TE Bvwg Erkenntnis 2017/11/30 W182 2172936-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.11.2017
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

30.11.2017

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W182 2172936-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX alias XXXX, StA. Volksrepublik China, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.09.2017, Zl. 1126692209/161139759, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird nach § 28 Abs. 2

Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI. I. Nr 33/2013 idgF, gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52, 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz

(B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) ist Staatsangehörige der Volksrepublik China, gehört der Volksgruppe der Han an, ist Buddhistin, reiste illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 18.08.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

In einer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 18.08.2016 gab die BF auf die Frage, warum Österreich ihr Reiseziel gewesen sei, an, dass sie hier Geld verdienen und in Rotlichtlokalen arbeiten wolle. Zu ihren Fluchtgründen brachte sie im Wesentlichen vor, dass die Staatsbehörde ihre Wohnstätte niedergerissen habe. Sie habe keine Wohnung gehabt und habe nicht gewusst, wo sie hin solle. Man habe ihr gesagt, dass Österreich ein humanes Land sei, wo man gut Geld verdienen könne. Für ihre Tätigkeit als Landwirtin habe sie in China nur ca. 10.-20.000,- Yuan bekommen. Dies sei zu wenig. Befragt, was sie bei einer Rückkehr nach China befürchte, führte sie aus: "ich muss nichts befürchten. Ich habe nur keine Wohnung mehr, ich will hier bleiben und als Prostituierte arbeiten und Geld verdienen."

Weiters gab sie an, ledig zu sein und sechs Jahre lang die Grundschule besucht zu haben. Sie sei Bäuerin gewesen.

In der Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) am 18.09.2017 gab die BF zu ihren persönlichen Verhältnissen an, dass ihr ihre Eltern nicht bekannt seien und sie ein Waisenkind sei. Sie sei bei einer älteren Dame aufgewachsen, welche im Jahr 2015 eines natürlichen Todes verstorben sei. Sie habe keine Geschwister, keine Sorgepflichten und sei ledig. Sie habe gemeinsam mit ihrer Adoptivmutter in der Provinz XXXX, Stadt XXXX, Bezirk XXXX, im Dorf XXXX, gewohnt. Die BF gehöre der Volksgruppe der Han an und habe sieben Jahre lang die Schule besucht. In China habe sie als Landwirtin gearbeitet. In Österreich habe sie weder Verwandte, noch führe sie eine Lebensgemeinschaft. Sie gehöre auch keinem Verein und keiner sonstigen Organisation an. In ihrer Freizeit lerne sie Deutsch und arbeite. Sie habe bereits einen Deutschkurs besucht, aber noch kein Zertifikat erlangt, da sie keine Prüfung gemacht habe.

Zu ihren Fluchtgründen führte sie aus, dass ihre Adoptivmutter verstorben sei und sie nicht mehr weiter in China bleiben habe können. Sie habe Probleme mit der Behörde gehabt. Im Zuge des Konfliktes habe sie jemanden mit einem Stein am Kopf verletzt. Sie werde noch immer gesucht. Nach Wiederholung der Frage, gab die BF erneut an, dass sie nicht mehr weiter in China bleiben habe können. Sie habe Probleme mit einer Behörde gehabt und habe in China keine Familienangehörigen mehr. Die Frage, ob sie weitere Fluchtgründe habe, verneinte sie. Nach Vorhalt, bei der Erstbefragung angegeben zu haben, dass sie nur ausgereist sei, um Geld zu verdienen und in Österreich als Prostituierte arbeiten zu können und nun unterschiedliche Fluchtgründe schildere, führte sie aus, dass sie das nicht gesagt habe. Sie habe bereits gesagt, nicht mehr nach China zurückkehren zu können. Wenn sie in Österreich lebe, werde sie dem Staat nicht zur Last fallen und selbst Geld verdienen. Darauf aufmerksam gemacht, dass sie höchst vage und unkonkrete Angaben zu ihren Fluchtgründen mache und Einzelheiten und Details nennen solle, gab sie an: "Es war wegen der Zwangsenteignung. Es war vermutlich im Dezember 2015". Nach Wiederholung der Aufforderung führte die BF aus, dass ihr Haus zwangsweise abgerissen worden sei. Es sei ein altes Haus gewesen, in welchem nur sie und ihre Mutter gewohnt hätten. Da es schon so alt gewesen sei, hätten sie keine Entschädigung bekommen. Die Frage, ob sie in China jemals persönlich konkret verfolgt oder bedroht worden sei, bejahte sie und führte dazu aus, dass man zu Mitternacht zu ihnen nach Hause gekommen sei und sie aufgefordert hätte, das Haus zu verlassen. Auf Nachfrage, führte sie aus, dass dies vermutlich im Februar 2016 gewesen sei. Man sei gekommen und habe ihre Mutter geschlagen. Die BF sei dadurch aufgewacht und habe dies verhindern wollen. Daraufhin habe man ihr einen Fußtritt in den Brustkorb verpasst. Dabei sei ihre Galle verletzt worden, welche danach auch entfernt worden sei. Nach Vorhalt, widersprüchlich angegeben zu haben, dass die Mutter im Jahr 2015 eines natürlichen Todes gestorben sei, gab die BF an, dass ihre Mutter im April 2016 verstorben sei. Nach Aufforderung, die Personen, die bei ihr gewesen seien zu beschreiben, gab sie an, dass es acht Männer gewesen seien. Sie glaube diese gehören zur Mafia und seien Schläger gewesen. Sie hätten sehr wütend ausgeschaut und jeder habe eine Stange gehabt. Nach Aufforderung, über den Angriff mit dem Stein zu erzählen, führte sie aus, dass zufällig ein Ziegelstein dort gewesen sei. Da sie ihre Mutter geschlagen hätten und die BF einen Schlag in den Brustkorb bekommen habe, habe sie den Ziegelstein genommen und einem Mann an den Kopf geworfen. Er sei zu Boden gegangen. Aufgrund des Fußtrittes sei die BF dann bewusstlos geworden. Befragt, was sie bei einer Rückkehr nach China befürchte, gab sie an, dass sie ins Gefängnis kommen würde, da sie jemanden schwer verletzt habe. Sie wolle keine Stellungnahme zu den Länderfeststellungen abgeben und wolle keine Angaben mehr machen.

