TE Vwgh Beschluss 2017/11/15 Ra 2017/18/0173

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Veröffentlicht am 15.11.2017
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §33 Abs1;
VwGG §34 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2017/18/0175 Ra 2017/18/0174

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revisionen der revisionswerbenden Parteien 1. G M O, 2. S O, und

3. I O, alle in M, alle vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Mai 2017,

1) Zl. W220 2013816-2/4E (ad 1., prot. zur hg. Zl. Ra 2017/18/0173), 2) Zl. W220 2013817-2/4E (ad 2., prot. zur hg. Zl. Ra 2017/18/0174) und 3) Zl. W220 2013815-2/4E (ad 3., prot. zur hg. Zl. Ra 2017/18/0175), betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

I. Die Revisionen werden hinsichtlich der Frage der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zurückgewiesen.

II. Im Übrigen werden die Revisionen als gegenstandslos geworden erklärt und die Verfahren eingestellt.

Der Bund hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40, somit insgesamt EUR 3.319,20, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Erstrevisionswerber ist der Vater des minderjährigen Zweitrevisionswerbers und der Onkel des minderjährigen Drittrevisionswerbers. Sie sind alle afghanische Staatsangehörige und stellten am 4. Februar 2013 Anträge auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund brachten sie zusammengefasst vor, dass der Erstrevisionswerber seine Schwester - die Mutter des Drittrevisionswerbers - dabei unterstützt habe, sich gegen eine Zwangsheirat mit dem Bruder ihres verstorbenen Mannes zu wehren und er deshalb von diesem mit einer Waffe bedroht worden sei. Er sei mit seiner gesamten Familie aus Afghanistan geflüchtet, jedoch bis auf seinen Sohn und seinen Neffen an der iranischen Grenze von den übrigen Familienangehörigen getrennt worden.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies mit Bescheiden vom 17. Juli 2014 die Anträge der Revisionswerber gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab, erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung und stellte unter Setzung einer Frist für die freiwillige Rückkehr fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei.

3 Mit Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) jeweils vom 3. Juni 2015 wurden diese Bescheide behoben und gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das BFA zurückverwiesen. Begründend führte das BVwG aus, der entscheidungsrelevante Sachverhalt sei nicht ausreichend ermittelt worden, zumal die Bescheide unterschiedliche Aussagen zur Glaubhaftigkeit des Vorbringens enthielten und keine Länderfeststellungen zu den "vom (Erst-)Beschwerdeführer angesprochenen Problemen (z.B. Zwangsverheiratungen in Afghanistan, Schutzfähigkeit der afghanischen Sicherheitsbehörden etc.)" getroffen worden seien. Zudem sei auf das erstattete Vorbringen nicht näher eingegangen worden.

4 In einer erneuten Einvernahme des Erstrevisionswerbers vor dem BFA gab dieser an, seine Schwester sei mit ihren Kindern und mit dem Rest seiner Familie wieder nach Kabul zurückgekehrt und lebe dort im Haus des Bruders seiner Ehefrau. Aufgrund der anhaltenden Bedrohung durch ihren Schwager verbleibe seine Schwester im Haus oder verlasse dieses nur vollverschleiert. Auch ihre Kinder würden nicht zur Schule gehen, sondern würden zu Hause unterrichtet.

5 Mit Bescheiden vom 6. Februar 2017 wies das BFA die Anträge der Revisionswerber auf internationalen Schutz wiederum gemäß §§ 3 und 8 AsylG 2005 ab, erteilte den Revisionswerbern keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und gewährte eine 14- tägige Frist für die freiwillige Ausreise.

6 Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das BVwG die dagegen gerichteten Beschwerden der Revisionswerber erneut zur Gänze als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig. Hinsichtlich der Frage der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten führte das BVwG aus, die behauptete Gefährdung sämtlicher Familienmitglieder aufgrund der Verweigerung der Eheschließung durch die Schwester des Erstrevisionswerbers sei nicht glaubhaft. Insbesondere sei die vorgebrachte Bedrohung nicht plausibel, wenn gerade die von der Zwangsverheiratung unmittelbar betroffene Person nach Afghanistan zurückkehren und dort bereits über zwei Jahre unbehelligt leben könne. Das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung begründete das BVwG damit, dass der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit den Beschwerden als geklärt anzusehen sei. Den angefochtenen Bescheiden sei ein umfassendes Ermittlungsverfahren vorangegangen.

7 Gegen diese Erkenntnisse hatten die Revisionswerber (parallel) beim Verfassungsgerichtshof Beschwerden eingebracht. Darüber entschied der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 11. Oktober 2017, E 1803-1805/2017-17, dahin, dass die Revisionswerber durch die angefochtenen Erkenntnisse, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten, gegen die erlassenen Rückkehrentscheidungen und die Aussprüche der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wurden, in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden seien. Unter einem hob der Verfassungsgerichtshof die Erkenntnisse des BVwG insoweit wegen fehlender Auseinandersetzung mit den spezifischen Aspekten der Minderjährigkeit auf.

Ad I.:

8 Im Übrigen - somit hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten - lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerden ab.

Die somit auf diesen Punkt eingeschränkten außerordentlichen Revisionen an den Verwaltungsgerichtshof erweisen sich jedoch als nicht zulässig.

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 Zur Zulässigkeit der Revisionen wird - soweit für den verbleibenden Umfang relevant - vorgebracht, das BVwG habe einen wesentlichen Verfahrensfehler begangen, indem es ungeachtet des entsprechenden Antrags in den Beschwerden keine mündliche Verhandlung durchgeführt habe, um die Revisionswerber selbst persönlich zu befragen.

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017, 0018, dargelegt, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen, die Abstandnahme von der Durchführung einer (beantragten) Verhandlung ermöglichenden - und hier allein in Betracht zu ziehenden - Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint", folgende Kriterien beachtlich sind: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

14 Die Revisionen zeigen nicht auf, inwiefern das BVwG von diesen in der hg. Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen in den gegenständlichen Fällen abgewichen wäre.

15 Weder liegt hier ein Fall vor, in dem das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich ergänzt hat, noch haben die Revisionswerber selbst in ihren Beschwerden solche Behauptungen aufgestellt, die die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich gemacht hätten. Das BVwG durfte daher im vorliegenden Fall von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgehen; es war nach den oben dargestellten Kriterien nicht verpflichtet, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

16 In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher hinsichtlich der Frage der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zurückzuweisen.

Ad II.

17 Im Übrigen ist gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Revisionswerber klaglos gestellt wurde, nach seiner Anhörung die Revision in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.

18 Ein solcher Fall der formellen Klaglosstellung liegt (u.a.) dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung - wie hier - durch den Verfassungsgerichtshof aus dem Rechtsbestand beseitigt wurde (vgl. etwa VwGH 15.9.2016, Ra 2016/21/0004). Dem trat der Vertreter der Revisionswerber auf Anfrage des Verwaltungsgerichtshofes hin in seiner Stellungnahme vom 31. Oktober 2017 auch bei.

19 Die Revisionen waren daher in Anwendung der genannten Bestimmung des VwGG im übrigen Umfang als gegenstandslos geworden zu erklären und die Verfahren einzustellen.

20 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf dessen § 55, iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 15. November 2017

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017180173.L00

Im RIS seit

15.12.2017

Zuletzt aktualisiert am

15.12.2017
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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