Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Gabriele Griehsel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. B*****, vertreten durch Mag. Ralf Mössler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, 1080 Wien, Josefstädter Straße 80, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Wochengeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Juni 2017, GZ 10 Rs 115/16d-18, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 29. März 2016, GZ 16 Cgs 139/15w-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,77 EUR (davon 69,79 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist seit 5. 9. 2011 beim Stadtschulrat Wien beschäftigt und Lehrerin an einer Handelsakademie und Handelsschule. Im Schuljahr 2014/2015 unterrichtete sie mit voller Lehrverpflichtung. Bis Ende April 2015 erbrachte sie regelmäßig über das Maß einer vollen Lehrverpflichtung hinausgehende Mehrdienstleistungen. Unter Berücksichtigung der Mehrdienstleistung verdiente sie (ohne Einrechnung der gebührenden Sonderzahlungen) netto im Februar 2015 2.044,92 EUR, im März 2015 2.193,63 EUR und im April 2015 2.105,52 EUR.
Sie wurde schwanger, der errechnete Geburtstermin war der 23. 9. 2015. Aufgrund der Schwangerschaft reduzierte der Dienstgeber zur Erfüllung der Vorgaben des § 8 MSchG die Mehrdienstleistung der Klägerin, wodurch sich deren Einkommen für den Zeitraum 1. 4. 2015 bis 30. 6. 2015 gegenüber dem Entgelt, dass sie ohne diese Reduktion ihrer Arbeitszeit bezogen hätte, verringerte und bei 5.787,07 EUR netto lag.
Mit Bescheid vom 31. 7. 2015 erkannte die beklagte Partei der Klägerin ein Wochengeld von täglich 74,41 EUR ab 29. 7. 2015 zu (= der um 17 % erhöhte und durch 91 Tage dividierte Nettoverdienst der Klägerin in den Monaten April bis Juni 2015).
Mit der dagegen erhobenen Klage begehrt die Klägerin ein höheres Wochengeld im gesetzlichen Ausmaß.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der bekämpfte Bescheid stehe im Einklang mit § 162 Abs 3 ASVG iVm § 84 Abs 1 B-KUVG.
Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei zur Zahlung eines täglichen Wochengeldes von 82,12 EUR ab 29. 7. 2015 für den Bezugszeitraum gemäß § 162 Abs 1 ASVG.
Rechtlich würdigte es den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt dahin, das Beschäftigungsverbot nach § 8 MSchG führe gemäß § 162 Abs 3 ASVG iVm § 84 Abs 1 B-KUVG dazu, dass die Monate Mai und Juni 2015, in denen die Klägerin infolge des mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots nicht mehr das volle Entgelt bezogen habe, bei der Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes außer Betracht blieben. Da mit April 2015 auch ein in den für die Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes maßgebenden Zeitraum fallender Kalendermonat ohne verringerten Bezug vorliege, führe die Ausblendung der Monate Mai und Juni 2015 nicht dazu, dass zur Berechnung des Wochengeldes an deren Stelle die Monate Februar und März 2015 heranzuziehen seien, sondern es sei vom Arbeitsverdienst der Klägerin im April 2015 samt dem entsprechend § 162 Abs 4 ASVG zu bildenden Zuschlag zur Berücksichtigung der Sonderzahlungen auszugehen und lediglich der Divisor (= Anzahl der Kalendertage innerhalb des Beobachtungszeitraums) auf die 30 Kalendertage des April zu reduzieren. Der Zuschlag für Sonderzahlungen betrage nach § 28 der Satzung der beklagten Partei 17 %. Daraus errechne sich das der Klägerin gebührende tägliche Wochengeld mit 82,12 EUR.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht statt.