Die BF konnte keine chinesischen Personaldokumente vorlegen.

1.2. Mit dem nunmehr angefochtenen oben angeführten Bescheid des Bundesamtes wurde der Antrag auf internationalen Schutz der BF gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat VR China (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG in die VR China zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde unter Spruchpunkt IV. ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Seitens des Bundesamtes wurde u.a. festgestellt, dass die Identität der BF nicht feststehe. Sie habe in unglaubwürdiger Weise behauptet, einen Mann mit einem Stein am Kopf verletzt zu haben. Im Falle der Rückkehr verfüge sie über eine mehrjährige Schulbildung und Arbeitserfahrung. Sie sei in einem arbeitsfähigen Alter und es sei ihr zuzumuten, sich künftig ihren Lebensunterhalt mit Hilfe der eigenen Arbeitsleistung zu sichern. Die seit August 2016 nach illegaler Einreise im Bundesgebiet aufhältige BF verfüge über kein Familienleben in Österreich und führe auch keine Lebensgemeinschaft. Sie sei von niemandem finanziell abhängig und gehöre weder einem Verein noch einer sonstigen Organisation an. Sie verfüge über keine nennenswerten deutschen Sprachkenntnisse. Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates wurde im Wesentlichen beweiswürdigend ausgeführt, dass ihre Angaben, wonach sie Probleme mit der Behörde gehabt hätte, da diese ihr Haus zwangsweise abgerissen hätte, nicht glaubhaft sei. In der Erstbefragung habe sie angegeben, dass sie nach Österreich gewollt habe, um als Prostituierte zu arbeiten. Zudem habe die BF keine Einzelheiten und Details geschildert und habe bewusst nicht am Verfahren mitgewirkt. So habe sie auf die Aufforderung konkrete Angaben zu machen, lediglich angegeben, dass es wegen der Zwangsenteignung gewesen sei und dies vermutlich im Dezember 2015 gewesen sei. Selbst nach wiederholter Aufforderung habe sie keine detaillierten Angaben gemacht. Zudem habe sich die BF in Widersprüche verstrickt, indem sie anfangs angab, dass ihre Mutter im Jahr 2015 an einem natürlichen Tode verstorben wäre, dann aber ausführte, dass ihre Mutter bei dem Vorfall im Februar 2016 geschlagen worden wäre. Auch erscheine es unwahrscheinlich, dass die BF, nachdem einer von den acht Männern sie in den Brustkorb getreten hätte, wobei sie danach bewusstlos geworden wäre, sie einen von diesen mit einem Ziegelstein verletzt hätte. Auch sei es weiters nicht nachvollziehbar, dass die Männer sie einfach liegen gelassen hätten, nachdem sie einen Kollegen stark am Kopf verletzt hätte. Es hätten keinerlei Anhaltspunkte dahingehend gefunden werden können, dass sie im Falle einer Rückkehr einer Gefährdung im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre; sie sei arbeitsfähig, verfüge über eine mehrjährige Schulbildung und über Arbeitserfahrung. Es sei ihr daher zuzumuten, sich mit Hilfe der eigenen Arbeitsleistung zukünftig ihren Lebensunterhalt zu sichern. Sie beherrsche zudem die Landessprache und sei mit den kulturellen Gegebenheiten vertraut. Auch bestehe kein Hinweis auf das Vorliegen "außergewöhnlicher Umstände" (lebensbedrohliche Erkrankung oder dergleichen), die eine Abschiebung im Sinne von Art. 3 EMRK und § 50 FPG unzulässig machen könnte. Zudem ergebe sich aus den Feststellungen zur allgemeinen Lage der VR-China kein Hinweis, dass im gesamten Staatsgebiet der VR-China eine extreme Gefahrenlage mit besonders exzessiver und unkontrollierter Gewaltanwendung gegenüber der Zivilbevölkerung, oder eine unmenschliche Behandlung bewirkende humanitäre Situation im gesamten Staatsgebiet vorliege. Im Übrigen sei die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und die medizinische Basisversorgung in der VR-China grundsätzlich gewährleistet.

Mit Verfahrensanordnung vom 21.09.2017 wurde der BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

