TE Lvwg Erkenntnis 2017/11/30 VGW-151/032/7580/2017

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.11.2017
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Entscheidungsdatum

30.11.2017

Index

40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht
19/05 Menschenrechte

Norm

AVG §53b AVG
AVG §69 Abs1 Z1
AVG §69 Abs1 Z3
AVG §69 Abs3
AVG §76 Abs1
NAG §3 Abs5
NAG §8 Abs1 Z8
NAG §11 Abs1 Z4
NAG §27 Abs1
NAG §30 Abs1
NAG §47
EMRK Art. 8

Text

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Pühringer über die Beschwerde des E. B., vertreten durch Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 30. März 2017, Zl. MA35-9/2926619-03, mit welchem 1.) das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren aufgrund des Antrags vom 27. Oktober 2011 auf Ersterteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Familienangehöriger von Österreicher" gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 iVm § 69 Abs. 3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes – AVG von Amts wegen wiederaufgenommen und gleichzeitig dieser Antrag gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG abgewiesen wurde, 2.) das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren aufgrund des Verlängerungsantrages vom 3. Juni 2013 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Familienangehöriger von Österreicher" gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 iVm § 69 Abs. 3 AVG von Amts wegen wiederaufgenommen und gleichzeitig dieser Verlängerungsantrag gemäß § 24 NAG abgewiesen wurde, sowie 3.) das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren aufgrund des Verlängerungsantrages vom 21. November 2013 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Rot-Weiß-Rot Karte plus" gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 iVm § 69 Abs. 3 AVG von Amts wegen wiederaufgenommen und gleichzeitig dieser Verlängerungsantrag gemäß § 24 NAG abgewiesen wurde, nach mündlicher Verhandlung am 27. September 2017 und am 20. November 2017 den

BESCHLUSS

gefasst:

I. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG iVm § 17 VwGVG, §§ 76 Abs. 1 und 53b AVG wird dem Beschwerdeführer der Ersatz der mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 22. November 2017, Zl. VGW-KO-032/807/2017-1, mit € 172,70 bestimmten Barauslagen für die zur mündlichen Verhandlung am 20. November 2017 in der Zeit zwischen 13:00 Uhr bis 15:17 Uhr beigezogene nichtamtliche Dolmetscherin auferlegt. Der Beschwerdeführer hat der Stadt Wien die genannten Barauslagen durch Banküberweisung auf das Bankkonto mit der Kontonummer IBAN AT16 1200 0006 9621 2729, BIC BKAUATWW, lautend auf "MA6 BA40" mit dem Verwendungszweck "VGW-KO-032/807/2017-1" binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

sowie

IM NAMEN DER REPUBLIK

zu Recht erkannt:

II. Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass in Spruchpunkt "Ad 1) c)" des angefochtenen Bescheids das Zitat "§ 69 Abs. 1 Z 1" durch die Wortfolge "§ 69 Abs. 1 Z 3" ersetzt wird. Bei den im Spruch zitierten Rechtsgrundlagen wird die Wortfolge "§ 69 Abs. 1 Z. 1" durch die Wortfolge "§ 69 Abs. 1 Z 1 und 3" ersetzt.

III. Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 25a Abs. 1 VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

Entscheidungsgründe

I.       Verfahrensgang

1.       Der angefochtene Bescheid vom 30. März 2017 hat folgenden Spruch:

"Ad 1)

a) Das aufgrund Ihres Antrages vom 27.10.2011 auf Ersterteilung des Aufenthaltstitels 'Familienangehöriger von Österreicher' gem. § 47 Abs. 2 NAG geführte und rechtskräftig abgeschlossene Verfahren wird gemäß § 69 Abs.1 Z.1 iVm § 69 Abs.3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes - AVG 1991, BGBl. 51/1991 idgF. von Amts wegen wiederaufgenommen. Das Verfahren tritt in den Stand zurück, in dem es sich vor Erteilung des Aufenthaltstitels vom 27.10.2011 befunden hat.

b) Das aufgrund Ihres Verlängerungsantrages vom 3.6.2013 auf Erteilung des Aufenthaltstitels 'Familienangehöriger von Österreicher' gem. § 47 Abs. 2 NAG geführte und rechtskräftig abgeschlossene Verfahren wird gemäß § 69 Abs.1 Z.1 iVm § 69 Abs.3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes - AVG 1991, BGBl. 51/1991 idgF. von Amts wegen wiederaufgenommen. Das Verfahren tritt in den Stand zurück, in dem es sich vor Erteilung des Aufenthaltstitels vom 3.6.2013 befunden hat.

c) Das aufgrund Ihres Verlängerungsantrages vom 21.11.2013 auf Erteilung des Aufenthaltstitels 'Rot-Weiß-Rot Karte plus' gem. § 46 Abs. 1 Z 2 NAG geführte und rechtskräftig abgeschlossene Verfahren wird gemäß § 69 Abs.1 Z.1 iVm § 69 Abs.3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes - AVG 1991, BGBl. 51/1991 idgF. von Amts wegen wiederaufgenommen. Das Verfahren tritt in den Stand zurück, in dem es sich vor Erteilung des Aufenthaltstitels vom 21.11.2013 befunden hat.

Ad 2)

a) Gemäß §§ 30, 30a NAG iVm § 25 Abs 3 NAG und § 24 NAG wird gleichzeitig Ihr Antrag vom 27.10.2011 auf Ersterteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck 'Familienangehöriger von Österreicher' nach dem Bundesgesetz über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG 2005, BGBl. 100/2005) aufgrund des Vorliegens einer Aufenthaltsehe gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 NAG abgewiesen.

b) Ihre eingebrachten Verlängerungs- bzw. Zweckänderungsanträge auf Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels für den Zweck 'Familienangehöriger von Österreicher' gemäß § 4T Abs. 2 NAG (bzw. 'Rot-Weiß-Rot Karte plus' gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz werden mangels Vorliegens eines gültigen Aufenthaltstitels für Österreich gem. § 24 NAG abgewiesen.

