TE Bvwg Erkenntnis 2017/11/29 I403 2158946-1

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Veröffentlicht am 29.11.2017
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Entscheidungsdatum

29.11.2017

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

I403 2158946-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX,

StA. SENEGAL, vertreten durch: Dr. Wolfgang VACARESCU gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Steiermark (BAG) vom 27.04.2017, Zl. 1058838408-150346066, nach Durchführung einer mündlichen

Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben. XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsbürgerin Senegals, hatte am 09.04.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und erklärt, aus Furcht vor einer Zwangsverheiratung ihren Herkunftsstaat verlassen zu haben.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 27.04.2017 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 09.04.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Ihr wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 26.04.2018 erteilt (Spruchpunkt II. und III.). Das Vorbringen der Beschwerdeführerin zur Zwangsheirat wurde für nicht glaubhaft befunden. Allerdings könne nicht mit ausreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass sie im Fall einer Rückkehr nach Senegal nicht einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt wäre. Für Teile Senegals bestehe eine Reisewarnung. Als alleinstehende Frau ohne weitere Ausbildung sei nicht gesichert, dass sie eine Existenzgrundlage vorfinden würde. Zu ihrer Familie habe sie seit über zwei Jahren keinen Kontakt. Daher würden die Voraussetzungen zur Gewährung des Status der subsidiär Schutzberechtigten vorliegen.

Der Bescheid wurde am 08.05.2015 durch Hinterlegung zugestellt.

Gegen Spruchpunkt I. des im Spruch genannten Bescheides wurde fristgerecht am 22.05.2017 Beschwerde erhoben und bekannt gegeben, dass die Beschwerdeführerin durch Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Vacarescu vertreten werde. Es wurde darauf verwiesen, dass die Beschwerdeführerin gleichbleibend und widerspruchsfrei erklärt habe, dass ihr Vater beabsichtigt habe, sie zu einer Eheschließung mit einem älteren Mann zu zwingen. Sie habe sich nur durch die Flucht aus ihrem Herkunftsstaat der Zwangseheschließung entziehen können. Die belangte Behörde habe sich bei ihrer Begründung, warum es sich um kein glaubwürdiges Vorbringen handle, ausschließlich auf Textbausteine gestützt. Die Beschwerdeführerin gehöre einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention an. Eine Zwangsehe könne als geschlechtsspezifische Verfolgung betrachtet werde. Auch in den im Bescheid zitierten Länderfeststellungen werde festgehalten, dass Zwangsehen, insbesondere von Minderjährigen, trotz Verbotes auf dem Lande verbreitet seien. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen, Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides dahingehend abändern, dass der Beschwerdeführerin antragsgemäß der Status einer Asylberechtigten zuerkannt werde, in eventu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides aufheben und zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückverweisen.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 26.05.2017 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt.

Am 08.11.2017 wurde am Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durchgeführt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige Senegals und somit Drittstaatsangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 20b AsylG 2005. Der Beschwerdeführerin wurde der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Die Beschwerdeführerin gehört der Volksgruppe der Peul an. Im Alter von 13 oder 14 Jahren wurde sie Opfer einer weiblichen Genitalverstümmelung, unter deren körperlichen wie seelischen Nachwirkungen sie noch immer leidet.

Die älteren Schwestern der Beschwerdeführerin wurden Opfer von Zwangsehen. Im Alter von 16 Jahren wurde die Beschwerdeführerin von ihrem Vater informiert, dass sie im April 2015 einen älteren Mann heiraten solle. Es war der Beschwerdeführerin nur durch Flucht möglich, sich dieser Zwangsehe zu entziehen.

Im Falle einer Rückkehr besteht die maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass die Beschwerdeführerin von ihrem Vater weiterhin zu einer Ehe gezwungen würde bzw. dass sie, für den Fall, dass sie sich widersetzt, mit schwerwiegenden Folgen für ihre körperliche Integrität rechnen müsste.