1.3. Gegen den Bescheid wurde seitens des Vertreters der BF binnen offener Frist Beschwerde erhoben. Darin wurde der gegenständliche Bescheid zur Gänze angefochten und unrichtige Tatsachenfeststellungen, unrichtige Beweiswürdigung sowie inhaltliche Rechtswidrigkeit in Folge unrichtiger rechtlicher Beurteilung geltend gemacht. Eingangs wurde das Vorbringen der BF wiederholt. Dazu wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die BF Probleme mit den staatlichen Behörden gehabt habe. Ihr Haus sei zwangsweise abgerissen worden und sie habe keine Entschädigung erhalten. Im Zuge eines Konfliktes habe sie einen hochrangigen Beamten mit einem Stein am Kopf verletzt. Aufgrund dieses Vorfalles werde sie in China gesucht und habe sie ihr Heimatland verlassen müssen. Die Behörde habe das Vorbringen der BF als nicht glaubwürdig angesehen und lapidar behauptet, dass die behauptete Bedrohung der BF nicht festgestellt habe werden können. Die BF habe in der Einvernahme konkrete und nachvollziehbare asylrelevante Fluchtgründe iSd GFK dargelegt. Die Ansicht der Behörde sei für die BF nicht nachvollziehbar. Ihre Fluchtgründe seien sehr wohl begründet, stichhaltig und nachvollziehbar. Bei richtiger Tatsachenfeststellung hätte die belangte Behörde zum Ergebnis gelangten müssen, dass die Aussagen der BF der Wahrheit entsprechen würden und ihre Furcht wohlbegründet sei. Die BF habe die fluchtauslösenden Erlebnisse durchaus nachvollziehbar und in einer Art und Weise geschildert, wie es von jemanden zu erwarten wäre, der ein Erlebnis tatsächlich erlebt habe. Sie habe ausführliche Details geschildert, weshalb ihre Befürchtung festgenommen und misshandelt zu werden, nicht spekulativ, sondern realistisch sei. Mangels Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit sei die allgemeine Situation in ihrer Heimat daher massiv instabil und wäre ihre Abschiebung unverantwortlich. Das Bundesamt habe nur generelle Überlegungen getroffen und keine konkrete Untersuchung der Situation der BF gemacht. Die BF habe Angaben gemacht, welche bei Wahrunterstellung jedenfalls eine Verletzung ihrer Rechte gemäß Art. 2, 3 und 8 EMRK indizieren würden. Auch die Länderberichte würden keinesfalls ein so positives Bild zeigen, wie es in der Beweiswürdigung dargestellt werde. Die BF bemühe sich um einen legalen Aufenthalt in Österreich, habe stets mit den Behörden kooperiert, stehe zu den westlichen und demokratischen Werten und fühle sich in Österreich wohl. Zudem sei sie arbeitsfähig und arbeitswillig und würde keine Belastung für die Gebietskörperschaft darstellen. Die Kriterien für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen seien daher erfüllt. Zum Bescheid des Bundesamtes werde ausgeführt, dass sich dieser großteils auf das Zitieren vorgeformter, formelhafter Textbausteine beschränke, denen jeglicher Begründungswert fehle. Das Bundesamt habe es unterlassen, durch richtige Fragestellung den richtigen Sachverhalt zu ermitteln. Durch gezielte Fragestellung hätte der Sachverhalt ermittelt und festgestellt werden können. Zudem habe die belangte Behörde die Fluchtgründe der BF nicht richtig ermittelt und auch das Privat- und Familienleben iSd Art. 8 EMRK und die Integration der BF nicht richtig festgestellt. Die Interessensabwägung gemäß § 56 Abs. 3 AsylG 2005 sei nicht ordnungsgemäß vorgenommen worden. Zusammengefasst sei daher die Argumentation des Bundesamtes nicht nachvollziehbar. Das Vorbringen der BF entspreche der Wahrheit, sei glaubwürdig, substantiiert und stelle eine Verfolgung iSd GFK dar. Das Bundesamt sei ihrer Verpflichtung, ein amtswegiges Ermittlungsverfahren durchzuführen, nicht nachgekommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Aufgrund der der Entscheidung zugrunde liegenden Akten des Bundesamtes samt Beschwerdeschrift sowie des Bundesverwaltungsgerichtes steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:

Die BF ist Staatsangehörige der Volksrepublik China, gehört der Volksgruppe der Han an und bekennt sich zum Buddhismus. Ihre Identität steht nicht fest. Die BF reiste illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 18.08.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die ledige 42-jährige BF ist arbeitsfähig, hat keine lebensbedrohenden Krankheiten geltend gemacht und verfügt über eine mehrjährige Schulbildung. Sie hat im Herkunftsstaat als Landwirtin gearbeitet. Die BF verfügt im Herkunftsstaat zumindest über ein soziales Netz (Nachbarn, Schulkollegen).

In Österreich halten sich keine Familienangehörigen oder Verwandten der BF auf und sie lebt auch in keiner familienähnlichen Beziehung. Die unbescholtene BF hält sich seit knapp über einem Jahr im Bundesgebiet auf und verfügt über keine nennenswerten Sprachkenntnisse in Deutsch. Sie bezieht keine Grundversorgung in Österreich. Sie gehört keinem Verein, keiner religiösen Verbindung und keiner sonstigen Gruppierung an.

Das Vorbringen der BF, dass sie das Herkunftsland aus Furcht vor strafrechtlicher Verfolgung verlassen habe, weil sie anlässlich der Enteignung ihres Hauses einen Beamten im Zuge einer Auseinandersetzung einen Ziegelstein an den Kopf geworfen und diesen verletzte habe, hat sich als unglaubwürdig erwiesen. Die BF hat aus rein wirtschaftlichen Gründen das Herkunftsland verlassen.

1.2. Zur Situation im Herkunftsland wird von den zutreffenden Feststellungen des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid ausgegangen. Die Situation im Herkunftsland hat sich seit dem Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung in den gegenständlich relevanten Punkten nicht entscheidungswesentlich verändert, sodass ein neuerlicher Vorhalt im Beschwerdeverfahren unterbleiben konnte.

1. Politische Lage

Die Volksrepublik China ist mit geschätzt 1.367 Milliarden Einwohnern (Stand Juli 2015) der bevölkerungsreichste Staat der Welt, bei einer Fläche von 9.596.960 km² (CIA 11.8.2015).

Sie ist in 22 Provinzen, die fünf Autonomen Regionen der nationalen Minderheiten Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi, sowie vier regierungsunmittelbare Städte (Peking, Shanghai, Tianjin, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungsregionen (Hongkong, Macau) unterteilt. Nach dem Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme", der der chinesisch-britischen "Gemeinsamen Erklärung" von 1984 über den Souveränitätsübergang zugrunde liegt, kann Hongkong für 50 Jahre sein bisheriges Gesellschaftssystem aufrecht erhalten und einen hohen Grad an Autonomie genießen. Nach einem ähnlichen Abkommen wurde Macau am 20. Dezember 1999 von Portugal an die Volksrepublik China zurückgegeben. Die Lösung der Taiwanfrage durch friedliche Wiedervereinigung bleibt eines der Hauptziele chinesischer Politik (AA 4.2015a).