Rechtsgrundlage: § 69 Abs.1 Z.1 iVm § 69 Abs.3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes - AVG 1991, BGBl. 51/1991 idgF iVm §§ 11 Abs. 1 Z 4 und 24 Abs. 1, § 25 Abs 3, § 30 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG 2005, BGBl. 100/2005 idgF"

2.       Gegen diesen Bescheid richtet sich die – zulässige – Beschwerde, mit welcher der Beschwerdeführer die Behebung der verfügten Wiederaufnahmen und Antragsabweisungen beantragt. In der Beschwerde macht der Beschwerdeführer im Wesentlichen Verfahrensfehler der belangten Behörde geltend und wendet sich gegen die Annahme, dass der Beschwerdeführer mit seiner früheren Ehefrau N. V. kein Familienleben iSd Art. 8 EMRK geführt habe; weiters beantragt er die zeugenschaftliche Einvernahme mehrerer Personen.

3.       Die belangte Behörde traf keine Beschwerdevorentscheidung und legte die Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien samt der Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

4.       Das Verwaltungsgericht Wien führte am 27. September 2017 und am 20. November 2017 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, zu welcher der Beschwerdeführer persönlich erschien und als Partei sowie mehrere weitere Personen als Zeugen einvernommen wurden.

II.      Sachverhalt

1.       Das Verwaltungsgericht Wien legt seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde:

1.1.    Der am ... 1979 geborene Beschwerdeführer ist mazedonischer Staatsbürger.

1.2.    Am 27. Oktober 2011 hat der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als Familienangehöriger einer Österreicherin gestellt. Dieser Antrag wurde bewilligt und dem Beschwerdeführer der Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" mit Gültigkeit vom 20. Juni 2012 bis 20. Juni 2013 erteilt. Am 3. Juni 2013 stellte der Beschwerdeführer einen Verlängerungsantrag, infolge dessen ihm neuerlich der Aufenthaltstitel "Familienangehöriger", diesmal mit Gültigkeitsdatum vom 21. Juni 2013 bis 21. Juni 2014, erteilt wurde. Am 21. November 2013 stellte der Beschwerdeführer einen Zweckänderungsantrag, infolge dessen ihm am 23. Juni 2014 der Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot – Karte (plus)" mit Gültigkeitsdatum vom 28. Mai 2014 bis 28. Mai 2017 erteilt wurde. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 30. März 2017 (dem Beschwerdeführer zugestellt am 24. April 2017) wurden schließlich sämtliche genannten Verfahren amtswegig wiederaufgenommen und unter einem negativ erledigt.

1.3.    Der Beschwerdeführer ist Vater dreier minderjähriger Kinder (geboren in den Jahren 2002, 2004 und 2008), welche allesamt in Mazedonien zur Welt gekommen sind. Die Mutter dieser drei Kinder ist S. A.. Zum Zeitpunkt der Geburt der drei Kinder waren der Beschwerdeführer und S. A. nicht verheiratet, sie waren aber ein Paar und lebten beide in Mazedonien.

Im Jahr 2011 übersiedelte der Beschwerdeführer nach Wien, wo seine Eltern lebten und auch heute noch leben. Am 19. Oktober 2011 heiratete er die österreichische Staatsbürgerin N. V. in Wien; der Beschwerdeführer kannte N. V. bereits aus der Schulzeit. Für N. V. war dies die zweite Ehe, sie war davor mit Ah. V. verheiratet; diese Ehe war im Jahr 2010 geschieden worden. Während der Beschwerdeführer mit N. V. in den Jahren 2011 bis 2013 verheiratet war, wurde ein tatsächliches Eheleben zwischen diesen beiden Personen im Sinne einer Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft nicht geführt. Vielmehr blieb die Beziehung zwischen N. V. mit dem Ah. V., welche auch heute ein Paar sind, aufrecht; Ah. V. wohnte in den Jahren 2011 bis 2013 überwiegend in der Wohnung der N. V. in Wien, L.-gasse. Ebenso blieb die Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und der Mutter seiner drei Kinder, S. A., in dieser Zeit aufrecht; der Beschwerdeführer besuchte sie regelmäßig in Mazedonien, sie kam mit den Kindern immer wieder nach Wien. Der Beschwerdeführer hielt sich in den Jahren 2011 bis 2013 zwar immer wieder in der Wohnung der N. V. auf, wohnte überwiegend aber in der Wohnung seiner Eltern in Wien, R.-gasse. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 18. November 2013 wurde die Ehe des Beschwerdeführers mit N. V. einvernehmlich geschieden. S. A. und die drei Kinder lebten in den Jahren 2011 bis 2013 immer wieder in Österreich, am 22. August 2015 erfolgte die Eheschließung des Beschwerdeführers mit S. A.. Spätestens im Jahr 2016 sind S. A. und die Kinder des Beschwerdeführers dauerhaft nach Österreich übersiedelt, seit Februar 2016 ist ein Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels anhängig.

1.4.    Der belangten Behörde lagen bei Erteilung der Aufenthaltstitel des Beschwerdeführers im Juni 2012 und Juni 2013 keine Anhaltspunkte vor, die den Verdacht einer Aufenthaltsehe zwischen dem Beschwerdeführer und N. V. nahelegten. Zu diesem Zeitpunkt wurden aber bereits fremdenpolizeiliche Ermittlungen in diese Richtung geführt, von welchen die belangte Behörde im Juli 2013 informiert wurde. Die belangte Behörde wurde nachweislich vom "dringenden Verdacht einer Aufenthaltsehe" und der Durchführung weiterer Ermittlungen durch die Fremdenpolizei informiert. Infolge des Zweckänderungsantrags des Beschwerdeführers vom 21. November 2013 holte die belangte Behörde eine Stellungnahme des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl ein, wonach dieses "keine aufenthaltsbeendigenden Maßnahmen" beabsichtige und keine "Bedenken gegen die Erteilung eines Aufenthaltstitels" bestünden. Zum Zeitpunkt der Erteilung des Aufenthaltstitels vom 23. Juni 2014 (mit Gültigkeit vom 28. Mai 2014 bis 28. Mai 2017) lagen der belangten Behörde zahlreiche Ermittlungsergebnisse der Fremdenpolizei zum Verdacht einer Aufenthaltsehe vor, die belangte Behörde berücksichtigte diese bei der Erteilung des Aufenthaltstitels aber nicht.

