gemachte Schadenersatzanspruch sei zudem bereits verjährt.
Das Erstgericht bejahte wegen der Abtretung die Aktivlegitimation der klagenden Partei, verneinte die Verjährung und gab der Klage statt. Es verwies dabei auf die Entscheidung 3 Ob 109/13w, in der der Oberste Gerichtshof eine inhaltlich entsprechende Klausel über einen Refinanzierungsaufschlag als intransparent im Sinne des § 6 Abs 3 KSchG beurteilt hat. Nach Ansicht des Erstgerichts berufe sich die klagende Partei daher zu Recht auf die Nichtigkeit der Klausel, weshalb die beklagte Partei mangels wirksam vereinbarten Refinanzierungsaufschlags in diesem Umfang ungerechtfertigt bereichert sei.
In ihrer dagegen erhobenen Berufung beschränkte sich die beklagte Partei darauf, den Bereicherungsanspruch aus zwei Gründen zu bestreiten, ohne die sonstigen vom Erstgericht bereits verneinten Einwände gegen den Bereicherungsanspruch aufrechtzuerhalten. Zum einen brachte sie (erstmals) vor, dass hinsichtlich des Refinanzierungsaufschlags keine bewusste Vermögenszuwendung (Leistung) der Kreditnehmer vorgelegen sei, weshalb eine Bereicherung aufgrund fehlgeschlagener Leistung nicht denkbar sei. Zum anderen sei, selbst wenn man davon ausgehe, dass es sich um einen Bereicherungsanspruch handle, dieser wegen Ablaufs der dreijährigen Verjährungsfrist verjährt.
In ihrer Berufungsbeantwortung wies die klagende Partei darauf hin, dass die beklagte Partei mit ihrem Vorbringen in der Berufung gegen das Neuerungsverbot verstoße.
Das Berufungsgericht gab der Berufung Folge und änderte das Ersturteil im klagsabweisenden Sinn ab. Die bloß eigenmächtige Einbuchung von Beträgen auf einem Kreditkonto sei keine Leistung der Kreditnehmer. Die klagende Partei behaupte eine solche Leistung nicht, sondern nur eine ungerechtfertigte und eigenmächtige Verrechnung eines Refinanzierungsaufschlags durch Belastung des Kreditkontos mit dem klagsgegenständlichen Betrag. Mangels Leistung seien daher keine bereicherungsrechtlichen oder schadenersatzrechtlichen Anspruchsgrundlagen denkbar. Sofern die klagende Partei in der Berufungsbeantwortung behaupte, der Betrag sei von den Kreditnehmern tatsächlich bezahlt worden, widerspreche dieses Vorbringen dem Neuerungsverbot im Berufungsverfahren. Es bestehe daher nur die Möglichkeit der Kreditnehmer, die Feststellung der Unrichtigkeit des Kontostands des Kreditkontos zu begehren. Ein solcher Anspruch könne jedoch nicht abgetreten werden.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil die Entscheidung nicht über den Einzelfall hinausgehe.
Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung abzuändern und das stattgebende Ersturteil wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. Die beklagte Partei beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil darin eine entscheidungserhebliche Aktenwidrigkeit geltend gemacht wird. Die Revision ist auch berechtigt.
1. Die klagende Partei rügt, sie habe bereits im erstinstanzlichen Verfahren eine Leistung der Kreditnehmer an die beklagte Bank behauptet. Sogar die beklagte Partei habe zu den geleisteten Refinanzierungsbeiträgen vorgebracht, dass der letzte Aufschlag mit 31. 7. 2012 (von den Kreditnehmern) geleistet worden sei. Damit macht die klagende Partei (auch) den Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit nach § 503 Z 3 ZPO geltend.
1.1 Eine Aktenwidrigkeit liegt bei einem Widerspruch zwischen Prozessakten und tatsächlichen Urteilsvoraussetzungen vor, wobei dieser Widerspruch einerseits wesentlich, andererseits unmittelbar aus den Akten ersichtlich und behebbar sein muss (RIS-Justiz RS0043421). Aktenwidrigkeit ist daher bei einem Widerspruch zwischen dem Inhalt eines bestimmten Aktenstücks einerseits und dessen Zugrundelegung und Wiedergabe durch das Rechtsmittelgericht andererseits verwirklicht (RIS-Justiz RS0043397 [T2], RS0043284). Aktenwidrigkeit haftet einer Entscheidung dann an, wenn die für die richterliche Willensbildung bestimmenden Verfahrenserklärungen oder Beweisergebnisse in der Begründung der Entscheidung in Abweichung vom Inhalt der Niederschriften, Eingaben oder Beilagen dargestellt wurden (RIS-Justiz RS0043397).
