TE Bvwg Erkenntnis 2017/11/20 W191 2106403-1

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Veröffentlicht am 20.11.2017
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Entscheidungsdatum

20.11.2017

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W191 2106403-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Caritas Burgenland, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.03.2015, Zahl 1030894905-14944445, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.06.2016 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10 und 57 Asylgesetz 2005 sowie §§ 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 als unbegründet abgewiesen, mit der Maßgabe, dass der Abspruch über § 55 Asylgesetz 2005 aufgehoben wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, wurde am 05.09.2014 in Maria Ellend (Niederösterreich) aufgegriffen und stellte im Zuge der fremdenrechtlichen Kontrolle einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG).

1.2. In seiner am selben Tag durchgeführten Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari im Wesentlichen Folgendes an:

Er sei am XXXX in Kabul, Afghanistan, geboren. Er sei Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und Moslem. Er habe sieben Jahre lang die Grundschule besucht und zuletzt als Mechaniker gearbeitet. Im Herkunftsland würden sich seine Eltern, drei Brüder und zwei Schwestern aufhalten.

Als Fluchtgrund gab der BF an, dass er in Kabul für die Amerikaner Wartungsarbeiten durchgeführt habe und ihn die Taliban durch einen Mullah aufgefordert hätten, diese Arbeiten aufzugeben. Als er dieser Aufforderung nicht nachgekommen sei, hätten sie ihm mit dem Umbringen gedroht.

1.3. Bei seiner Einvernahme am 19.02.2015 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA), im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari, bestätigte der BF die Richtigkeit seiner bisher gemachten Angaben und führte sie auf Nachfragen näher aus.

Er sei in einem namentlich genannten Dorf in der Provinz Kabul, Distrikt Chahar Asyab, geboren. Er sei Paschtune und sunnitischer Moslem. In Afghanistan würden seine Eltern, Geschwister, Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen leben. Befragt nach seiner Gesundheit gab er an, dass sein Trommelfell geplatzt sei und er operiert werde, darüber hinaus nehme er Medikamente gegen Kopfschmerzen.

Zu seinen Fluchtgründen gab er an, dass er selbständig erwerbstätig gewesen sei und in einer kleinen Autowerkstatt als Dauerauftrag Fahrzeuge der Amerikaner repariert habe. Eines Tages habe ihn der Mullah des Bezirkes zu sich gerufen und ihm mitgeteilt, dass sich die Taliban beschwert hätten, dass er Autos der Amerikaner repariere. Er sei aufgefordert worden, die Reparatur der Autos der Feinde zu unterlassen. Zweimal habe ihn der Mullah zu sich gerufen und ihm mündlich mitgeteilt, dass die Taliban sein Verhalten nicht dulden würden. Beim dritten Mal habe er einen Drohbrief mit dem Inhalt erhalten, dass er sich selbst einen Sarg bauen könne, wenn er weiterhin Autos der Feinde repariere. Nach dem Erhalt des Drohbriefes sei ihm klar geworden, dass sein Leben in Gefahr sei. Er habe noch zwei Wochen bei Freunden in Kabul gewohnt und sei dann ausgereist. Er habe wegen der Vorfälle keine Anzeige bei der Polizei oder bei internationalen Schutztruppen erstattet, da dies ein hohes Risiko gewesen wäre. Seine Wohnadresse befinde sich außerhalb von Kabul zwischen Kabul und Logar, dort würden die Taliban herrschen und die Regierungskräfte hätten dort keine Macht. Danach befragt, weshalb er habe ausreisen müssen, wenn er doch die Forderung der Taliban durch das Schließen der Werkstatt erfüllt habe, gab er an, dass es laut Drohung bereits zwei Vorwarnungen gegeben habe, die er ungenützt habe verstreichen lassen. Deshalb werde er umgebracht, wenn ihn die Taliban erwischen würden. Hätte er diese Probleme nicht gehabt, hätte er Afghanistan nicht verlassen. Wenn er zurückkehren müsse, sei sein Leben in Gefahr und man werde ihn umbringen und seine Familie vernichten.

Im Rahmen der Einvernahme legte der BF seine Tazkira, einen Drohbrief vom Islamischen Emirat Afghanistan, einen Spielerausweis (2nd World Cup Kabaddi, Punjab 2011), drei Urkunden vom Nationalen Olympischen Komitee, zwei Deutschkursbestätigungen und ein Empfehlungsschreiben seiner Unterkunftsgeberin in Österreich vor.

Ferner wurden dem BF Länderfeststellungen zu Afghanistan übermittelt und ihm die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt.

1.4. Mit Stellungnahme vom 05.03.2015 brachte der BF im Wesentlichen vor, dass er aufgrund der generellen Situation in Afghanistan und unter Berücksichtigung seiner individuellen Situation in seiner Heimat mit einer lebensbedrohlichen Situation konfrontiert wäre. Er habe sein Heimatland aufgrund wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung durch die Taliban wegen seiner politischen Gesinnung und beruflichen Tätigkeit sowie der nicht vorhandenen Möglichkeit bzw. Zumutbarkeit der Inanspruchnahme von dortigem Schutz verlassen. Der Wohnort des Antragstellers befinde sich zwischen der Hauptstadt Kabul und der Provinz Logar. Aus den Länderinformationen ergebe sich, dass diese beiden Orte als gefährlich einzustufen seien und eine Abschiebung eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde.