2.       Diese Feststellungen ergeben sich aus folgender Beweiswürdigung:

2.1.    Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens sowie Einvernahme des Beschwerdeführers als Partei, der S. A., der Bi. B., der N. V., der Su. V., des Ah. V., der I. Bie., des R. Bie., des D. Ba. und der Vi. Sz. als Zeuginnen und Zeugen in der mündlichen Verhandlung. In der Beschwerde wurden weiters die Einvernahme des K. Bak. und der J. Br. beantragt; auf die Einvernahme des Zeugen Bak. wurde jedoch in der mündlichen Verhandlung verzichtet, hinsichtlich der J. Br. wurde trotz Aufforderung keine ladungsfähige Adresse bekannt gegeben (vgl. zu einem solchen unbeachtlichen Beweisantrag etwa VwGH 24.11.2016, Ra 2016/08/0163).

2.2.    Im Beweisverfahren hat sich für das Verwaltungsgericht Wien ein insgesamt stark widersprüchliches bzw. unplausibles Bild des Zusammenlebens des Beschwerdeführers mit seiner Exgattin N. V. bzw. der Trennung des Beschwerdeführers von seiner damaligen Lebensgefährtin S. A. ergeben:

2.2.1.  Ins Auge sticht zunächst der nicht erklärbare Umgang des Beschwerdeführers mit der Information, Vater dreier Kinder zu sein, gegenüber den Behörden bzw. auch gegenüber seiner damaligen Ehefrau N. V.. So hat der Beschwerdeführer konsequent in all seinen Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels verschwiegen, selbst Kinder zu haben, obwohl das entsprechende Antragsformular unmissverständlich diese Information erfragt. Er hat schließlich bei einer polizeilichen Kontrolle in der Wohnung seiner Eltern am 17. Juni 2013 wie auch bei einer niederschriftlichen Einvernahme am 1. Oktober 2013 ausdrücklich verneint, Kinder zu haben. Erst als er für diese Kinder einen Aufenthaltstitel erlangen wollte, hat er diesbezüglich gegenüber der belangten Behörde entsprechende Angaben gemacht. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien hat der Beschwerdeführer das Verschweigen seiner Kinder damit begründet, er habe diese "nicht hineinziehen" wollen. Für das Verwaltungsgericht Wien ist in keinster Weise ersichtlich, worin seine Kinder "hineingezogen" werden sollten und welcher Nachteil mit einer Nennung der in Mazedonien lebenden Kinder den Behörden gegenüber für diese verbunden gewesen sein könnte.

Vielmehr geht das Verwaltungsgericht Wien davon aus, dass der Beschwerdeführer die Existenz seiner Kinder den Behörden gegenüber die längste Zeit verschwiegen hat, um die von ihm geschlossene Aufenthaltsehe möglichst zu verschleiern. Im Übrigen hat sich hier ein deutlicher Widerspruch in den Angaben des Beschwerdeführers und der N. V. dahingehend gezeigt, dass der Beschwerdeführer vor dem Verwaltungsgericht Wien angegeben hat, N. V. habe immer von seinen Kindern gewusst, während diese in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, nicht "von Anfang an" von den Kindern gewusst zu haben. Für das Verwaltungsgericht Wien ist es unplausibel, dass zwischen Eheleuten die Existenz von Kindern – wenn auch nur anfänglich – verschwiegen wird.

2.2.2.  Völlig unterschiedliche Angaben liegen dem Verwaltungsgericht Wien hinsichtlich der Wohnsituation des Beschwerdeführers rund um seine Scheidung im Jahr 2013 vor. Am 17. Juni 2013 – zu diesem Zeitpunkt bestand die Ehe noch – gab es eine polizeiliche Kontrolle in der Wohnung der Eltern des Beschwerdeführers in der R.-gasse. Bei dieser Kontrolle bot sich Exekutivorganen – dem Bericht über diese Kontrolle folgend – das Bild, dass der Beschwerdeführer dort übernachtet habe, was dieser selbst bestätigte. Auch vor dem Verwaltungsgericht Wien bestätigte der Beschwerdeführer diese "einmalige" Übernachtung am 17. Juni 2013, weil er mit seiner damaligen Ehegattin N. V. Streit gehabt habe. Im weiteren Verlauf der Verhandlung und auf Vorhalt, wonach er laut N. V. im April 2013 aus der ehelichen Wohnung gänzlich ausgezogen sein soll, änderte der Beschwerdeführer seine Angabe dahingehend, bereits im April 2013 in die elterliche Wohnung übersiedelt zu sein, was im klaren Widerspruch zu seinen Angaben während der polizeilichen Kontrolle am 17. Juni 2013 wie auch zu seiner kurz zuvor gemachten Angabe in der mündlichen Verhandlung steht.

Die Mutter des Beschwerdeführers, Bi. B., hat demgegenüber wieder andere Angaben dahingehend gemacht, als sie den Einzug des Beschwerdeführers in die elterliche Wohnung erst nach der Scheidung des Beschwerdeführers von N. V. – diese war erst im November 2013 – behauptete; am 17. Juni 2013 sei der Beschwerdeführer in der elterlichen Wohnung in der R.-gasse gewesen, weil die Mutter des Beschwerdeführers "Probleme mit [ihrem] Mann" gehabt habe. Dies steht in klarem Widerspruch zum vom Beschwerdeführer gezeichneten Bild einer einmaligen Übernachtung infolge eines Streits mit seiner damaligen Ehegattin.

