Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Dezember 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Schuber als Schriftführer in der Strafsache gegen MMag. Dr. Karl P***** wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB, AZ 15 Hv 4/15p des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen eine Verfügung in diesem Verfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Jenichl, sowie des Verteidigers Dr. Dietrich zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Text
Gründe:
Mit ihrer an das Landesgericht für Strafsachen Wien als Schöffengericht gerichteten Anklageschrift vom 9. Juni 2015, AZ 601 St 33/10b (ON 137 im Akt AZ 15 Hv 4/15p des Landesgerichts für Strafsachen Wien), legt die Staatsanwaltschaft Wien – soweit hier wesentlich – MMag. Dr. Karl P***** und Ronald L***** jeweils als Verbrechen der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB idF BGBl I 2004/136, qualifiziertes Verhalten zur Last.
Nach Rechtswirksamkeit der Anklageschrift gegen die Genannten wurde in der Hauptverhandlung am 15. April 2016 die Ausscheidung des Verfahrens gegen MMag. Dr. Karl P***** (wegen Verhandlungsunfähigkeit des Genannten) verfügt (ON 197 S 4 f).
Ronald L***** wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 16. Juni 2016 (ON 225) des Verbrechens der Untreue nach den §§ 12 dritter Fall, 153 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB schuldig erkannt; dagegen erhob er fristgerecht Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung.
Am 8. September 2016 verfügte die Vorsitzende des Schöffensenats (gemäß den §§ 275, 197 Abs 2b StPO) die Abbrechung des Verfahrens gegen MMag. Dr. Karl P***** (ON 1 S 89).
Mit Urteil vom 6. April 2017, AZ 12 Os 164/16h, gab der Oberste Gerichtshof der Nichtigkeitsbeschwerde des Ronald L***** Folge, hob das angefochtene Urteil im Schuldspruch des Genannten (und demzufolge auch im Strafausspruch und im Abschöpfungserkenntnis) auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht (ON 276).
Nachdem am 22. März 2017 ein die wiedererlangte Verhandlungsfähigkeit des MMag. Dr. Karl P***** bestätigendes Sachverständigengutachten (ON 263) beim Landesgericht für Strafsachen Wien eingelangt war, wurde das diesen Angeklagten betreffende Verfahren (laut VJ am 10. April 2017, zeitgleich mit der Ausschreibung der Hauptverhandlung; ON 267) fortgesetzt.
Nach Rücklangen des Aktes AZ 15 Hv 4/15p vom Obersten Gerichtshof am 3. Mai 2017 verfügte die (im Verfahren gegen Ronald L***** im zweiten Rechtsgang gemäß § 43 Abs 2 letzter Fall StPO ausgeschlossene) Leiterin der Gerichtsabteilung 37 am 4. Mai 2017 dessen Übermittlung an die Einlaufstelle zur Neuzuteilung (vgl S 30 f der Geschäftsverteilung des Landesgerichts für Strafsachen Wien, Fassung vom 7. Februar 2017, B./I./15./) „hinsichtlich des Angeklagten Ronald L*****“ (ON 1 S 123). Dieses Verfahren ist aktuell in der Gerichtsabteilung 54 des Landesgerichts für Strafsachen Wien zu AZ 15 Hv 2/17x anhängig (ON 1 S 131).
Zwischenzeitig hatte das Oberlandesgericht Wien (laut VJ) mit Beschluss vom 12. April 2017, AZ 23 Bs 284/16g, hinsichtlich einer weiteren von der Staatsanwaltschaft Wien zu AZ 124 Hv 3/16v des Landesgerichts für Strafsachen Wien eingebrachten Anklageschrift gegen MMag. Dr. Karl P***** und andere Angeklagte wegen §§ 153 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall, 15, 12 dritter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen (AZ 12 St 7/16g) deren Rechtswirksamkeit (unter anderem) betreffend MMag. Dr. Karl P***** festgestellt. Dieser Akt war mit Verfügung vom 21. April 2017 „der Abt. 15“ des Landesgerichts für Strafsachen Wien „zu AZ 15 Hv 4/15p zur Einbeziehung gemäß § 37 Abs 3 StPO (älteres Verfahren zu P*****)“ übermittelt (ON 1 S 1371 im Akt AZ 124 Hv 3/16v bzw nun AZ 15 Hv 1/17z des Landesgerichts für Strafsachen Wien), am 24. April 2017 entsprechend einbezogen und unter einem die getrennte Führung unter Anlegung eines neuen Akts (AZ 15 Hv 1/17z) angeordnet (ON 1 S 122) worden.
