Entscheidungsdatum
28.09.2017Index
L92009 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung WienNorm
WMG §7 Abs2Text
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Landesrechtspfleger OAR Neustifter über die Beschwerde der Frau H. K. und des Herrn S. M., beide wohnhaft in Wien, B.-Straße, gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, Soziales, Sozial- u. Gesundheitsrecht, Region …, Sozialzentrum … f. d. …Bez., vom 25.04.2017, Zl. SH/2017/1541558-001, den
BESCHLUSS
gefasst:
Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG wird der Bescheid aufgehoben und das Verfahren zur Ergänzung des Ermittlungsverfahrens und zur daran anknüpfenden allfälligen Erlassung eines neuen Bescheides oder neuer Bescheide an die belangte Behörde zurückverwiesen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die zuletzt mit Bescheid vom 21.11.2016, Zl MA 40 - SH/2016/01004980-001, Frau H. K. - damals noch als alleine unterstützter Hilfe suchender - zuerkannte Leistung mit 1.2.2017 eingestellt und zugleich ihr und Herrn S. M. als Bedarfsgemeinschaft (wegen Lebensgemeinschaft) eine neue bemessene Leistung zuerkannt.
Der angefochtene Bescheid wurde laut Vermerk auf dem Aktexemplar am 26.4.2017 ohne Zustellnachweis zum expedieren gegeben und ist laut Ausführungen in der Beschwerdeschrift am 2.5.2017 zugestellt worden.
In der im Hinblick darauf rechtzeitig und gemeinsam von Herrn M. und Frau K. erhobenen Beschwerde vom 29.5.2017 wird im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Die Beschwerde richtete sich gegen die Höhe der Neubemessung der Leistung zur Deckung des Lebensunterhaltes und gegen die gemeinsame Bemessung als Lebensgemeinschaft in einem gemeinsamen Bescheid.
In der Begründung zum Bescheid SH/2017/01541558-001 vom 25 4. 2017 führe die Behörde aus, dass das Ermittlungsverfahren ergeben habe, dass Frau H. K. seit 2.2.2017 eine Lebensgemeinschaft mit Herrn S. M. führe.
Frau K. müsse die anteilige Mindestsicherung an Herrn M. weiterleiten, der im Gegensatz zu Frau K. zum Beispiel keinen Anspruch auf Sonderzahlungen im Mai und Oktober habe.
Da keine Lebensgemeinschaft bestehe, sei es auch für sachlich falsch - dass sich - durch einen gemeinsamen Bescheid - bei jeder Änderung der Lebensverhältnisse (insbesondere des Einkommens) von entweder Frau K. oder Herrn M. auch für den anderen die Bemessungsgrundlage der Mindestsicherung ändere, ohne davon vielleicht überhaupt Kenntnis zu erlangen. Es sei den Beschwerdeführern zwar bewusst, dass sie Änderungen der Vermögens-, Einkommens-, Familien-, oder Wohnverhältnisse etc. unverzüglich dem Magistrat melden müssten - es bestehe ihres Wissens aber keine gegenseitige Melde- und Informationspflicht.
Da keine Lebensgemeinschaft bestehe, sei nicht nachvollziehbar - und sachlich nicht gerechtfertigt, dass einer von den Beschwerdeführern unter Umständen Rückzahlungsverpflichtungen oder zumindest die Kürzung der fix kalkulierten Mindestsicherung in Kauf nehmen müsse.
Da keinerlei gegenseitige Unterhaltspflichten bestünden, würde - wenn einer von ihnen ein Dienstverhältnis antrete und Einkommen beziehe - der andere faktisch ohne jegliche Mittel zur Deckung des Lebensunterhaltes zurückbleiben.
Weiters sei der Bescheid nach Meinung der Beschwerdeführer unrichtig, weil bei der Berechnung die Miete von jeweils € 300 nicht berücksichtigt scheine. Bei der gemeinsamen Berechnung - gegen die die Beschwerdeführer aber wie oben dargestellt Beschwerde ein legten - müsse nach deren Verständnis daher eine Miete von € 600 berücksichtigt sein - die Berechnungsblätter wiesen aber in der Zeile Miete jeweils dem Betrag von 0,00 aus. Das entspreche nicht den Tatsachen.