Nach dem gemäß § 84 Abs 1 B-KUVG anzuwendenden § 162 Abs 3 Satz 1 ASVG gebühre das Wochengeld in der Höhe des auf den Kalendertag entfallenden Teils des durchschnittlichen in den letzten 13 Wochen (bei Versicherten, deren Arbeitsverdienst nach Kalendermonaten bemessen oder abgerechnet wird, in den letzten drei Kalendermonaten) [Beobachtungszeitraum] vor dem Eintritt des Versicherungsfalls der Mutterschaft gebührenden Arbeitsverdienstes, vermindert um die gesetzlichen Abzüge; die auf diesen Zeitraum entfallenden Sonderzahlungen seien nach Maßgabe des § 162 Abs 4 ASVG zu berücksichtigen.
Von dieser Berechnung sehe das Gesetz unter anderem in § 162 Abs 3 lit b ASVG eine Ausnahme vor. Nach dieser Bestimmung seien „Zeiten während derer die Versicherte infolge Krankheit, eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots oder Kurzarbeit nicht das volle Entgelt bezogen hat“, bei der Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes außer Betracht zu lassen.
Die Klägerin habe ausschließlich wegen der Bestimmung des § 8 MSchG nicht mehr das Entgelt wie zuvor, voll bezogen. Das Mutterschutzgesetz regle in seinem Abschnitt 3 unter der Überschrift „Beschäftigungsverbote“ nicht nur gänzliche Beschäftigungsverbote (§§ 3 und 5 MSchG), sondern auch Verbote spezieller Arbeiten (§ 4a MSchG: Beschäftigungsverbote für stillende Mütter), das Verbot der Nachtarbeit (§ 6 MSchG), das Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit (§ 7 MSchG) und das Verbot der Leistung von Überstunden für werdende und stillende Mütter in § 8 MSchG. Die genannte Norm stelle daher einen Unterfall der in diesem Abschnitt geregelten mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote dar.
Von der Weiterzahlungspflicht des § 14 MSchG sei das Entgelt für die Leistung von Überstunden nicht erfasst, weil die taxative Aufzählung des § 14 MSchG keinen Hinweis auf § 8 MSchG enthalte. Auch bei Weiterbeschäftigung der schwangeren Dienstnehmerin könnten daher die Verdiensteinbußen, welche dadurch eintreten, dass sie keine Überstunden mehr leisten dürfe, selbst wenn zulässigerweise eine Überstundenpauschale vereinbart gewesen sei, nicht abgegolten werden. Über die Normalarbeitszeit hinausgehende Mehrleistungen sollen also während der Schwangerschaft und Stillzeit nicht fortgezahlt werden, wenn sie tatsächlich nicht mehr erbracht werden (9 ObA 30/15z mwN).
Die Klägerin habe daher tatsächlich einen Entgeltausfall aufgrund § 8 iVm § 14 MSchG erlitten und nicht das volle Entgelt bezogen.
§ 162 Abs 3 lit b ASVG gehe davon aus, dass während der angeführten Zeiten nicht das volle Entgelt bezogen werde. Daher schließe der Bezug von Entgelt die Anwendung dieser Bestimmung nicht grundsätzlich aus, soweit dieses nur nicht voll bezogen werde. Damit lasse sich die Voraussetzung eines gänzlichen Beschäftigungsverbots entgegen der Ansicht der Beklagten aus dem Gesetzestext nicht ableiten. Im Gesetzestext habe die von der Beklagten unter Berufung auf die Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1234 BlgNR 20. GP 32 f), gewünschte Einschränkung auf Zeiten eines Beschäftigungsverbots, in denen bereits Wochengeld bezogen worden sei, keinen Niederschlag gefunden. Die Regelung hinsichtlich der Kurzarbeit sei durch die 55. ASVG-Novelle nicht geändert worden. Es sei daher nicht davon auszugehen, dass die Neuregelung nur auf Zeiten des Wochengeldbezugs beschränkt sein sollte. Die Materialien erwähnten den Fall einer bloßen Entgeltreduktion in Folge eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots nicht. Somit könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber diesen Fall von der Privilegierung der Versicherten habe ausnehmen wollen.