Nach Ansicht der Generalprokuratur steht die Verfügung der Neuzuteilung des Akts AZ 15 Hv 4/15p des Landesgerichts für Strafsachen Wien nur hinsichtlich des Angeklagten Ronald L***** vom 4. Mai 2017 mit dem Gesetz nicht im Einklang. In ihrer
Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes führt die Generalprokuratur dazu Folgendes aus:
„Gemäß § 37 Abs 1 StPO ist in Fällen subjektiver, objektiver oder subjektiv-objektiver Konnexität sowie bei engem sachlichen Zusammenhang die Hauptverhandlung bei gleichzeitiger Anklage gemeinsam zu führen (Oshidari, WK-StPO § 37 Rz 1; RIS-Justiz RS0125115). Objektive Konnexität liegt bei Beteiligung mehrerer Personen an derselben strafbaren Handlung
– unabhängig von der Täterschaftsform (§ 12 StGB) – vor (Nordmeyer, WK-StPO § 26 Rz 3).
Gemeinsame Führung mehrerer zusammentreffender Strafverfahren ist die Regel (Oshidari, WK-StPO § 37 Rz 1; ErläutRV StPRefG 25 BlgNR 22. GP 57). Dem Gericht – und somit auch dem einzelnen Richter innerhalb eines Gerichts (vgl
11 Os 63/13v) – kommt insoweit kein Ermessensspielraum zu (Oshidari, WK-StPO § 37 Rz 2). Unterbleibt die gemeinsame Führung nach § 37 Abs 1 StPO wird – ebenso wie bei unterlassener Verfahrensverbindung entgegen § 37 Abs 3 StPO – das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B-VG) verletzt (13 Ns 31/14h; Oshidari, WK-StPO § 37 Rz 10; vgl auch Nimmervoll, Strafverfahren², Kap IV Rz 44). Allfälligen prozess- und gerichtsökonomischen Gesichtspunkten könnte nur auf gesetzliche Weise durch den Personalsenat (Art 87 Abs 3 B-VG) Rechnung getragen werden (vgl zum Ganzen RIS-Justiz RS0128876, insbesondere 11 Os 63/13v).
§ 37 Abs 3 StPO zufolge sind im Fall mehrerer, getrennt voneinander erhobener Anklagen die Hauptverfahren auch dann zu verbinden, wenn zu dem Zeitpunkt, zu dem die Anklage rechtswirksam wird, ein Hauptverfahren gegen denselben Angeklagten oder an derselben strafbaren Handlung beteiligte Personen (§ 12 StGB) anhängig, dh noch nicht (in erster Instanz) abgeschlossen ist (Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 5.125; Nimmervoll, Strafverfahren², Kap IV Rz 37). Die Verfahrensbindung tritt ex lege ein (12 Ns 67/08m) und ist zwingend (Nimmervoll, Strafverfahren², Kap IV Rz 37; RIS-Justiz RS0128876).
Die Zuständigkeit des Gerichts (für zu verbindende Verfahren) bestimmt sich grundsätzlich nach § 37 Abs 1 und Abs 2 StPO. Abweichend von der die Zuständigkeit an die frühere Straftat anknüpfenden Bestimmung des § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO kommt gemäß § 37 Abs 3 zweiter Halbsatz StPO jenem Gericht (bzw jener Gerichtsabteilung) das verbundene Verfahren zu, bei dem die Anklage zuerst rechtswirksam geworden ist (Nimmervoll, Strafverfahren², Kap IV Rz 38; vgl auch ErläutRV 1300 BlgNR 25. GP 4). § 37 Abs 3 StPO idF BGBl I 2016/121 ist laut § 514 Abs 35 StPO auf Verfahren anzuwenden, in denen nach dem Inkrafttreten (am 1. Jänner 2017) eine Anklage rechtswirksam wird, die eine Verfahrensverbindung nach dieser Bestimmung erfordert.
Selbst ein konkretes (temporäres) Verfolgungshindernis in einem Verfahren steht der Verbindung nicht entgegen, stellt doch § 37 Abs 3 StPO lediglich auf die Rechtswirksamkeit der Anklagen ab (15 Ns 66/17z).
