TE Vwgh Beschluss 2017/11/9 Ra 2017/18/0272

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Veröffentlicht am 09.11.2017
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Index

E1P;
E3R E19104000;
19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

12010P/TXT Grundrechte Charta Art4;
32013R0604 Dublin-III Art18 Abs1 litb;
AsylG 2005 §5 Abs1;
AsylG 2005 §5 Abs3;
MRK Art3;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2017/18/0273

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revision

1. des H A, 2. der L O, beide vertreten durch Dr. Bernhard Schatz, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Hauptplatz 9-13, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juni 2017,

1) Zl. W243 2159696-1/2E und 2) Zl. W243 2159698-1/2E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die revisionswerbenden Parteien sind ein Ehepaar und nigerianische Staatsangehörige. Sie stellten am 8. April 2017 Anträge auf internationalen Schutz.

2 Mit Bescheiden vom 15. Mai 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anträge gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurück, sprach aus, dass Italien gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) für die Prüfung der Anträge zuständig sei, ordnete gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung der revisionswerbenden Parteien an und stellte fest, dass die Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 21. Juni 2017 als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

4 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das BVwG habe keine eigenen Länderfeststellungen getroffen, sondern sich lediglich den Länderfeststellungen des BFA, welchen Berichte aus den Jahren 2011, 2014, 2015 und 2016 zugrunde lägen, angeschlossen. Das BVwG habe es unterlassen, eine prognostische Beurteilung der Verhältnisse im Aufnahmestaat auf Grundlage aktueller Länderberichte und unter Berücksichtigung der individuellen Umstände der revisionswerbenden Parteien durchzuführen. Im Hinblick auf das Vorbringen der revisionswerbenden Parteien, wonach ihnen in Italien keine angemessene medizinische Versorgung gewährt worden sei, und im Hinblick auf die - durch die Schwangerschaft bedingte - Vulnerabilität der Zweitrevisionswerberin wäre das BVwG zu einer weiteren Überprüfung der Situation in Italien verpflichtet gewesen.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Die Revision erweist sich als unzulässig.

9 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei Entscheidungen nach § 5 AsylG 2005 auch Art. 3 EMRK zu berücksichtigen und bei einer drohenden Verletzung dieser Vorschrift das im Dublin-System vorgesehene Selbsteintrittsrecht auszuüben (vgl. etwa VwGH 23.2.2016, Ra 2015/20/0142).

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich zuletzt in seinem Erkenntnis vom 20. Juni 2017, Ra 2016/01/0153, ausführlich mit der Bestimmung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 und dem diesbezüglichen unionsrechtlichen Hintergrund - insbesondere dem sich in der "Sicherheitsvermutung" des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 wiederfindenden Prinzip des gegenseitigen Vertrauens zwischen den die Dublin III-Verordnung anwendenden Staaten - auseinandergesetzt. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird sohin insoweit auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen. Hervorzuheben ist im gegebenen Zusammenhang, dass demnach die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 nur durch eine schwerwiegende, etwa die hohe Schwelle des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC übersteigende allgemeine Änderung der Rechts- und Sachlage im zuständigen Mitgliedstaat widerlegt werden kann (Rn. 35 und 44 des zitierten Erkenntnisses vom 20.6.2017).

11 Dem Vorbringen der revisionswerbenden Parteien, ihnen sei bei ihrem Aufenthalt in Italien die notwendige medizinische Behandlung verweigert worden, ist zu entgegnen, dass im Sinne des - auch in der Revision angeführten - Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. September 2015, Ra 2015/18/0113- 0120, derartige Erlebnisse, so sie sich tatsächlich zugetragen haben, zwar eines von vielen Indizien für die Behandlung von Asylwerbern im Aufnahmestaat sein können, aber keinen (alleinigen) Rückschluss darauf zulassen, dass den revisionswerbenden Parteien bei einer Rücküberstellung nach Italien Gleiches widerfahren würde. Entscheidend ist vielmehr eine prognostische Beurteilung der Verhältnisse im Aufnahmestaat, die auf der Grundlage einer Gesamtbeurteilung der den Asylbehörden bzw. dem BVwG vorliegenden aktuellen Berichtslage unter Bedachtnahme auf die individuelle Lage der betroffenen asylwerbenden Parteien zu erfolgen hat.

12 Das BVwG führte in dem angefochtenen Erkenntnis die Feststellungen des BFA zur Situation in Italien - insbesondere auch hinsichtlich der medizinischen Versorgung - an und legte sie ausdrücklich seiner Entscheidung zugrunde. Auf Grundlage dieser Feststellungen kam das BVwG zu dem Schluss, dass in Italien der Zugang zur Gesundheitsversorgung gesichert sei und daher davon auszugehen sei, dass die revisionswerbenden Parteien eine notwendige Behandlung auch in Italien erhalten würden. Dabei berücksichtigte das BVwG auch die individuelle Situation der revisionswerbenden Parteien und führte aus, dass diese an keinen schwerwiegenden oder gar lebensbedrohlichen Krankheiten leiden würden, sie sich nicht in dauernder stationärer Behandlung befänden und auch nicht auf Dauer transportunfähig seien. In Bezug auf die Schwangerschaft der Zweitrevisionswerberin sei festzuhalten, dass keine Risikoschwangerschaft bestehe und auch keine sonstigen Komplikationen aufgetreten oder noch zu erwarten seien. Unter Voraussetzung der Wahrung einer Schutzfrist von acht Wochen vor bis acht Wochen nach der Entbindung bestünden daher keine Bedenken gegen eine Rücküberstellung nach Italien.

13 Im Einklang mit den im genannten Erkenntnis vom 8. September 2015 angeführten Vorgaben führte das BVwG somit - entgegen den Ausführungen in der Revision - eine prognostische Beurteilung der Verhältnisse in Italien durch und berücksichtigte dabei sowohl die vorliegende Berichtslage zu Italien als auch die individuelle Lage der revisionswerbenden Parteien.

14 Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen gelingt es der Revision nicht aufzuzeigen, dass die oben genannte (hohe) Schwelle überschritten wäre und die Vermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 als erschüttert angesehen werden könnte. Damit war das BVwG auch nicht verpflichtet, weitere Ermittlungen zur Situation in Italien zu tätigen.

15 Soweit die Revision schließlich rügt, dass die dem angefochtenen Erkenntnis vom 21. Juni 2017 zugrunde liegenden Länderfeststellungen auf Berichten aus den Jahren 2011 bis 2016 und nicht auf aktuelleren Berichten beruhten, zeigt sie nicht auf, inwiefern sich die aktuelle Situation hinsichtlich der medizinischen Versorgung von Asylwerbern in Italien im Vergleich zu den Feststellungen des BVwG konkret verschlechtert habe, womit schon die Relevanz eines allfälligen Verfahrensmangels nicht ausreichend dargetan wird (VwGH 6.7.2016, Ra 2015/01/0194, mwN).

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 9. November 2017

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017180272.L00

Im RIS seit

15.12.2017

Zuletzt aktualisiert am

15.12.2017
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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