Die Beschwerdeführer begehren daher, die Leistung zur Deckung des Lebensunterhaltes und den Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfes für zwei unabhängige Bedarfseinheiten zu ermitteln, die Miete von jeweils € 300 zu berücksichtigen und darüber zwei gesonderte Bescheide auszustellen.
Beweis wurde geführt durch Einsicht in den unbedenklichen Administrativakt der belangten Behörde sowie im Wege der Durchführung einer Meldeanfrage für beide Beschwerdeführer.
Laut elektronischer Meldeauskunft ist Herr S. M. seit 27.10.2016 und ist Frau H. K. seit 2.2.2017 in Wien, B.-Straße, laufend gemeldet. Beide Personen hatten davor laut Meldeauflistung keine gemeinsamen Wohnsitzmeldung.
Der Vater der Beschwerdeführerin, Herr Mag. C. K., teilte per E-Mail vom 27.4.2017 der belangten Behörde mit, dass ihn seine Tochter aufgrund ihrer eingeschränkten psychischen Belastbarkeit bevollmächtigt habe, sie in Angelegenheiten der Mindestsicherung zu vertreten.
(Anm.: Zumindest zur Erhebung einer Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien oder zur Vertretung vor dem Verwaltungsgericht liegt jedoch keine Vollmachtsurkunde vor und wurde das Vorliegen einer Vollmacht für ein Tätigwerden des Vaters der Beschwerdeführerin beim Verwaltungsgericht auch nicht ausdrücklich behauptet, weshalb das Verwaltungsgericht derzeit von einem eigenständigen Tätigwerden beider Beschwerdeführer ausgeht, die sich lediglich hinsichtlich der Einbringung der Beschwerde über den E-Mail-Account des Vaters der Beschwerdeführerin bedient haben).
Die nunmehr von den beiden Personen bewohnte Wohnung befinde sich laut Mitteilung von Herrn Mag. C. K. in dessen Eigentum und er habe diese mit Mietvertrag vom 16.11.2017 an seine Tochter und Herrn S. M. um € 600 pro Monat, das heiße anteilig € 300 pro Person, vermietet. Zwischen seiner Tochter und Herrn M. bestehe KEINE Lebensgemeinschaft, es handele sich um zwei unabhängige und selbstständige Haushalte. Da Herr M. aber ein Freund bzw. Bekannter seiner Tochter sei, habe er mit Herrn M. vereinbart, ihm die Miete vorläufig zu stunden, bis er durch den Bezug von Mindestsicherung oder durch ein Dienstverhältnis Einkünfte habe.
Herr M. habe offenbar derzeit auch kein geregeltes Einkommen und ebenfalls einen Antrag auf Mindestsicherung gestellt. Im Rahmen seines Verfahrens sei der Mietvertrag bereits übermittelt worden; derzeit gebe es offenbar einen eingeschriebenen Brief der MA 40, den er seit Wochen nicht abgeholt habe, bzw. der inzwischen wieder an die MA 40 retourniert worden sein dürfte.
Aufgrund der Erfahrungen des Vaters der Beschwerdeführerin mit deren psychischer Erkrankung und ihren Schwierigkeiten beim Umgang mit Ämtern und Behörden gehe er davon aus, dass bei Herrn M. ähnliche Probleme vorliegen dürften.
Die Tochter habe ihrem Vater die Miete für die Monate Februar und März, d.h. solange ihr die Mindestsicherung überwiesen worden sei bzw. Geld auf ihrem Konto gewesen sei, überwiesen; für April bzw. bis sie wieder Einkünfte habe, habe er ihr die Miete ebenfalls gestundet.
Der Vater von Frau K. ersuche um Information, falls weitere Daten benötigt würden bzw. weitere Schritte nötig seien, dass der Lebensunterhalt seiner Tochter durch Überweisung der Mindestsicherung wieder gedeckt werden könne.
Schließlich bot der Vater der Beschwerdeführerin an, gern für eine Terminvereinbarung gemeinsam mit seiner Tochter zu einem persönlichen Gespräch zu erscheinen, wenn dies zur Klärung der Umstände bzw. für die Freigabe der Mindestsicherung erforderlich sei.