1.2 Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit kann für sich allein im Allgemeinen nicht das Gewicht einer erheblichen Rechtsfrage des Verfahrensrechts haben, weil er zum Tatsachenbereich gehört (RIS-Justiz RS0042762). Allerdings kann eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dann vorliegen, wenn dem Berufungsgericht eine Aktenwidrigkeit unterläuft, die zugleich einen Verstoß gegen § 498 Abs 1 ZPO erfüllt (Kodek in Rechberger5 § 502 ZPO Rz 25; RIS-Justiz RS0042155 ua). Die Zulässigkeit der außerordentlichen Revision ist daher dann zu bejahen, wenn das Berufungsgericht im Widerspruch zur Aktenlage etwa davon ausgeht, dass die klagende Partei ein erhebliches Vorbringen nicht erstattet hat (zuletzt 8 Ob 87/16a; RIS-Justiz RS0042762 [T2]) oder es eine Außerstreitstellung bzw ein schlüssiges Tatsachengeständnis nicht beachtet (4 Ob 356/86; Zechner in Fasching2 § 503 ZPO Rz 160).
1.3 Bereits aus dem oben zusammengefassten wechselseitigen Vorbringen ist abzuleiten, dass beide Streitteile im erstinstanzlichen Verfahren übereinstimmend von einer bewussten Leistung der Kreditnehmer betreffend den Aufschlag ausgegangen sind. Wenn das Berufungsgericht den Bereicherungsanspruch damit verneint, dass die klagende Partei kein Vorbringen zu einer entsprechenden Leistung erstattet habe, ist ihm eine entscheidungserhebliche Aktenwidrigkeit unterlaufen. Dieser wesentliche Widerspruch ist aus den Akten ersichtlich und behebbar, sodass der Revisionsgrund des § 503 Z 3 ZPO verwirklicht ist.
2. Es kann dahinstehen, ob die Revision auch deshalb erfolgreich erhoben wurde, weil das Berufungsverfahren wegen der Nichtbeachtung eines Verstoßes gegen das Neuerungsverbot (vgl zB zum verspäteten Widerruf einer Außerstreitstellung in der Rechtsmittelinstanz, 7 Ob 388/55 RZ 1956, 46) mangelhaft geblieben ist (1 Ob 30/98p; RIS-Justiz RS0042071 [T5, T6]; vgl auch Fucik, Begründen überschießende Feststellungen oder Verstöße gegen das Neuerungsverbot Verfahrensmängel nach der öZPO? FS-Delle Karth [2013] 251 ff).
3. Die Zugrundelegung der vom Berufungsgericht zu Unrecht außer Acht gelassenen Verfahrensergebnisse zur Leistung der Kreditnehmer führt im Einklang mit der vom Erstgericht zutreffend herangezogenen Entscheidung 3 Ob 109/13w und dem Umstand, dass sonstige Einwendungen gegen den Bereicherungsanspruch nicht erhoben bzw in der Berufung nicht aufrecht erhalten wurden (vgl RIS-Justiz RS0043338 [T10, T11, T13]), zur Stattgabe der Klage.
4. Gegenteiliges folgt auch nicht aus dem zum Bereicherungsanspruch erstmals in der Berufung erhobenen Verjährungseinwand. Diese Einrede ist ausdrücklich zu erheben und es sind die dafür erforderlichen Tatsachen bestimmt vorzubringen (RIS-Justiz RS0034198 [T1, T2, T4]). Eine allenfalls aus anderen Gründen eingetretene Verjährung ist nicht aufzugreifen (RIS-Justiz RS0034326 [T7, T8]). Im erstinstanzlichen Verfahren beschränkte sich der Verjährungseinwand auf einen allfälligen Schadenersatzanspruch („… ist die dreijährige Verjährungsfrist für etwaige Schadenersatzansprüche aus dem Vertragsverhältnis bereits verstrichen und wenden wir somit ausdrücklich Verjährung ein“). Die Verjährung des Bereicherungsanspruchs wandte die beklagte Partei erstmals in der Berufung ein, worauf allerdings wegen des Neuerungsverbots (§ 482 Abs 1 ZPO; RIS-Justiz RS0034726) nicht einzugehen war.
5. Der Revision war daher Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.
6. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
Schlagworte
1 Generalabonnement;14 (Zivil-)Verfahrensrechtliche Entscheidungen;18 Konsumentenschutz- und Produkthaftungsrecht;Textnummer
E120139European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2017:0040OB00193.17M.1121.000Im RIS seit
20.12.2017Zuletzt aktualisiert am
10.01.2018