Hinsichtlich der Wohnsituation des Beschwerdeführers gegen Ende seiner Ehe haben die einvernommenen Familienmitglieder bzw. auch die Exgattin N. V. klar widersprüchliche Angaben gemacht; selbst der Beschwerdeführer schwankte zwischen verschiedenen Darstellungen, je nachdem, welche aus der Aktenlage ersichtliche Version ihm gerade vorgehalten wurde. Das Verwaltungsgericht Wien schließt aus diesen Widersprüchen darauf, dass die tatsächlichen Umstände gänzlich andere waren, als von den Beteiligten behauptet, und diese die wahren Umstände nicht preisgeben wollen, um negative Folgen für den Beschwerdeführer zu vermeiden.

Zur Frage, ob der Beschwerdeführer während der aufrechten Ehe mit N. V. üblicherweise in der ehelichen Wohnung in der L.-gasse aufhältig war, liegen weitere widersprüchliche Beweisergebnisse vor. Auf der einen Seite stehen der Beschwerdeführer, seine Eltern, seine Exgattin N. V. und deren Tochter Su. V., welche versicherten, dass der Beschwerdeführer bis zur Zerrüttung der Ehe in der L.-gasse gewohnt habe. Auf der anderen Seite stehen die Nachbarn der N. V., das Ehepaar Bie., welche vor dem Verwaltungsgericht Wien angaben, den Beschwerdeführer überhaupt noch nie an dieser Adresse gesehen zu haben (I. Bie.) bzw. ihn ein paar Mal am Gang gesehen, aber als Gast und nicht als Nachbar wahrgenommen zu haben (R. Bie.). In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien hat insbesondere N. V. bei ihrer Vernehmung einen sehr nervösen und ausweichenden Eindruck hinterlassen. Es war ihr sichtlich unangenehm, über ihr früheres Verhältnis zum Beschwerdeführer zu sprechen und sie wies ungewöhnlich große Erinnerungslücken zum gemeinsamen Eheleben auf. So war ihr weder das Datum der Eheschließung noch der Umstand erinnerlich, ob der Beschwerdeführer während der aufrechten Ehe irgendwann auf Urlaub war.

Einen überzeugenderen Eindruck hat die Tochter der N. V., Su. V., hinterlassen, welche ein Zusammenleben des Beschwerdeführers mit der N. V. während der aufrechten Ehe bestätigt hat. Für das Verwaltungsgericht Wien ist – von möglichen finanziellen Vorteilen für ihre Mutter oder familiärer Loyalität abgesehen – nicht ersichtlich, welchen Vorteil Su. V. daraus ziehen könnte, entgegen der sie als Zeugin treffenden Wahrheitspflicht bewusst unwahre Angaben zu machen. In diesem Zusammenhang ist aber zu berücksichtigen, dass die Zeugin nach eigenen Angaben auf Grund einer psychischen Erkrankung an Erinnerungslücken leidet und sie als noch zu Hause wohnende Minderjährige in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis zu ihrer Mutter steht.

Die Zeugin I. Bie. bzw. der Zeuge R. Bie. haben einen sehr überzeugenden Eindruck hinterlassen, es ist auch kein Grund ersichtlich, weshalb diese unwahre Angaben über die Vorgänge in einer Nachbarswohnung machen sollten. Die Zeugin Bie. hat kategorisch ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer jemals in der Wohnung L.-gasse gewohnt hat und konnte Herrn V. eindeutig als den dort wohnenden Familienvater zuordnen. Sie hat auch ausgeschlossen, den Beschwerdeführer überhaupt schon früher einmal gesehen zu haben. Dazu sei angemerkt, dass der Beschwerdeführer erst während der Befragung der Zeugin Bie. im Verhandlungssaal erschienen ist und bis dahin fälschlicherweise der Vater des Beschwerdeführers am Beschwerdeführertisch Platz genommen hatte, die Zeugin Bie. aber auch eine Wiedererkennung des nunmehr anwesend gewordenen Beschwerdeführers ausgeschlossen hat. Der Zeuge R. Bie. konnte wiederum den Beschwerdeführer optisch zuordnen, was zumindest für eine fallweise Anwesenheit des Beschwerdeführers an der Adresse L.-gasse spricht; der Zeuge R. Bie. hat aber ebenso glaubhaft dargelegt, dass er den Beschwerdeführer nie als Nachbarn, sondern immer nur als Besucher des Ehepaars V./V. wahrgenommen hat.

In Anbetracht dieser eben geschilderten widersprüchlichen Beweisergebnisse geht das Verwaltungsgericht Wien im Rahmen der von ihm vorzunehmenden freien Beweiswürdigung davon aus, dass der Beschwerdeführer zwar regelmäßig an der Adresse L.-gasse anwesend war, um den Schein eines aufrechten Ehelebens zu wahren, in Wahrheit seinen Lebensmittelpunkt aber nicht dort hatte und die jeweils anderslautenden Zeugenaussagen der Aufrechterhaltung des Scheins eines tatsächlichen Ehelebens zwischen dem Beschwerdeführer und der N. V. dienten. In diesem Zusammenhang ist auch die Aussage des Ah. V. nicht glaubhaft, während der aufrechten Ehe des Beschwerdeführers mit der N. V. nicht in der L.-gasse, sondern bei seiner Mutter gewohnt zu haben. Das Verwaltungsgericht Wien geht vielmehr davon aus, dass die Ehe der N. V. und des Ah. V. 2010 nur zu dem Zweck geschieden wurde, um der N. V. das Eingehen einer Scheinehe mit dem Beschwerdeführer, was für sie möglicherweise mit finanziellen Vorteilen verbunden war, zu ermöglichen. Für diese Ansicht spricht aus heutiger Sicht zudem, dass mittlerweile die N. V. und der Ah. V. angeben, wieder zusammen zu sein.