Die obige Mitteilung des Vaters der Beschwerdeführerin erreichte die belangte Behörde jedoch erst am Tag nach dem der angefochtene Bescheid zum expedieren gegeben wurde und fand somit keine Berücksichtigung mehr in der Entscheidung der belangten Behörde. Beweiswürdigend wird angemerkt, dass dem Schreiben des Vaters der Beschwerdeführerin, auch wenn vorerst kein konkreter Grund vorhanden ist, die Angaben dahingehend anzuzweifeln, dass diese nicht nach bestem Wissen und Gewissen gemacht wurden, die erhöhte Beweiskraft einer Zeugenaussage unter Wahrheitspflicht nicht zukommt.
Folgender Sachverhalt wird festgestellt:
Die Beschwerdeführer bewohnen seit 2.2.2017 beide die Wohnung in Wien, B.- Straße und sind beide Mieter im Rahmen eines Gesamtschuldverhältnisses.
Gemäß Punkt 9 des aktenkundigen Mietvertrages haften, sofern eine Mietpartei aus mehreren Personen besteht, diese für alle Verpflichtungen aus dem Mietverhältnis als Gesamtschuldner.
Gemäß Punkt 12 des Mietvertrages umfasst der Vertrag die gesamte Vereinbarung der Vertragsblockparteien, es bestehen keine mündlichen Nebenabreden. Änderungen und Ergänzungen zum Vertrag haben in Schriftform zu erfolgen.
Somit liegt kein Teilschuldverhältnis mit einer Mietverpflichtung von je € 300 pro Mieter vor, sondern ein Gesamtschuldverhältnis, bei dem jeder der beiden Mieter mit € 600 haftet. Eine Teilung der Mietsumme kann somit nur das Innenverhältnis der Mieter berühren, nicht jedoch das Außenverhältnis gegenüber dem Vermieter.
Außer der Wohnungsname in derselben Wohnung ist derzeit dem Akt der belangten Behörde kein Hinweis zu entnehmen, der für eine Lebensgemeinschaft spricht. Es sind lediglich noch die Ausführungen des Vaters der Beschwerdeführerin vom 27.4.2017 ersichtlich, in denen gegen eine Lebensgemeinschaft argumentiert wird.
Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:
Das Wiener Mindestsicherungsgesetz lautet auszugsweise:
(1) Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs haben volljährige Personen bei Erfüllung der Voraussetzungen nach § 4 Abs. 1 und 2. Der Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs kann nur gemeinsam geltend gemacht werden und steht volljährigen Personen der Bedarfsgemeinschaft solidarisch zu. Die Abdeckung des Bedarfs von zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden minderjährigen Personen erfolgt durch Zuerkennung des maßgeblichen Mindeststandards an die anspruchberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft, der sie angehören.
(2) Die Zurechnung zu einer Bedarfsgemeinschaft erfolgt nach folgenden Kriterien:
1.
Volljährige alleinstehende Personen und volljährige Personen, die mit anderen volljährigen Personen in Wohngemeinschaft leben, bilden eine eigene Bedarfsgemeinschaft.
2.
Volljährige Personen im gemeinsamen Haushalt, zwischen denen eine unterhaltsrechtliche Beziehung oder eine Lebensgemeinschaft besteht, bilden eine Bedarfsgemeinschaft.
(1) Die Bemessung der Leistungen zur Deckung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs erfolgt auf Grund der Mindeststandards gemäß Abs. 2, die bei volljährigen Personen auch einen Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs im Ausmaß von 25 vH des jeweiligen Mindeststandards enthalten. Für Personen, die das Regelpensionsalter nach dem Bundesgesetz vom 9. September 1955 über die Allgemeine Sozialversicherung (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz – ASVG) erreicht haben und für volljährige, auf die Dauer von mindestens einem Jahr arbeitsunfähige Personen beträgt der Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs 13,5 vH der Mindeststandards, wenn sie alleinstehend sind oder mit Personen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, in der Bedarfsgemeinschaft leben. Liegen bei mehr als einer Person in der Bedarfsgemeinschaft diese Voraussetzungen vor, beträgt der Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs 9 vH der Mindeststandards.
(2) Die Mindeststandards betragen:
1.
100 vH des Ausgleichszulagenrichtsatzes nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. b ASVG abzüglich des Beitrages für die Krankenversicherung (Anm.: lt. letzgültiger Verordnung der Landesregierung sind das EUR 837,76)
a)
für volljährige alleinstehende Personen und volljährige Personen, die mit anderen volljährigen Personen in Wohngemeinschaft leben; …
2.