Ausscheidungen von iSd § 37 Abs 1 StPO zusammenhängenden Verfahrensteilen haben gemäß § 36 Abs 4 StPO – von den Ausnahmen der Ausscheidung einer allgemein strafbaren Handlung durch ein Gericht mit Sonderzuständigkeit oder Ausscheidung einer vor das Bezirksgericht gehörenden Straftat durch ein Landesgericht abgesehen – selbst dann keine Auswirkungen auf die örtliche Zuständigkeit, wenn sich für das ausgeschiedene Verfahren bei isolierter Betrachtung ein anderer örtlicher Anknüpfungspunkt ergäbe (Oshidari, WK-StPO § 36 Rz 9; ebenso 12 Ns 77/14s, 12 Ns 85/14t).
Wenn hinsichtlich einzelner Angeklagter oder hinsichtlich einzelner Taten ein Hauptverfahren getrennt, aber nicht sofort durch Abtretung an ein anderes Gericht, Einstellung oder Abbrechung erledigt wird, ist das getrennte Verfahren in der bisher damit befassten Geschäftsabteilung des Gerichts zu Ende zu führen, es sei denn, dass es nach einer Verfahrensart durchzuführen ist, die nicht zum Wirkungskreis dieser Geschäftsabteilung gehört (§ 498 Abs 1 erster Satz Geo). In der Regel ist das ausgeschiedene Verfahren im selben Akt fortzuführen und abzuschließen. Ein neuer Akt ist nur dann anzulegen, wenn mehrere Strafverfahren gleichzeitig durchzuführen sind und daher an mehr als einer Stelle ein Akt benötigt wird (§ 498 Abs 2 Geo iVm § 8a Abs 9 DV-StAG). Nur in diesem Fall ist in der VJ ein neuer Akt einzutragen (§ 485 Abs 1 Z 6 Geo; Nimmervoll, Strafverfahren², Kap IV Rz 50).
Die Bedingungen für eine Ausscheidung regelt § 36 Abs 4 StPO nicht; insoweit ist § 27 StPO analog heranzuziehen (Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 5.130). Folglich können insbesondere eine Vermeidung von Verzögerungen und eine Verkürzung der Haft eine Verfahrenstrennung rechtfertigen (Nimmervoll, Strafverfahren², Kap IV Rz 53).
Gegenständlich liegt dem Verfahren AZ 15 Hv 4/15p des Landesgerichts für Strafsachen Wien eine gleichzeitige Anklage mehrerer beteiligter Personen (§ 12 StGB) im Sinn des § 37 Abs 1 erster Satz StPO zugrunde. Die Ausscheidung des Verfahrens gegen MMag. Dr. Karl P***** am 15. April 2016 ändert an der Zuständigkeit des Landesgerichts für Strafsachen Wien und der (nach der Geschäftsverteilung ursprünglich zuständigen) Leiterin der Gerichtsabteilung 37 nichts. Die Anlegung und Eintragung eines neuen Aktes war im Zeitraum der Verhandlungsunfähigkeit des MMag. Dr. Karl P***** nicht erforderlich.
Infolge Aufhebung des Urteils gegen Ronald L***** mit Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 6. April 2017, AZ 12 Os 164/16h, ist die Leiterin der Gerichtsabteilung 37 von der Hauptverhandlung im zweiten Rechtsgang ausgeschlossen (§ 43 Abs 2 letzter Fall StPO), und zwar bereits mit Wirksamkeit der die Verfahrenserneuerung anordnenden Rechtsmittelentscheidung (vgl RIS-Justiz RS0097329).
Mit Kassation des Urteils gegen Ronald L***** und Verweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht befindet sich auch das gegen ihn geführte Verfahren wieder im Stadium des Hauptverfahrens, dem 'die ursprüngliche Anklage zugrunde zu legen' ist (§ 293 Abs 1 StPO). Die Sache ist insoweit 'in den status quo ante zurückversetzt, dh in denjenigen Stand, in welchem sie bei Beginn der ursprünglichen Hauptverhandlung sich befunden hatte' (Ratz, WK-StPO § 293 Rz 2 mwN). Fallbezogen ist daher über die gleichzeitige Anklage gegen L***** und MMag. Dr. P***** – dessen Verhandlungsfähigkeit im Übrigen mit neurologisch-psychiatrischem Sachverständigengutachten vom 22. März 2017 attestiert wurde (ON 263) – wegen Beteiligung an derselben strafbaren Handlung (§ 12 StGB) zu entscheiden. Somit liegen – wieder – die Voraussetzungen des § 37 Abs 1 StPO vor. Da diese Bestimmung keinen Hinweis dafür enthält, dass die Zuständigkeit des Zusammenhangs bloß vorübergehende – auf das (erstinstanzliche) Verfahren im ersten Rechtsgang beschränkte – Wirkung entfaltet, ist die gemeinsame Führung des Hauptverfahrens vom selben Gericht (bzw von derselben Gerichtsabteilung; vgl 11 Os 63/13v) auch in einem allfälligen weiteren Rechtsgang zwingend.