Es liegen keine Asylausschlussgründe im Sinne des § 6 AsylG 2005 vor; die Beschwerdeführerin ist strafrechtlich unbescholten.

Dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, welches vollständig im angefochtenen Bescheid zitiert wurde, sind folgende Feststellungen zur Situation von Frauen im Senegal zu entnehmen:

Das Familienrecht, stammt aus dem Jahr 1973 und benachteiligt Frauen in einigen Bereichen, wie z.B. bei Scheidung und Sorgerecht, immer noch, räumt ihnen aber dennoch wesentlich mehr Rechte als das traditionelle Recht ein. Viele Frauen kennen ihre Rechte nicht oder wagen es nicht, sie gegen die Widerstände der Familie oder des sozialen Verbands durchzusetzen (GIZ 6.2015b). Die Verfassung gewährleistet in Artikel 7 die Gleichstellung von Mann und Frau.

Artikel 18 und 19 der Verfassung verbieten die Verheiratung der Frau ohne deren Einwilligung und garantieren ihr Recht auf eigenes Vermögen und auf dessen selbständige Verwaltung. Jedoch unterliegen die Grundrechte der Frauen einigen schwerwiegenden Beschränkungen. Vor allem Druck religiöser Führer verhindert seit 1972 eine Weiterentwicklung des senegalesischen Familienrechtsbuchs, dessen Art. 152 dem Mann die Stellung des Familienoberhaupts ("Chef de la famille") sowie das Aufenthaltsbestimmungsrechts über die Frau und gemeinsame Kinder einräumt. Seit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts Mitte 2013 wird die senegalesische Staatsbürgerschaft auch durch die Mutter vererbt. In der Praxis ist die Stellung der Frau relativ stark. Vor allem in Dakar wächst die Zahl gut ausgebildeter Frauen, die wichtige Positionen in Regierung, Justiz oder Parlament innehaben. Dennoch ergibt sich eine faktische Benachteiligung der Frauen vor allem aus der mangelnden Ausbildung (allgemeine Analphabeten-Quote ca. 60 Prozent; bei Frauen ca. 70 Prozent) und einer auf die Rolle in der Familie als Hausfrau beschränkten Erziehung (AA 21.11.2015).

Frauenorganisationen beklagen in den ländlichen Gebieten häusliche Gewalt gegen Frauen, für die sie u.a. die Polygamie verantwortlich machen. Zwangsheirat besonders Minderjähriger ist trotz Verbots auf dem Lande verbreitet. Die Polizei schreitet bei häuslicher Gewalt normalerweise nicht ein. Die Opfer erstatten selten Anzeige und die Strafen für häusliche Gewalt sind milde. Nach Angaben einiger Nichtregierungsorganisationen steigt die Anzahl der Vergewaltigungen, wobei die Möglichkeit zur strafrechtlichen Verfolgung für Frauen beschränkt ist. Die staatlichen Stellen haben begonnen, durch die Einstellung weiblicher Beamter in Polizei und Justiz diesem Missstand entgegen zu wirken. Vergewaltigung in der Ehe wird nicht als strafrechtlicher Tatbestand geahndet. Weibliche Genitalverstümmelung ist seit 1999 gesetzlich verboten, wird aber von einigen Ethnien immer noch praktiziert. Laut UNICEF (März 2013) sind 26 Prozent der Frauen im Alter von 15-49 Jahren betroffen. Aufgrund staatlicher Maßnahmen und einer über die Zivilgesellschaft vermittelten sozialen Mobilisierung kann inzwischen von einer graduellen Reduzierung der Zahl der betroffenen Mädchen ausgegangen werden. Die NGO TOSTAN gibt an, von 5.000 Gemeinden hätten 3.700 die Praxis offiziell beendet. Die Durchsetzung eines angestrebten vollständigen Verbots stößt immer wieder auf (religiös motivierten) Widerstand (AA 21.11.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.11.2015): Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Senegal als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG (Stand: August 2015)

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (6.2015b): Senegal - Gesellschaft, http://liportal.giz.de/senegal/gesellschaft.html, Zugriff 22.2.2016

2. Beweiswürdigung:

Die erkennende Einzelrichterin des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Asyl und Fremdenwesen (BFA) und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität und zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen auch in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde. Die Feststellung bezüglich der strafgerichtlichen Unbescholtenheit entspricht dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.