75 vH des Wertes nach Z 1 für volljährige Personen, die mit anderen volljährigen Personen in einer Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 2 Z 2 leben; …
(3) Personen, die das Regelpensionsalter nach dem ASVG erreicht haben und volljährigen, auf die Dauer von mindestens einem Jahr arbeitsunfähigen Personen ist zum monatlich wiederkehrenden Mindeststandard jährlich in den Monaten Mai und Oktober je eine Sonderzahlung in der Höhe des Mindeststandards zuzuerkennen. Ein 13. oder 14. Monatsbezug, den die Person von anderer Seite erhält, ist auf diese Sonderzahlungen anzurechnen.
(1) Ein über den Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs nach § 8 Abs. 1 hinausgehender Bedarf wird an die anspruchsberechtigten Personen als Bedarfsgemeinschaft in Form einer monatlichen Geldleistung (Mietbeihilfe) zuerkannt, wenn dieser nachweislich weder durch eigene Mittel noch durch Leistungen Dritter gedeckt werden kann. Die Mietbeihilfe gebührt ab dem auf die Antragstellung folgenden Monat.
(2) Die Mietbeihilfe ist, bei durch unbedenkliche Urkunden nachgewiesenen tatsächlich höheren Kosten der Abdeckung des Wohnbedarfs, bis zur Höhe der Bruttomiete zuzuerkennen und wird wie folgt berechnet:
1.
Den Ausgangswert bilden die nach Abzug sonstiger Leistungen tatsächlich verbleibenden Wohnkosten bis zu den Mietbeihilfenobergrenzen nach Abs. 3.
2.
Dieser Ausgangswert wird durch die Anzahl der in der Wohnung lebenden volljährigen Personen geteilt und mit der Anzahl der volljährigen Personen der Bedarfsgemeinschaft multipliziert.
3.
Von dem für die Bedarfsgemeinschaft ermittelten Wert wird ein Betrag in folgender Höhe vom jeweiligen Mindeststandard nach § 8 Abs. 2 abgezogen:
a)
für jede volljährige Hilfe suchende oder empfangende Person ein Betrag in der Höhe von 25 vH;
b)
für jede Hilfe suchende oder empfangende Person, die das Regelpensionsalter nach dem ASVG erreicht hat und für jede volljährige auf die Dauer von mindestens einem Jahr arbeitsunfähige Person, wenn sie alleinstehend ist oder mit Personen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, in der Bedarfsgemeinschaft lebt, ein Betrag in der Höhe von 13,5 vH;
c)
für jede Hilfe suchende oder empfangende Person, die das Regelpensionsalter nach dem ASVG erreicht hat und für jede volljährige auf die Dauer von mindestens einem Jahr arbeitsunfähige Person, wenn bei mehr als einer Person der Bedarfsgemeinschaft diese Voraussetzungen vorliegen, ein Betrag von 9 vH.
(3) Die Mietbeihilfenobergrenzen werden pauschal nach Maßgabe der in der Wohnung lebenden Personen und der angemessenen Wohnkosten unter Berücksichtigung weiterer Beihilfen durch Verordnung der Landesregierung festgesetzt.
(1) Auf den Mindeststandard ist das Einkommen der Person, für die der jeweilige Mindeststandard gilt, anzurechnen.
(2) Bei der Berechnung der Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs von mehreren Personen, die eine Bedarfsgemeinschaft bilden, erfolgt die Bemessung für die Bedarfsgemeinschaft. Dabei ist auf die Summe der heranzuziehenden Mindeststandards die Summe der Einkommen aller anspruchsberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft anzurechnen.
(1) Auf die Summe der Mindeststandards ist das verwertbare Vermögen von anspruchsberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft anzurechnen.
Das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) lautet auszugsweise:
Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1.
der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2.
die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) lautet auszugsweise:
(1) Für die Durchführung des Ermittlungsverfahrens sind die Verwaltungsvorschriften maßgebend.