Gemäß ihrer Verfassung ist die Volksrepublik China ein "sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht" (AA 4.2015a). Die Volksrepublik China ist ein autoritärer Staat, in dem die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) verfassungsmäßig die höchste Autorität ist. Beinahe alle hohen Positionen in der Regierung sowie im Sicherheitsapparat werden von Mitgliedern der KPCh inne gehalten (USDOS 25.6.2015). Die KPCh ist somit entscheidender Machtträger. Nach dem Parteistatut wählt der alle fünf Jahre zusammentretende Parteitag das Zentralkomitee (376 Mitglieder), das wiederum das Politbüro (25 Mitglieder) wählt. Ranghöchstes Parteiorgan und engster Führungskern ist der zurzeit siebenköpfige "Ständige Ausschuss" des Politbüros. Dieser gibt die Leitlinien der Politik vor. Die Personalvorschläge für alle diese Gremien werden zuvor im Konsens der Parteiführung erarbeitet (AA 4.2015a, vgl. USDOS 25.6.2015).

An der Spitze der Volksrepublik China steht der Staatspräsident, der gleichzeitig Generalsekretär der KP Chinas und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission ist und somit alle entscheidenden Machtpositionen auf sich vereinigt. Der Ministerpräsident leitet den Staatsrat, die eigentliche Regierung. Der Staatsrat fungiert als Exekutive und höchstes Organ der staatlichen Verwaltung. Alle Mitglieder der Exekutive sind gleichzeitig führende Mitglieder der streng hierarchisch gegliederten Parteiführung (Ständiger Ausschuss, Politbüro, Zentralkomitee), wo die eigentliche Strategiebildung und Entscheidungsfindung erfolgt (AA 4.2015a).

Der 3.000 Mitglieder zählende Nationale Volkskongress (NVK) wird durch subnationale Kongresse für fünf Jahre gewählt. Er wählt formell den Staatspräsidenten für fünf Jahre und bestätigt den Premierminister, der vom Präsidenten nominiert wird (FH 28.1.2015a). Der NVK ist formal das höchste Organ der Staatsmacht (AA 4.2015a). Der NVK ist jedoch vor allem eine symbolische Einrichtung. Nur der Ständige Ausschuss trifft sich regelmäßig, der NVK kommt einmal pro Jahr für zwei Wochen zusammen, um die vorgeschlagene Gesetzgebung anzunehmen (FH 28.1.2015a). Eine parlamentarische oder sonstige organisierte Opposition gibt es nicht. Die in der sogenannten Politischen Konsultativkonferenz organisierten acht "demokratischen Parteien" sind unter Führung der KP Chinas zusammengeschlossen; das Gremium hat lediglich eine beratende Funktion (AA 4.2015a). Beim 18. Kongress der KPCh im November 2012 wurde, nach einem Jahrzehnt, ein Führungswechsel vollzogen (AI 23.5.2013). Für die nächsten fünf Jahre wurden ein neues Zentralkomitee, Politbüro und ein neuer Ständiger Ausschuss bestimmt. Xi Jinping wurde zum Generalsekretär der KPCh und zum Leiter der Zentralen Militärkommission gekürt. Mit dem 12. Nationalen Volkskongress im März 2013 gilt dieser Führungswechsel als abgeschlossen. Seitdem ist Xi Jinping auch Präsident Chinas (AA 4.2015a, vgl. FH 28.1.2015a). Er hält damit die drei einflussreichsten Positionen (USDOS 27.2.2014). Die neue Staatsführung soll zehn Jahre im Amt bleiben, wenngleich die Amtszeit offiziell zunächst fünf Jahre beträgt, mit der Möglichkeit zur Verlängerung durch eine zweite, ebenfalls fünfjährige, Amtsperiode (Die Zeit 14.3.2013). Vorrangige Ziele der Regierung sind weitere Entwicklung Chinas und Wahrung der politischen und sozialen Stabilität durch Machterhalt der KPCh. Politische Stabilität gilt als Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Reformen. Äußere (u.a. nachlassende Exportkonjunktur) und innere (u.a. alternde Gesellschaft, Umweltschäden, Wohlfahrtsgefälle) Faktoren machen weitere Reformen besonders dringlich (AA 4.2015a).

Die Rolle der Partei in allen Bereichen der Gesellschaft soll gestärkt werden. Gleichzeitig laufen Kampagnen zur inneren Reformierung und Stärkung der Partei. Prioritäten sind Kampf gegen die Korruption und Verschwendung, Abbau des zunehmenden Wohlstandsgefälles, Schaffung nachhaltigeren Wachstums, verstärkte Förderung der Landbevölkerung, Ausbau des Bildungs- und des Gesundheitswesens, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und insbesondere Umweltschutz und Nahrungsmittelsicherheit. Urbanisierung ist und bleibt Wachstumsmotor, bringt aber gleichzeitig neue soziale Anforderungen und Problemlagen mit sich. Erste Ansätze für die zukünftige Lösung dieser grundlegenden sozialen und ökologischen Entwicklungsprobleme sind sichtbar geworden, haben deren Dimension aber zugleich deutlich aufgezeigt (AA 4.2015a).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (4.2015a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5

-

AI - Amnesty International (23.5.2013): Amnesty International Annual Report 2013 - China,

http://www.refworld.org/docid/519f51a96b.html

-

CIA The World Factbook (11.8.2015):

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ch.html

-

FH - Freedom House (28.1.2015a): Freedom in the World 2015 - China, http://www.ecoi.net/local_link/295269/430276_de.html

-

USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Reports on Human Rights Practices 2014 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/306284/443559_de.html

-

Die Zeit (14.3.2013): Xi Jinping ist Chinas neuer Staatschef, www.zeit.de/politik/ausland/2013-03/chinapraesident-xi-jinping