1.5. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 20.03.2015 den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 06.09.2014 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt III. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 oder § 55 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.)

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Der BF habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.

Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 oder § 55 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.

Der BF habe eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Sein Vorbringen sei nur allgemein in den Raum gestellt worden und weise Ungereimtheiten auf. Es sei insbesondere nicht nachvollziehbar, dass ihn radikale Taliban-Angehörige über mehrere Monate hinweg bedrohen sollten, anstatt ihn sofort von der Zusammenarbeit mit Amerikanern abzuhalten, und es bleibe offen, aus welchen Gründen sie ihn überhaupt nach dem Schließen der Werkstätte verfolgen sollten. Der BF habe auch nicht überzeugend dargelegt, weshalb er es gänzlich unterlassen habe, um Hilfe bei seinen amerikanischen Vertragspartnern anzusuchen, die ein starkes Interesse daran hätten, die Taliban aktiv zu bekämpfen. Auch dass sich seine Familie weiterhin unbehelligt im Machbereich der Taliban aufhalten könne, spreche gegen die Glaubhaftigkeit seiner Ausführungen. Das vorgelegte handschriftliche Drohschreiben habe mangels Seriosität nicht als taugliches Beweismittel herangezogen werden können.

Subsidiärer Schutz wurde ihm nicht zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes nicht gegeben sei. Der BF stamme aus Kabul und sei jung, gesund und arbeitsfähig. Zu seiner Trommelfellverletzung sei anzuführen, dass er diesbezüglich eine medizinische Behandlung in Österreich erhalte und nach erfolgter Operation davon auszugehen sei, dass keine weiteren Behandlungen erforderlich sein würden. Der BF verfüge über eine siebenjährige Schulbildung und spreche Paschtu, Dari und ein wenig Englisch und Urdu. Er verfüge über eine KFZ-Mechaniker-Ausbildung und habe in Kabul eine Werkstatt geführt, des Weiteren sei er früher Spieler und Trainer im Nationalen Olympischen Komitee gewesen. Es sei daher anzunehmen, dass er aufgrund seiner fundierten Ausbildungen wieder einer beruflichen Tätigkeit nach einer Rückkehr nachgehen könne und in Afghanistan nicht in eine hoffnungslose Lage geraten werde. Darüber hinaus habe er dort weiterhin familiäre Anknüpfungspunkte.

In der Rechtsmittelbelehrung des Bescheides wurde eine vierwöchige Frist nach Zustellung des Bescheides zur Erhebung einer Beschwerde angegeben.

1.6. Gegen diesen Bescheid brachte der BF am 17.04.2015, somit nach Ablauf von zwei Wochen nach Zustellung des Bescheides, aber innerhalb der in der Rechtsmittelbelehrung angegebenen vier Wochen, das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein. Er brachte im Wesentlichen vor, dass die belangte Behörde das Ermittlungsverfahren einseitig gestaltet und sich nicht mit den für den BF günstigen Sachverhaltselementen beschäftigt habe. Aufgrund der generellen Situation in Afghanistan und unter Berücksichtigung seiner individuellen Situation sei der BF in seiner Heimat aufgrund der Bedrohung und Verfolgung durch die Taliban mit einer lebensbedrohlichen Situation konfrontiert, die ihm nicht zugemutet werden könne und die objektiv als unerträglich und unmenschlich eingestuft werden müsse.

1.7. Mit Schriftsatz vom 27.04.2015 brachte der BF vor, dass die Beschwerde innerhalb der in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Bescheides normierten vierwöchigen Frist eingebracht worden sei und daher als rechtzeitig im Sinne des § 61 Abs. 3 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) gelte. In eventu und für den Fall, dass die belangte Behörde die angeführte Rechtsauffassung nicht teile, stelle er einen (in der Folge näher ausgeführten) Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

1.8. Der BF wurde mit Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 16.06.2016 wegen mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 1 Suchtmittelgesetz (SMG) zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten verurteilt, wobei die Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

1.9. Das BVwG führte am 20.06.2016 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durch, zu der der BF persönlich erschien und einen ärztlichen Befund betreffend psychische Probleme vom 18.03.2016 und ein Empfehlungsschreiben aus seinem Quartier vorlegte. Die belangte Behörde verzichtete im Vorhinein auf die Durchführung und eine Teilnahme an der Verhandlung.

Der BF gab an, dass seine Muttersprache eigentlich Paschtu sei, sie zu Hause aber Dari gesprochen hätten. Er könne darüber hinaus ein bisschen Urdu, Englisch und Deutsch. Er sei ledig, Paschtune und sunnitischer Moslem. Er habe sieben Jahre lang die Schule in einem Lycee in Kabul besucht und in den Jahren 2011 und 2012 an Kabaddi-Weltmeisterschaften teilgenommen. Von Beruf sei er KFZ-Mechaniker gewesen und habe unter anderem Verträge mit Amerikanern abgeschlossen und ihre Fahrzeuge repariert. In Afghanistan habe er für seine Familie gesorgt, weil er der älteste Sohn gewesen sei. Sein Vater sei Bauer gewesen und habe daher nur im Frühling gearbeitet.