(2) Soweit die Verwaltungsvorschriften hierüber keine Anordnungen enthalten, hat die Behörde von Amts wegen vorzugehen und unter Beobachtung der in diesem Teil enthaltenen Vorschriften den Gang des Ermittlungsverfahrens zu bestimmen. Sie kann insbesondere von Amts wegen oder auf Antrag eine mündliche Verhandlung durchführen und mehrere Verwaltungssachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbinden oder sie wieder trennen. Die Behörde hat sich bei allen diesen Verfahrensanordnungen von Rücksichten auf möglichste Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis leiten zu lassen.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (und im Übrigen auch des Obersten Gerichtshofes) besteht das Wesen einer „Lebensgemeinschaft“ in einem eheähnlichen Zustand, der dem typischen Erscheinungsbild des ehelichen Zusammenlebens entspricht. Dazu gehört im Allgemeinen die Geschlechts-, Wohnungs- und vor allem die Wirtschaftsgemeinschaft, wobei aber, wie auch bei einer Ehe, das eine oder andere Merkmal weniger ausgeprägt sein oder ganz fehlen kann. Es kommt hierbei regelmäßig auf die Gesamtumstände des Einzelfalles an, wobei der Wirtschaftsgemeinschaft nach der Rechtsprechung überragende Bedeutung zukommt. Der Begriff der „Wirtschaftsgemeinschaft” ist so zu verstehen, dass beide Partner einander Beistand und Dienste leisten und an den zur Bestreitung des Unterhaltes, der Zerstreuung und Erholung zur Verfügung stehenden Gütern teilnehmen lassen, etwa auch die Freizeit weitgehend gemeinsam verbringen. Bei der Annahme einer gemeinsamen Wirtschaftsführung ist auf einen gemeinsamen Einkauf und eine gemeinsame Haushaltsführung sowie auf eine gemeinsame Freizeitgestaltung sowie eine gegenseitige Hilfe im Krankheitsfall sowie Unterstützung und Zusammenhalt in praktisch allen Lebenslagen abzustellen (vgl. VwGH 27.10.2001, Zl. 96/08/0100; 22.12.2003, ZI. 2003/10/0216; 23.3.2004, ZI. 2001/11/0075 u.a.).
Wie bereits im Sachverhalt dargelegt, ist derzeit dem Akt der belangten Behörde außer der Wohnsitznahme in derselben Wohnung kein Hinweis zu entnehmen, der für eine Lebensgemeinschaft spricht. Es sind lediglich noch die Ausführungen des Vaters der Beschwerdeführerin vom 27.4.2017 ersichtlich, in denen gegen eine Lebensgemeinschaft argumentiert wird.
Allerdings ist in der Wohnsitznahme der beiden Beschwerdeführer in derselben Wohnung sehr wohl ein Indiz zu erblicken, dass eine Lebensgemeinschaft vorliegen könnte.
Die belangte Behörde hat vor allem im Hinblick auf § 7 Abs. 2 Z. 1 und 2 WMG zu Recht dieses Indiz aufgegriffen, jedoch nicht näher geprüft ob auch sonst für eine Lebensgemeinschaft typische Umstände, insbesondere im Hinblick auf die übrigen von der oben angeführten zusammengefassten Judikatur vorliegen.
Die Angelegenheit war daher auf Ebene der belangten Behörde noch nicht entscheidungsreif. Es ist aber weder die Aufgabe noch im Interesse des Verwaltungsgerichtes oder der Rechtspflege, noch entspricht es den allgemeinen, insbesondere auch aus § 39 Abs. 2 AVG, letzter Satz, ableitbaren Grundsätzen der möglichsten Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis, dass ein Rechtsmittelgericht den maßgeblichen Sachverhalt durch umfangreichere Erhebungen erst selbst feststellt.
Somit war der angefochtene Bescheid aufzuheben das Verfahren zur Ergänzung des Ermittlungsverfahrens und zur daran anknüpfenden allfälligen Erlassung eines neuen Bescheides (oder allfälliger neuer Bescheide) an die belangte Behörde zurückverwiesen.
Schlagworte
Mindestsicherung; Lebensgemeinschaft; Wohngemeinschaft; Wirtschaftsgemeinschaft; Mietvertrag; Gesamtschuldverhältnis; Ergänzung des Ermittlungsverfahrens; ZurückverweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.242.021.RP25.8346.2017Zuletzt aktualisiert am
19.12.2017