2. Sicherheitslage

Proteste auf lokaler Ebene haben in ganz China stark zugenommen. Sie richten sich vor allem gegen steigende Arbeitslosigkeit und Vorenthaltung von Löhnen, hauptsächlich von Wanderarbeitern. Bei den bäuerlichen Protesten auf dem Land geht es meistens um die (entschädigungslose oder unzureichend entschädigte) Enteignung von Ländereien oder die chemische Verseuchung der Felder durch Industriebetriebe oder Umweltkatastrophen. Die Anzahl sog. "Massenzwischenfälle" soll 2012 bei ca. 200.000 gelegen haben und schnell zunehmen. Massenzwischenfälle sind nach chinesischer Definition nicht genehmigte Demonstrationen und Proteste, an denen sich mehr als 100 Personen beteiligen. Wie verlässlich die genannten Zahlen sind, bleibt offen. Die lokalen Behörden verfolgen in Reaktion zumeist eine Mischstrategie aus engmaschiger Kontrolle, die ein Übergreifen nach außen verhindern soll, gepaart mit einem zumindest partiellen Eingehen auf die Anliegen (AA 15.10.2014). Einer internationalen NGO zufolge wird die Zahl der Proteste auf 30.000 -50.000 pro Jahr geschätzt. Andere Quellen sprechen von einigen 10.000 bis 100.000 jedes Jahr. Wie schon in den vergangenen Jahren fand sich die Ursache der Mehrzahl der Demonstrationen Grundstücksstreitereien, Wohnungsprobleme, Industrie- Umwelt und Arbeitsangelegenheiten, staatliche Korruption, Steuern sowie sonstige wirtschaftliche und soziale Anliegen (USDOS 25.6.2015).

Nach den Massenkundgebungen der Demokratiebewegung in Hongkong ist noch keine Einigung mit den Behörden in Sicht (DW 7.10.2014, vgl. HRW 29.1.2015). Auf dem Höhepunkt der Proteste hatten bis zu 100.000 Menschen in der früheren britischen Kronkolonie für mehr Demokratie demonstriert. Sie verlangen den Rücktritt von Verwaltungschef Leung Chun Ying. Zudem protestieren sie dagegen, dass die Regierung in Peking bei der 2017 anstehenden Wahl eines Nachfolgers nur vorab bestimmte Kandidaten zulassen will (TR 20.10.2014).

Die Proteste waren weitgehend friedlich, im Oktober kam es aber auch zu einigen gewalttätigen Auseinandersetzungen, als Einzelpersonen versuchten, die von den Demonstranten auf mehreren Hauptstraßen errichtet Barrikaden zu beseitigen. Einige Demonstranten behaupteten, dass diese Personen kriminellen Banden angehörigen würden oder auf Geheiß der Zentralregierung tätig wurden und dass die Polizei nicht angemessen darauf reagiert habe. Von der Polizei wurden die Vorfälle untersucht und 19 Personen verhaftet, die mutmaßlich Angriffe auf die Demonstranten verübt haben. Im November konnte die Polizei einen Versuch der Demonstranten, das Regierungsgebäude in Hongkong zu stürmen abwehren (USDOS 15.6.2015).

In Hongkong hat das Parlament nun mit Beratungen über eine umstrittene Wahlreform begonnen. Die Demokratiebewegung sieht eine wesentliche Forderung nicht erfüllt, denn Peking will weiterhin massiv mitbestimmen. Den künftigen Regierungschef soll Hongkong frei wählen dürfen - ausgesucht werden sollen die Kandidaten aber von Peking selbst. Seit 17.6.2015 berät das aus 70 Abgeordneten bestehende Parlament der chinesischen Sonderverwaltungszone über den Wahlmodus des künftigen Regierungs- und Verwaltungschefs. Viele Demokratie-Aktivisten lehnen die Änderungen im Wahlmodus ab. Im Parlament platzierten oppositionelle Abgeordnete Schilder mit Kreuzen als Zeichen ihres Protests gegen die Reformpläne. Vor dem Parlament versammelten sich hunderte Anhänger beider Lager (DW 17.6.2015).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (15.10.2014): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

-

DW - Deutsche Welle (7.10.2014): Beharren auf Demokratie in Hongkong,

http://www.dw.de/beharren-auf-demokratie-in-hongkong/a-17980006

-

DW - Deutsche Welle (17.6.2015): Proteste gegen umstrittene Wahlreform in Hongkong,

http://www.dw.com/de/proteste-gegen-umstrittene-wahlreform-in-hongkong/a-18519571, Zugriff 20.8.2015

-

FH - Freedom House (28.1.2015a): Freedom in the World 2015 - China, http://www.ecoi.net/local_link/295269/430276_de.html

-

HRW - Human Rights Watch (29.1.2015): World Report 2015 - China, http://www.ecoi.net/local_link/295449/430481_de.html

-

TR - Thomson Reuters (20.10.2014): Keine größeren Zusammenstöße bei Protesten in Hongkong,

http://de.reuters.com/article/worldNews/idDEKCN0I90NZ20141020

-

USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Reports on Human Rights Practices 2014 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/306284/443559_de.html