Zu seinen Fluchtgründen gab er an, dass ihn eines Tages der Mullah der Moschee zu sich gerufen und ihm erklärt habe, dass die Taliban bei ihm gewesen seien und er die Nachricht überbringen solle, dass die Taliban mit seiner Arbeit nicht einverstanden seien und sie nicht wollen würden, dass er für die Feinde ihres Landes arbeite. Er habe auf diese Warnung nicht reagiert und sei weiter seiner Arbeit nachgegangen. Nach ca. zwei Wochen habe ihn der Mullah zu sich gerufen und er sei mündlich verwarnt worden. Da er auf diese zweite Warnung ebenfalls nicht reagiert habe, sei vor seiner Tür ein Brief von den Taliban aus Logar hinterlassen worden. In dem Brief sei gestanden, dass sie ihn töten würden, falls sie ihn fassen würden, und er sich jetzt schon einen Sarg kaufen solle. Sein Wohnort befinde sich zwischen Kabul und Logar und dort würden nachts die Taliban herrschen. Nach dem Erhalt des Briefes sei ihm klar geworden, dass sein Leben in Gefahr sei, und er habe den Entschluss gefasst zu fliehen. Er habe sein Geschäft geschlossen und sei zu Freunden seines Vaters in der Stadt Kabul gegangen, wo er zwei Wochen bis zu seiner Ausreise verbracht habe.

Danach befragt, ob er mit seiner Familie Kontakt habe, gab er an, dass er mit ihnen regelmäßig ca. einmal in der Woche über Viber kommuniziere. Sein Vater sei vor neun Monaten bei einer Bombenexplosion gestorben, als er sich auf dem Weg nach Hause befunden habe. Dem BF gehe es psychisch nicht gut und er könne seit neun Monaten nicht schlafen. Ihm seien Medikamente verschrieben worden, die ihm beim Schlafen helfen würden.

Zum Vorfall mit dem Suchtgift gab er an, dass er seine Straftat bereue und vor dem Landesgericht ein Geständnis abgelegt habe. Damals habe seine Familie kein Geld gehabt und habe sich nichts zu essen kaufen können. Er habe sich sowohl an die Diakonie als auch an die Gemeinde gewandt, um Arbeit zu bekommen, aber da ihm keine andere Arbeit gewährt worden sei, sei er gezwungen gewesen, zur finanziellen Unterstützung seiner Familie auf einem anderen Weg an Geld zu kommen.

Das erkennende Gericht brachte weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF in das Verfahren ein (aufgelistet unter Punkt 2.) und folgte dem BF Kopien davon aus. Der BF gab zu den Länderfeststellungen an, dass er außerhalb der Stadt Kabul gelebt habe und in seinem Heimatort die Taliban herrschen würden. Er sei zweimal der Aufforderung der Taliban nicht nachgekommen und werde aus diesem Grund von den Taliban verfolgt.

Das erkennende Gericht holte vom BF eine Ermittlungsermächtigung ein und räumte dem BF eine Frist von sechs Wochen zur Nachbringung von etwaigen Belegen ein.

1.10. Mit Schreiben vom 11.07.2016 übermittelte der BF ein auf Dari verfasstes Schreiben an das erkennende Gericht, das daraufhin die Übersetzung des Schriftstücks veranlasste. Aus der Übersetzung vom 24.10.2016 geht hervor, dass es sich hierbei um eine Anfrage der Mutter des BF an den Dorfvorsitzenden handelt, in dem sie die Todesumstände ihres Ehemannes darlegt und diese vom Dorfvorsitzenden bestätigt werden.

1.11. Am 08.03.2017 beauftragte das erkennende Gericht Mag. Karl Mahringer als Ländersachverständigen für Afghanistan mit einer Recherche und ersuchte um Überprüfung von näher spezifizierten Angaben des BF hinsichtlich seiner persönlichen Verhältnisse und Fluchtgründe.

1.12. Mit Schreiben vom 03.04.2017, eingelangt am 28.04.2017, übermittelte der Sachverständige das Rechercheergebnis und gab zusammengefasst an, dass sich die vorgebrachten Ausführungen des BF hinsichtlich Familie, Sport, Geschäft und Tod des Vaters als überprüfbar und richtig herausgestellt hätten, der angegebene Fluchtgrund hingegen nicht bestätigt werden könne.

Dass der BF mit seiner Familie in dem von ihm genannten Dorf gelebt habe, habe sich als richtig herausgestellt. Der Tod seines Vaters durch eine Bombenexplosion sei von der Polizei und drei weiteren Quellen verifiziert worden.