Für eine teleologische Reduktion des eindeutigen Gesetzeswortlauts bestehe kein Anlass. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Einbeziehung von Beschäftigungsverboten wie nach § 8 MSchG in die Regelung des § 162 Abs 3 lit b ASVG sachlich ungerechtfertigt und willkürlich wäre oder offenbare Wertungswidersprüche in der Rechtsordnung zur Folge hätte.
Das Berufungsgericht sprach aus, die Revision sei zulässig, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung der in § 162 Abs 3 lit b ASVG iVm § 8 MSchG geregelten Ausnahme nicht vorliege.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Klägerin beantwortete Revision der beklagten Partei ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof erachtet die Begründung des Urteils des Berufungsgerichts für zutreffend, sodass es ausreicht, auf deren Richtigkeit hinzuweisen (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Auslegung des § 162 Abs 3 lit b ASVG durch das Berufungsgericht hat den Gesetzeswortlaut und den Zweck des Wochengeldes für sich.
Der Revision ist noch zu erwidern:
1. Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin spricht § 8a VertragsbedienstetenG 1948 (VBG) nicht für den von ihr schon im Bescheid vertretenen Rechtsstandpunkt.
1.1. Das Wochengeld dient dem Einkommensersatz und bietet grundsätzlich vollen Lohnersatz; das der Berechnung zugrunde liegende Durchschnittsprinzip kann aber trotz Wochengeldanspruchs zu einem Verdienstausfall der Versicherten führen (10 ObS 287/02g, SSV-NF 16/116; 10 ObS 107/10y, SSV-NF 24/62; 10 ObS 77/11p, SSV-NF 25/79; RIS-Justiz RS0117195; Drs in SV-Komm § 162 ASVG Rz 2 mwN).
1.2. Unter dem gesetzlich nicht definierten Begriff „gebührender Arbeitsverdienst“ im Sinn des § 162 Abs 3 ASVG ist nach der Rechtsprechung jeder Geld- und Sachbezug zu verstehen, der einer voll- oder teilversicherten Arbeitnehmerin als Arbeitsverdienst im Beobachtungszeitraum – unabhängig von der beitrags- oder einkommenssteuerrechtlichen Qualifikation – zustand (RIS-Justiz RS0084112).
1.3. Nach § 8a Abs 1 VBG gebühren der Vertragsbediensteten das Monatsentgelt und allfällige Zulagen, die dort aufgezählt sind. Satz 2 des § 8a Abs 1 VBG legt fest, dass soweit im VertragsbedienstetenG Ansprüche nach dem Monatsentgelt zu bemessen sind, die Dienstzulage, die Funktionszulage, die Exekutivzulage, die Erziehungszulage, die Pflegedienstzulage, die Pflegedienst-Chargenzulage, die Heeresdienstzulage und die Ergänzungszulagen dem Monatsentgelt zuzuzählen sind. Der Begriff des Entgelts im Sinn des VertragsbedienstetenG ist demnach – anders als im sonstigen Arbeitsrecht – kein Oberbegriff, der die gesamte Entlohnung umfasst, sondern nur den Hauptbezug (8 ObA 188/02h; vgl RIS-Justiz RS0081487, RS0037882). Diese Unterscheidung wird durch § 45 VBG, der in Verbindung mit § 61 GehaltsG die Vergütung von Mehrdienstleistungen regelt, auch für den Bereich der Vertragslehrer aufrechterhalten. Daraus folgt nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs für die Berechnung der Abfertigung einer Vertragslehrerin (§ 49 Abs 3 VBG), dass jedenfalls das Ergebnis der Berechnung des Durchschnitts der letzten 24 Kalendermonate nicht das Monatsentgelt im Sinn des § 8a VBG überschreiten darf, weil es insoweit als Mehrdienstleistung anzusehen ist und nicht mehr unter den Begriff des Monatsentgelts fällt (8 ObA 188/02h).