3. Rechtsschutz/Justizwesen

Eine unabhängige Strafjustiz existiert in China nicht. Strafrichter und Staatsanwälte unterliegen der politischen Kontrolle von staatlichen Stellen und Parteigremien (AA 15.10.2014). Die Kontrolle der Gerichte durch politische Institutionen ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip (ÖB 11.2014, vgl. FH 28.1.2015a). Parteipolitisch-rechtliche Ausschüsse überwachen die Tätigkeit der Gerichte auf allen Ebenen und erlauben Parteifunktionären, Urteile und Verurteilungen zu beeinflussen. Die Aufsicht der KPCh zeigt sich besonders in politisch heiklen Fällen (FH 28.1.2015). Die Gerichte sind auf jeder Ebene administrativ und institutionell den jeweiligen Einheiten des Nationalen Volkskongresses verantwortlich, von denen sie laut Verfassung auch errichtet werden. Jedes Gericht verfügt über ein Rechtskomitee, bestehend aus dem Gerichtspräsidenten, dem Vizepräsidenten und dem Leiter jeder Abteilung des Gerichts. Aufgabe ist es, bei "wichtigen und komplizierten Fällen" Anleitung zu geben. Das Problem ist, dass ein Richter, der einen solchen "komplizierten" Fall betreut, vor dem Urteilsspruch an das Rechtskomitee berichten muss. Es kommt daher zu der Situation, dass Personen, die den Prozess nicht gehört haben, Einfluss auf das Urteil nehmen (ÖB 11.2014). Das 3. Plenum des Zentralkomitees hat im November 2013 Beschlüsse zu einer Justizreform verabschiedet. Neben der Abschaffung des Systems der "Umerziehung durch Arbeit" sind Kernthemen Fragen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, nicht zuletzt im Interesse der Korruptions- und Missbrauchsbekämpfung, der Unabhängigkeit der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte und Professionalisierung der Justizarbeit. Die Zahl der Straftaten, die die Todesstrafe nach sich ziehen, sollte reduziert werden. Die durchaus ermutigenden Ansätze einer Verrechtlichung werden allerdings durch den fortbestehenden umfassenden Führungsanspruch der Partei relativiert (AA 15.10.2014). Trotz laufender Reformbemühungen gibt es, vor allem auf unterer Gerichtsebene, noch immer einen Mangel an gut ausgebildeten Richtern, was die unterschiedliche Rechtsqualität zwischen den Gerichten in den großen Städten und den kleineren Städten erklärt (ÖB 11.2014). Ein umfassender Regelungsrahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene soll "Fehlverhalten" von Justizbeamten und Staatsanwälten in juristischen Prozessen unterbinden. Das Oberste Volksgericht (OVG) unter seinem als besonders "linientreu" geltenden Präsidenten und die Oberste Staatsanwaltschaft haben in ihren Berichten an den Nationalen Volkskongress im März 2014 in erster Linie gefordert, "Falschurteile" der Gerichte zu verhindern, die Richterschaft an das Verfassungsverbot von Folter und anderen Zwangsmaßnahmen bei Vernehmungen zu erinnern und darauf hinzuweisen, dass Verurteilungen sich nicht allein auf Geständnisse stützen dürfen. Die Regierung widmet sowohl der juristischen Ausbildung als auch der institutionellen Stärkung von Gerichten und Staatsanwaltschaften seit mehreren Jahren große Aufmerksamkeit (AA 15.10.2014).

Am 1.1.2013 trat eine Novelle des chinesischen Strafprozessgesetzes in Kraft. Es handelt sich dabei um die umfassendste Reform des Strafrechts seit 16 Jahren. Neu aufgenommen wurde "die Hochachtung und der Schutz der Menschenrechte". So sind z.B. gemäß Art. 50 Folter und Bedrohung bzw. Anwendung anderer illegaler Methoden zur Beweisermittlung verboten. Gemäß Art. 83 sollen die Familien der Internierten innerhalb von 24 Stunden ab Strafarrest informiert werden, es sei denn es ist nicht möglich. Gemäß Art. 188 tragen Ehepartner, Eltern und Kinder keine Beweispflicht mehr. Die Rechte der Verteidigung wurden in einigen Bereichen gestärkt; so sind Geständnisse, die durch illegale Methoden wie Folter erzwungen werden, ungültig. Beweismittel und Zeugenaussagen, die auf unrechtmäßigem Wege gewonnen wurden, sind vor Gericht unzulässig; Polizeibehörden können Verdächtige nicht mehr zwingen sich selbst zu bezichtigen; dies könnte zu einem Rückgang an Foltervorfällen durch Polizeiorgane führen. Der Schutz jugendlicher Straftäter wird erhöht (ÖB 11.2014, vgl. FH 23.1.2014a, AI 23.5.2013, AA 15.10.2014). Auch der Zeugenschutz wird gestärkt. Chinesische Experten gehen davon aus, dass die Durchsetzung dieser Regeln viele Jahre erfordern wird (AA 15.10.2014).

2014 wurden schrittweise weitere Reformen eingeleitet, darunter die Anordnung an Richter, Entscheidungen über ein öffentliches Onlineportal zugänglich zu machen sowie ein Pilotprojekt in sechs Provinzen um die Aufsicht über Bestellungen und Gehälter auf eine höhere bürokratische Ebene zu verlagern. Beim vierten Parteiplenum im Oktober 2014 standen Rechtsreformen im Mittelpunkt. Die Betonung der Vorherrschaft der Partei über das Rechtssystem und die Ablehnung von Aktionen, die die Unabhängigkeit der Justiz erhöhen würden, wurde jedoch beibehalten. Dies führte zu Skepsis hinsichtlich der tatsächlichen Bedeutung der Reform (FH 28.1.2015a).