Für die Annahme, dass die bereits begründete Zuständigkeit des Zusammenhangs (hier nach § 37 Abs 1 StPO) durch eine – etwa aus prozessökonomischen Gründen erfolgte – Ausscheidung des Verfahrens gegen einen Mitangeklagten gemäß § 36 Abs 4 StPO nachträglich verändert wird, besteht keine gesetzliche Grundlage (vgl Oshidari, WK-StPO § 36 Rz 9; ebenso 12 Ns 77/14s; 12 Ns 85/14t), sodass auch die im Anlassfall (am 15. April 2016) verfügte Verfahrenstrennung (ON 197 S 9) die an die objektive Konnexität der Vorwürfe gegen L***** und MMag. Dr. P***** sowie an deren gleichzeitige (gemeinsame) Anklageerhebung geknüpften Folgen des § 37 Abs 1 StPO nicht dauerhaft zu beseitigen vermag.
Die Verfügung der Neuzuteilung des Akts lediglich hinsichtlich Ronald L***** verletzt somit § 37 Abs 1 erster Satz StPO sowie das Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art 83 Abs 2 B-VG (vgl Holzinger in Korinek/Holoubek, B-VG Art 83/2 Rz 67).
Die gemeinsame Führung der Verfahren AZ 15 Hv 4/15p und AZ 15 Hv 2/17x hat gemäß § 37 Abs 3 StPO die Zuständigkeit des nach der Geschäftsverteilung zu bestimmenden Vertretungsrichters auch für das – betreffend MMag. Dr. Karl P***** subjektiv konnexe – Verfahren AZ 124 Hv 3/16v (nun AZ 15 Hv 1/17z) des Landesgerichts für Strafsachen Wien zur Folge, in dem nunmehr ebenfalls eine rechtswirksame Anklageschrift gegen MMag. Dr. P***** und andere Angeklagte wegen §§ 153 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall, 15, 12 dritter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen vorliegt.
Da die prozessleitende Verfügung (vgl RIS-Justiz RS0130527) der Übermittlung der (nach § 37 Abs 3 StPO verbundenen) Verfahren AZ 15 Hv 4/15p und AZ 15 Hv 1/17z an den zuständigen Vertretungsrichter zur gemeinsamen Führung mit dem Verfahren AZ 15 Hv 2/17x gemäß § 37 Abs 1 erster Satz StPO jederzeit nachgeholt werden kann, bedarf die Feststellung der aufgezeigten Gesetzesverletzung keiner weiteren konkreten Maßnahme iSd § 292 letzter Satz StPO (Ratz, WK-StPO, § 292 Rz 27 letzter Satz; vgl auch SSt 61/18).“
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
Wie die Generalprokuratur zutreffend ausführt, ist gemäß § 37 Abs 1 StPO in Fällen subjektiver, objektiver oder subjektiv-objektiver Konnexität sowie bei engem sachlichen Zusammenhang die Hauptverhandlung bei gleichzeitiger Anklage gemeinsam zu führen.
Dem Verfahren AZ 15 Hv 4/15p des Landesgerichts für Strafsachen Wien liegt eine gleichzeitige Anklage mehrerer beteiligter Personen (§ 12 StGB) im Sinn des § 37 Abs 1 erster Satz StPO zugrunde. Die Ausscheidung des Verfahrens gegen MMag. Dr. Karl P***** am 15. April 2016 wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten analog § 27 StPO (Oshidari, WK-StPO § 37 Rz 12 mwN) führte jedoch zu zwei getrennten Verfahren. Über die Frage der Ausscheidung entscheidet das Gericht (abgesehen von hier nicht relevanten Fällen unzulässiger Ausscheidung) im Rahmen seines pflichtgebundenen Ermessens, das sich an den Kriterien des § 27 StPO (insbesondere Vermeidung von Verzögerungen und Verkürzung der Haft) auszurichten hat (Oshidari, WK-StPO § 37 Rz 12).
Ob nach erfolgter Ausscheidung bei Wegfall des Ausscheidungsgrundes die Verfahren wieder zu verbinden sind, hat das Gericht wiederum in Ausübung pflichtgebundenen Ermessens zu entscheiden. Entgegen der Ansicht der Generalprokuratur lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen, dass einmal gesetzeskonform getrennte Verfahren nach Wegfall des Trennungsgrundes ungeachtet sonstiger Umstände (wie etwa eine Zusammenführung mit einem anderen konnexen Verfahren und anschließende Ausscheidung dieses Komplexes aus Gründen der Prozessökonomie) jedenfalls wieder zu vereinigen wären. Ein derartiger Grundsatz zwingender Vereinigung würde insbesondere dem Umstand nicht gerecht, dass die getrennten Verfahren (in der Regel) einen unterschiedlichen Verfahrensfortschritt erfuhren.
Im Zeitpunkt der Übersendung des Aktes AZ 15 Hv 4/15p an die Einlaufstelle zur Neuzuteilung hinsichtlich Ronald L***** lag – entgegen der Ansicht der Generalprokuratur – die von § 37 Abs 1 StPO geregelte Situation mit der Folge zwingender gemeinsamer Verfahrensführung demnach nicht vor.
Wie bereits ausgeführt, ist die Frage der neuerlichen Verbindung von (analog § 27 StPO) getrennten Verfahren eine Ermessensentscheidung. Dass das Gericht bei der von der Nichtigkeitsbeschwerde bekämpften Verfügung willkürlich, also unter Missbrauch des Ermessens gehandelt hätte, zeigt die Generalprokuratur nicht auf (vgl RIS-Justiz RS0096557 [insb T17]). Im Übrigen langte der Akt AZ 15 Hv 4/15p mit der erwähnten kassatorischen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs betreffend Ronald L***** erst am 3. Mai 2017 beim Landesgericht ein, während die Fortsetzung des Verfahrens mit Ausschreibung der Hauptverhandlung gegen MMag. Dr. Karl P***** bereits am 10. April 2017 erfolgt und das Verfahren AZ 124 Hv 3/16v des Landesgerichts für Strafsachen Wien am 24. April 2017 in das erstgenannte Verfahren – gemäß der zwingenden Bestimmung des § 37 Abs 3 StPO – einbezogen und unter einem auf der Basis der Ermessensbestimmung über die Verfahrensausscheidung mit Blick auf das völlig andere, überaus komplexe Sachverhalte betreffende und umfangreiche eigenständige Beweisaufnahmen erfordernde Verfahren AZ 15 Hv 1/17z (zuvor AZ 124 Hv 3/16v) des Landesgerichts für Strafsachen Wien aus Gründen der Verfahrensökonomie wieder getrennt worden war (RIS-Justiz RS0128876; Oshidari, WK-StPO § 37 Rz 10). Entsprechend § 498 Abs 1 Geo blieb somit die bisher befasste Gerichtsabteilung 37 für das nunmehr zu AZ 15 Hv 1/17z (zuvor zu AZ 124 Hv 3/16v) des Landesgerichts für Strafsachen Wien geführte Verfahren zuständig.
Zu dem von der Generalprokuratur vertretenen Standpunkt, die „gemeinsame Führung der Verfahren AZ 15 Hv 4/15p und AZ 15 Hv 2/17x hat gemäß § 37 Abs 3 StPO die Zuständigkeit des nach der Geschäftsverteilung zu bestimmenden Vertretungsrichters auch für das – betreffend MMag. Dr. Karl P***** subjektiv konnexe – Verfahren AZ 124 Hv 3/16v (nun AZ 15 Hv 1/17z) des Landesgerichts für Strafsachen Wien zur Folge“, bleibt anzumerken, dass schon vor der mit dem vorliegenden Rechtsbehelf bekämpften Verfügung vom 4. Mai 2017 die Zuständigkeit der Gerichtsabteilung 37 für das Verfahren AZ 15 Hv 1/17z gemäß § 37 Abs 3 StPO begründet worden war. Eine nachträgliche zwingende Verfahrensverbindung und damit Änderung der Zuständigkeit lässt sich nach dem bisher Gesagten aus dem Gesetz nicht ableiten.
Textnummer
E120086European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2017:0120OS00145.17S.1211.000Im RIS seit
15.12.2017Zuletzt aktualisiert am
02.02.2021