Bezugnehmend auf die Angaben des BF zu seiner KFZ-Werkstätte sei das Geschäft gefunden worden und nach Gesprächen mit Vermieter und Nachbargeschäften habe eruiert werden können, dass der BF dieses Geschäft gemietet und mit zwei bis vier Mitarbeitern betrieben habe. Einer seiner Mitarbeiter betreibe nun das Nachbargeschäft. Der BF habe zeitgleich auch ein Geschäft in der Provinz Logar betrieben, das heute nicht mehr existiere.

Eine Befragung der umliegenden Geschäfte habe die Behauptung des BF, er habe Drohungen von den Taliban erhalten, nicht bestätigen können. Für die Angaben des BF, für die Amerikaner gearbeitet zu haben, hätten keine Nachweise gefunden werden können. Eine Befragung noch verbliebener amerikanischer Firmen in Kabul habe diese Behauptung ebenfalls nicht verifizieren können. Nach der Lage, dem Zustand und der Ausrüstung des Geschäftes sei auszuschließen, dass der BF auf Vertragsbasis mit amerikanischen Firmen gearbeitet habe. Eine Analyse des vorgelegten Drohschreibens der Taliban durch Sicherheitsexperten der Polizei und des NDS habe ergeben, dass es sich um eine Fälschung handle.

Die Behauptung des BF, Kabbadi gespielt und an Wettkämpfen teilgenommen zu haben, entspreche den Tatsachen. Für die Behauptung des BF, er habe den Sport nicht mehr trainieren und ausüben können, da sein Leben in Gefahr gewesen sei, hätten keine Hinweise gefunden werden können.

1.13. Mit Schreiben vom 11.05.2017 wurde dem BF das Gutachten übermittelt und ihm die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt, von der der BF keinen Gebrauch machte.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 05.09.2014, der Einvernahme vor dem BFA am 19.02.2015 und die an diesem Tage vorgelegten Unterlagen des BF sowie die Beschwerde vom 17.04.2015

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (offenbar Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Aktenseiten 164 bis 182)

* Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 20.06.2016 und Einsicht in die vom BF vorgelegten Unterlagen

* Einsicht in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom BVwG in das Verfahren eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:

o Auszug aus einem Gutachten eines Ländersachverständigen für Afghanistan (Dr. Sarajuddin Rasuly in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof am 13.06.2012 im Verfahren C15 410.319-1/2009)

* Einsicht in folgende weitere notorische Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:

? Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, zuletzt aktualisiert am 25.09.2017

* Recherche des Ländersachverständigen Mag. Karl Mahringer vom 03.04.2017

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemacht Sachverhaltes getroffen:

3.1. Zur Person des BF:

3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Paschtu, er sprach zu Hause aber Dari. Darüber hinaus beherrscht er ein bisschen Urdu, Englisch und Deutsch.

3.1.2. Der BF ist ledig und hat keine Kinder.

3.1.3. Der BF wurde in einem namentlich genannten Dorf in der Provinz Kabul im Distrikt Chahar Asyab geboren und lebte dort mit seinen Eltern, drei Brüdern und zwei Schwestern. Sein Vater starb bei einer Bombenexplosion im September 2015, die übrige Familie hält sich weiterhin dort auf, und der BF steht mit ihnen in regelmäßigem Kontakt.

3.1.4. Der BF besuchte sieben Jahre lang die Schule in einem Lycee im Disktrikt Chahar Asyab in der Provinz Kabul und nahm im Jahr 2011 und 2012 an Kabbadi-Wettkämpfen teil. Er arbeitete als KFZ-Mechaniker und führte eine eigene Werkstatt in der Stadt Kabul, wobei er täglich von seinem Heimatort im Distrikt Chahar Aysab in die Stadt Kabul pendelte. Der BF beschäftigte in seiner Werkstatt drei aus der Stadt Kabul stammende Mitarbeiter, wobei einer seiner Mitarbeiter nunnmehr eine eigene Werkstatt neben seinem früheren Arbeitsplatz betreibt. Der BF kam mit seinem erwirtschafteten Einkommen für seinen eigenen Lebensunterhalt auf und versorgte damit überdies seine Familie.

3.1.5. Der BF leidet an keinen lebensbedrohlichen oder akut behandlungsbedürftigen Krankheiten. Nach einem Befund einer Ärztin für Allgemeinmedizin hat er Depressionen, Schlafstörungen und Spannungskopfschmerzen und nimmt regelmäßig die Medikamente Mirtabene 30mg und Parkemed 500mg ein.

3.1.6. Der BF ist im erwerbsfähigen Alter und hat Arbeitserfahrung in der Stadt Kabul. Er verfügt dort über gute Ortskenntnisse sowie über soziale Anknüpfungspunkte in Form von seinen früheren Mitarbeitern sowie Freunden seines Vaters, bei denen er vor seiner Ausreise aus Kabul zwei Wochen lang gelebt hat.

3.1.7. Der BF verließ Afghanistan ca. im Juli 2014 und stellte am 06.09.2014 in Österreich den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

3.1.8. Der BF wurde in Österreich mit Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 16.06.2016 wegen mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall SMG, § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall und Abs. 2 SMG und § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 SMG gemäß § 27 Abs. 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten verurteilt, wobei die Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

3.1.9. Der BF verfügt in Österreich über keine verwandtschaftlichen oder engen sozialen Bindungen. Allfällige freundschaftliche Beziehungen in Österreich sind erst zu einem Zeitpunkt entstanden, in dem sich der BF seiner unsicheren aufenthaltsrechtlichen Stellung bewusst sein musste.