Die Beschwerdeführerin hatte in jeder Phase des Verfahrens (bei der Erstbefragung am 09.04.2015, bei der niederschriftlichen Einvernahme durch das BFA am 26.04.2017 und in der mündlichen Verhandlung am 08.11.2017) erklärt, den Senegal verlassen zu haben, weil ihr Vater sie zu einer Ehe mit einem älteren Mann hatte zwingen wollen. Das BFA hatte dieses Fluchtvorbringen für nicht glaubhaft befunden und dies damit begründet, dass das Vorbringen vage und detailarm sei. Dieser Eindruck wurde in der mündlichen Verhandlung von der erkennenden Richterin nicht gewonnen. Soweit das BFA im angefochtenen Bescheid argumentiert, dass es unlogisch sei, dass ihr Vater sie an einen anderen reichen Mann habe verheiraten wolle, obwohl er doch nach ihren Angaben selbst vermögend gewesen sei, ist dem entgegenzuhalten, dass es keineswegs unlogisch erscheint, dass ein vermögender Mann seine Tochter in ebenfalls vermögende Kreise zu bewegen versucht. Das BFA stützte sich weiters darauf, dass es angesichts der Sicherheitswarnungen des Außenministeriums schier undenkbar sei, dass der Vater 7000 Euro zuhause aufbewahrt habe, welche dann von der Beschwerdeführerin für ihre Flucht entwendet worden seien. Hier kommt aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ein Denken zum Ausdruck, welches sich an den Gegebenheiten in Mitteleuropa orientiert und von den hiesigen Zuständen auf jene im Senegal zu schließen versucht. Insgesamt erscheint diese Beweiswürdigung der belangten Behörde aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht fundiert genug, um damit die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens feststellen zu können. Aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks geht die erkennende Richterin vielmehr davon aus, dass die Beschwerdeführerin bei der Schilderung ihres Fluchtvorbringens reale Gegebenheiten wiedergibt. Die Beschwerdeführerin war in der mündlichen Verhandlung auch in der Lage, die als Minderjährige erlittene Genitalverstümmelung glaubhaft zu schildern. Ebenso steht aufgrund ihrer Aussagen fest, dass sie in einem Elternhaus aufwuchs, in welchem der Vater, wie nach ihren Angaben bei ihrer Volksgruppe traditionell üblich, einen absoluten Machtanspruch hatte, welchen er gegenüber ihrer Mutter und ihren Schwestern mitunter auch durch Gewalttätigkeiten ausübte.

Im angefochtenen Bescheid wurde weiters festgehalten, dass es laut den Länderfeststellungen "bevorzugterweise in ländlichen Gebieten – hin und wieder zu Zwangsheirat" kommen würde. Nachdem die Beschwerdeführerin aber in der Hauptstadt Dakar wohnhaft gewesen sei, spreche auch dies gegen ihre Fluchtgeschichte. Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass laut den im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Länderfeststellungen Zwangsheirat, besonders Minderjähriger, trotz Verbots auf dem Lande verbreitet ist. Die Darstellung in der Beweiswürdigung, dass dies nur "hin und wieder" vorkomme, steht daher im Widerspruch zu den eigenen Feststellungen auf Basis des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation. Auch in einer Anfragebeantwortung des Immigration and Refugee Board of Canada, Senegal: Prevalence of forced marriage, including among educated women living in urban areas, and within the Fulani ethnic group; protection available to women who refuse to marry and resources available to them (2010-September 2013), 13 September 2013, abrufbar unter: http://www.refworld.org/docid/542924724.html [Zugriff: 29.11.2017] wird festgehalten, dass Zwangsheiraten im Senegal verboten sind, dass sie aber dennoch eine Realität darstellen. Auch wenn Zwangsheiraten häufiger am Land vorkommen, sind sie auch in den urbanen Gebieten vorhanden. Diese Feststellungen sprechen daher nicht gegen das Vorbringen der Beschwerdeführerin.

