Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 22. November 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Rechtshörers Biley als Schriftführer in der Strafsache gegen Gheorghe S***** wegen des Verbrechens des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 18. Juli 2017, GZ 37 Hv 32/17g-39, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien übermittelt.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auch einen unbekämpft gebliebenen Freispruch des Angeklagten enthaltenden Urteil wurde Gheorghe S***** des Verbrechens des schweren, durch Einbruch begangenen und gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 2, 130 Abs 2, 15 StGB (I./), des Verbrechens des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB (II./), des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (III./) sowie des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (IV./) schuldig erkannt.
Danach hat er
I./ fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen und wegzunehmen versucht, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und zwar
1./ am 18. September 2015 in W***** Gewahrsamsträgern der A***** GmbH drei Laptops, indem er sich ins Gebäude einschlich, wobei er jedoch beim Einpacken der Laptops in seinen Rucksack von einem Mitarbeiter auf frischer Tat betreten wurde, woraufhin er die Wertgegenstände zurückließ und flüchtete;
2./ am 2. Februar 2017
a./ in W***** Gewahrsamsträgern der Ad***** GmbH, indem er unbemerkt in deren Räumlichkeiten gelangte, auf der Suche nach Wertgegenständen die Türe eines Unterbauschranks aufbrach, wobei es jedoch mangels Vorfindens von Diebesgut lediglich beim Versuch blieb;
b./ in P*****
i./ Gewahrsamsträgern der P***** AG zwei Laptops im Wert von insgesamt 2.950 Euro;
ii./ der Carina K***** Bargeld in Höhe von 115 Euro;
3./ am 3. Februar 2017 in R***** durch unbemerktes Einschleichen in die Büroräumlichkeiten
a./ Gewahrsamsträgern der M***** GmbH acht Laptops sowie zwei Mobiltelefone im Gesamtwert von 9.151,84 Euro;
b./ Gewahrsamsträgern der Al***** GmbH drei Laptops und zwei Mobiltelefone im Gesamtwert von 5.276,85 Euro;
4./ am 6. Februar 2017 in V***** dem Patrick B***** dessen Pkw in einem 5.000 Euro nicht übersteigenden Wert, woran er jedoch durch Harald Ku***** sowie Patrick B***** durch Fixierung an der Wegnahme gehindert werden konnte,
wobei er den Diebstahl gewerbsmäßig an Sachen, deren Wert 5.000 Euro überstieg, beging bzw zu begehen suchte und überdies zu Pkt I./2./a./ zur Ausführung der Tat ein Behältnis aufbrach;
II./ am 6. Februar 2017 in V***** dadurch, dass er die Fahrertür des von Harald Ku***** gelenkten Pkw aufriss und diesen mit zwei gegen ihn gerichteten Regenschirmen zum Aussteigen aus dem Pkw zwang, mithin durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) dem Genannten eine fremde bewegliche Sache, nämlich dessen Pkw mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern;
III./ im Anschluss an die unter Pkt II./ beschriebene Tat Harald Ku***** mit Gewalt zu einer Unterlassung, nämlich der Abstandnahme von seinem Anhalterecht nach § 80 Abs 2 StPO, zu nötigen versucht, indem er ihn in die rechte Brust biss, um sich aus dessen Fixierung zu befreien;
IV./ durch die unter III./ beschriebene Tat Harald Ku***** vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihm eine Bisswunde im Bereich der rechten Brust zufügte.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diesen Schuldspruch richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit b und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
Betreffend I./4./ und II./ des Schuldspruchs bekämpft die Mängelrüge (Z 5) die zum Bereicherungsvorsatz getroffenen Konstatierungen (US 5) und verweist auf die Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit. Dieses Vorbringen richtet sich jedoch bloß gegen die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung, ohne einen Nichtigkeitsgrund darzustellen.
Entgegen der weiteren Behauptung der Nichtigkeitsbeschwerde (Z 5 zweiter Fall) hat sich das Schöffengericht mit den Aussagen der Zeugen Harald Ku*****, Andreas Ku***** und Patrick B***** sehr wohl auseinandergesetzt (US 6 ff).
Der „Zweifelsgrundsatz“ (in dubio pro reo) kann – entgegen dem weiteren Vorbringen – niemals Gegenstand der formellen Nichtigkeitsgründe der Z 5 und Z 5a des § 281 Abs 1 StPO sein (RIS-Justiz RS0102162).
Der zu III./ und IV./ erhobene Einwand des Fehlens einer Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen orientiert sich nicht am angefochtenen Urteil: Die Tatrichter stützten sich nämlich betreffend die Konstatierungen zur äußeren Tatseite auf die für glaubwürdig erachteten Angaben der Zeugen Harald Ku*****, Andreas Ku***** und Patrick B***** (US 6 f) und leiteten die Feststellungen zur inneren Tatseite aus dem äußeren Tatgeschehen ab (US 7), was unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden ist (RIS-Justiz RS0116882).
Das Vorbringen, „die sich aufdrängende Frage der Notwehr bzw des Notstandes“ wäre in der Urteilsbegründung völlig unerwähnt geblieben, und die neuerliche Heranziehung des „Zweifelsgrundsatzes“ betreffend III./ und IV./ lassen sich keiner Anfechtungskategorie der Z 5 zuordnen.
Die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO sind voneinander wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen, wobei unter Beibehaltung dieser klaren Trennung deutlich und bestimmt jene Punkte zu bezeichnen sind, durch die sich der Nichtigkeitswerber für beschwert erachtet (RIS-Justiz RS0115902). Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) bloß auf die Ausführungen zur Z 5 des § 281 Abs 1 StPO verweist, entspricht sie nicht der Strafprozessordnung. Ein § 281 Abs 1 Z 5a StPO entsprechendes Vorbringen wird in der Nichtigkeitsbeschwerde nicht erstattet.