Das neue Gesetz sieht allerdings vor, dass "Staatsicherheit gefährdende" Verdächtige an einem "designierten Ort" bis zu 6 Monate unter "Hausarrest" gestellt werden können. Die Familie muss zwar formell innerhalb von 24 Stunden über die Festnahme informiert werden, nicht jedoch über den Grund der Festnahme oder über den Aufenthaltsort. Dieser Aufenthaltsort könnte auch außerhalb offizieller Einrichtungen sein. Rechtsexperten sehen darin eine signifikante Ausweitung der Polizeimacht, denn es ist zu befürchten, dass es an diesen geheimen Orten weiterhin zu Folterhandlungen kommen könnte (ÖB 11.2014, vgl. FH 23.1.2014a, AI 23.5.2013). Das chinesische Strafgesetz hat die früher festgeschriebenen "konterrevolutionären Straftaten" abgeschafft und im Wesentlichen durch Tatbestände der "Straftaten, die die Sicherheit des Staates gefährden" (Art. 102-114 chin. StG) ersetzt. Danach können vor allem Personen bestraft werden, die einen politischen Umsturz/Separatismus anstreben oder das Ansehen der VR China beeinträchtigen. Gerade dieser Teil des Strafgesetzes fällt durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe auf (AA 15.10.2014). Der Vorwurf der "Gefährdung der Staatssicherheit" oder des "Terrorismus" sind vage Begriffe, die oft als Vorwand von Maßnahmen gegen Dissidenten verwendet werden; jährlich werden ca. 1.000 Personen wegen des Verdachts auf "Gefährdung der Staatssicherheit" festgehalten (ÖB 11.2014, vgl. FH 23.1.2014a, AI 23.5.2013). Häufig wurden Anklagen wegen "Gefährdung der Staatssicherheit", "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" oder "Preisgabe von Staatsgeheimnissen" erhoben und langjährige Gefängnisstrafen gegen Personen verhängt, weil sie Internetblogs veröffentlicht oder als sensibel eingestufte Informationen ins Ausland weitergeleitet hatten. Der Staat benutzt somit das Strafrechtssystem dazu, seine Kritiker zu bestrafen (AI 23.5.2013). Prozesse, bei denen die Anklage auf Terrorismus oder "Verrat von "Staatsgeheimnissen" lautet, werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Was ein Staatsgeheimnis ist, kann nach chinesischer Gesetzeslage auch rückwirkend festgelegt werden. Angeklagte werden in diesen Prozessen weiterhin in erheblichem Umfang bei der Wahrnehmung ihrer Rechte beschränkt. U.a. wird dem Beschuldigten meist nicht erlaubt, einen Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen; nur in seltenen Ausnahmefällen wird ihm vom Gericht überhaupt ein Verteidiger bestellt (AA 15.10.2014).

Rechtsanwälte, die in kontroversen Fällen tätig wurden, mussten mit Drangsalierungen und Drohungen seitens der Behörden rechnen, und in einigen Fällen wurde ihnen die weitere berufliche Tätigkeit verboten. Dies hatte zur Konsequenz, dass der Zugang der Bürger zu einem gerechten Gerichtsverfahren sehr stark eingeschränkt war. Verstöße gegen das Recht von Angeklagten auf ein faires Gerichtsverfahren und gegen andere ihrer Rechte waren gängige Praxis, darunter der verwehrte Zugang zu Anwälten und Familienangehörigen, Inhaftierungen über die rechtlich zulässige Zeitdauer hinaus, sowie Folter und Misshandlung in Gewahrsam (AI 23.5.2013; vgl. FH 23.1.2014a).

Die wachsende Anzahl von Bürgerrechtsanwälten war auch 2014 weiterhin mit Beschränkungen und körperlichen Angriffen konfrontiert. Anwälte wurden daran gehindert, ihre Klienten zu sehen, geschlagen und in einigen Fällen sogar festgehalten und gefoltert (FH 28.1.2015a).

Willkürliche Verhaftungen oder Hausarrest ("soft detention") ohne gerichtliche Verfahren kommen häufig vor. Personen werden oft über lange Zeit hinweg in ihrer eigenen Wohnung oder an anderen Orten ohne Zugang zur Außenwelt festgesetzt (AA 15.10.2014).

Der Nationale Volkskongress schaffte Chinas berüchtigtes System der "Umerziehung durch Arbeit" im Dezember 2013 offiziell ab. In der Folge griffen die Behörden ausgiebig auf andere Formen der willkürlichen Inhaftierung zurück, wie z.B. Schulungseinrichtungen für Rechtserziehung, verschiedene Arten der Administrativhaft, geheime "black jails" und rechtswidrigen Hausarrest. Darüber hinaus benutzte die Polizei häufig vage Anklagen wie "Streitsucht und Unruhestiftung" oder "Störung der Ordnung in der Öffentlichkeit", um politisch engagierte Bürger für Zeiträume von bis zu 37 Tagen willkürlich in Haft zu nehmen. KPCh-Mitglieder, die unter Korruptionsverdacht standen, wurden im Rahmen des geheimen Disziplinarsystems shuanggui ("doppelte Festlegung") ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand und ihren Familien in Gewahrsam gehalten (AI 25.2.2015, vgl. ÖB 11.2014).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (15.10.2014): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

-

AI - Amnesty International (23.5.2013): Annual Report 2013 - China, http://www.refworld.org/docid/519f51a96b.html

-

AI - Amnesty International (25.2.2015): Amnesty International Report 2014/15 - The State of the World's Human Rights - China, http://www.ecoi.net/local_link/297304/434266_de.html

-

FH - Freedom House (23.1.2014a): Freedom in the World 2014 - China, http://www.ecoi.net/local_link/268012/395593_de.html

-

FH - Freedom House (28.1.2015a): Freedom in the World 2015 - China, http://www.ecoi.net/local_link/295269/430276_de.html

-

HRW - Human Rights Watch (21.1.2014): World Report 2014 - China, http://www.ecoi.net/local_link/267710/395073_de.html

-

ÖB Peking (11.2014): Asylländerbericht Volksrepublik China

4. Sicherheitsbehörden

Zivile Behörden behielten die Kontrolle über Militär- und Sicherheitskräfte bei (USDOS 25.6.2015). Die KPCh kontrolliert und leitet die Sicherheitskräfte auf allen Ebenen. 2013 dehnte die Partei ihren Apparat zur "Stabilitätserhaltung", mit dem Recht und Ordnung erhalten werden soll, allerdings auch friedlicher Protest unterdrückt und die Bevölkerung überwacht wird, weiterhin aus (FH 23.1.2014a). Die Zentrale Militärkommission (ZMK) der Partei leitet die Streitkräfte des Landes. Nach dem Gesetz zur Landesverteidigung von 1997 sind die Streitkräfte nicht dem Staatsrat, sondern der Partei unterstellt (AA 4.2015a).

Für die innere Sicherheit sind zuständig: (1) Polizei und Staatsanwaltschaften, die Rechtsverstöße des Normalbürgers verfolgen;

(2) Disziplinar-Kontrollkommission der KPCh, die gegen Verstöße von KP-Mitgliedern einschreitet;

(3) Einheiten des Ministeriums für Verwaltungskontrolle, die fu¿r Pflichtverletzungen im Amt zuständig sind (AA 15.10.2014).