So wurde auch weibliche Genitalverstümmelung bereits im Jahr 1999 im Senegal verboten (vgl. Bericht von Terre des Femmes zu Senegal, abrufbar unter

https://www.frauenrechte.de/online/index.php/themen-und-aktionen/weibliche-genitalverstuemmelung2/unser-engagement/aktivitaeten/genitalverstuemmelung-in-afrika/fgm-in-afrika/1464-senegal, Zugriff am 29.11.2017), dennoch wurde bei der Beschwerdeführerin noch etwa im Jahr 2012 ein derartiger Eingriff vorgenommen. Der Hinweis auf das gesetzliche Verbot der Zwangsehe bzw. der Genitalverstümmelung erscheint daher kein nachhaltiges Argument, um eine Verfolgung der Beschwerdeführerin auszuschließen.

In der erwähnten Anfragebeantwortung aus dem Jahr 2013 ist zwar die Rede davon, dass eine Vertreterin der "Association des juristes sénégalaises" und damit der senegalesischen Juristenvereinigung gemeint habe, man könne sich an die Polizei und die Behörden wenden, doch erscheint es durchaus nachvollziehbar, wenn die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass bei ihrer Volksgruppe der Peul dem Vater eine derartige Autorität zukomme, dass diese auch von den Behörden akzeptiert werde. Dies entspricht auch den im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Länderfeststellungen, wonach dem Mann gesetzlich die Stellung des Familienoberhaupts ("Chef de la famille") sowie das Aufenthaltsbestimmungsrecht über die Frau und gemeinsame Kinder zukommt. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin von den senegalesischen Behörden keinen Schutz bekommen würde.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Die Beschwerdeführerin hat glaubhaft vorgebracht, dass sie als Minderjährige Opfer einer weiblichen Genitalverstümmelung wurde und dass sie den Senegal aus wohlbegründeter Furcht vor einer Zwangsverheiratung verließ.

Die Verfolgung einer Asylwerberin aufgrund "Zwangsverheiratung" kann unter dem Gesichtspunkt einer geschlechtsspezifischen Verfolgung als Angehörige einer bestimmten sozialen Gruppe nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention asylrelevant sein (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Oktober 2015, Ra 2015/20/0181, vom 21. Dezember 2006, 2003/20/0550, vom 24. August 2007, 2006/19/0082, vom 15. Mai 2003, 2001/01/0503, vom 3. Juli 2003, 2000/20/0071, vom 17. September 2003, 2000/20/0152 sowie vom 24. Mai 2005, 2004/01/0457; bzw. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 30. November 2009, U 431/08).

Bei der Verfolgung aufgrund ihrer Weigerung, sich der Zwangsverheiratung zu unterwerfen, handelt es sich allerdings um eine von nichtstaatlichen Akteuren (konkret: ihrem Vater) ausgehende, welche nur dann, wenn der Staat die Beschwerdeführerin nicht zu schützen vermögen würde, asylrelevant ist.

Gemäß Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie), die im Sinne einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts mit zu berücksichtigen ist, muss der Schutz vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden wirksam sein. Ein solcher Schutz ist generell gewährleistet, wenn etwa der Herkunftsstaat geeignete Schritte einleitet, um die Verfolgung oder den ernsthaften Schaden zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, und wenn der Asylwerber Zugang zu diesem Schutz hat. Bei Prüfung (u.a.) dieser Frage berücksichtigen die Mitgliedstaaten nach Art. 8 Abs. 2 Statusrichtlinie zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers.