1.4. Daraus ist für den Standpunkt der beklagten Partei nichts zu gewinnen. Abgesehen davon, dass § 8a VBG eine Regelung nur für den Bereich des VertragsbedienstetenG trifft, widerspricht die Ansicht der Revisionswerberin dem Begriff des „Arbeitsverdienstes“ in § 162 Abs 3 ASVG. Gründe, weshalb der Ausdruck „Entgelt“ in § 162 Abs 3 lit b ASVG etwas anderes als Arbeitsverdienst bedeuten soll, führt die Revision nicht an und sind nicht ersichtlich. Dem der Klage zugrundeliegende Bescheid der beklagten Partei ist denn auch die implizit (zutreffende) Auffassung zu entnehmen, dass die für den Monat April 2015 gezahlte Vergütung der Mehrdienstleistung zum Arbeitsverdienst der Klägerin im Beobachtungszeitraum zählt.
2.1. Von der Entgeltfortzahlungsverpflichtung des Dienstgebers nach Maßgabe des § 14 Abs 1 MSchG (ua bei Anwendung der besonderen Beschäftigungsverbote bzw -beschränkungen für werdende, stillende und junge Mütter) ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs weder ein Überstundenentgelt noch ein zulässigerweise vereinbartes Überstundenpauschale erfasst, weil zu den in dieser Norm taxativ genannten Anwendungsfällen das Verbot von Überstundenarbeit (§ 8 MSchG) nicht zählt. Auch bei Weiterbeschäftigung der schwangeren Dienstnehmerin könnten daher Verdiensteinbußen, die dadurch eintreten, dass die Schwangere keine Überstunden mehr leisten darf, vom Dienstgeber nicht abgegolten werden (8 ObA 233/95; 8 ObA 124/03y; 9 ObA 30/15z; RIS-Justiz RS0070949).
2.2. Der aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber als Folge des Verbots von Überstundenarbeit den Entfall von Überstundenentgelten in Kauf nimmt, von der Revisionswerberin für die Auslegung des § 162 Abs 3 lit b ASVG gezogene Schluss überzeugt nicht. Dem Gesetzgeber bleibt es unbenommen, anders als für die Verpflichtung der Entgeltfortzahlung des Dienstgebers nach § 14 MSchG, wenn die Dienstnehmerin keine Mehrleistungen erbringt, für die Berechnung einer Versicherungsleistung mit Einkommensersatzfunktion nach dem Durchschnittsprinzip eine dem Leistungszweck entsprechende Berechnungsgrundlage zu normieren, die durch die mutterschaftsrechtliche Beschäftigungseinschränkung nach § 8 MSchG bedingte Kürzungen des Arbeitsverdienstes im Beobachtungszeitraum nicht zu Lasten der Versicherten berücksichtigt.
3. Zutreffend sind die Ausführungen des Berufungsgerichts, dass die Gesetzesmaterialien der 55. ASVG-Novelle (ErläutRV 1234 BlgNR 20. GP 34) keinen eindeutigen Hinweis dafür bieten, dass der Gesetzgeber die Ergänzung des Wortlauts des § 162 Abs 3 lit b ASVG um die Wortfolge „eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbotes“ ausschließlich auf Zeiten, in denen bereits Wochengeld bezogen wurde, beziehen wollte oder diese als erforderlich erachtete Einbeziehung nur als Anlass dafür nahm, alle Zeiten eines nicht vollen Entgeltbezugs infolge eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots bzw einer entsprechenden Beschränkung einzubeziehen. Im Übrigen kann eine Rechtsansicht, die ausschließlich in den Gesetzesmaterialien steht, auch nicht im Weg der Gesetzesauslegung Geltung erlangen, haben doch die Materialien keine Gesetzeskraft und interpretieren sie das Gesetz nicht authentisch (10 ObS 73/17h; RIS-Justiz RS0008799).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a und Abs 2 ASGG.
Textnummer
E120073European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00115.17K.1114.000Im RIS seit
14.12.2017Zuletzt aktualisiert am
08.08.2019