2.2.3.  Völlig unplausibel erscheint dem Verwaltungsgericht Wien die geschilderte Trennung des Beschwerdeführers von der Mutter seiner Kinder, S. A., im Jahr 2010. Den Angaben des Beschwerdeführers zufolge sei eine Trennung nicht im Streit erfolgt, sondern er sei "einfach gegangen". S. A. hat sich in diesem Punkt in der mündlichen Verhandlung sehr ausweichend gezeigt, sie wollte sichtlich möglichst keine Angaben machen und wirkte nicht nur nervös, was durch die Verhandlungssituation erklärbar wäre, sondern beschämt und übermäßig zögerlich, als müsste sie sich jede Antwort sehr genau zurechtlegen. Die Trennung im Jahr 2010 hat sie schlicht so erklärt, dass der Beschwerdeführer nach Österreich gefahren sei, um seinen Vater zu besuchen; sie habe dann einen Anruf erhalten, wonach der Beschwerdeführer nunmehr verheiratet sei. Für das Verwaltungsgericht Wien ist nur schwer vorstellbar, dass eine Trennung eines Elternpaares mit drei Kindern mit einem schlichten Telefonanruf des Vaters über die nunmehrige Vermählung mit einer anderen Frau während eines Elternbesuchs vollzogen wird. Weiters ist nur schwer vorstellbar, dass eine solche Trennungssituation bei der Mutter, welche nunmehr allein für drei kleine Kinder sorgen muss, keine Ablehnungsreaktion hervorruft, sondern weiterhin guter Kontakt zum Vater besteht.

Das Verwaltungsgericht Wien geht angesichts dieser unplausiblen Darstellung sowie angesichts des Umstands der späteren Verehelichung des Beschwerdeführers mit S. A. davon aus, dass der Beschwerdeführer und S. A. durchgehend in engerem Kontakt geblieben sind, eine echte Trennung nie vollzogen wurde und von Beginn an der Plan bestand, dem Beschwerdeführer über eine Scheinehe ein eigenständiges Niederlassungsrecht in Österreich zu verschaffen, um im Anschluss seine Kinder und S. A. nach Österreich holen zu können.

2.3.    Abschließend sei noch eine Reihe nebensächlicher Unstimmigkeiten bzw. Widersprüchlichkeiten, welche im gegenständlichen Beweisverfahren aufgeworfen wurden, aufgezeigt, welche jeweils für sich keine für die Beweiswürdigung entscheidungsrelevante Rolle spielen mögen, in der Gesamtbetrachtung für das Verwaltungsgericht Wien aber ein unstimmiges Bild ergeben:

2.3.1 Der Beschwerdeführer hat in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der Landespolizeidirektion Wien vom 1. Oktober 2013 angegeben, dass bei der Hochzeitsfeier sein Vater Trauzeuge gewesen sei und die Hochzeitsfeier anschließend in der Wohnung in der L.-gasse stattgefunden habe. Der Vater des Beschwerdeführers hat aber in seiner Aussage vor dem Verwaltungsgericht Wien angegeben, nie in der Wohnung in der L.-gasse gewesen zu sein.

2.3.2.  Die Zeugin N. V. hat in ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor der Landespolizeidirektion Wien vom 1. Oktober 2013 angegeben, im August 2013 mit dem Bus auf Urlaub nach Mazedonien gefahren zu sein. Erst auf Vorhalt eines entsprechenden Reisestempels im Reisepass hat sie bei der Einvernahme zugegeben, mit dem Zeugen Ah. V. gemeinsam im Auto dort hingefahren zu sein. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien hat sie auf diesen Widerspruch angesprochen nunmehr bestritten die – niederschriftlich dokumentierte – ursprüngliche Aussage mit der Busfahrt im Zuge der Einvernahme getätigt zu haben. Für das Verwaltungsgericht Wien ist daraus ersichtlich, dass sie der Behörde und auch dem Gericht gegenüber möglichst verschleiern wollte, mit dem Zeugen Ah. V. weiterhin in intensiverem Kontakt gestanden zu sein.

2.3.3.  Weiters fällt auf, dass beim Termin der mündlichen Verhandlung am 27. September 2017 mehrere der geladenen Zeugen mangels Deutschkenntnissen nicht einvernommen werden konnten und diese Einvernahmen erst beim nächsten Termin, zu welchem eine Dolmetscherin geladen wurde, erfolgten. Diese Zeugen wurden bereits in der Ladung für den ersten Verhandlungstermin darauf hinwiesen, dass die Erforderlichkeit einer Dolmetscherin oder eines Dolmetschers bei der mündlichen Verhandlung dem Verwaltungsgericht Wien unverzüglich mitzuteilen sei, eine solche Mitteilung erfolgte von keinem der Zeugen. Durch das Unterlassen dieser Mitteilung und die daraus resultierende Erforderlichkeit eines zweiten Verhandlungstermins hatten diese Zeugen folglich die Möglichkeit, sich anhand der Aussagen des Beschwerdeführers beim ersten Verhandlungstermin auf den zweiten Termin entsprechend vorzubereiten, was die Beweiskraft ihrer Angaben schmälert.

2.3.4 Der Beschwerdeführer und die Zeugin N. V. waren während ihrer immerhin über zwei Jahre bestehenden Ehe kein einziges Mal gemeinsam – wohl aber getrennt regelmäßig – auf Urlaub, aus der Ehe sind keine Kinder hervorgegangen, es konnten keine gemeinsamen Fotos oder Erinnerungsstücke vorgelegt werden, es gibt offenbar keine gemeinsamen Freundschaften, Aktivitäten oder verbindende Ereignisse. All diese nicht vorhandenen Merkmale, welche üblicherweise in einer eheähnlichen Beziehung vorhanden sind, lassen letztlich darauf schließen, dass tatsächlich ein Familienleben nicht geführt wurde.

2.4. Die Feststellungen zum Verfahrensgang betreffend die Erteilung der drei gegenständlichen Aufenthaltstitel wie auch zum jeweiligen Informationsstand der belangten Behörde betreffend die Ermittlungen zur Aufenthaltsehe bei Erteilung der Aufenthaltstitel ergeben sich aus der dem Verwaltungsgericht Wien vorliegenden Aktenlage.