3.1.10. Der BF besuchte in Österreich Deutschkurse, legte aber noch keine Deutschprüfung ab. Weiters besuchte er einen Vorbereitungskurs für den Hauptschulabschluss. In seiner Freizeit spielt der BF Fußball.

3.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

3.2.1. Es konnte vom BF nicht glaubhaft vermittelt werden, dass er in seinem Herkunftsstaat – etwa durch die behauptete Bedrohung durch die Taliban – einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt war.

3.2.2. Der BF wurde nach eigenen Angaben in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, ist nicht vorbestraft und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Der BF war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an.

3.2.3. Grund für die Ausreise des BF aus seinem Herkunftsstaat waren die dortige unsichere persönliche und allgemeine Situation und die Suche nach besseren – auch wirtschaftlichen – Lebensbedingungen im Ausland.

3.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

3.3.1. Es konnte vom BF nicht glaubhaft vermittelt werden, dass er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen – etwa durch die Taliban – ausgesetzt wäre.

3.3.2. Der BF hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm im Fall einer Rückkehr in die Stadt bzw. Provinz Kabul ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde oder er Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

3.3.3. Der BF leidet an keinen schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen, ist im erwerbsfähigen Alter und männlich. Es ist daher anzunehmen, dass der BF im Herkunftsstaat in der Lage sein wird, sich notfalls mit Hilfstätigkeiten ein ausreichendes Auskommen zu sichern und daher nicht in eine hoffnungslose Lage zu kommen, zumal er bereits selbständig eine KFZ-Werkstatt in der Stadt Kabul führte, mehrere Mitarbeiter beschäftigte und mit dem dadurch erwirtschafteten Einkommen nicht nur seinen eigenen Lebensunterhalt bestritt, sondern auch seine Familie versorgte. Auch aufgrund seiner familiären Anknüpfungspunkte in der Provinz Kabul – seine Mutter und seine Geschwister sind nach wie vor in seinem Heimatdorf aufhältig – und seiner freundschaftlichen und beruflichen Kontakte in der Stadt Kabul ist anzunehmen, dass er nicht in eine existenzgefährdende Situation geraten wird.

3.3.5. Der BF kann die Stadt Kabul von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

3.4. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

3.4.1. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, zuletzt aktualisiert am 25.09.2017, Schreibfehler teilweise korrigiert):

Politische Lage:

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet (IDEA o.D.) und im Jahre 2004 angenommen (Staatendokumentation des BFA 7.2016; vgl. auch: IDEA o.D.). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahre 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation des BFA 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.01.2004).

Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9.2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.01.2017), nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017).

Parlament und Parlamentswahlen:

Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wähler/innen. Seit Mitte 2015 ist die Legislaturperiode des Parlamentes abgelaufen. Seine fortgesetzte Arbeit unter Ausbleiben von Neuwahlen sorgt für stetig wachsende Kritik (AA 9.2016). Im Jänner 2017 verlautbarte das Büro von CEO Abdullah Abdullah, dass Parlaments- und Bezirksratswahlen im nächsten Jahr abgehalten werden (Pajhwok 19.01.2017).

Die afghanische Nationalversammlung besteht aus dem Unterhaus, Wolesi Jirga, und dem Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt. Das Unterhaus hat 249 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kutschi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 13.04.2016 vgl. auch: CRS 12.01.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 13.04.2016).

Die Rolle des Zweikammern-Parlaments bleibt trotz mitunter erheblichem Selbstbewusstsein der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Regierungsarbeit destruktiv zu behindern, deren Personalvorschläge zum Teil über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse teuer abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus spielt hier eine unrühmliche Rolle und hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht (AA 9.2016).

Parteien:

Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einigen von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die afghanische Parteienlandschaft ist mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf fehlende strukturelle Elemente (wie z.B. ein Parteienfinanzierungsgesetz) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016).

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, das von allen Parteien verlangte, sich neu zu registrieren, und zum Ziel hatte, ihre Anzahl zu reduzieren. Anstatt wie zuvor die Unterschrift von 700 Mitgliedern müssen sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen erbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber anscheinend nur wenig zur Konsolidierung des Parteiensystems bei (USIP 3.2015).

Unter der neuen Verfassung haben sich seit 2001 zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine weltanschauliche Organisation oder ein Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratien sind (USIP 3.2015). Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bis hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf Ghani verbrachte selbst die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 9.2016).

Friedens- und Versöhnungsprozess:

Im afghanischen Friedens- und Versöhnungsprozess gibt es weiterhin keine greifbaren Fortschritte. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte. Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Die Reintegration versöhnungswilliger Aufständischer bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 9.2016).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG):

Nach zweijährigen Verhandlungen (Die Zeit 22.09.2016) unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das der Hezb-e Islami Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtet sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Einen Tag nach Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der Hezb-e Islami und der Regierung erklärte erstere in einer Stellungnahme eine Waffenruhe (The Express Tribune 30.09.2016). Das Abkommen beinhaltet unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Sobald internationale Sanktionen aufgehoben sind, wird von Hekmatyar erwartet, nach 20 Jahren aus dem Exil nach Afghanistan zurückkehren. Im Jahr 2003 war Hekmatyar von den USA zum "internationalen Terroristen" erklärt worden (NYT 29.09.2016). Schlussendlich wurden im Februar 2017 die Sanktionen gegen Hekmatyar von den Vereinten Nationen aufgehoben (BBC News 04.02.2017).

Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.01.2017).

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint Einzelberichten zufolge auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.02.2017).

INSO beziffert die Gesamtzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle in Afghanistan im Jahr 2016 mit 28.838 (INSO 2017).

Mit Stand September 2016 schätzt die Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghanischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.01.2017).

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen – ausgeführt durch die Polizei und das Militär – landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 05.01.2017).

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: Intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen den Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.08. – 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).

Kontrolle von Distrikten und Regionen:

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im dritten Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.01.2017).

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. –einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal an: Zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit fünf von sechs Distrikten und Helmand mit acht von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.01.2017).

Rebellengruppen:

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin, durch Bedrohungen, Entführungen und gezielte Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).

Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistische Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan – gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).

Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihre Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9.2016).

Taliban und ihre Offensive:

Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).

Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstützte Regierung zu vertreiben (Reuters 12.04.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD 12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).

Der derzeitige Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. Hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz – größtenteils unter Talibankontrolle – liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand wie einst Mansour (Reuters 27.01.2017).

Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.05.2016; vgl. auch: The National 13.01.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt – ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter – der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.05.2016; vgl. auch:

The National 13.01.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.01.2017), und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.05.2016).

Haqqani-Netzwerk:

Das Haqqani-Netzwerk ist eine sunnitische Rebellengruppe, die durch Jalaluddin Haqqani gegründet wurde. Sirajuddin Haqqani, Sohn des Jalaluddin, führt das Tagesgeschäft gemeinsam mit seinen engsten Verwandten (NCTC o.D.). Sirajuddin Haqqani wurde zum Stellvertreter des Talibanführers Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt (The National 13.01.2017).

Das Netzwerk ist ein Verbündeter der Taliban – dennoch ist es kein Teil der Kernbewegung (CRS 26.05.2016). Das Netzwerk ist mit anderen terroristischen Organisationen in der Region, inklusive al-Qaida und den Taliban, verbündet (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani-Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (CRS 12.01.2017). Das Netzwerk ist hauptsächlich in Nordwaziristan (Pakistan) zu verorten und führt grenzübergreifende Operationen nach Ostafghanistan und Kabul durch (NCTC o.D.).

Das Haqqani-Netzwerk ist fähig – speziell in der Stadt Kabul –,Operationen durchzuführen; es finanziert sich durch legale und illegale Geschäfte in den Gegenden Afghanistans, in denen es eine Präsenz hat, aber auch in Pakistan und im Persischen Golf. Das Netzwerk führt vermehrt Entführungen aus – wahrscheinlich, um sich zu finanzieren und seine Wichtigkeit zu stärken (CRS 12.01.2017).

Kommandanten des Haqqani Netzwerk sagten zu Journalist/innen, das Netzwerk sei bereit, eine politische Vereinbarung mit der afghanischen Regierung zu treffen, sofern sich die Taliban dazu entschließen würden, eine solche Vereinbarung einzugehen (CRS 12.01.2017).

Al-Qaida:

Laut US-amerikanischen Beamten war die Präsenz von al-Qaida in den Jahren 2001 bis 2015 minimal (weniger als 100 Kämpfer); al-Qaida fungierte als Unterstützer für Rebellengruppen (CRS 12.01.2017). Im Jahr 2015 entdeckten und zerstörten die afghanischen Sicherheitskräfte gemeinsam mit US-Spezialkräften ein Camp der al-Quaida in der Provinz Kandahar (CRS 12.01.2017; vgl. auch: FP 02.11.2015); dabei wurden 160 Kämpfer getötet (FP 02.11.2015). Diese Entdeckung deutet darauf hin, dass al-Qaida die Präsenz in Afghanistan vergrößert hat. US-amerikanische Kommandanten bezifferten die Zahl der Kämpfer in Afghanistan mit 100-300, während die afghanischen Behörden die Zahl der Kämpfer auf 300-500 schätzten (CRS 12.01.2017). Im Dezember 2015 wurde berichtet, dass al-Qaida sich primär auf den Osten und Nordosten konzentrierte und nicht, wie ursprünglich von US-amerikanischer Seite angenommen, nur auf Nordostafghanistan (LWJ 16.04.2016).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG):

Siehe oben unter "Friedens- und Versöhnungsprozess".