Ein Feststellungsmangel wird geltend gemacht, wenn unter Hinweis auf einen nicht durch Feststellungen geklärten, aber durch in der Hauptverhandlung vorgekommene Beweisergebnisse indizierten Sachverhalt eine vom Erstgericht nicht gezogene rechtliche Konsequenz angestrebt wird, weil dieses ein Tatbestandsmerkmal, einen Ausnahmesatz (Z 9 lit a bis c) oder eine andere rechtliche Unterstellung (Z 10) bei der rechtlichen Beurteilung nicht in Anschlag gebracht hat (RIS-Justiz RS0118580).
Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit b) zu III./ und IV./ das Vorliegen einer Notwehrsituation durch einen dem „allenfalls“ 70 kg wiegenden Angeklagten den Atem nehmenden Würgegriff („Schwitzkasten“) des 140 kg schweren, den Angeklagten anhaltenden und schließlich durch den Biss von diesem verletzten Zeugen Harald Ku***** behauptet, verfehlt sie diese Anfechtungskriterien, weil sie sich in bloßen Spekulationen über das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes erschöpft, ohne auf konkrete, in der Hauptverhandlung dazu vorgekommene Beweisergebnisse hinzuweisen (RIS-Justiz RS0099671 [T4, T6]).
Ersichtlich unter Bezugnahme auf die von Fabrizy, StGB12 § 129 Rz 6 zitierte Judikatur, wonach beim Aufreißen einer versperrten Türe mit beiden Händen zufolge der Anwendung nicht unerheblicher Körperkraft Einbruch vorliege (LSK 1996/10), wegen des geringen Kraftaufwands beim Auseinanderdrücken von Glasschiebetüren ein Einbrechen aber zu verneinen sei (JUS 6/1924), bestreitet die Subsumtionsrüge (Z 10) zu I./2./a./, dass gegenständlich die Art der Öffnung der Schiebetüre eines Unterschranks als „Aufbrechen“ im Sinn des § 129 Abs 1 Z 2 StGB zu beurteilen wäre. Sie nimmt dabei aber nicht – wie bei Geltendmachung materieller Nichtigkeitsgründe stets geboten – am Urteilssachverhalt in seiner Gesamtheit Maß, weil sie die Feststellung, wonach die Türe durch die Gewaltanwendung (sogar) aus der Schiene sprang, übergeht (US 4, 6).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO).
Anzumerken bleibt, dass das Erstgericht die zu I./ genannten Taten zu Recht § 130 Abs 2 StGB subsumiert hat.
Neben der in § 70 Abs 1 StGB umschriebenen Absicht setzt die rechtliche Annahme gewerbsmäßiger Begehung (hier: nach § 130 Abs 2 StGB) – soweit relevant (Z 3 erster Fall leg cit; eine der in Z 1 bis 2 des § 70 Abs 1 StGB normierten Alternativen ist nach dem Urteilssachverhalt nicht indiziert) – voraus, dass der Täter schon zwei „solche Taten“ begangen hat.
„Solche Taten“ iSd § 70 Abs 1 Z 3 StGB meint die Verwirklichung jenes Tatbestands, dessen gewerbsmäßige Begehung geprüft wird (RIS-Justiz RS0130965). Im Fall des § 130 Abs 2 StGB hat sich diese Prüfung – bei sachgerechter teleologischer Interpretation, die auf die für diese Frage bedeutsame Einstufung des Gesetzgebers in drei verschiedene Strafdrohungskategorien des § 130 (Abs 1, Abs 2, Abs 3) StGB abstellt – auf (irgend-)eine der dort nebeneinander gleichwertig genannten Qualifikationen des § 128 Abs 1 (Z 1 bis 5) StGB und des § 129 Abs 1 (Z 1 bis 4) StGB zu beziehen. Jede der in einer dieser Begehungsformen verwirklichten – dadurch für sich mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe bedrohten – Taten kommt daher als Vortat iSd § 70 Abs 1 Z 3 StGB zur Begründung eines nach § 130 Abs 2 (gleichgültig ob erster oder zweiter Fall) StGB qualifizierten Diebstahls in Frage (so auch Schwaighofer, Fragen zur neuen Gewerbsmäßigkeit – was sind „solche Taten“?, JSt 2016, 323; Kohlreiter, Gewerbsmäßige Begehung neu: Zur Auslegung des § 70 StGB idF des StRÄG 2015, ÖJZ 2017, 812; in diesem Sinn zur gleichgelagerten Frage der Absicht auf „ihre“ [= der Tat] wiederkehrende Begehung auch Salimi, SbgK § 130 Rz 38; aM 12 Os 77/17s; Walser, Kernfragen der Gewerbsmäßigkeit, ÖJZ 2014, 404; zur Absicht auch Stricker in WK2 StGB § 130 Rz 64).
Der zu I./2./a./ bezeichnete, nach § 129 Abs 1 Z 2 StGB qualifizierte Diebstahl war daher ebenso wie der zu I./3./a./ genannte, nach § 128 Abs 1 Z 5 StGB qualifizierte Diebstahl taugliche Vortat iSd § 70 Abs 1 Z 3 StGB für die Annahme gewerbsmäßiger Begehung iSd § 130 Abs 2 StGB des nach § 128 Abs 1 Z 5 StGB qualifizierten Diebstahls zu I./3./b./.
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E120131European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2017:0150OS00113.17G.1122.000Im RIS seit
19.12.2017Zuletzt aktualisiert am
02.02.2021