TE Bvwg Erkenntnis 2017/11/28 W199 2142530-1

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Veröffentlicht am 28.11.2017
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Entscheidungsdatum

28.11.2017

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W199 2142530-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Michael SCHADEN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Syrien, gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.11.2016, Zahl:

1072440000-150633995/BMI-BFA_STM_AST, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und Herrn XXXX gemäß § 3 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 8.6.2015 den Antrag, ihm internationalen Schutz zu gewähren (in der Folge auch als Asylantrag bezeichnet). Begründend gab er dazu bei seiner Befragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes XXXX am nächsten Tag an, er stamme aus XXXX in Syrien und habe dieses Land wegen des Kriegszustandes verlassen, es gebe keine Sicherheit mehr. Es sei jeden Tag bombardiert worden. Er habe Angst um sein Leben und das seiner Familie.

Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt; Regionaldirektion XXXX) am 25.8.2016 gab der Beschwerdeführer an, sämtliche Dokumente der Familie seien ihm auf der Reise in Griechenland gestohlen worden. Am selben Tag übermittelte er eine Kopie seines Reisepasses an das Bundesamt (er hatte ihn auf seinem Mobiltelefon fotografiert).

Der Beschwerdeführer machte Angaben zu seinen Verwandten und zu seinen Lebensumständen in Syrien. Er gab ua. an, er habe nur Sicherheit gewollt und sie in Österreich gefunden. Er lehne Krieg, Gewalt und Blutvergießen ab. Genau davor sei er mit seiner Familie geflohen.

2. Mit dem Bescheid, dessen Spruchpunkt I angefochten ist (in der Folge der Einfachheit halber als angefochtener Bescheid bezeichnet), wies das Bundesamt den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005, Art. 2 BG BGBl. I 100 (in der Folge: AsylG 2005) ab (Spruchpunkt I), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erkannte es dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II), gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilte es ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 28.11.2017 (Spruchpunkt III).

Im angefochtenen Bescheid werden zunächst die Niederschriften der Befragung und der Einvernahme auszugsweise wiedergegeben. Im Kopf des Bescheides wird das Geburtsdatum des Beschwerdeführers mit XXXX angegeben. Das Bundesamt führt zwar in seinen Feststellungen aus, die Identität des Beschwerdeführers stehe nicht fest, es nimmt aber jedenfalls an, dass der Beschwerdeführer syrischer Staatsangehöriger sei; in der Beweiswürdigung heißt es hingegen, die Herkunft und die Identität des Beschwerdeführers seien glaubhaft, weil er eine Kopie seines Reisepasses vorgelegt habe und sich in einem Familienverfahren befinde. Das Bundesamt nimmt also - davon geht das Bundesverwaltungsgericht aus - durchaus an, dass die Identität des Beschwerdeführers feststeht, auch wenn die Formulierung der Feststellungen dies nicht nahelegt.

Weiters stellt das Bundesamt ua. fest, der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) glaubhaft machen können. Er sei "mit der Hoffnung auf Migration" und auf Grund der allgemeinen unsicheren Situation in seinem Heimatland nach Österreich gekommen. Sodann trifft das Bundesamt Feststellungen zur Situation in Syrien, die es auf näher genannte Quellen stützt. Beweiswürdigend führt es zusammengefasst aus, der Beschwerdeführer habe glaubhaft gemacht, dass er auf Grund der allgemeinen Situation sein Heimatland verlassen habe. Dazu zitiert es Angaben des Beschwerdeführers bei seiner Befragung und bei seiner Einvernahme und führt aus, er habe keine konkrete Bedrohung erwähnt, sondern explizit verneint, "Gründe im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention" zu haben.

Rechtlich folgert das Bundesamt zusammengefasst, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen nicht vor, der Beschwerdeführer habe keine drohende Verfolgung im Sinne der GFK geltend gemacht. Dagegen kommt es zum Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer auf Grund des innerstaatlichen Konfliktes in seiner Heimat subsidiärer Schutz zu gewähren sei. Abschließend begründet es seine Entscheidung über die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005.

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 5.12.2016 persönlich zugestellt.

3. Gegen Spruchpunkt I dieses Bescheides richtet sich die vorliegende, fristgerechte Beschwerde vom 10.12.2016. Darin heißt es ua., für den Beschwerdeführer bestehe die Gefahr, zum Kriegsdienst gezwungen zu werden.

4. Am 2.1.2017 wurde eine (als Beschwerde bezeichnete) Beschwerdeergänzung eingebracht, in welcher der Beschwerdeführer ua. eine Verfolgung durch den syrischen Geheimdienst behauptet.

5. Mit Schreiben vom 1.9.2017 teilte das Bundesverwaltungsgericht den Parteien des Beschwerdeverfahrens mit, dass es beabsichtige, in seinem Erkenntnis Feststellungen zur Situation in Syrien zu treffen und sich dabei auf folgende Unterlagen und Berichte zu stützen:

* Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Syrien (5.1.2017)

* United States Department of State, Syria. Country Reports on Human Rights Practices 2015 (13.4.2016)

* UNHCR, UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen. 4., aktualisierte Fassung (November 2015)

* UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen. Syrien:

Militärdienst (30.11.2016)

* UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR's Country Guidance on Syria. "Illegal Exit" from Syria and Related Issues for Determining the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Syria (Feber 2017)

Das Bundesverwaltungsgericht stellte es den Parteien des Verfahrens frei, innerhalb von zwei Wochen dazu Stellung zu nehmen sowie ein ergänzendes Vorbringen zu erstatten, das sich auf den Gegenstand des Verfahrens beziehe.

Das Bundesamt äußerte sich nicht; der Beschwerdeführer gab am 19.9.2017 eine Stellungnahme ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das Bundesamt hat ein Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Die Feststellungen zur Person sind iW Negativfeststellungen, nämlich zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers, sie und die dazu führende Beweiswürdigung sind oben im erforderlichen Ausmaß wiedergegeben.

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Situation in Syrien wird festgestellt:

1.1.1. Politische Lage

Seit 2011 herrscht in Syrien Gewalt. Aus anfangs friedlichen Demonstrationen ist ein komplexer Bürgerkrieg mit unzähligen Milizen und Fronten geworden. Die Arabische Republik Syrien existiert formal noch, ist de facto jedoch in vom Regime, von Daesh (di. der Islamische Staat, IS, ISIS, ...), von der Kurdisch Demokratischen Unionspartei (PYD) und von anderen Rebellen-Fraktionen beherrschte Gebiete aufgeteilt. Das Regime beherrscht etwa ein Drittel des Staatsgebietes, einschließlich der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt, die Syrien noch nicht verlassen haben. Verschiedene oppositionelle Gruppen mit unterschiedlichen Ideologien und Zielen beherrschen verschiedene Teile des Landes. Vielfach errichten sie Regierungsstrukturen, auch irregulär aufgebaute Gerichte. Russland, der Iran, die libanesische Hisbollah-Miliz und schiitische Milizen aus dem Irak unterstützen das syrische Regime militärisch, materiell und politisch. Seit 2015 schickt Russland auch Truppen und Ausrüstung nach Syrien und hat außerdem begonnen, von syrischen Militärbasen aus Luftangriffe durchzuführen, die hauptsächlich auf Gebiete abzielen, welche die Rebellen beherrschen. Die von den USA geführte internationale Koalition führte Luftangriffe gegen Daesh durch.

Im Norden Syriens gibt es Gebiete, die unter kurdischer Kontrolle stehen ("Rojava" oder "Westkurdistan"). Daesh übernahm seit 2014 vermehrt die Kontrolle von Gebieten in den Gouvernements Deir al-Zour und Raqqa, außerdem in anderen Regionen des Landes. Er rief daraufhin ein "islamisches Kalifat" mit der Hauptstadt Raqqa aus.