Für den Bereich der Gefahrenabwehr ist primär das dem Staatsrat unterstehende Ministerium für Öffentliche Sicherheit (MfÖS) mit seinen Polizeikräften verantwortlich, das daneben auch noch für Strafverfolgung zuständig ist und in Teilbereichen mit nachrichtendienstlichen Mitteln arbeitet. Aufgaben der Polizei sind sowohl die Gefahrenabwehr als auch die Strafverfolgung, bei der ihr u. a. die Anordnung von Administrativhaft als Zwangsmaßnahme zur Verfügung steht. Im Bereich der Strafverfolgung ist sie für die Durchführung von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren originär zuständig. Bei Delikten, die von Polizisten aufgrund ihrer Amtsstellung begangen werden können, ermittelt die Staatsanwaltschaft selbst, während sie sonst primär die Tätigkeit der polizeilichen Ermittlungsorgane beaufsichtigt und auf Grundlage deren Empfehlung über die Erhebung der Anklage entscheidet (AA 15.10.2014).

Das Ministerium für Staatssicherheit (MSS) ist u.a. zuständig für die Auslandsaufklärung sowie für die Überwachung von Auslandschinesen und von Organisationen oder Gruppierungen, welche die Sicherheit der VR China beeinträchtigen könnten. Es überwacht die Opposition im eigenen Land, betreibt aber auch Spionageabwehr und beobachtet hierbei vielfach auch die Kontakte zwischen ausländischen Journalisten und chinesischen Bürgern. Darüber hinaus verfügen auch die Streitkräfte über einen eigenen, sorgfältig durchstrukturierten Nachrichtendienst, die 2. Hauptverwaltung im Generalstab, die sich in Konkurrenz zum MSS und MfÖS sieht. Die elektronische Aufklärung wird vornehmlich durch die 3. Hauptverwaltung im Generalstab wahrgenommen. Zudem sind viele Arbeitseinheiten parallel mit der Beschaffung von Informationen bzw. mit Überwachungsaufgaben von in- und ausländischen Bürgern befasst. Vor allem das Internationale Verbindungsbüro unter der politischen

1. Hauptverwaltung des Generalstabs ist zuständig für Informationen aus dem Ausland, für die Entsendung von Agenten in Auslandseinsätze, meist unter diplomatischer "Tarnung", und für die Überwachung des eigenen diplomatischen Personals. Zahlreiche "Think tanks" sind für die Beschaffung von Auslandsinformationen zuständig (AA 15.10.2014).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (15.10.2014): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

-

AA - Auswärtiges Amt (4.2015a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5

-

Freedom House (23.1.2014a): Freedom in the World 2014 - China, http://www.ecoi.net/local_link/268012/395593_de.html

-

USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Reports on Human Rights Practices 2014 - China, http://www.ecoi.net/local_link/306284/443559_de.html

5. Korruption

Bei der Polizei auf lokaler Ebene ist Korruption weit verbreitet, auch die Justiz wird durch Korruption beeinflusst. Es gibt Strafen für Korruption, doch dieses Gesetz wird nicht konsequent und transparent umgesetzt (USDOS 25.6.2015, vgl. FH 28.1.2015a)

Das Vierte Plenum des 18. Zentralkomitees der KPCh, welches von 20.

-

23-10.2014 unter dem Motto "yi fa zhi guo", wörtlich "den Gesetzen entsprechend das Land regieren" tagte, bekräftigte den harten - und weitgehend außerhalb rechtsstaatlicher Verfahren abgewickelten - Anti-Korruptionskampf (ÖB 11.2014).

2014 erreichte eine aggressive Korruptionsbekämpfungskampagne die höchsten Ränge der Partei. Korruption bleibt weit verbreitet, in vielen Fällen auch in stark von der Regierung regulierten Bereichen wie Landnutzungsrechte, Immobilien, Bergbau und Entwicklung der Infrastruktur - die anfällig für Betrug, Bestechung und Schmiergeld sind. Trotz der Bemühungen der Regierung die Korruption zu bekämpfen bleibt diese bestehen. Die Strafverfolgung ist sehr selektiv und undurchsichtig, sodass persönliche Netzwerke und interne Machtkämpfe innerhalb der KPCh die Zielpersonen und Ausgänge beeinflussen. Ein Durchgreifen auf unabhängige Korruptionsbekämpfungsaktivisten und Repressalien gegen ausländische Medien bei Untersuchungen des Einflusses von Bestechung von hochrangigen Beamtenfamilien haben die Effektivität und Legitimität der Kampagne weiter untergraben (FH 28.1.2015a). Im Jahr 2013 langten bei der Zentralen Kommission für Disziplinaruntersuchungen 1,95 Millionen Korruptionsvorwürfe ein,

172.532 Fälle wurden untersucht und 182.038 Disziplinarverfahren verhängt (USDOS 25.6.2015).

Quellen:

-

FH - Freedom House (28.1.2015a): Freedom in the World 2015 - China, http://www.ecoi.net/local_link/295269/430276_de.html

-

USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Reports on Human Rights Practices 2014 - China, http://www.ecoi.net/local_link/306284/443559_de.html

-

ÖB Peking (11.2014): Asylländerbericht Volksrepublik China

6. Allgemeine Menschenrechtslage

Die Menschenrechtslage in China bietet weiterhin ein zwiespältiges und trotz aller Fortschritte im Ergebnis negatives Bild. 2004 wurde der Begriff "Menschenrechte" in die Verfassung aufgenommen, die individuellen Freiräume der Bürger in Wirtschaft und Gesellschaft wurden in den letzten Jahren erheblich erweitert. Andererseits bleiben die Wahrung der inneren Stabilität und der Machterhalt der KPCh oberste Prämisse und rote Linie. Vor diesem Hintergrund geht die chinesische Führung kompromisslos gegen jene vor, die als Bedrohung dieser Prioritäten angesehen werden, wie z. B. regierungs

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten