TE Bvwg Erkenntnis 2017/11/24 W261 2123585-1

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Veröffentlicht am 24.11.2017
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Entscheidungsdatum

24.11.2017

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W261 2123585-1/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin Gastinger, MAS als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX geboren am XXXX auch XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Herrn XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, vom 10.03.2016, Zahl XXXX , zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

II. Spruchpunkt IV des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wird insoweit abgeändert, als dieser zu lauten hat: "Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Ihrer Haftentlassung."

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Gang des Verfahrens:

Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsbürger, reiste am 06.09.2014 irregulär in Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 07.09.2014 erfolgte die Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Anwesenheit eines Dolmetschers in der Sprache Dari. Dabei gab der BF an, afghanischer Staatsangehöriger und Moslem zu sein und der Volksgruppe der Tadschiken anzugehören. Der BF stamme aus der Provinz Sar-i Pul. Seinen Fluchtgrund betreffend führte er aus, er habe in Afghanistan als Spengler gearbeitet und sei von den Taliban aufgefordert worden, für sie zu arbeiten, was er zwei Wochen lang getan habe. Die Taliban hätten ihn als Selbstmordattentäter vorbereiten wollen, was der BF abgelehnt habe, und er sei in der Folge geflüchtet.

Am 29.02.2016 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge kurz belangte Behörde oder BFA) im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari. Vor seiner Ausreise habe er in der Provinz Sar-i Pul, im Distrikt Kohistanat, im Dorf Laghman gelebt. Dort habe er zusammen mit seinen Eltern und seinen Geschwistern in einem Haus gewohnt, welches seinem Vater gehört habe. Der BF habe eine Autowerkstatt betrieben, in der er hauptsächlich Fahrzeugelektronik repariert habe. Vom Einkommen der Werkstatt, welche monatlich zwischen 20.000 und 50.000 Afghani eingebracht habe, habe er gut leben können. Der BF sei ledig und habe keine Kinder. Derzeit würden seine Eltern gemeinsam mit seinen Brüdern in einem Haus in der Stadt Sar-i Pul leben. Die Eltern des BF seien außerdem noch in Besitz zweier Weingärten in Sar-i Pul. Der BF habe regelmäßig Kontakt zu seinen Eltern. Die drei Schwestern des BF seien verheiratet, zwei davon würden in der Stadt Mazar-e Sharif wohnen. Als Fluchtgrund gab der BF an, er sei am 03.06.2014 in seiner Werkstatt von einem Mann aufgefordert worden, mit ihm zu kommen um ein Fahrzeug zu reparieren. Anschließend sei der BF in ein Zimmer gebeten worden, wo er Stunden habe warten müssen. Als er sich über die Wartezeit beklagt habe, seien ihm Handfesseln angelegt worden. Es hätten sich insgesamt drei Männer in dem Raum aufgehalten, zwei von ihnen seien mit Gewehren bewaffnet gewesen. Dem BF sei vorgeworfen worden, für die Polizei zu arbeiten. Er sei zehn oder elf Tage gefangen gehalten und geschlagen worden. Nach drei Tagen Gefangenschaft sei ein Ältester der Taliban zu ihm gekommen und habe mit ihm verhandeln wollen. Er habe vom BF verlangt, er solle sich für die Taliban als Selbstmordattentäter opfern. Nachdem der BF dies abgelehnt habe, da sein Bruder ebenfalls von den Taliban getötet worden sei, hätten ihn die Taliban für Spitzeldienste verwenden wollen. Der BF hätte über alle Beamten der Polizei Bericht erstatten und in ausgewählten Fahrzeugen Bomben platzieren sollen. Um seine Freiheit und das Vertrauen der Taliban zu erlangen, habe der BF eine rituelle Waschung durchführen und auf den Koran schwören müssen, von nun an für die Taliban zu arbeiten. Nach seiner Freilassung habe der BF seinem Vater, welcher zuvor bereits Vermisstenanzeige bei der Polizei aufgegeben hatte, von den Vorkommnissen berichtet. Dieser habe ihm geraten, das Geschäft zu verkaufen und das Land zu verlassen, was der BF getan habe. Der BF habe nicht den Schutz der Polizei gesucht, da ihm die Taliban zuvor gesagt hätten, ihm würde keine Anzeige helfen, er wäre nirgendwo in Afghanistan sicher.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 10.03.2016 wies diese in Spruchpunkt I. den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie in Spruchpunkt II. hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan ab. In Spruchpunkt III. wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die Abschiebung nach Afghanistan sei zulässig. Die Frist für die freiwillige Ausreise des BF wurde im Spruchpunkt IV. mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückehrentscheidung festgesetzt.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der BF habe sein Vorbringen nicht glaubhaftmachen können. Das in der Einvernahme durch die belangte Behörde getätigte Fluchtvorbringen unterscheide sich in wesentlichen Teilen von den Angaben in der Erstbefragung und sei darüber hinaus nicht nachvollziehbar. Es ergebe sich kein reales Risiko, dass die Rückführung des BF nach Afghanistan zu einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder dem 6. oder 13. Zusatzprotokoll zur Konvention führen würde. Der BF habe den Beruf eines Kfz-Elektrikers erlernt, der ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan regionsübergreifend die Möglichkeit gebe, wirtschaftlich unabhängig zu sein, auch das vorhandene Familiennetzwerk erleichtere ihm eine Rückkehr in sein Heimatland. Weiters könne auch eine finanzielle Rückkehrhilfe als Startkapital für die Fortsetzung des bisherigen Lebens in Afghanistan gewährt werden. Es gebe finanzielle Unterstützung für Rückkehrer und bestehe die Möglichkeit, sich an in Kabul ansässige, nicht-staatliche oder internationale Hilfseinrichtungen zu wenden. Schließlich sei kein schützenswertes Privat- und Familienleben des BF gegeben, sodass eine Rückkehrentscheidung zu erlassen und kein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG zu erteilen gewesen sei. Der Tatbestand des § 57 AsylG (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) sei ebenfalls nicht erfüllt.

Mit Verfahrensanordnung vom 11.03.2016 stellte die belangte Behörde dem BF die juristische Person Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater amtswegig zur Seite.

Gegen diesen Bescheid brachte der BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde gegen alle Spruchpunkte beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein.

Mit E-Mailnachricht des Interkulturellen Beratungs- und Therapiezentrums Zebra vom 04.05.2016 brachte der BF eine Beschwerdeergänzung ein. Darin führte er im Wesentlichen aus, die Verfolgung durch die Taliban stelle eine asylrelevante Verfolgung dar. Es sei dem BF jedoch aufgrund der konkreten Gefährdungslage wegen der äußerst prekären Sicherheitslage in Afghanistan zumindest subsidiärer Schutz gemäß § 8 AsylG zu gewähren. Darüber hinaus verfüge der BF in Österreich eindeutig über ein schützenswertes Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK.

Mit Schreiben vom 19.08.2016 teilte der BF dem BVwG mit, dass er Herrn XXXX beauftragt habe, ihn zu vertreten und dass er diesen als seinen Zustellbevollmächtigten namhaft mache.

Am 16.05.2017 fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari statt, zu der der BF persönlich gemeinsam mit seinem Rechtsvertreter erschien. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der BF im Wesentlichen das an, was er bereits bei seiner Ersteinvernahme ausgesagt hatte. Ergänzend führte er aus, dass ein bis zwei Monate nach dem Vorfall der beste Freund des BF, ein hochrangiger Beamter im nationalen Sicherheitsdienst, zu ihm gekommen sei und der BF habe ihm alles erzählt. Der Freund habe den BF aufgefordert, wenn die Person nächstes Mal zu ihm kommen würde, solle er es ihn wissen lassen, und er werde ihn verhaften. Die Mutter des BF habe den BF hingegen aufgefordert, das Land zu verlassen, da kein Verlass auf die Regierung sei. Befragt nach seiner Religionszugehörigkeit gab der BF an, bevor er nach Österreich gekommen sei, sei er sei Moslem gewesen, seit etwa acht bis neun Monaten sei er Christ. Er sei noch nicht getauft. Im Islam gebe es viele Probleme. Würde der BF nach Afghanistan zurückkehren und sagen, er sei Christ, würde er umgebracht und verbrannt werden. Zu seiner Situation in Österreich führte der BF aus, er habe hier keine Familienangehörigen oder Verwandten. Er habe eine Freundin, die er am Wochenende sehe. Der BF gehe zum Fitness, wo er monatlich zahle, sonst gehe er keinen kulturellen, sportlichen oder andern Aktivitäten nach.

Das Landesgericht für Strafsachen Graz verurteilte den BF am 14.03.2017 gemäß § 27 Abs. 2a SMG (unerlaubter Umgang mit Suchtgiften) zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, bedingt nachgesehen für eine Probezeit von drei Jahren.

Mit Urteil vom 11.05.2017 verurteilte das Landesgericht für Strafsachen Graz den BF gemäß § 125 StGB (Sachbeschädigung) zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat, bedingt nachgesehen für eine Probezeit von drei Jahren.

Das Landesgerichtes für Strafsachen verurteilte den BF neuerlich mit Urteil vom 29.06.2017 gemäß §§ 27 Abs. 2 a, 27 Abs. 3, 27 Abs. 1 Z. 1. 2 Fall SMG (gewerbsmäßiges Anbieten von Suchtgift) zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 8 Monaten. Gleichzeitig hob das Straflandesgericht die bedingt ausgesprochene Freiheitsstrafe laut Urteil vom 14.03.2017 auf und verlängerte die mit Urteil vom 11.05.2017 ausgesprochene Probezeit auf fünf Jahre.

Mit Schreiben des BVwG vom 05.102.17 übermittelte das BVwG dem BF und der belangten Behörde das aktualisierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Afghanistan vom 25.09.2017 mit der Möglichkeit, hierzu eine Stellungnahme abzugeben. Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab. Der BF führte durch seinen Vertreter in seiner Stellungnahme vom 29.10.2017 aus, dass der BF aufgrund seiner Straftaten vom Abendmahl (Meßfeier) ausgeschlossen worden und auch die geplante Taufe verlegt worden sei. Unabhängig davon sei der BF mittlerweile Christ geworden, weil er "Jesus ins sein Herz gelassen habe" und habe dies durch ein "Übergabegebet" bekräftigt, wo er seinem alten Glauben bzw. Unglauben abgeschworen und sein Leben in Jesu Hände gelegt habe. Der BF sei noch in der Lernphase, er habe noch keinen Taufkurs besucht. Er sei dadurch, dass er Christ werden wolle, in seinem Heimatland einer großen Gefahr ausgesetzt. Er habe damit einen Nachfluchtgrund gesetzt, welcher zu berücksichtigen sei. Zudem würde er bei einer Rückkehr in seinen Heimatstaat in eine ausweglose Situation versetzt werden, zumal die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan prekär sei. Des Weiteren setzte sich der BF mit dem in diesem Verfahren vorgelegten GA Mahringer auseinander.

Das BVwG führte am 23.11.2017 eine Auskunft im Strafregister durch, wonach der BF in Österreich mehrfach strafrechtlich verurteilt wurde.

Eine Anfrage des BVwG im Zentralen Melderegister am 24.11.2017 ergab, dass der BF sich seit 14.06.2017 in Haft in der Justizanstalt Graz Jakomini polizeilich gemeldet ist.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , geboren am XXXX auch XXXX , ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, ist ledig und kinderlos. Zum Zeitpunkt der Einreise war der Beschwerdeführer sunnitischer Moslem. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari.

Der Beschwerdeführer wurde nach seinen Angaben in der Provinz Sar-i Pul, im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX . Seinen Eltern lebten gemeinsam mit den Brüdern des Beschwerdeführers in einem Haus in der Stadt XXXX , das im Eigentum der Familie stand. Die Familie besitzt zwei Weingärten in XXXX .

Die Eltern des Beschwerdeführers sind verstorben. Der Beschwerdeführer hat fünf Brüder und drei Schwestern. Der älteste Bruder des Beschwerdeführers ist verstorben. Sein älterer Bruder ist verheiratet und lebt in Mazar-e-Sharif. Dieser Bruder ist arbeitet als Spengler in einer Werkstatt. Zwei Schwestern des Beschwerdeführers sind ebenfalls verheiratet. Eine dieser Schwestern lebt in Mazar-e-Sharif und die zweite Schwester lebt in Shibirghan. Die beiden jüngeren Brüder des Beschwerdeführers besuchen die Schule und leben bei der Schwester des Beschwerdeführers in Mazar-e-Sharif. Ein Bruder des Beschwerdeführers arbeitet nicht und besucht auch keine Schule.

Der Beschwerdeführer pflegt nach wie vor Kontakt zu seiner Familie im Herkunftsstaat.

Der Beschwerdeführer hat in seinem Herkunftsstaat die Schule bis zur

7. Klasse besucht.

Der Beschwerdeführer hatte in seinem Herkunftsstaat für einen Zeitraum von 7 bis 7,5 Jahren eine eigene Autowerkstatt in XXXX . Sein monatliches Einkommen betrug zwischen 35.000 bis 40.000 Afghanis, das entspricht umgerechnet ca. zwischen 450,- und 500,-

EURO.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer von den Taliban bedroht wurde oder wird.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF zum Christentum konvertiert ist.

Der Beschwerdeführer war und ist kein Mitglied einer politischen Partei und ist auch sonst nicht politisch aktiv.

Der Beschwerdeführer stellte am 07.09.2014 im Bundesgebiet gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Dem jungen, tüchtigen, gesunden und arbeitsfähigen Beschwerdeführer ist es zumutbar, nach Afghanistan zurückzukehren und sich in Kabul oder in Mazar-e-Sharif, wo der Großteil seiner Geschwister lebt, niederzulassen. Der Beschwerdeführer hat vor seiner Ausreise als Automechaniker mit eigener Werkstätte seinen Lebensunterhalt bestritten. Er hatte in diesem Beruf ein sehr gutes Einkommen. Zudem ist davon auszugehen, dass ihn sein älterer Bruder, der in Mazar-e-Sharif als Spengler arbeitet, finanziell unterstützt. Mit dieser Unterstützung ist ihm der Aufbau einer Existenzgrundlage in Kabul oder in Mazar-e-Sharif möglich. Seine Existenz kann er dort – zumindest anfänglich – mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist auch in der Lage, in Kabul oder Mazar-e-Sharif in eine einfache Unterkunft zu finden, sofern er nicht ohnehin bei einem seiner Brüder oder bei einer seiner Schwestern wohnen kann. Der Beschwerdeführer hat auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen, um wieder in seinem ursprünglichen Beruf tätig zu werden. In weiterer Folge ist – wie dargelegt – von einer finanziellen Unterstützung des Beschwerdeführers durch seine Familie auszugehen. Es kann daher nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in die Stadt Kabul oder in die Stadt Mazar-e-Sharif Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der Beschwerdeführer ist gesund. Es besteht kein objektivierter Hinweis auf eine krankheitswertige psychische Störung. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Kabul oder nach Stadt Mazar-e-Sharif Gefahr liefe, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten, oder sich eine Erkrankung in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern würde. Es sind auch sonst keine objektivierten Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere schwerwiegende körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

Der Beschwerdeführer kann die Städte Kabul und Mazar-e-Sharif von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

Der Beschwerdeführer ist seit seiner Antragstellung am 07.09.2014 durchgehend im Bundesgebiet aufhältig. Der Beschwerdeführer hat in der Zeit vom Oktober 2015 bis Juli 2016 an einem Förderkurs A1.1 teilgenommen. Er verfügt nicht über erhebliche Kenntnisse der deutschen Sprache. Als Freizeitaktivität besuchte der Beschwerdeführer vor seiner Verhaftung im Juni 2017 ein Fitnessstudio. Samstags arbeitete der Beschwerdeführer zeitweise bei einem Flohmarkt "Puntigam" für 4 bis 5 EURO in der Stunde. Der Beschwerdeführer besuchte seit mehr als einem Jahr sonntags die Freikirche der Baptisten. Mit deren Unterstützung bekam der Beschwerdeführer eine Wohnung. Darüber hinausgehende Aktivitäten zur Integration hat der Beschwerdeführer nicht vorgebracht. Da der Beschwerdeführer keine Arbeitserlaubnis hat, war er bisher in Österreich nicht weiter erwerbstätig. Der Beschwerdeführer ist nicht selbsterhaltungsfähig. Neben Freundschaften konnten keine weiteren substantiellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens des Beschwerdeführers in Österreich festgestellt werden.

Das Landesgericht für Strafsachen Graz verurteilte den BF am 14.03.2017 gemäß § 27 Abs. 2a SMG (unerlaubter Umgang mit Suchtgiften) zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, bedingt nachgesehen für eine Probezeit von drei Jahren.

Mit Urteil vom 11.05.2017 verurteilte das Landesgericht für Strafsachen Graz den BF gemäß § 125 StGB (Sachbeschädigung) zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat, bedingt nachgesehen für eine Probezeit von drei Jahren.

Das Landesgerichtes für Strafsachen verurteilte den BF neuerlich mit Urteil vom 29.06.2017 gemäß §§ 27 Abs. 2 a, 27 Abs. 3, 27 Abs. 1 Z. 1. 2 Fall SMG (gewerbsmäßiges Anbieten von Suchtgift) zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 8 Monaten. Gleichzeitig hob das Straflandesgericht die bedingt ausgesprochene Freiheitsstrafe laut Urteil vom 14.03.2017 auf und verlängerte die mit Urteil vom 11.05.2017 ausgesprochene Probezeit auf fünf Jahre.

Der BF befindet sich seit 13.06.2017 in Haft in der Justizanstalt Graz Jakomini.

Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

(Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 02.03.2017 in der Fassung der Aktualisierung vom 25.09.2017):

" 1. Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen (S 6 ff)

KI vom 25.9.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan – Q3.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab – auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).

Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderen gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017).

Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert – eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5% erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs – improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen – nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

Zivilist/innen

Landesweit war der bewaffnete Konflikt weiterhin Ursache für Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung. Zwischen dem 1.1. und 30.6.2017 registrierte die UNAMA 5.243 zivile Opfer (1.662 Tote und 3.581 Verletzte). Dies bedeutet insgesamt einen Rückgang bei zivilen Opfern von fast einem 1% gegenüber dem Vorjahreswert. Dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan fielen zwischen 1.1.2009 und 30.6.2017 insgesamt 26.512 Zivilist/innen zum Opfer, während in diesem Zeitraum 48.931 verletzt wurden (UNAMA 7.2017).

Im ersten Halbjahr 2017 war ein Rückgang ziviler Opfer bei Bodenoffensiven zu verzeichnen, während sich die Zahl ziviler Opfer aufgrund von IEDs erhöht hat (UNAMA 7.2017).

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer – speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente. Nach der Hauptstadt Kabul verzeichneten die folgenden Provinzen die höchste Zahl ziviler Opfer: Helmand, Kandahar, Nangarhar, Uruzgan, Faryab, Herat, Laghman, Kunduz und Farah. Im ersten Halbjahr 2017 erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer in 15 von Afghanistans 34 Provinzen (UNAMA 7.2017)

High-profile Angriffe:

Der US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), verzeichneten in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profile Angriffe; der Großteil dieser fiel in den Zeitraum des Ramadan (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, behaupten dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten, bessere Muslime wären (SIGAR 31.7.2017).

Im Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) wurden von den Vereinten Nationen folgende High-profile Angriffe verzeichnet:

Ein Angriff auf die schiitische Moschee in der Stadt Herat, bei dem mehr als 90 Personen getötet wurden (UN GASC 21.9.2017; vgl.: BBC 2.8.2017). Zu diesem Attentat bekannte sich der ISIL-KP (BBC 2.8.2017). Taliban und selbsternannte ISIL-KP Anhänger verübten einen Angriff auf die Mirza Olang Region im Distrikt Sayyad in der Provinz Sar-i Pul; dabei kam es zu Zusammenstößen mit regierungsfreundlichen Milizen. Im Zuge dieser Kämpfe, die von 3.- 5. August anhielten, wurden mindestens 36 Menschen getötet (UN GASC 21.9.2017). In Kabul wurde Ende August eine weitere schiitische Moschee angegriffen, dabei wurden mindestens 28 Zivilist/innen getötet; auch hierzu bekannte sich der ISIL-KP (UN GASC 21.9.2017; vgl.: NYT 25.8.2017).

Manche high-profile Angriffe waren gezielt gegen Mitarbeiter/innen der ANDSF und afghanischen Regierungsbeamte gerichtet; Zivilist/innen in stark bevölkerten Gebieten waren am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017).

"Green Zone" in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound – auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul – dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

Eine erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll – in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017).

ANDSF – afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Die Stärkung der ANDSF ist ein Hauptziel der Wiederaufbaubemühungen der USA in Afghanistan, damit diese selbst für Sicherheit sorgen können (SIGAR 20.6.2017). Die Stärke der afghanischen Nationalarmee (Afghan National Army – ANA) und der afghanischen Nationalpolizei (Afghan National Police – ANP), sowie die Leistungsbereitschaft der Einheiten, ist leicht gestiegen (SIGAR 31.7.2017).

Die ANDSF wehrten Angriffe der Taliban auf Schlüsseldistrikte und große Bevölkerungszentren ab. Luftangriffe der Koalitionskräfte trugen wesentlich zum Erfolg der ANDSF bei. Im Berichtszeitraum von SIGAR verdoppelte sich die Zahl der Luftangriffe gegenüber dem Vergleichswert für 2016 (SIGAR 31.7.2017).

Die Polizei wird oftmals von abgelegen Kontrollpunkten abgezogen und in andere Einsatzgebiete entsendet, wodurch die afghanische Polizei militarisiert wird und seltener für tatsächliche Polizeiarbeit eingesetzt wird. Dies erschwert es, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen. Die internationalen Truppen sind stark auf die Hilfe der einheimischen Polizei und Truppen angewiesen (The Guardian 3.8.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Taliban

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban – im Gegensatz zum Jahr 2016 – keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh.

Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt – nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL- KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-i Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).

Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP- Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vgl. SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vgl.: Tolonews 17.6.2017).

Politische Entwicklungen

Die Vereinten Nationen registrierten eine Stärkung der Nationalen Einheitsregierung. Präsident Ghani und CEO Abdullah einigten sich auf die Ernennung hochrangiger Posten – dies war in der Vergangenheit Grund für Streitigkeiten zwischen den beiden Führern gewesen (UN GASC 21.9.2017).

Die parlamentarische Bestätigung einiger war nach wie vor ausständig; derzeit üben daher einige Minister ihr Amt kommissarisch aus. Die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) verlautbarte, dass die Parlaments- und Distriktratswahlen am 7. Juli 2018 abgehalten werden (UN GASC 21.9.2017).

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High-profile Angriffe: (S 15 ff)

Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kunduz (DW 31.5.2017).

Hauptstadt Kabul

Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017):

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vgl. auch:

al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).

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Zunächst übernahm keine Gruppe Verantwortung für diesen Angriff; ein Talibansprecher verlautbarte nicht für diesen Vorfall verantwortlich zu sein (al-Jazeera 31.5.2017). Der afghanische Geheimdienst (NDS) macht das Haqqani-Netzwerk für diesen Vorfall verantwortlich (The Guardian 2.6.2017; vgl. auch: Fars News 7.6.2017); schlussendlich bekannte sich der Islamische Staat dazu (Fars News 7.6.2017).

Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul haben rund 1.000 Menschen, für mehr Sicherheit im Land und eine Verbesserung der Sicherheit in Kabul demonstriert (FAZ 2.6.2017). Bei dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften (The Guardian 2.6.2017); dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche verletzt (FAZ 2.6.2017).

Auf der Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten– den Sohn des stellvertretenden Senatspräsidenten – kam es am 3.6.2017 erneut zu einem Angriff, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und 119 weitere verletzt worden waren. Polizeiberichten zufolge, waren während des Begräbnisses drei Bomben in schneller Folge explodiert (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017); die Selbstmordattentäter waren als Trauergäste verkleidet (The Guardian 3.6.2017). Hochrangige Regierungsvertreter, unter anderem auch Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, hatten an der Trauerfeier teilgenommen (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017).

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Mazar-e Sharif

Auf der Militärbase Camp Shaheen in der nördlichen Stadt Mazar-e Sharif eröffnete Mitte Juni 2017 ein afghanischer Soldat das Feuer auf seine Kameraden und verletzte mindestens acht Soldaten (sieben US-amerikanische und einen afghanischen) (RFE/RL 17.6.2017).

Die Anzahl solcher "Insider-Angriffe" [Anm.: auch green-on-blue attack genannt] hat sich in den letzten Monaten erhöht. Unklar ist, ob die Angreifer abtrünnige Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte sind oder ob sie Eindringlinge sind, die Uniformen der afghanischen Armee tragen (RFE/RL 17.6.2017). Vor dem Vorfall im Camp Shaheen kam es dieses Jahr zu zwei weiteren registrierten Insider-Angriffen: der erste Vorfall dieses Jahres fand Mitte März auf einem Militärstützpunkt in Helmand statt: ein Offizier des afghanischen Militärs eröffnete das Feuer und verletzte drei US-amerikanische Soldaten (LWJ 11.6.2017; vgl. auch: al-Jazeera 11.6.2017).

Der zweite Vorfall fand am 10.6.2017 im Zuge einer militärischen Operation im Distrikt Achin in der Provinz Nangarhar statt, wo ein afghanischer Soldat drei US-amerikanische Soldaten tötete und einen weiteren verwundete; der Angreifer wurde bei diesem Vorfall ebenso getötet (BBC 10.6.21017; vgl. auch: LWJ 11.6.2017; DZ 11.6.2017).

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High-profile Angriffe: (S 23)

Nahe der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif in der afghanischen Nordprovinz Balkh, sind bei einem Angriff der Taliban auf eine Militärbasis mindestens 140 Soldaten getötet und mehr als 160 verwundet worden (FAZ 21.4.2017; vgl. auch: al-Jazeera 29.4.2017, Reuters 23.4.2017). Balkh gehört zu den eher sicheren Provinzen Afghanistans; dort ist die Kommandozentrale für den gesamten Norden des Landes (FAZ 21.4.2017). Dies war afghanischen Regierungskreisen zufolge, der bislang folgenschwerste Angriff auf einen Militärstützpunkt. Laut dem Sprecher der Taliban war der Angriff die Vergeltung für die Tötung mehrerer ranghoher Rebellenführer. Vier der Angreifer seien in die Armee eingeschleust worden. Sie hätten dort einige Zeit ihren Dienst verrichtet. Das wurde aber von der afghanischen Armee nicht bestätigt (Reuters 23.4.2017).

Dies ist der zweite Angriff auf eine Militäreinrichtung innerhalb weniger Monate, nach dem Angriff auf ein Militärkrankenhaus in Kabul Anfang März, zu dem sich die Terrormiliz Islamischer Staat bekannt hatte. Damals kamen mindestens 49 Menschen ums Leben und 76 weitere wurden verletzt (FAZ 21.4.2017; vgl. auch: BBC 8.5.2017, NYT 7.5.2017, Dawn 7.5.2017, SIGAR 30.4.2017, FAZ 8.3.2017).

3. Politische Lage (SS 27 ff)

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet (IDEA o.D.), und im Jahre 2004 angenommen (Staatendokumentation des BFA 7.2016; vgl. auch: IDEA o.D.). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahre 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation des BFA 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.1.2004).

Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9.2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.1.2017) - nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017).

Parlament und Parlamentswahlen

Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wähler/innen. Seit Mitte 2015 ist die Legislaturperiode des Parlamentes abgelaufen. Seine fortgesetzte Arbeit unter Ausbleiben von Neuwahlen sorgt für stetig wachsende Kritik (AA 9.2016). Im Jänner 2017 verlautbarte das Büro von CEO Abdullah Abdullah, dass Parlaments- und Bezirksratswahlen im nächsten Jahr abgehalten werden (Pajhwok 19.1.2017).

Die afghanische Nationalversammlung besteht aus dem Unterhaus, Wolesi Jirga, und dem Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt. Das Unterhaus hat 249 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kutschi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 13.4.2016 vgl. auch: CRS 12.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 13.4.2016).

Die Rolle des Zweikammern-Parlaments bleibt trotz mitunter erheblichem Selbstbewusstsein der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Regierungsarbeit destruktiv zu behindern, deren Personalvorschläge z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse teuer abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus spielt hier eine unrühmliche Rolle und hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht (AA 9.2016).

Parteien

Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die afghanische Parteienlandschaft ist mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf fehlende strukturelle Elemente (wie z.B. ein Parteienfinanzierungsgesetz) zurückzuführen, sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange - werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016).

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, welches von allen Parteien verlangte sich neu zu registrieren und zum Ziel hatte ihre Zahl zu reduzieren. Anstatt wie zuvor die Unterschrift von 700 Mitgliedern, müssen sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen erbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber scheinbar nur wenig zur Konsolidierung des Parteiensystems bei (USIP 3.2015).

Unter der neuen Verfassung haben sich seit 2001 zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine weltanschauliche Organisation oder Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratien sind (USIP 3.2015). Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bis hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf Ghani verbrachte selbst die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 9.2016).

Friedens- und Versöhnungsprozess:

Im afghanischen Friedens- und Versöhnungsprozess gibt es weiterhin keine greifbaren Fortschritte. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte. Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Die Reintegration versöhnungswilliger Aufständischer bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 9.2016).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG)

Nach zweijährigen Verhandlungen (Die Zeit 22.9.2016), unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das der Hezb-e Islami Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtet sich die Gruppe alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Einen Tag nach Unterzeichnung des Friedensabkommen zwischen der Hezb-e Islami und der Regierung, erklärte erstere in einer Stellungnahme eine Waffenruhe (The Express Tribune 30.9.2016). Das Abkommen beinhaltet unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, int. Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Sobald internationale Sanktionen aufgehoben sind, wird von Hekmatyar erwartet, nach 20 Jahren aus dem Exil nach Afghanistan zurückkehren. Im Jahr 2003 war Hekmatyar von den USA zum "internationalen Terroristen" erklärt worden (NYT 29.9.2016). Schlussendlich wurden im Februar 2017 die Sanktionen gegen Hekmatyar von den Vereinten Nationen aufgehoben (BBC News 4.2.2017).

3. Sicherheitslage (SS 31 ff)

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).

Kontrolle von Distrikten und Regionen (SS 34 ff)

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im 3. Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal, sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. –einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal: zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen, mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit 5 von 6 Distrikten, und Helmand mit 8 von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).

Rebellengruppen

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin durch Bedrohungen, Entführungen und gezielten Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).

Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistischen Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk, und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan - gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).

Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihren Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9.2016).

Taliban und ihre Offensive

Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten, sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).

Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstütze Regierung zu vertreiben (Reuters 12.4.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).

Der derzeitig Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz – größtenteils unter Talibankontrolle – liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand, wie einst Mansour (Reuters 27.1.2017).

Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.5.2016; vgl. auch: The National 13.1.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt - ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter - der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.5.2016; vgl. auch:

The National 13.1.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.1.2017) und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.5.2016).

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Zivile Opfer (SS 38 ff)

Die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) dokumentiert weiterhin regierungsfeindliche Elemente, die illegale und willkürliche Angriffe gegen Zivilist/innen ausführen (UNAMA 10.2016). Zwischen 1.1. und 31.12.2016 registrierte UNAMA 11.418 zivile Opfer (3.498 Tote und 7.920 Verletzte) – dies deutet einen Rückgang von 2% bei Getöteten und eine Erhöhung um 6% bei Verletzten im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 an. Bodenkonfrontation waren weiterhin die Hauptursache für zivile Opfer, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attentaten, sowie unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung (IED), und gezielter und willkürlicher Tötungen (UNAMA 6.2.2017).

UNAMA verzeichnete 3.512 minderjährige Opfer (923 Kinder starben und 2.589 wurden verletzt) – eine Erhöhung von 24% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres; die höchste Zahl an minderjährigen Opfern seit Aufzeichnungsbeginn. Hauptursache waren Munitionsrückstände, deren Opfer meist Kinder waren. Im Jahr 2016 wurden 1.218 weibliche Opfer registriert (341 Tote und 877 Verletzte), dies deutet einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vorjahr an (UNAMA 6.2.2017).

Hauptsächlich waren die südlichen Regionen von dem bewaffneten Konflikt betroffen: 2.989 zivilen Opfern (1.056 Tote und 1.933 Verletzte) - eine Erhöhung von 17% gegenüber dem Jahr 2015. In den zentralen Regionen wurde die zweithöchste Rate an zivilen Opfern registriert: 2.348 zivile Opfer (534 Tote und 1.814 Verletzte) - eine Erhöhung von 34% gegenüber dem Vorjahreswert, aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Angriffe auf die Stadt Kabul. Die östlichen und nordöstlichen Regionen verzeichneten einen Rückgang bei zivilen Opfern: 1.595 zivile Opfer (433 Tote und 1.162 Verletzte) im Osten und 1.270 zivile Opfer (382 Tote und 888 Verletzte) in den nordöstlichen Regionen. Im Norden des Landes wurden 1.362 zivile Opfer registriert (384 Tote und 978 Verletzte), sowie in den südöstlichen Regionen 903 zivile Opfer (340 Tote und 563 Verletzte). Im Westen wurden 836 zivile Opfer (344 Tote und 492 Verletzte) und 115 zivile Opfer (25 Tote und 90 Verletzte) im zentralen Hochgebirge registriert (UNAMA 6.2.2017).

Laut UNAMA waren 61% aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben (hauptsächlich Taliban), 24% regierungsfreundlichen Kräften (20% den afghanischen Sicherheitskräften, 2% bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppen und 2% internationalen militärischen Kräften); Bodenkämpfen zwischen regierungsfreundlichen Kräften und regierungsfeindlichen Kräften waren Ursache für 10% ziviler Opfer, während 5% der zivilen Opfer vorwiegend durch Unfälle mit Munitionsrückständen bedingt waren (UNAMA 6.2.2017).

3.1 Kabul (SS 43-45)

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden und (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten (Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.523.718 geschätzt (CSO 2016)

Distrikt Kabul

Gewalt gegen Einzelpersonen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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