Präsident Bashar al-Asad regiert die Arabische Republik Syrien seit 2000. 2014 wurde er wiedergewählt. Bei dieser Wahl gab es erstmals seit Jahrzehnten zwei weitere, jedoch relativ unbekannte Kandidaten. Die Wahl wurde nur in den von der Regierung beherrschten Gebieten abgehalten, sie wurde als undemokratisch bezeichnet.

Am 16.4.2016 fanden Parlamentswahlen statt. Die regierende Baath-Partei gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der "Nationalen Einheit" 200 der 250 Parlamentssitze. Die Opposition bezeichnete auch diese Wahl, die auch nur in den von der Regierung beherrschten Gebieten stattfand, als "Farce". Jeder der 200 Kandidaten auf der Liste der "Nationalen Einheit" wurde gewählt. Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen.

1.1.2. Sicherheitslage

Der im März 2011 begonnene Aufstand gegen das Regime ist in eine komplexe militärische Auseinandersetzung umgeschlagen, die alle Städte und Regionen Syriens betrifft. Nahezu täglich werden landesweit zwei- bis dreistellige Zahlen von Toten und Verletzten gemeldet. Die staatlichen Strukturen sind in vielen Orten zerfallen, das allgemeine Gewaltrisiko ist sehr hoch. Neben der Gefahr von Entführungen besteht jederzeit das Risiko, in bewaffnete Auseinandersetzungen zu geraten. Unterschiedslose Luftangriffe und Bodenangriffe des Regimes sowie willkürlicher Beschuss durch nichtstaatliche bewaffnete Oppositionsgruppen und terroristische Gruppen töten, verletzen und vertreiben weiterhin Zivilisten. Die Kampfhandlungen aller Parteien sind durch weit verbreiteten Mangel an Respekt für das internationale humanitäre Recht und die Verpflichtung der Kriegsparteien zum Schutz von Zivilisten geprägt. Mitte September 2016 handelten die USA und Russland nach monatelangen Gesprächen eine Waffenruhe aus. Sie sollte es möglich machen, dass humanitäre Hilfe die Kriegsgebiete erreicht, und sollte den Luftangriffen des Regimes auf die Opposition Einhalt gebieten. Sie sollte sieben Tage bestehen und galt für das syrische Regime und die Rebellen, jedoch nicht für die terroristischen Gruppen Daesh und Jabhat Fatah al-Sham. Nach ungefähr einer Woche wurde die Waffenruhe von der Armee bzw. vom Regime für beendet erklärt. Nach der Waffenruhe eskalierte die Gewalt, die Stadt Aleppo erlebte die heftigsten Bombardements durch das Regime und die russische Luftwaffe seit Beginn des Bürgerkrieges, während die Armee eine Bodenoffensive startete. Die USA brachen daraufhin Anfang Oktober 2016 die direkten Gespräche mit Russland über eine weitere Waffenruhe in Syrien ab. Ua. konnten sich die beiden nicht darauf einigen, welche der syrischen Rebellengruppen als terroristisch und welche als gemäßigt einzustufen seien. Ende Oktober kam es zu einer einseitig von Russland eingehaltenen humanitären Waffenruhe in Aleppo. Anfangs sollte sie acht Stunden dauern und am 20.10.2016 beginnen. Sie wurde jedoch bis 22.10.2016 verlängert. Danach erlebte Aleppo erneut schwere Kämpfe.

Nach dem Vormarsch auf die nordirakische Großstadt Mosul begann Anfang November 2016 auch eine Offensive zur Rückeroberung der syrischen Daesh-Hochburg Raqqa. An der Offensive (unter dem Namen "Wut des Euphrat") sind etwa 30.000 Kämpfer der Demokratischen Syrischen Kräfte (SDF), einer von den USA unterstützten kurdisch-arabischen Rebellenallianz, beteiligt, den Großteil davon stellen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG). Die türkische Armee begann im August 2016 einen Bodeneinsatz mit Panzern, der sich gegen Daesh und die YPG richtet. Die türkische Führung kündigte zudem an, die in Nordsyrien stationierten Soldaten könnten ihre Einsätze auch auf Raqqa ausdehnen. Die SDF-Miliz vereinbarte nach eigenen Angaben mit den USA, die Türkei von der Raqqa-Offensive auszuschließen.

Im Dezember 2016 nahmen syrische Regierungssoldaten nach einer Offensive, die von der russischen Luftwaffe unterstützt wurde, den Osten Aleppos ein, den seit 2012 bewaffnete Gruppen gehalten hatten. Evakuierungen von Kämpfern wie Zivilisten wurden durch erneute Gefechte zwischenzeitlich unterbrochen. Zugleich wurden Zivilisten aus den Orten Fua und Kafraja im Nordwesten Syriens evakuiert, die von Rebellen belagert wurden.

1.1.3. Rechtsschutz; Justizwesen

1.1.3.1. Gebiete unter der Kontrolle des Regimes

Das Justizsystem besteht aus mehreren Gerichtstypen, darunter sind Zivil-, Straf-, Militär-, Sicherheits- und religiöse Gerichte sowie ein Kassationsgericht. Die religiösen Gerichte behandeln das Familien- und Personenstandsrecht; Scharia-Gerichte sind für sunnitische und schiitische Muslime zuständig, Drusen, Christen und Juden haben ihre eigenen gerichtlichen Strukturen. Für diese Gerichte gibt es auch eigene Berufungsgerichte. Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Behörden sind in der Praxis jedoch oft politischen Einflüssen ausgesetzt. Die Ergebnisse von Fällen mit politischem Kontext scheinen oft schon vorbestimmt zu sein. Etwa 95 % der Richter der syrischen Regierung sind Baathisten oder stehen der Baath-Partei nahe.

Wenn Personen, von denen angenommen wird, dass sie Regierungsgegner sind, vor Gericht gebracht werden, so ist es wahrscheinlich, dass es sich dabei um das Anti-Terror-Gericht, das 2012 aufgebaut wurde, oder um ein Militärgericht handelt, obwohl es gegen die internationalen Standards für faire Prozesse verstößt, einen Zivilisten durch ein Militärgericht abzuurteilen. Das Anti-Terror-Gericht hält sich in seiner Arbeitsweise nicht an grundlegende Bedingungen einer fairen Gerichtsverhandlung. Manchmal dauern die Verhandlungen nur wenige Minuten und "Geständnisse", die unter Folter gemacht wurden, werden als Beweismittel akzeptiert. Außerdem wird das Recht auf Rechtsberatung stark eingeschränkt. In Militärgerichten haben Angeklagte kein Recht auf einen Anwalt. Manchmal werden Angeklagte auch nicht über ihr Urteil informiert. In den ersten zweieinhalb Jahren seit seiner Errichtung soll das Anti-Terror-Gericht mehr als 80.000 Fälle behandelt.

1.1.3.2. Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes

In Gebieten, die oppositionelle Gruppen beherrschen, wurden unterschiedlich eingerichtete Gerichte und Haftanstalten aufgebaut, die sich stark darin unterscheiden, wie sie organisiert sind und inwieweit sie sich an Rechtsnormen halten. Manche Gruppen folgen dem (syrischen) Strafgesetzbuch, andere dem Entwurf eines Strafgesetzbuches auf Grundlage der Scharia, während wieder andere eine Mischung aus Gewohnheitsrecht und Scharia anwenden. Erfahrung, Expertise und Qualifikation der Richter in diesen Gebieten sind oft sehr unterschiedlich und von den dominanten bewaffneten Gruppen dieser Gebiete beeinflusst. Manchmal münden Gerichtsverhandlungen vor Gerichten der Opposition in öffentliche Hinrichtungen, ohne dass der Angeklagte hätte Berufung einlegen oder Besuch von seiner Familie erhalten können.

1.1.3.3. Gebiete unter kurdischer Kontrolle

In "Rojava" wurde die "Verfassung von Rojava" erstellt, die als "sozialer Vertrag" zwischen den Bürgern der kurdischen Gebiete beschrieben wird und eine parlamentarische Demokratie mit Pluralismus und gleichen Rechten für Männer und Frauen vorsieht. Es wurden Komitees gegründet, welche die Erhaltung des "sozialen Friedens" zum Ziel haben und Straftaten unter diesem Gesichtspunkt regeln.

1.1.4. Sicherheitsbehörden und regimetreue Milizen

Die Regierung erhält die Kontrolle über die uniformierten Polizei-, Militär- und Staatssicherheitskräfte aufrecht, kann jedoch jene über paramilitärische, nicht-uniformierte Pro-Regime-Milizen, die oft autonom und ohne Aufsicht oder Führung der Regierung arbeiten, nicht immer gewährleisten. Straflosigkeit unter den Sicherheitsbehörden ist weit verbreitet. Das Generalkommando der Armee und der Streitkräfte kann einen Haftbefehl im Fall von Verbrechen durch Militäroffiziere, Mitglieder der internen Sicherheitskräfte oder Zollpolizeioffiziere (im Rahmen ihrer beruflichen Pflichten) ausstellen. Solche Fälle müssen vor einem Militärgericht verhandelt werden. In der Praxis ist keine rechtliche Verfolgung oder Verurteilung von Polizei- und Sicherheitskräften hinsichtlich Missbrauchs und Korruption bekannt, die Sicherheitskräfte operieren unabhängig und generell außerhalb des Gesetzes. Es gab 2015 keine Berichte von Aktionen der Regierung zur Reform der Sicherheitskräfte oder der Polizei. Die Shabiha bzw. die NDF und andere paramilitärische Gruppen mit Verbindung zum syrischen Regime sind an Menschenrechtsverletzungen beteiligt, darunter auch an Massakern, willkürlichen Tötungen, Entführungen von Zivilisten, willkürlichen Festnahmen und Vergewaltigungen als Kriegstaktik. Die Einheiten, die auf der Seite der Regierung kämpfen, sind sehr vielfältig. Manche gehören regulären Streitkräften an, andere gehören zu verschiedenen Milizen. Manche bestehen aus nicht mehr als ein paar Dutzend Männern, andere halten Tausende Männer unter Waffen und besitzen ihre eigenen Trainingscamps und Netzwerke. Auch Russland und der Iran unterstützen Asad militärisch.

1.1.4.1. Streitkräfte

Die Streitkräfte bestehen aus der Armee, der Marine und der Luftwaffe. Sie sind für die Verteidigung des nationalen Territoriums und den Schutz des Staates vor internen Bedrohungen verantwortlich. Vor dem Konflikt soll die syrische Armee eine Mannstärke von etwa 295.000 Personen gehabt haben. Es ist für die Armee schwierig, die auf Grund von Verlusten, Desertionen, Überlaufen und zahlreichen Wehrdienstverweigerern verlorenen Mannzahlen zu ersetzen. Nach Schätzungen von 2014 und 2015 betrug die Mannstärke der syrischen Armee zwischen 125.000 und 175.000. Durch die Verluste auf Grund des Konfliktes ist die Armee immer mehr auf ausländische Milizen angewiesen.

1.1.4.2. Zivile und militärische Sicherheits- und Nachrichtendienste

Syrien verfügt über eine Unzahl von Sicherheits- und Geheimdiensten mit überlappenden Aufträgen zur Sammlung von Informationen über die innere Sicherheit. Sie können Gegner des Regimes festnehmen und ausschalten. Die zahlreichen syrischen Sicherheitsbehörden arbeiten autonom und ohne klar definierte Grenzen zwischen ihren Aufgabenbereichen. Es gibt vier Hauptzweige der Sicherheits- und Nachrichtendienste. Der Militärische Nachrichtendienst, der Luftwaffennachrichtendienst und das Direktorat für Politische Sicherheit unterstehen dem Innenministerium. Das Allgemeine Nachrichtendienstdirektorat untersteht direkt dem Präsidenten. Diese vier Dienste arbeiten unabhängig voneinander und größtenteils außerhalb des Justizsystems, überwachen einzelne Staatsbürger und unterdrücken Stimmen innerhalb Syriens, die vom Regime abweichen. Der Staatssicherheitsapparat wird dazu verwendet, den Aufstand zu unterdrücken. Die größeren Organisationen haben ihre eigenen Gefängniszellen und Verhörzentren.

1.1.4.3. Polizei

Das Innenministerium kontrolliert vier verschiedene Abteilungen von Polizeikräften: Notrufpolizei, Verkehrspolizei, Nachbarschaftspolizei und Polizei gegen Unruhen.

1.1.4.4. Volkskomitees und Shabiha-Milizen

Die Shabiha sind bewaffnete Milizen, welche die regierende Baath-Partei unterstützen und der Asad-Familie treu sind. Sie kämpfen, um die Opposition zu unterdrücken und sich zu bereichern. Sie wurden in den 1970er Jahren in der Gegend von Latakia gegründet und bestanden aus einem Schmugglernetzwerk. 2000 wurden sie von Bashar al-Asad aufgelöst, 2011 nahmen sie ihre Tätigkeit wieder auf. Sie bestehen aus etwa 10.000 Mitgliedern und gehen skrupellos gegen die Opposition vor.

Zu Beginn des Konfliktes 2011 wurden außerdem die sogenannten Volkskomitees spontan gegründet oder von Nachrichtendiensten oder Pro-Asad-Geschäftsmännern als Gegenstück zur Mobilisierung oppositioneller Demonstranten rekrutiert. Die Volkskomitees, die anfangs nur ihre Nachbarschaften nach Zeichen des Widerstandes überwachen und Demonstrationen auflösen sollten, entwickelten sich mit der Zeit zu lokalen Autoritäten und später zu bewaffneten Milizen, nachdem der Staat an Macht verlor und die Opposition militarisiert wurde. Diese Milizen wurden von der Opposition häufig als "Shabiha" bezeichnet.

1.1.4.5. Kräfte der Nationalen Verteidigung (National Defence Forces - NDF)

Die Kräfte der Nationalen Verteidigung (National Defence Forces - NDF) sind eine Schirmorganisation für verschiedene Pro-Regime-Milizen und paramilitärische Gruppen, die sich erstmals 2013 organisierte. Sie wurden aus kriminellen Gruppen, Shabiha, und Volkskomitees, die lokal organisiert sind, gegründet und dienen dem Regime und der Armee. Ihre genaue Mannstärke ist nicht bekannt, Schätzungen schwanken zwischen 60.000 und 100.000 Personen. Diese Gruppen nehmen am bewaffneten Konflikt teil. Sie nehmen Personen fest, die sie der Unterstützung der Opposition verdächtigen, inhaftieren und foltern sie. Ihre Kämpfer gelten als regimetreuer als die wehrdienstleistenden Soldaten der syrischen Armee. Ihre Arbeit variiert nach Gebiet, manche Gruppen sind disziplinierter als andere. Es gibt Gruppen, die zu den NDF gehören und auf der Religionszugehörigkeit basieren. so gibt es zB christliche oder alawitische Gruppen.

1.1.4.6. Ausländische Kämpfer bzw. Angehörige ausländischer Streitkräfte für das Regime

Zusätzlich zu den lokalen Pro-Regime-Milizen gibt es va. seit 2013 einen stetigen Zustrom ausländischer schiitisch-islamistischer Kämpfer, die vom Iran und den mit ihm verbündeten regionalen paramilitärischen Gruppen unterstützt und trainiert werden. Die libanesische Hizbollah ist die bekannteste darunter. 2014 wurde ihre Mannstärke auf zwischen 3500 und 7000 Personen geschätzt. Außerdem sollen seit 2014 zwischen 2000 und 5000 irakische schiitische Kämpfer auf der Seite des Regimes in Syrien kämpfen. Irakische Kämpfer erhalten ihre Ausbildung im Iran und sollen eng mit der Hizbollah zusammenarbeiten. Auf der Seite der Regierung werden zunehmend Paramilitärs und schiitische Milizen eingesetzt, die großteils aus ausländischen Kämpfern bestehen. Darunter sind auch Kämpfer aus dem Iran, aus Pakistan und Afghanistan.

1.1.5. Folter und unmenschliche Behandlung

Die weit verbreitete Anwendung von Folter in Syrien zeigt die Straflosigkeit, mit der die Konfliktparteien agieren. Folter wird eingesetzt, um an Informationen zu gelangen und um die Zivilbevölkerung zu bestrafen und zu terrorisieren. Folter und andere Misshandlungen nutzt das Regime schon seit Jahrzehnten, um Widerstand zu unterdrücken. Das Regime und die mit ihm verbündeten Milizen begehen physische Misshandlungen und Folter an Oppositionellen und Zivilisten. Regierungsangestellte misshandeln Gefangene. Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und auch Minderjährigen sind weit verbreitet und werden als Kriegstaktik eingesetzt. Viele der Opfer von Folter sind Männer zwischen 18 und 60 Jahren. Das Regime foltert jedoch auch Frauen und Kinder, die sich in Gewahrsam befinden. Manche Opfer von Folter werden festgenommen, weil sie Aktivisten sind oder als Leute wahrgenommen werden, welche die Regierung nicht ausreichend unterstützen. Opfer von Folter werden auch Mitglieder oder Verwandte von Mitgliedern bewaffneter Gruppen.

Die syrischen Sicherheitskräfte führen willkürliche Festnahmen durch und lassen Festgenommene häufig in dem weiten Netzwerk an Haftanstalten in Syrien verschwinden. Viele der Häftlinge sind junge Männer im Alter von 20 bis 30 Jahren, jedoch sind auch Kinder, Frauen und ältere Menschen unter den Inhaftierten. Nach Berichten nehmen die Sicherheitskräfte die Familienmitglieder gesuchter Personen - darunter auch Kinder - fest, um diese Leute dazu zu bewegen, sich den Sicherheitskräften zu stellen. Nach Schätzungen sind seit 2011 in Gefängnissen der syrischen Regierung 17.723 Menschen durch Folter, Misshandlungen und katastrophale Haftbedingungen ums Leben gekommen. Das Regime stellt falsche Totenscheine aus, offenbar mit dem Ziel, die wahre Ursache und den Ort des Todes der Gefangenen zu verschleiern.

Aus Berichten der unabhängigen UN-Untersuchungskommission und mehrerer Menschenrechtsorganisationen geht hervor, dass die Streitkräfte der syrischen Regierung "Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Mord, Vernichtung, Folter, Vergewaltigung, Zwangsverschleppungen und andere unmenschliche Akte" begehen. Sie begehen außerdem schwere Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen wie Mord, Folter, Vergewaltigung und sonstige Formen sexueller Gewalt und Angriffe auf die Zivilbevölkerung. Willkürliche und unverhältnismäßige Luftangriffe, ua. mit Streumunition, Fassbomben, Chlorgas und Artilleriebeschuss fordern eine hohe Anzahl ziviler Opfer, zerstören ganze Stadtviertel und verbreiten Terror unter der Zivilbevölkerung in Gebieten, die von oppositionellen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden.

Rebellengruppen begehen ebenfalls schwere Menschenrechtsverletzungen, wie Inhaftierungen, Folter, Hinrichtungen von (als solche wahrgenommenen) Andersdenkenden und Rivalen und konfessionell motivierte Tötungen von Zivilisten. Manche Gruppen fügen Gefangenen, von denen vermutet wird, sie seien Mitglieder regierungstreuer Milizen, schweren körperlichen und psychischen Schmerz zu, als Bestrafung oder Zwangsmittel oder um Informationen oder Geständnisse zu erlangen. Weiters begehen sie Massaker, Morde, Folter, Geiselnahmen, Verschwindenlassen, Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt und setzen Kinder in Kampfhandlungen ein. Auch Daesh agiert mit Brutalität. Er bestraft regelmäßig Opfer in der Öffentlichkeit und zwingt Bewohner, einschließlich Kinder, Hinrichtungen und Amputationen mitanzusehen.

1.1.6. Korruption

Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International lag Syrien 2015 auf Platz 154 von 167 untersuchten Ländern. Das Gesetz sieht strafrechtliche Konsequenzen für Korruption vor, die Regierung hat die Regelungen jedoch nicht effektiv durchgesetzt. Beamte üben regelmäßig korrupte Praktiken aus, ohne dafür bestraft zu werden. Korruption ist ein allgegenwärtiges Problem bei Polizei, Sicherheitskräften, Regierung und anderen Behörden. In der syrischen Armee gibt es eine Tradition der Bestechung, und es ist möglich, durch Bestechung eine bessere Position oder einfachere Aufgaben zu erhalten. Korruption war bereits vor dem Bürgerkrieg weitverbreitet und beeinflusste das tägliche Leben der Syrer. Bürger müssen häufig Bestechungsgelder zahlen, um bürokratische Angelegenheiten abschließen zu können. Seit der Krieg ausgebrochen ist, vermeiden Syrer, die Verfolgung durch den Staat befürchten, den Kontakt zu offiziellen Institutionen. Stattdessen müssen sie - zB im Falle wichtiger Dokumente - auf den Schwarzmarkt zurückgreifen. Rebellen, Daesh und kurdische Einheiten erpressen ebenfalls Unternehmen und konfiszieren privates Eigentum in unterschiedlichem Ausmaß.

1.1.7. Allgemeine Menschenrechtslage

1.1.7.1. Seit Konfliktbeginn 2011 bis September 2016 wurden in Syrien ungefähr 430.000 Menschen getötet. 2015 verschlechterte sich die Menschenrechtssituation weiter. Regimeeinheiten führen weiterhin willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen und Folter an Häftlingen durch, von denen viele in Haft starben. Das Regime und seine Verbündeten führten willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten durch. Sie führten Angriffe mit Fassbomben (sie enthalten ein Gemisch aus Kerosin und dem Sprengstoff Trinitrotoluol [TNT] und werden von Hubschraubern abgeworfen), Artillerie, Mörsern und Luftangriffe auf zivile Wohngebiete, Schulen, Märkte und medizinische Einrichtungen durch, was zu zivilen Opfern führte. Lang anhaltende Belagerungen durch Regierungskräfte führen dazu, dass der eingeschlossenen Zivilbevölkerung Lebensmittel, ärztliche Betreuung und andere lebenswichtige Dinge vorenthalten werden. Außerdem werden Zivilisten beschossen bzw. angegriffen. Aufständische Gruppen begehen schwere Menschenrechtsverletzungen.

Menschenrechtsverletzungen durch Rebellengruppen waren zB Festnahmen, Folter, Hinrichtungen von Andersdenkenden oder Rivalen und konfessionell motivierte Tötungen von Zivilisten. Die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen wurden durch jihadistische bewaffnete Gruppen begangen. Daesh ist für systematische und weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, die auch auf Zivilisten abzielen. Auch Jabhat Fatah al-Sham (früherer Name Jabhat al-Nusra) und einige andere extremistische Gruppen begehen Menschenrechtsverletzungen.

Syrische Kinder sind auch hinsichtlich Kinderehen gefährdet. Sexuelle Versklavung und Zwangsheiraten sind zentrale Elemente der Ideologie des Daesh. Mädchen und Frauen werden zur Heirat mit Kämpfern gezwungen. Frauen und Mädchen, die Minderheiten angehören, werden sexuell versklavt. Frauen erleben in von Daesh gehaltenen Gebieten willkürliche und schwere Bestrafungen, einschließlich Hinrichtungen durch Steinigung. Frauen und Männer werden bestraft, wenn sie sich nicht den Vorstellungen des Daesh entsprechend kleiden. Daesh-Kämpfer sind für standrechtliche Exekutionen gefangengenommener Regierungssoldaten, Angehöriger rivalisierender bewaffneter Gruppen sowie Medienschaffender und gefangengenommener Zivilpersonen verantwortlich. In den von ihm beherrschten Gebieten hat Daesh seine strenge Auslegung des islamischen Rechts eingeführt. Es kommt dort häufig zu öffentlichen Hinrichtungen. Unter den Opfern sind Menschen, denen Abfall vom Glauben, Ehebruch oder Diebstahl zur Last gelegt wird, sowie Leute, die wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung angeklagt wurden.

Die staatlichen Sicherheitskräfte halten Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft.

1.1.7.2. Todesstrafe

Die Todesstrafe ist für verschiedene Verbrechen in Kraft. Zahlreiche Todesurteile wurden durch das Anti-Terrorgericht und Militärgerichte oftmals in mangelhaften Gerichtsverfahren verhängt.

1.1.7.3. Religionsfreiheit

In Syrien gibt es keine offizielle Staatsreligion, die Verfassung sieht jedoch vor, dass der syrische Präsident Muslim sein muss. Die Sunniten stellen 74 % der Bevölkerung und sind überall im Land präsent. Andere muslimische Gruppen, einschließlich Alawiten, Ismailiten und Schiiten, machen zusammen 13 % aus, die Drusen 3 %. Verschiedene christliche Gruppen bilden die verbleibenden 10 %. Vor dem Bürgerkrieg gab es in Syrien ungefähr 80.000 Jeziden. Diese Zahl könnte auf Grund des Zuzugs von Jeziden, die aus dem Irak nach Syrien flüchteten, mittlerweile höher sein.

Am Beginn des Konfliktes waren Angriffe auf Minderheiten kein zentraler Bestandteil des Krieges. Die Handlungen des Regimes haben jedoch dazu beigetragen, dass die konfessionelle Dimension des Konfliktes eskalierte. Die Minderheiten sind zwischen den konfessionellen Spannungen gefangen und in ihrer Loyalität gespalten. Viele entschieden sich dafür, das Regime zu unterstützen, da sie sich Schutz durch die syrische Regierung erhoffen, während andere Mitglieder von Minderheiten auf der Seite der Opposition stehen. Die alawitische Gemeinde, zu der Bashar al-Asad gehört, genießt einen privilegierten Status in der Regierung und dominiert auch den staatlichen Sicherheitsapparat und das Militär. Nichtsdestoweniger werden auch alawitische oppositionelle Aktivisten Opfer willkürlicher Verhaftungen, von Folter, Haft und Mord durch die Regierung. Alawitische Gemeinden und schiitische Minderheiten werden außerdem zu Opfern von Angriffen aufständischer extremistischer Gruppen. Dies gilt auch für andere schiitische Minderheiten.

Durch den Aufstieg und die Verbreitung extremistischer bewaffneter Gruppen seit 2014 werden Minderheiten vermehrt Menschenrechtsverletzungen durch deren Kämpfer ausgesetzt. Gruppen wie Daesh oder Jabhat Fatah al-Sham setzen Minderheiten Angriffen und Unterdrückung ihrer Religionsfreiheit aus und bestrafen jene hart, die gegen ihre Kontrolle sind. In Gebieten, die Daesh kontrolliert, wurden Christen gezwungen, eine Schutzsteuer zu zahlen oder zu konvertieren, oder sie liefen Gefahr, getötet zu werden. In Raqqa hält Daesh Tausende jezidische Frauen und Mädchen gefangen, die im Irak entführt und nach Syrien verschleppt wurden, um sie zu verkaufen oder an seine Kämpfer als Kriegsbeute zu verteilen.

Jabhat Fatah al-Sham und einige verbündete Rebellengruppen zielen im Norden des Landes mit Bomben und Selbstmordattentaten auf Drusen und Schiiten ab, laut Jabhat Fatah al-Sham eine Reaktion auf das "Massaker an Sunniten" durch die Regierung. Oppositionelle Gruppen entführen Mitglieder religiöser Minderheiten. Da sich die Motive politischer, ethnischer, konfessioneller und religiöser Gewalt überschneiden, ist es schwierig, Übergriffe als lediglich religiös motiviert zu kategorisieren.

1.1.8. Bewegungsfreiheit

Die steigende Anzahl an Checkpoints der verschiedenen bewaffneten Konfliktparteien, die schweren Kämpfe und die generell unsichere Lage im Land schränken die Bewegungsfreiheit der syrischen Bevölkerung und den Transport lebensnotwendiger Güter stark ein. Das syrische Regime blockiert systematisch Regionen, die von den Rebellen beherrscht werden, die Rebellen und Daesh wenden dieselbe Taktik auf von der Regierung beherrschte Gebiete an. In Gebieten unter ihrer Herrschaft beschränken Daesh und andere Regierungsgegner die Bewegungsfreiheit von Unterstützern der Regierung bzw. von Personen, von denen dies angenommen wird. Dies gilt besonders für die alawitische und schiitische Bevölkerung.

Das syrische Regime setzt Scharfschützen ein, um Sperrstunden durchzusetzen oder Zivilisten an der Flucht aus belagerten Städten zu hindern.

Die syrische Regierung verweigert die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten auf Grund der politischen Einstellung einer Person, ihrer Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem geographischen Gebiet, in dem die Opposition dominiert. Das Regime verlangt außerdem ein Ausreisevisum. Über Menschenrechtsaktivisten oder andere Aktivisten der Zivilgesellschaft, deren Familien oder Bekannte werden häufig Ausreiseverbote verhängt. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Grund oder Gültigkeitsdauer werden häufig nicht genannt.

In Gebieten, die von der Opposition kontrolliert werden, funktionieren Institutionen, die Identitätsdokumente ausstellten, nicht mehr. In Gebieten, die von der Regierung beherrscht werden, gibt es diese Institutionen noch, für manche Syrer ist es jedoch unmöglich geworden, sie zu erreichen. So können manche Personen Geburten, Eheschließungen oder Todesfälle nicht mehr eintragen lassen und sich keine neuen Identitätsdokumente ausstellen lassen. Durch den Bürgerkrieg sind auch die Kontrollmaßnahmen schwächer geworden. So werden "echte" Dokumente mit falschen Namen oder geänderten Informationen ausgestellt. Außerdem werden vermehrt gefälschte Dokumente benutzt.

1.1.9. Grundversorgung und Wirtschaft

Die syrische Wirtschaft hat sich in den letzten Jahren zu einer Kriegswirtschaft entwickelt. Nicht nur das Regime profitiert von der Situation, sondern auch die Milizen jeglicher Ausrichtung zählen zu den Profiteuren. Der Schmuggel blüht, und Verhaftungen und Entführungen sind eine wichtige Säule der Ökonomie geworden. Aktuelle Wirtschaftsdaten sind praktisch nicht verfügbar oder sehr mit Vorsicht zu beurteilen. Millionen Syrer wurden in Arbeitslosigkeit und Armut gedrängt, die Arbeitslosenquote wird bei über 60 % geschätzt. Die Hauptursachen für Armut sind der Verlust von Eigentum und Beruf, der Verlust des Zugangs zu grundlegenden Leistungen, einschließlich solchen des Gesundheitswesens, und zu sauberem Wasser und steigende Lebensmittelpreise. 2015 lebten 83,4 % der Syrer unter der Armutsgrenze, 50 % in extremer Armut. 13,5 Mio. Menschen sind in Syrien auf humanitäre Hilfe angewiesen. Das Bruttoinlandsprodukt Syriens ist zwischen 2010 und 2015 um 55 % geschrumpft. Landwirtschaftlich nutzbare Flächen wurden durch den Konflikt dezimiert, daher stiegen die Lebensmittelpreise an. Die Lebensmittelproduktion in Syrien ist im Vergleich zur Zeit vor dem Konflikt um 40 % gesunken.