III.     Rechtliche Beurteilung

1.       Anzuwendende Rechtsvorschriften:

§ 69 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG, BGBl. 51/1991 idF BGBl. I 33/2013, lautet (auszugsweise):

"Wiederaufnahme des Verfahrens

§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:

         1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

         2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder

         3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde;

         4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.

[…]

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

(4) Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat."

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes – NAG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 145/2017, lauten:

"§ 3. (1) bis (5) […]

(5) Der Bundesminister für Inneres kann die Erteilung eines Aufenthaltstitels (§ 8) und die Ausstellung einer Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthalts- und Niederlassungsrechts (§ 9) in Ausübung seines Aufsichtsrechtes nach § 68 Abs. 4 Z 4 AVG mit Bescheid als nichtig erklären, wenn die Erteilung oder Ausstellung

         1. trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 oder

         2. trotz Fehlens einer besonderen Voraussetzung des 2. Teiles erfolgte oder

         3. durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist.

In den Fällen der Z 1 und 2 ist die Nichtigerklärung nur binnen drei Jahren nach Erteilung oder Ausstellung zulässig.

[…]

Arten und Form der Aufenthaltstitel

§ 8. (1) Aufenthaltstitel werden erteilt als:

         […]

         8. Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' für die befristete Niederlassung mit der Möglichkeit, anschließend einen Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EU' (Z 7) zu erhalten;

Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

§ 11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn

         […]

         4. eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 Abs. 1 oder 2) vorliegt;

[…]

Niederlassungsrecht von Familienangehörigen

§ 27. (1) Familienangehörige mit einem Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 2, 4, 5 und 8 haben ein eigenständiges Niederlassungsrecht. Liegen die Voraussetzungen für den Familiennachzug nicht mehr vor, ist dem Familienangehörigen ein Aufenthaltstitel auszustellen, dessen Aufenthaltszweck jedenfalls dem bisherigen Aufenthaltszweck entspricht, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 vorliegt und er die Erteilungsvoraussetzungen des § 11 Abs. 2 erfüllt.

[…]

Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft und Aufenthaltsadoption

§ 30. (1) Ehegatten oder eingetragene Partner, die ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht führen, dürfen sich für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf die Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen.

[…]

Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' und 'Niederlassungsbewilligung – Angehöriger'

§ 47. (1) Zusammenführende im Sinne der Abs. 2 bis 4 sind Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und nicht ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben.

(2) Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden sind, ist ein Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen."

2.       Die belangte Behörde wirft dem Beschwerdeführer im vorliegenden Wiederaufnahmeverfahren eine bewusste Täuschung dadurch vor, dass er sich bei Antragstellung auf eine Ehe bezog, in welcher ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geführt wurde. Die belangte Behörde stützt sich dabei in allen drei Verfahren auf den Wiederaufnahmsgrund des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG.

Zunächst ist festzuhalten, dass angesichts der im verwaltungsgerichtlichen Feststellungen der Beschwerdeführer mit N. V. tatsächlich niemals ein Familienleben iSd Art. 8 EMRK führte, es liegt daher eine Aufenthaltsehe im Sinn des § 30 Abs. 1 NAG vor (vgl. dazu VwGH 19.9.2012, 2008/22/0243 uva).

2.1.    Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs liegt das "Erschleichen" eines Bescheids dann vor, wenn dieser in der Art zustande gekommen ist, dass bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht wurden und diese Angaben dann dem Bescheid zugrunde gelegt worden sind, wobei das Verschweigen wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist. Dabei muss die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen sein und eine solche Lage bestehen, dass ihr nicht zugemutet werden kann, von Amts wegen noch weitere, der Feststellung der Richtigkeit der Angaben dienliche Erhebungen zu pflegen (siehe Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz. 12 und die dort zitierte Judikatur).

2.2.    Diese Voraussetzungen sind im Fall der Erteilung der Aufenthaltstitel im Juni 2012 und Juni 2013 jedenfalls gegeben. Der Beschwerdeführer hat sich vor der belangten Behörde auf das Eingehen einer Ehe mit der N. V. gestützt, obwohl ein Eheleben iSd Art. 8 EMRK nicht geführt wurde und die Ehe einzig zu dem Zweck geschlossen wurde, dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel zu verschaffen. Der Behörde lagen zum Zeitpunkt der Erteilung dieser Aufenthaltstitel auch keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich um eine Scheinehe handeln könnte. Es konnte ihr folglich nicht zugemutet werden, amtswegig weitere Ermittlungen in Bezug auf das hypothetische Vorliegen einer Scheinehe zu führen. Zudem hat der Beschwerdeführer bewusst seine drei Kinder, welche er mit einer anderen Frau hatte, der belangten Behörde verschwiegen, um möglichst keinen Verdacht des Eingehens einer Aufenthaltsehe aufkommen zu lassen.

Die Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG hinsichtlich der Erteilung dieser Aufenthaltstitel sind damit gegeben, von der belangten Behörde wurde zu Recht amtswegig die Wiederaufnahme verfügt. Gemäß § 69 Abs. 3 AVG ist die amtswegige Wiederaufnahme auf Grund des Erschleichungstatbestandes des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG ohne jede zeitliche Begrenzung möglich.

2.3.    Hinsichtlich der Erteilung des Aufenthaltstitels im Jahr 2014 – zu diesem Zeitpunkt war die Ehe bereits geschieden und der Beschwerdeführer stützte sich in seinem Zweckänderungsantrag auf sein aus der Ehe abgeleitetes eigenständiges Niederlassungsrecht – stellt sich die Situation jedoch anders dar. Zu diesem Zeitpunkt war die belangte Behörde bereits von der Fremdenpolizei darüber informiert, dass der "dringende Verdacht einer Aufenthaltsehe" bestehe, zudem lagen ihr Ermittlungsergebnisse der Fremdenpolizei vor, welche eindeutig den Verdacht einer Aufenthaltsehe nahelegen. Dennoch erteilte die belangte Behörde – offenbar gestützt auf eine Stellungnahme des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, wonach derzeit keine aufenthaltsbeendigenden Maßnahmen gesetzt würden – den vom Beschwerdeführer beantragten Aufenthaltstitel, ohne selbst weitere Erhebungen zu tätigen.