IS/ISIS/ISIL/ISKP/ISIL-K/Daesh – Islamischer Staat:

Seit dem Jahr 2014 hat die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) eine kleine Präsenz in Afghanistan etabliert (RAND 28.11.2016). Die Führer des IS nennen diese Provinz Wilayat Khorasan – in Anlehnung an die historische Region, die Teile des Irans, Zentralasien, Afghanistan und Pakistan beinhaltete (RAND 28.11.2016; vgl. auch:

MEI 5.2016). Anfangs wuchs der IS schnell (MEI 5.2016). Der IS trat im Jahr 2014 in zwei getrennten Regionen in Afghanistan auf: in den östlichsten Regionen Nangarhars, an der AfPak-Grenze und im Distrikt Kajaki in der Provinz Helmand (USIP 03.11.2016).

Trotz Bemühungen, seine Macht und seinen Einfluss in der Region zu vergrößern, kontrolliert der IS nahezu kein Territorium außer kleineren Gegenden wie z.B. die Distrikte Deh Bala, Achin und Naziyan in der östlichen Provinz Nangarhar (RAND 28.11.2016; vgl. auch: USIP 03.11.2016). Zwar kämpfte der IS hart in Afghanistan, um Fuß zu fassen, die Gruppe wird von den Ansäßigen jedoch großteils als fremde Kraft gesehen (MEI 5.2016). Nur eine Handvoll Angriffe führte der IS in der Region durch. Es gelang ihm nicht, sich die Unterstützung der Ansäßigen zu sichern; auch hatte er mit schwacher Führung zu kämpfen (RAND 28.11.2016). Der IS hatte mit Verlusten zu kämpfen (MEI 5.2016). Unterstützt von internationalen Militärkräften führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch – dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

Auch wenn die Gruppierung weiterhin interne Streitigkeiten der Taliban ausnützt, um die Präsenz zu halten, ist sie mit einem harten Kampf konfrontiert, um permanenter Bestandteil komplexer afghanischer Stammes- und Militärstrukturen zu werden. Anhaltender Druck durch US-amerikanische Luftangriffe haben weiterhin die Möglichkeiten des IS in Afghanistan untergraben; auch wird der IS weiterhin davon abgehalten, seinen eigenen Bereich in Afghanistan einzunehmen (MEI 5.2016). Laut US-amerikanischem Außenministerium hat der IS keinen sicherheitsrelevanten Einfluss außerhalb von isolierten Provinzen in Ostafghanistan (SIGAR 30.10.2017).

Unterstützt von internationalen Militärkräften führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch – dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

Presseberichten zufolge betrachtet die afghanische Bevölkerung die Talibanpraktiken als moderat im Gegensatz zu den brutalen Praktiken des IS. Kämpfer der Taliban und des IS gerieten aufgrund politischer oder anderer Differenzen, aber auch aufgrund der Kontrolle von Territorium, aneinander (CRS 12.01.2017).

Drogenanbau und Gegenmaßnahmen:

Einkünfte aus dem Drogenschmuggel versorgen auch weiterhin den Aufstand und kriminelle Netzwerke (USDOD 12.2016). Laut einem Bericht des afghanischen Drogenbekämpfungsministeriums vergrößerte sich die Anbaufläche für Opium um 10% im Jahr 2016 auf etwa 201.000 Hektar. Speziell in Nordafghanistan und in der Provinz Badghis verstärkte sich der Anbau: Blaumohn wächst in 21 der 34 Provinzen im Vergleich zum Jahr 2015, wo nur 20 Provinzen betroffen waren. Seit dem Jahr 2008 wurde zum ersten Mal von Opiumanbau in der Provinz Jawzjan berichtet. Helmand bleibt mit 80.273 Hektar (40%) auch weiterhin Hauptanbauprovinz, gefolgt von Badghis, Kandahar und der Provinz Uruzgan. Die potenzielle Opiumproduktion im Jahr 2016 macht insgesamt 4.800 Tonnen aus – eine Steigerung von 43% (3.300 Tonnen) im Gegensatz zum Jahr 2015. Die hohe Produktionsrate kann einer Steigerung des Opiumertrags pro Hektar und eingeschränkten Beseitigungsbemühungen aufgrund von finanziellen und sicherheitsrelevanten Ressourcen zugeschrieben werden. Hauptsächlich erhöhten sich die Erträge aufgrund von vorteilhaften Bedingungen, wie z.B. des Wetters und nicht vorhandener Pflanzenkrankheiten (UN GASC 17.12.2016).

Zivile Opfer:

Die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) dokumentiert weiterhin regierungsfeindliche Elemente, die illegale und willkürliche Angriffe gegen Zivilist/innen ausführen (UNAMA 10.2016). Zwischen 01.01. und 31.12.2016 registrierte UNAMA 11.418 zivile Opfer (3.498 Tote und 7.920 Verletzte) – dies deutet einen Rückgang von 2% bei Getöteten und eine Erhöhung um 6% bei Verletzten im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 an. Bodenkonfrontation war weiterhin die Hauptursache für zivile Opfer, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attentaten sowie unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung (IED) und gezielten und willkürlichen Tötungen (UNAMA 06.02.2017).