Das Bildungswesen in Syrien gilt als zusammengebrochen, denn während des Schuljahres 2014/2015 waren in mehreren Teilen des Landes 50,8 % der Kinder nicht in der Schule. Im November 2016 lebten etwa eine Mio. Menschen in Syrien im Belagerungszustand. Ein halbes Jahr zuvor waren es noch weniger als 500.000 Menschen gewesen. Die Bevölkerung in den belagerten Gebieten muss auf den Schwarzmarkt zurückgreifen, um Lebensmittel kaufen zu können.

1.1.10. Medizinische Versorgung

Die Gesundheitsversorgung hat sich in Syrien durch den andauernden Konflikt dramatisch verschlechtert. Mehr als die Hälfte der öffentlichen Krankenhäuser und etwa die Hälfte der öffentlichen Gesundheitszentren sind geschlossen oder funktionieren nur teilweise. Die medizinische Versorgung in der Hauptstadt Damaskus ist gut bis befriedigend.

1.1.11. Wehr- und Reservedienst, Wehrdienstverweigerung und Desertion

1.1.11.1. Für männliche Syrer und für Palästinenser, die in Syrien leben, ist ein Wehrdienst von 18 oder 21 Monaten ab dem Alter von 18 Jahren verpflichtend, außerdem gibt es einen freiwilligen Militärdienst. Frauen können ebenfalls freiwillig einen Militärdienst ableisten. Seit Jahren versuchen immer mehr Männer, die Rekrutierung zu vermeiden, indem sie zB das Land verlassen oder bewaffneten Gruppen beitreten, die das Regime unterstützen. Jenen, die den Wehrdienst verweigern, oder auch ihren Familienangehörigen können Konsequenzen drohen.

Es ist schwer zu sagen, in welchem Ausmaß die Rekrutierung durch die syrische Armee in verschiedenen Gebieten Syriens, die unter der Kontrolle verschiedener Akteure stehen, tatsächlich durchgesetzt wird und wie dies geschieht. In der Armee herrscht zunehmende Willkür, die Situation kann sich von einer Person zur anderen unterscheiden. Oppositionsgruppen haben ihre eigenen Vorgangsweisen bei der Rekrutierung, die Situation kann von der jeweils verantwortlichen Person abhängen. Regierungseinheiten, Pro-Regime-Milizen, bewaffnete oppositionelle Gruppen und terroristische Organisationen rekrutieren Kinder und nutzen sie als Soldaten, menschliche Schutzschilde, Selbstmordattentäter, Henker und auch in unterstützenden Funktionen. Kinder werden als Zwangsarbeiter oder Informanten benutzt, dadurch sind sie dem Risiko von Vergeltungsakten oder extremen Bestrafungen ausgesetzt. Manche bewaffnete Gruppen, die auf der Seite der Regierung kämpfen, rekrutieren Kinder zwangsweise - manche nicht älter als sechs Jahre. Daesh setzt aktiv Kinder - manche nur acht Jahre alt - in Kampfhandlungen ein, teils auch bei der Enthauptung von Soldaten des syrischen Regimes. Daesh zielt bewusst auf Kinder ab, um sie zu indoktrinieren, und nutzt Schulen für militärische Zwecke, wodurch Kinder gefährdet werden und ihr Zugang zu Bildung eingeschränkt wird. Auch die Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) rekrutieren Burschen und Mädchen, indoktrinieren sie und bringen sie in Trainings-Camps.

1.1.11.2. Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst

Der syrischen Armee mangelt es infolge von Todesfällen, Desertionen und Überlaufen zu den Rebellen an Soldaten. Viele Männer weigern sich, der Armee beizutreten. Die regulären Rekrutierungsmethoden werden in Syrien noch immer angewandt, weil das Regime zeigen will, dass sich nichts verändert hat und das Land nicht in totaler Anarchie versinkt. Es werden Rekrutierungsschreiben verschickt, wenn Männer das wehrfähige Alter erreichen. Männer, die sich außer Landes befinden oder die sich in Gebieten aufhalten, die nicht von der Regierung beherrscht werden, erhalten ihre Rekrutierungsschreiben häufig nicht. Wenn eine persönliche Benachrichtigung nicht möglich ist, können Männer, die das wehrfähige Alter erreichen, auch durch Durchsagen im staatlichen Fernsehen, im Radio oder in der Zeitung zum Wehrdienst aufgerufen werden. Männer werden jedoch auch auf der Straße an Checkpoints oder an anderen Orten rekrutiert. Es gibt auch Massenverhaftungen und Tür-zu-Tür-Kampagnen, um Wehrdienstverweigerer habhaft zu werden. Berichten zufolge besteht aber auch für - teils relativ junge - Minderjährige die Gefahr, in Zusammenhang mit der Wehrpflicht an Checkpoints aufgehalten zu werden und dabei Repressalien ausgesetzt zu sein. Christliche und muslimische religiöse Führer können weiterhin den Kriegsdienst verweigern; muslimische Führer müssen dafür eine Abgabe zahlen. Bestechung als Mittel, um den Wehrdienst zu vermeiden, ist mittlerweile schwieriger geworden. Es gibt auch Männer im wehrpflichtigen Alter, die frei in Syrien leben. Dem Regime liegt nicht daran, alle wehrtauglichen Personen in die Flucht zu treiben. Es werden nämlich auch künftig motivierte Kämpfer benötigt.

Nach der Massenauswanderung von Syrern 2015 wurde das Wehrdienstalter erhöht, und mehr Männer wurden an Checkpoints rekrutiert, auch solche, die ihren Militärdienst bereits beendet hatten. Für junge Männer im Alter von 16 und 17 Jahren ist es schwer, einen Reisepass zu erhalten, oder sie erhalten einen Pass, der nur zwei Jahre gültig ist. Das Höchstalter für den Militärdienst betrug zuvor 42 Jahre, wurde jedoch inzwischen erhöht, dazu gibt es keine offizielle Regelung und daher auch kein offizielles Höchstalter mehr. Reservisten können je nach Gebiet und Fall auch im Alter von 50 bis 60 Jahren zum aktiven Dienst einberufen werden. Sie werden mittels Briefs, den die Polizei persönlich zustellt, oder an Checkpoints rekrutiert. Bei der Einberufung von Reservisten ist das Alter weniger entscheidend als der Beruf oder die Ausbildung einer Person sowie der Rang und die Position während des bereits abgeleisteten Militärdienstes oder die Einheit, in der sie gedient hat.

Es gibt verschiedene Gründe, um vom Militärdienst befreit zu werden. Der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Versorger der Familie können vom Wehrdienst befreit werden. Außerdem sind Männer mit Doppelstaatsbürgerschaft, die den Wehrdienst bereits in einem anderen Land abgeleistet haben, üblicherweise vom Wehrdienst befreit. Möglicherweise kommt es bei diesen Ausnahmen zum Wehrdienst derzeit jedoch auch zu Willkür. Durch den erhöhten Bedarf an Soldaten wird mittlerweile ebenso auf "geschützte" Gruppen wie Studierende, Beamte und Minderheiten zurückgegriffen. Entlassungen aus dem Militärdienst sind sehr selten geworden. Es gibt Männer, die seit dem Beginn des Aufstandes 2011 in der Armee sind. Die Dauer des Militärdienstes hat sich verlängert, möglicherweise ist sie auch nicht mehr begrenzt. 2011 konnte der Wehrdienst noch um ein paar Monate verlängert werden, danach wurde man entlassen. Mittlerweile ist Desertion häufig der einzige Ausweg.

Bei der Einreise nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder über andere Einreisepunkte in Gebiete, die vom Regime kontrolliert werden, wird bei Männern im wehrfähigen Alter überprüft, ob sie ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Selbst wenn dies der Fall ist, kommt es vor, dass Männer im wehrfähigen Alter erneut rekrutiert werden.

1.1.11.3. Die Kräfte der Nationalen Verteidigung (National Defence Forces - NDF)

Die Vorgehensweise der NDF variiert stark zwischen den einzelnen Gebieten. In manchen Gebieten sind Gruppen der NDF disziplinierter, in anderen agieren sie eher wie bewaffnete und gewalttätige Banden. Manchmal findet die Rekrutierung zu den NDF auf Stammesbasis statt. Rekrutierung durch den Stamm ist vor allem in ländlichen Gegenden wichtig. Die NDF sind unter Provinzkommandeuren organisiert. Indem man den NDF beitritt, kann man den Wehrdienst bei der syrischen Armee vermeiden und den eigenen Einsatzort besser beeinflussen und entscheiden, um in der Nähe der eigenen Familie stationiert zu werden. Dies macht den Dienst bei den NDF für jene attraktiver, die sich weigern, zur Armee zu gehen, weil sie dann von zu Hause weggeschickt würden. Der Beitritt zu den NDF ist grundsätzlich freiwillig, anders als in der Armee kann man einen Vertrag unterschreiben, um eine begrenzte Zeit bei den NDF zu dienen. Junge Menschen treten den NDF bei, um in der Nähe ihrer Familien bleiben zu können, um Geld zu verdienen oder eine Waffe zu bekommen. Die Bevölkerung traut diesen Gruppen mehr als der Armee, ihr Fundament sind regionale und lokale Netzwerke. Obwohl generell der Beitritt zu den NDF freiwillig geschieht, kann auch sozialer Druck dazu führen. Milizen der NDF sollen auch Kinder zwangsrekrutiert haben. Als dezidiert Freiwillige sind Angehörige der NDF bei Rebellen verhasster als reguläre Soldaten (die uU zwangsrekrutiert worden sind), daher laufen sie noch stärker Gefahr, bei Gefangennahme getötet zu werden.

1.1.11.4. Wehrdienstverweigerung/Desertion

Es gab Amnestien der syrischen Regierung, um Deserteure und Wehrdienstverweigerer zu ermutigen, sich zum Dienst zu melden. Es ist nicht bekannt, ob Männer, die dieses Angebot in Anspruch nehmen, Konsequenzen erfahren oder nicht. Besonders aus dem Jahr 2012 gibt es Berichte von desertierten syrischen Soldaten, die gezwungen wurden, auf unbewaffnete Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen. Falls sie sich weigerten, wären sie Gefahr gelaufen, erschossen zu werden.

Auf Desertion steht die Todesstrafe. Es ist nicht bekannt, wieweit die Todesstrafe wirklich angewandt wird. Ein Deserteur würde jedoch zumindest inhaftiert werden. Wenn er an einem Checkpoint rekrutiert wird, kann er direkt zum Dienst - auch an die Front - oder ins Gefängnis geschickt werden. Die Konsequenzen für Desertion hängen vom Bedarf an der Front und von der Position und dem Rang des Deserteurs ab. Für "desertierte", vormals bei der Armee arbeitende Zivilisten gelten dieselben Konsequenzen wie für einen Deserteur. Solche Personen werden als Verräter angesehen, weil sie über Informationen über die Armee verfügen. Auch Familien von Deserteuren oder Wehrdienstverweigerern haben mit Konsequenzen zu rechnen. Eine Familie könnte von der Regierung unter Druck gesetzt werden, wenn der Deserteur dadurch vielleicht gefunden werden kann. Familienmitglieder (auch weibliche) können festgenommen werden, um den Deserteur dazu zu bringen, sich zu stellen. Manchmal wird ein Bruder oder der Vater eines Deserteurs ersatzweise zur Armee rekrutiert. Wenn ein Wehrdienstverweigerer von den Behörden aufgegriffen würde, dann würde er verhaftet und überprüft. Anschließend könnte er zum Dienst in der Armee geschickt werden. Die Konsequenzen hängen jedoch von seinem Profil und seinen Beziehungen ab. Wenn es eine Verbindung zu einer oppositionellen Gruppe gibt, wären die Konsequenzen ernster.

Syrische Männer müssen sich bei ihrer Rekrutierungsstelle melden, wenn sie das Einberufungsalter erreichen. Tun sie das nicht, so können sie von der Militärpolizei verhaftet und wegen Wehrdienstverweigerung nach dem Militärstrafgesetz bestraft werden. Es gibt kein Recht auf Befreiung vom Wehrdienst aus Gewissensgründen. Wehrdienstverweigerer, die sich nicht innerhalb von 30 Tagen nach dem vorgeschriebenen Termin melden, können zu Haftstrafen von einem bis zu sechs Monaten (in Friedenszeiten) verurteilt werden und haben den regulären Wehrdienst zu leisten. Melden sie sich innerhalb der 30 Tage freiwillig, dann wird die Strafe um die Hälfte reduziert. In Kriegszeiten beträgt die Strafe bis zu fünf Jahren, abhängig von den Umständen.

Die Regierung hält Wehrdienstverweigerung nicht nur für eine strafbare Handlung, sondern auch für den Ausdruck einer abweichenden politischen Meinung und des Unwillens, das Heimatland gegen terroristische Bedrohungen zu verteidigen. In der Praxis werden Wehrdienstverweigerer verhaftet und für eine Zeit angehalten, bevor sie ihrer militärischen Einheit überstellt werden. Während der Anhaltung laufen sie Gefahr, gefoltert oder in anderer Weise misshandelt zu werden. Die Regierung soll auch Leute verhaftet haben, um ihre Angehörigen im Wehrdienstalter unter Druck zu setzen, damit sie den Wehrdienst leisten.

Nach Berichten ist es nicht klar, wie man von der Verpflichtung erfährt, sich zum Wehrdienst zu melden, oder wie lange es braucht, bis der Betroffene zur Anhaltung (zB bei Checkpoints) ausgeschrieben wird. Es soll sogar - zumindest in einigen Fällen - vorgekommen sein, dass Männer bei Checkpoints festgenommen und zum Wehrdienst verpflichtet worden sind, die nicht einberufen worden waren. Da die Regierung ihre militärischen Kapazitäten erhöhen möchte, hat sie nach Berichten ihre Bemühungen zur Einberufung und Mobilisierung von Reservisten in Gebieten unter ihrer Herrschaft verstärkt, auch an festen oder mobilen Checkpoints, bei Razzien, Hausdurchsuchungen und der Durchsuchung öffentlicher Verkehrsmittel. Auch jüngere Burschen, die wie 18 Jahre alt aussehen, sollen an Checkpoints angehalten worden sein. Viele Männer im Einberufungs- oder Reservistenalter sollen sich verstecken oder das Land verlassen zu haben, aus Angst, an Checkpoints belästigt und eingezogen zu werden.

Männer im wehrpflichtigen Alter dürfen das Land nur mit Erlaubnis der Rekrutierungsstelle verlassen.

Da der Bedarf an Rekruten immer mehr wächst, werden die Regeln, die den Wehrdienst betreffen, immer willkürlicher angewandt, va. was Aufschubs- und Ausnahmeverfahren betrifft. Die Regierung soll für den Wehrdienst auch in stärkerem Ausmaß auf früher "geschützte" Teile der Bevölkerung zurückgreifen, wie auf Studenten, Beamte und Gefangene.

Seit 2011 hat Präsident Asad eine Reihe von Amnestien für Mitglieder der bewaffneten Opposition, Wehrdienstverweigerer und Deserteure erlassen, die sie von Strafe freistellten, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Zeit meldeten. Am 17.2.2016 erließ er das Dekret Nr. 8, das Wehrdienstverweigerern und Reservisten eine allgemeine Amnestie gewährte. Es gibt keine Information, ob und wie diese Dekrete umgesetzt worden sind oder wie viele Wehrdienstverweigerer seit 2011 von solchen Amnestien profitiert haben.

Desertion ist nach dem Militärstrafgesetz strafbar. Desertion in Friedenszeiten wird mit Freiheitsstrafe von einem bis fünf Jahren bestraft, in Zeiten des Konflikts kann diese Strafe verdoppelt werden. Deserteure, die das Land verlassen haben, können mit Freiheitsstrafe von fünf bis zehn Jahren (in Friedenszeiten) bestraft werden, in Konfliktzeiten mit Strafen bis zu 15 Jahren. Desertion im Angesicht des Feindes kann mit lebenslanger Freiheitsstrafe, in schweren Fällen mit dem Tod bestraft werden. Das erwähnte Dekret Nr. 8 vom 17.2.2016 gewährt auch Deserteuren eine Amnestie; dazu müssen sie sich, wenn sie sich in Syrien aufhalten, innerhalb von 30 Tagen stellen, wenn sie im Ausland sind, innerhalb von 60 Tagen.

Es gibt Berichte, wonach Männer, die sich zu schießen weigerten, die desertierten oder die verdächtigt wurden, ihre Desertion zu planen, nicht förmlich beschuldigt wurden, sondern unmittelbar getötet oder willkürlich in Haft genommen, in Einzelhaft gehalten und gefoltert und getötet wurden. Andere sollen zu ihrer Einheit zurückgeschickt worden sein.

1.2. Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger und am XXXX geboren. Bei einer Rückkehr nach Syrien läuft er Gefahr, zum Militär eingezogen zu werden, den Militärdienst leisten zu müssen und dabei gezwungen zu werden, an völkerrechtswidrigen Handlungen teilzunehmen, wie sie in den Feststellungen zur Situation in Syrien geschildert werden. Sollte er sich weigern oder desertieren, drohen ihm schwere Strafen bis zur Tötung.

2. Beweiswürdigung:

Diese Feststellungen beruhen auf folgender Beweiswürdigung:

2.1.1. Die Feststellungen zur Lage in Syrien beruhen auf dem Bericht des Bundesamtes (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation) und auf den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (November 2015). Auf diese Erwägungen beziehen sich auch die beiden anderen Unterlagen des Flüchtingshochkommissärs der Vereinten Nationen (Ergänzende aktuelle Länderinformationen. Syrien: Militärdienst [vom 30.11.2016] und Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR's Country Guidance on Syria. "Illegal Exit" from Syria and Related Issues for Determining the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Syria [vom Feber 2017]). Auf den "Erwägungen" beruhen ua. die Feststellungen über Menschenrechtsverbrechen der syrischen Streitkräfte (zweiter Abschnitt des Abschnitts über "Folter und unmenschliche Behandlung"; Z 13 der "Erwägungen"). Auf dem Bericht des United States Department of State 2015, der auch im Übrigen die Feststellungen stützt, beruht die Beschreibung der Fassbomben (S 2 des Berichts; erster Absatz im Abschnitt über die allgemeine Menschenrechtslage).

Die Feststellungen zur "Rückkehr" beruhen auf der Information des Flüchtingshochkommissärs (UNHCR, Relevant Country of Origin Information ..., S 3 f.; zweiter Absatz des Abschnitts) und auf seinen "Erwägungen" (Z 11; dritter Absatz des Abschnitts).

Alle zitierten Unterlagen, auf denen diese Feststellungen beruhen, stammen von angesehenen Einrichtungen, sodass keine Bedenken dagegen bestehen, sich darauf zu stützen; sie stützen sich ihrerseits auf die Berichte zahlreicher anerkannter staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen.

2.1.2.1. Die Feststellungen zum Militärdienst beruhen zunächst auf dem Bericht des Bundesamtes. Der Großteil der Feststellungen (ab dem dritten Absatz) stützt sich auf die Information des Flüchtingshochkommissärs (UNHCR, Relevant Country of Origin Information ..., S 20 bis 26).

2.1.2.2. Das Bundesamt hat seine Informationen (Länderinformationsblatt) dahingehend erläutert, dass der syrische Militärdienst (Wehr- und Reservedienst) sehr komplex sei und es in Details zu zeitlich und örtlich unterschiedlichem Vorgehen kommen könne. Daher sei es unwahrscheinlich, dass Recherchen zu detaillierten Anfragen noch einen echten Informationsgewinn erbringen könnten; Vor-Ort-Recherchen in Syrien seien nicht möglich.

Der Flüchtlingshochkommissär der Vereinten Nationen führt in seinen "Ergänzenden aktuellen Länderinformationen" zum Militärdienst in Syrien - jeweils verschiedene Quellen zitierend - aus:

"Den aktuellen Berichten zur Situation des syrischen Militärs ist zu entnehmen, dass mit dem Fortwähren des langjährigen Konflikts ein zunehmender Personalbedarf besteht. Bestehende Gesetze und Regeln in Bezug auf Einberufungspraktiken werden daher oft willkürlich ausgelegt und angewandt. So werden in manchen Regionen vermehrt Wehrpflichtige und Reservisten einberufen. Auf ‚geschützte' Gruppen wie Studierende, Beamte und Minderheiten wird mittlerweile ebenso zurückgegriffen. [...] Die syrische Regierung rekrutiert Berichten zufolge immer öfter auch an Checkpoints, bei Razzien oder Hausdurchsuchungen. Dies betrifft vor allem [...] Regionen, in denen die Regierungskräfte schwächer werden. Auch Burschen, die noch nicht im gesetzlich normierten wehrpflichtigen Alter sind, sind von damit in Zusammenhang stehenden Repressalien betroffen. [...] Die Regelungen des Dekret[s] Nr. 33 betreffend das Gesetz über die Wehrpflicht, zuletzt geändert am 6. August 2014, mit Blick auf etwaige Aufschübe sind zwar noch in Kraft, finden aktuellen Berichten zufolge allerdings in der Praxis nicht immer Berücksichtigung. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass inzwischen bei der Rekrutierung vermehrt auf lokaler Ebene agiert wird, wo offizielle Militärdienstaufschübe nicht immer berücksichtigt werden. Das gilt etwa auch für die Regelung, dass dem Anspruch auf Aufschub stattgegeben wird, wenn es sich um den einzigen Sohn einer Familie handelt oder weitere Söhne dienen oder gedient haben. [...] Auch der Anspruch auf Aufschub vom Antritt des Grundwehrdienstes wegen einer laufenden Ausbildung (z.B. für SchülerInnen oder Studierende) besteht Berichten zufolge nur mehr sehr eingeschränkt und wird teils willkürlich umgesetzt. [...] Die Berichtslage zur Frage der Rekrutierung Minderjähriger in die syrische Armee ist widersprüchlich. [...] Berichten zufolge besteht aber auch für - teils relativ junge - Minderjährige die Gefahr, in Zusammenhang mit der Wehrpflicht an Checkpoints aufgehalten zu werden und dabei Repressalien

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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