2.3.1.  Hat es aber die Behörde verabsäumt, von den ihr im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ohne besondere Schwierigkeiten offen stehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen und blieb die Erschleichungshandlung auf Grund einer Sorgfaltswidrigkeit der Behörde unentdeckt, schließt dieser Mangel es aus, auch objektiv unrichtige Parteiangaben von wesentlicher Bedeutung (bzw. ein Verschweigen) als ein Erschleichen des Bescheids iSd § 69 Abs. 1 Z 1 AVG zu werten (vgl. etwa VwGH 8.6.2006, 2004/01/0470).

2.3.2.  Auf eine mögliche Erschleichung durch die Behauptung einer in der Vergangenheit bestanden habenden Scheinehe konnte sich die belangte Behörde folglich bei der Wiederaufnahme des Verfahrens zur Erteilung einer Aufenthaltsehe im Jahr 2014 nicht stützen. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob das Vorliegen einer – mittlerweile bereits geschiedenen – Scheinehe in diesem Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels überhaupt entscheidungserheblich war (vgl. VwGH 26.2.2013, 2009/22/0081, wonach das Erteilungshindernis des § 11 Abs. 1 Z 4 NAG nur während des Bestehens einer Scheinehe herangezogen werden kann).

Vom Verwaltungsgericht Wien ist aber zu prüfen, ob die von der belangten Behörde ausgesprochene Wiederaufnahme dieses zeitlich jüngsten Verfahrens zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zwar auf die gleichen Tatsachen, aber mitunter auf einen anderen Wiederaufnahmsgrund gestützt werden kann (vgl. zum Finanzverfahren VwGH 14.5.1991, 90/14/0262, mwN).

2.3.3.  In Betracht kommt im gegenständlichen Verfahren der Wiederaufnahmsgrund des § 69 Abs. 1 Z 3 AVG wegen abweichender Vorfragenbeurteilung:

Zum einen darf die Behörde das Verfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z 3 AVG nur dann wieder aufnehmen, wenn die Vorfrage "nachträglich", das heißt nach Eintritt der Rechtskraft "ihres" Bescheids, der im wieder aufzunehmenden Verfahren ergangen ist, anders entschieden wurde. Gleichzeitig setzt zum anderen die Wiederaufnahme des Verfahrens voraus, dass die Entscheidung jener Behörde, welche die Vorfrage als Hauptfrage entschieden hat, gegenüber den (allen) Parteien des wieder aufzunehmenden Verfahrens in Rechtskraft erwachsen (bindend geworden) ist. Ob die Verwaltungsbehörde die Vorfrage im wieder aufzunehmenden Verfahren gemäß § 38 AVG selbst beurteilt und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde gelegt hat oder ob sie an eine bereits damals vorliegende rechtskräftige Entscheidung der Vorfrage durch die zuständige Behörde (das Gericht) gebunden war, wobei der rechtskräftige Bescheid auch von der Behörde selbst stammen kann, den sie in einem anderen Verfahren erlassen hat, spielt für die Zulässigkeit der Wiederaufnahme keine Rolle (vgl. zum Ganzen Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz. 17 und die dort zitierte Judikatur).

Der Sache nach scheint auch die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen zu sein, wegen einer abweichenden Vorfragenbeurteilung das Verfahren wiederaufnehmen und neu entscheiden zu müssen, hat sie doch den Antrag des Beschwerdeführers im wiederaufgenommenen Verfahren "mangels Vorliegens eines gültigen Aufenthaltstitels für Österreich gem. § 24 NAG" abgewiesen.

Diese Vorgangsweise ist vom Verwaltungsgericht Wien als zutreffend zu erkennen, hing doch die Erteilung des Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot Karte plus" an den Beschwerdeführer im Jahr 2014 davon ab, ob ihm zu diesem Zeitpunkt ein eigenständiges Niederlassungsrecht nach § 27 NAG zukam. Bei Erteilung des Aufenthaltstitels im Jahr 2014 ging die belangte Behörde offenbar davon aus, dass der Beschwerdeführer aus seinen bisherigen Aufenthaltstitel iSd § 8 Abs. 1 Z 8 NAG ein eigenständiges Aufenthaltsrecht iSd § 27 Abs. 1 NAG ableiten konnte; dies auf Grund der damals rechtskräftigen Erteilung eines Aufenthaltstitels iSd § 8 Abs. 1 Z 8 NAG. Durch den Wegfall dieser rechtskräftigen Erteilung des Aufenthaltstitels iSd § 8 Abs. 1 Z 8 NAG im Zuge der Wiederaufnahme und in der Folge abweisenden Entscheidung des Antrags auf Erteilung des Aufenthaltstitels iSd § 8 Abs. 1 Z 8 NAG (Spruchpunkt "Ad 2) a)") wurde dementsprechend eine für die Titelerteilung im Jahr 2014 entscheidungserhebliche Vorfrage neu beurteilt. Diese neuerliche Entscheidung (Spruchpunkt "Ad 2) a)") ist mit dem gegenständlichen beschwerdeabweisenden Erkenntnis in Rechtskraft erwachsen und kann daher als abweichend entschiedene Vorfrage iSd § 38 AVG der Beurteilung der Zulässigkeit der Wiederaufnahme des 2014 abgeschlossenen Verfahrens zugrunde gelegt werden.

Somit erweist sich auch die von der belangten Behörde in Spruchpunkt "Ad 1) c)" ausgesprochene Wiederaufnahme im Ergebnis als rechtmäßig, vom Verwaltungsgericht Wien ist jedoch die herangezogene Rechtsgrundlage auf § 69 Abs. 1 Z 3 AVG zu korrigieren. Neue Tatsachen werden der Wiederaufnahme dabei nicht zugrunde gelegt, es wird einzig auf die im Spruch des angefochtenen Bescheids genannten Umstände rekurriert. Angesichts der Bescheiderlassung des angefochtenen Bescheids mit 24. April 2017 ist dieser hinsichtlich der Titelerteilung am 23. Juni 2014 zudem innerhalb der dreijährigen Frist des § 69 Abs. 3 iVm § 69 Abs. 1 Z 3 AVG ergangen, auf den Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (vgl. VwGH 10.9.1982, 82/08/0095).

2.4.    Zusammenfassend ist somit der Spruchpunkt "Ad 1)" des angefochtenen Bescheids der Gänze nach zu bestätigen, wenngleich hinsichtlich des Unterspruchpunkts "c)" sowie in den im Spruch zitierten Rechtsgrundlagen Anpassungen vorzunehmen sind.

3.       In den drei wiederaufgenommenen Verfahren hat die belangte Behörde die jeweiligen Anträge des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abgewiesen.

3.1.    Sie hat sich hinsichtlich des Erstantrags dabei auf das Vorliegen des Erteilungshindernisses des § 11 Abs. 1 Z 4 NAG gestützt. Angesichts der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren getroffenen Feststellungen und den bereits unter Pkt. III.2. gemachten Ausführungen ist diese Abweisung als rechtmäßig zu erkennen.

3.2.    Die beiden Folgeanträge hat die belangte Behörde gemäß § 24 NAG abgewiesen. Diese Abweisungen sind ebenfalls rechtmäßig, setzt ein Verlängerungs- bzw. ein gleichzeitiger Zweckänderungsantrag doch einen bestehenden Aufenthaltstitel voraus, welcher nunmehr weggefallen ist. Unter diesem Blickwinkel sind die beiden Anträge des Beschwerdeführers vom 3. Juni 2013 und vom 21. November 2013 als Erstanträge zu sehen, eine gesetzliche Grundlage für die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist für das Verwaltungsgericht Wien in diesem Zusammenhang nicht erkennbar.

3.3.    Spruchpunkt "ad 2)" des angefochtenen Bescheids war daher ebenfalls zur Gänze zu bestätigen.

4.       Zu den auferlegten Kosten:

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist eine klare und verlässliche Verständigung in einer mündlichen Verhandlung zu gewährleisten (vgl. VwGH 19.3.2014, 2013/09/0109). Insoweit hat die antragstellende Partei für die in Rechnung gestellten Gebühren von zu diesem Zweck beizuziehenden nichtamtlichen Dolmetschern aufzukommen (vgl. zur Tragung allfälliger Kosten für die zur vollständigen Ermittlung des Sachverhalts erforderlichen Amtshandlungen das Erkenntnis des VwGH vom 20.9.2012, 2010/06/0108).

Die Übersetzung zum mündlichen Verhandlungstermin am 20. November 2017 war auf Grund der nicht ausreichenden Deutschkenntnisse mehrerer Zeugen sowie zur Rückübersetzung des Verhandlungsprotokolls für eine gänzlich unbeeinträchtigte Verständigung sowie zur verlässlichen Erforschung des maßgeblichen Sachverhalts erforderlich.

Dem Verwaltungsgericht Wien stand eine amtliche Dolmetscherin oder ein amtlicher Dolmetscher für die mazedonische Sprache nicht zur Verfügung. Für die mündliche Verhandlung hat es daher eine externe Person zur Übersetzung beigezogen.

Die Dolmetscherin legte in der Verhandlung am 20. November 2017 ihre Gebührennote, diese wurde den Verfahrensparteien vorgelegt; dagegen wurden keine Einwendungen erhoben.

Die in der Gebührennote (nach dem Gebührenanspruchsgesetz – GebAG, BGBl. 136/1975) verzeichneten Gebühren hat das Verwaltungsgericht Wien geprüft und in der im Spruch genannten Höhe für in Ordnung befunden. Die Buchhaltungsabteilung der Stadt Wien wurde zur Bezahlung der Gebühr aus Amtsmitteln angewiesen (vgl. zu alldem § 53b in Verbindung mit § 53a Abs. 2 erster Satz und Abs. 3 erster Satz AVG).

Gemäß § 17 VwGVG in Verbindung mit § 76 Abs. 1 erster und zweiter Satz sowie § 53b AVG hat die beschwerdeführende Partei für diese Barauslagen aufzukommen. Das Verwaltungsgericht Wien verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass die gegenständliche Wiederaufnahme gemäß § 69 Abs. 3 AVG von Amts wegen erfolgte. Nichtsdestotrotz bezog sich das Wiederaufnahmeverfahren auf antragsbedürftige Verwaltungsverfahren, in welchen jeweils der Beschwerdeführer den verfahrenseinleitenden Antrag gestellt hatte; zudem waren infolge der bestätigten Wiederaufnahme die Antragsverfahren des Beschwerdeführers inhaltlich neu zu beurteilen. Die Kostentragungsregelungen des § 76 Abs. 1 erster und zweiter Satz iVm § 53b AVG kommen daher im vorliegenden Verfahren zum Tragen.

5.       Die ordentliche Revision ist unzulässig, da im Beschwerdefall keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Verwaltungsgericht Wien hat sich bei seiner Entscheidung insbesondere betreffend die Beweiswürdigung, das Vorliegen einer Aufenthaltsehe und den Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme an der jeweils zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs orientiert. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.

Schlagworte

Aufenthaltsehe, Wiederaufnahmegrund, Erschleichen eines Bescheides, Vorfrage, Barauslagen, Dolmetschkosten, Kostentragungsregel

Anmerkung

VwGH v. 14.7.2021, Ra 2018/22/0017; Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.151.032.7580.2017

Zuletzt aktualisiert am

30.07.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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