UNAMA verzeichnete 3.512 minderjährige Opfer (923 Kinder starben und 2.589 wurden verletzt) – eine Erhöhung von 24% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres; die höchste Zahl an minderjährigen Opfern seit Aufzeichnungsbeginn. Hauptursache waren Munitionsrückstände, deren Opfer meist Kinder waren. Im Jahr 2016 wurden 1.218 weibliche Opfer registriert (341 Tote und 877 Verletzte), dies deutet einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vorjahr an (UNAMA 06.02.2017).

Hauptsächlich waren die südlichen Regionen von dem bewaffneten Konflikt betroffen: 2.989 zivile Opfer (1.056 Tote und 1.933 Verletzte) – eine Erhöhung von 17% gegenüber dem Jahr 2015. In den zentralen Regionen wurde die zweithöchste Rate an zivilen Opfern registriert: 2.348 zivile Opfer (534 Tote und 1.814 Verletzte) – eine Erhöhung von 34% gegenüber dem Vorjahreswert aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Angriffen auf die Stadt Kabul. Die östlichen und nordöstlichen Regionen verzeichneten einen Rückgang bei zivilen Opfern: 1.595 zivile Opfer (433 Tote und 1.162 Verletzte) im Osten und 1.270 zivile Opfer (382 Tote und 888 Verletzte) in den nordöstlichen Regionen. Im Norden des Landes wurden 1.362 zivile Opfer registriert (384 Tote und 978 Verletzte) sowie in den südöstlichen Regionen 903 zivile Opfer (340 Tote und 563 Verletzte). Im Westen wurden 836 zivile Opfer (344 Tote und 492 Verletzte) und 115 zivile Opfer (25 Tote und 90 Verletzte) im zentralen Hochgebirge registriert (UNAMA 06.02.2017).

Laut UNAMA waren 61% aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben (hauptsächlich Taliban), 24% regierungsfreundlichen Kräften (20% den afghanischen Sicherheitskräften, 2% bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppen und 2% internationalen militärischen Kräften); Bodenkämpfe zwischen regierungsfreundlichen Kräften und regierungsfeindlichen Kräften waren Ursache für 10% zivile Opfer, während 5% der zivilen Opfer vorwiegend durch Unfälle mit Munitionsrückständen bedingt waren (UNAMA 06.02.2017).

Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen und der US-Streitkräfte:

Die Taliban greifen weiterhin Mitarbeiter/innen lokaler Hilfsorganisationen und internationaler Organisationen an – nichtsdestotrotz sind der Ruf der Organisationen innerhalb der Gemeinschaft und deren politischer Einfluss ausschlaggebend, ob ihre Mitarbeiter/innen Problemen ausgesetzt sein werden. Dieser Quelle zufolge sind Mitarbeiter/innen von NGOs Einschüchterungen der Taliban ausgesetzt. Einer anderen Quelle zufolge kam es im Jahr 2015 nur selten zu Vorfällen, in denen NGOs direkt angegriffen wurden (IRBC 22.02.2016). Angriffe auf Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen wurden in den letzten Jahren registriert; unter anderem wurden im Februar 2017 sechs Mitarbeiter/innen des Internationalen Roten Kreuzes in der Provinz Jawzjan von Aufständischen angegriffen und getötet (BBC News 09.02.2017); im April 2015 wurden fünf Mitarbeiter/innen von "Save the Children" in der Provinz Uruzgan entführt und getötet (The Guardian 11.04.2015).

Die norwegische COI-Einheit Landinfo berichtet im September 2015, dass zuverlässige Berichte über konfliktbezogene Gewalt gegen Afghanen im aktiven Dienst für internationale Organisationen vorliegen. Andererseits konnte nur eine eingeschränkte Berichtslage bezüglich konfliktbezogener Gewalt gegen ehemalige Übersetzer, Informanten oder andere Gruppen lokaler Angestellter ziviler oder militärischer Organisationen festgestellt werden (Landinfo 09.09.2015). Ferner werden reine Übersetzerdienste, die auch geheime Dokumente umfassen, meist von US-Staatsbürgern mit lokalen Wurzeln durchgeführt, da diese eine Sicherheitszertifizierung benötigen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

Grundsätzlich sind Anfeindungen gegen afghanische Angestellte der US-Streitkräfte üblich, da diese im Vergleich zu ihren Mitbürger/innen verhältnismäßig viel verdienen. Im Allgemeinen hält sich das aber in Grenzen, da der wirtschaftliche Nutzen für die gesamte Region zu wichtig ist. Tätliche Übergriffe kommen vor, sind aber nicht nur auf ein Arbeitsverhältnis bei den internationalen Truppen zurückzuführen. Des Weiteren bekommen afghanische Angestellte bei den internationalen Streitkräften Uniformen oder Dienstbekleidung, Verpflegung und Zugang zu medizinischer Versorgung nach westlichem Standard. Es handelt sich somit meist um Missgunst. Das Argument der Gefahr im Beruf für lokale Dolmetscher wurde von den US-Streitkräften im Bereich der SOF (Special Operation Forces), die sehr sensible Aufgaben durchführen, dadurch behoben, dass diesen Mitarbeitern nach einer gewissen Zeit die Mitnahme in die USA angeboten wurde. Dieses Vorgehen wurde von einer militärischen Quelle aus Deutschland bestätigt (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz K

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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