Die Statusrichtlinie sieht daher einerseits vor, dass die staatliche Schutzfähigkeit zwar generell bei Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems gewährleistet ist, verlangt aber anderseits eine Prüfung im Einzelfall, ob der Asylwerber unter Berücksichtigung seiner besonderen Umstände in der Lage ist, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (vg. zum Ganzen VwGH vom 24. Februar 2015, Ra 2014/18/0063).

Die erkennende Richterin des Bundesverwaltungsgerichtes geht davon aus, dass die Behörden Senegals nicht in der Lage sind, der Beschwerdeführerin ausreichenden Schutz vor dieser durch ihren Vater drohenden Verfolgung zu bieten. Auch wenn man eine theoretische Schutzwilligkeit des Staates Senegal aufgrund des Verbotes der Zwangsverheiratung in der Verfassung (Art. 18) annimmt, scheint aufgrund der weiterhin vorliegenden – in den Länderfeststellungen widergespiegelten – hohen Anzahl von Zwangsehen eine tatsächliche Schutzfähigkeit nicht gegeben zu sein. Die Beschwerdeführerin berichtete plausibel, dass die Behörden nicht bereit seien, bei innerfamiliären Konflikten einzugreifen und dass daher ein Schutz von den Behörden gegen ihren Vater, welcher sie zur Ehe zwingen wollte, nicht anzunehmen ist. Dies entspricht auch der noch immer gesetzlich verankerten Stellung des Mannes als Familienoberhaupt. Es kann daher von keiner Schutzfähigkeit des Staates ausgegangen werden.

Es ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführerin auch weiterhin Verfolgung durch ihren Vater droht, sei es, dass er sie weiterhin zu einer Ehe zwingen sollte oder dass sie mit Sanktionen für ihre Weigerung und die Flucht aus dem Familienverband zu rechnen hätte. Es droht daher im Falle einer Rückkehr in den Senegal weiterhin Verfolgung.

Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Flucht- bzw. Schutzalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH 24.3.1999, Zl. 98/01/0352; VwGH 21.3.2002, Zl. 99/20/0401; VwGH 22.5.2003, Zl. 2001/20/0268, mit Verweisen auf Vorjudikatur). Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist aber auszuschließen, da beim Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen der Beschwerdeführerin nicht der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden wäre (VwGH, 23.6.1994, 94/18/0295; VwGH 26.6.1997, 95/21/0294; VwGH 25.1.2001, 2000/20/0438).

Auf Grund der Ermittlungsergebnisse ist daher davon auszugehen, dass sich die Beschwerdeführerin aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung, nämlich aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der von Zwangsverheiratung bedrohten Frauen, außerhalb Senegals befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass auch eine bereits vorgenommene weibliche Genitalverstümmelung eine asylrelevante Verfolgung begründen kann (Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 9. Juni 2017, E 2687/2016). Eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Thematik kann aber aufgrund der bereits festgestellten geschlechtsspezifischen Verfolgung wegen Zwangsverheiratung gegenständlich unterbleiben.

Das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes (Artikel 1 Abschnitt D, F der GFK und § 6 AsylG 2005) oder eines Endigungsgrundes (Artikel 1 Abschnitt C der GFK) ist nicht hervorgekommen.

Der Beschwerdeführerin war daher gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass der Beschwerdeführerin damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Beschwerdeführerin stellte ihren Antrag auf internationalen Schutz am 09.04.2015 und damit vor dem 15.11.2015, wodurch § 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") keine Anwendung findet.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Oktober 2015, Ra 2015/20/0181, vom 21. Dezember 2006, 2003/20/0550, vom 24. August 2007, 2006/19/0082, vom 15. Mai 2003, 2001/01/0503, vom 3. Juli 2003, 2000/20/0071, vom 17. September 2003, 2000/20/0152 sowie vom 24. Mai 2005, 2004/01/0457); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, gesamtes Staatsgebiet,
Schutzunfähigkeit, Schutzunfähigkeit des Staates, Zwangsehe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2017:I403.2158946.1.00

Zuletzt aktualisiert am

18.12.2017
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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