TE Bvwg Erkenntnis 2017/11/14 W138 2131010-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.11.2017
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Entscheidungsdatum

14.11.2017

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W138 2131010-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Klaus HOCHSTEINER über die Beschwerde von XXXX, geb. am XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch Dr. Heinz-Dieter FLESCH, Bahnhofstraße 9, 8570 Voitsberg, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.07.2016, Zl. 1052537701/150214364/BMI-BFA_STM_AST_01, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.10.2017 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, und §§ 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und der muslimischen Glaubensgemeinschaft zugehörig, reiste zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Februar 2015 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 26.02.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der am 27.02.2015 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung gab der Beschwerdeführer an aus dem näher bezeichneten Stadtteil in Kabul zu stammen, wo er bis zu seiner Ausreise gemeinsam mit seinen Eltern, seinen drei Geschwistern gelebt und gearbeitet habe. Zu seinen Fluchtgründen befragt führte der Beschwerdeführer aus, dass sein Bruder ein Mädchen geliebt habe, dessen Familie jedoch nicht mit der Beziehung einverstanden gewesen sei und wollte, dass sie einen anderen heirate. Das Mädchen habe schließlich Selbstmord begangen. Die Familie des Mädchens wolle deshalb Rache nehmen und habe, da der Bruder des Beschwerdeführers, nach dem Vorfall nur noch selten nach Hause gekommen sei, ihn verfolgt und bedroht, ihn mehrfach geschlagen und versucht ihn zu entführen. Im Falle seiner Rückkehr fürchte der Beschwerdeführer getötet zu werden. Andere Fluchtgründe wurden nicht vorgebracht.

3. Auf Grund von Zweifeln hinsichtlich des vom Beschwerdeführer angegebenen (minderjährigen) Alters, gab das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) ein medizinisches Gutachten zur sachverständigen Volljährigkeitsbeurteilung in Auftrag.

4. Die nach Zuweisung des BFA schriftlich erstattete gutachterliche Stellungnahme der Medizinischen Universität Wien, Zentrum für Anatomie und Zellbiologie vom 28.04.2015 ergab, dass beim Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Antragsstellung auf internationalen Schutz von einem Mindestalter von 19,5 Jahren auszugehen sei. Als Geburtsdatum wurde fiktiv der 28.08.1995 festgelegt.

5. Mit Verfahrensanordnung vom 05.05.2015 wurde die Volljährigkeit des Beschwerdeführers festgestellt und sein Geburtsdatum gemäß dem Sachverständigengutachten (fiktiv) auf den 28.08.1995 festgesetzt. Dem Beschwerdeführer wurde im Rahmen des Parteiengehörs eine Frist von einer Woche zur schriftlichen Stellungnahme zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens eingeräumt, die er fruchtlos verstreichen ließ.

6. Am 11.05.2016 fand die niederschriftliche Ersteinvernahme des Beschwerdeführers im Asylverfahren durch das BFA, im Beisein eines Dolmetschers für die Sprach Dari, nach ausdrücklichem Einverständnis des Beschwerdeführers, statt. Der Beschwerdeführer gab gemäß dem bisher Gesagten an, dass er in Kabul geboren und aufgewachsen sei und dort bis zu seiner Flucht mit seiner Familie in dem näher bezeichneten Stadtteil gelebt habe. Er habe 10 Jahre lang die Grundschule besucht und zudem als Elektriker in der Australischen Botschaft gearbeitet. Sein Vater sei in dem näher bezeichneten Krankenhaus tätig gewesen und seine Mutter habe im Gesundheitsministerium gearbeitet. Mittlerweile hätten die Eltern und die Schwestern des Beschwerdeführers Afghanistan verlassen und würden in Indien leben. Der Bruder des Beschwerdeführers sei flüchtig.

Zu seinen Fluchtgründen befragt führte der Beschwerdeführer - übereinstimmend mit seinen bisherigen Angaben - aus, dass sein Bruder sich in ein Mädchen verliebt und beabsichtigt habe, sie zu heiraten. Die Familie des Mädchens habe sich jedoch gegen diese Verbindung ausgesprochen und wollte, dass sie einen anderen Mann heirate, woraufhin sich das Mädchen schließlich umgebracht habe. Etwa einen Monat vor seiner Ausreise sei der Beschwerdeführer von fünf Unbekannten auf der Straße tätlich angegriffen worden. Sie hätten ihm mehrfach gegen den Kopf geschlagen, woraufhin er das Bewusstsein verloren habe und erst im Krankenhaus wieder zu sich gekommen sei. Er habe die Personen nicht gekannt und angenommen, dass sie ihn entführen wollten. Da er selten zu Hause gewesen sei, habe er nichts von den Heiratsplänen seines Bruders gewusst. Seine Eltern hätten ihm nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus schließlich von dem Selbstmord des Mädchens erzählt und ihm gesagt, dass er fortan das Haus nicht mehr verlassen solle. Auch seine Mutter habe nach diesem Vorfall aufhören müssen zu arbeiten. Nachdem sich das Mädchen das Leben genommen habe, wovon der Beschwerdeführer erst vor etwa 15 Monaten (gerechnet vom Zeitpunkt der Ersteinvernahme an) erfahren habe, sei sein Bruder nur noch alle zwei bis drei Wochen nach Hause gekommen. Da der Vater des Mädchens im Innenministerium gearbeitet habe und sehr einflussreich gewesen sei, habe die Familie des Beschwerdeführers keine Anzeige erstattet. Seine Eltern hätten schließlich beschlossen, dass er das Land verlassen müsse. Zu Übergriffen auf andere Familienmitglieder sei es nicht gekommen.

In Afghanistan habe der Beschwerdeführer keine Angehörigen mehr, da seine Eltern mit seinen beiden Schwestern nach dem Vorfall nach Indien ausgewandert seien. Der Bruder des Beschwerdeführers sei seit fünf Monaten auf der Flucht und die Familie wisse nicht, was mit ihm passiert sei. Zu seiner Familie habe der Beschwerdeführer seit zwei Wochen keinen Kontakt mehr.

Zu den dem Beschwerdeführer zur Einsicht und allfälligen Stellungnahme vorgelegten Länderfeststellungen des BFA gab er an, dass es in Kabul ziemlich sicher sei, was jedoch nicht für jemanden zutreffe, der Probleme mit einer Person habe, die im Innenministerium arbeite. Auch gäbe es in Kabul immer wieder Anschläge. Im Falle seiner Rückkehr würde dem Beschwerdeführer die Todesstrafe von Seiten der Familie des Mädchens drohen. Ergänzend gab der Beschwerdeführer an, dass er in einem sicheren Bezirk in Kabul gelebt habe und seine Familie ausgewandert sei, da das sich in der Nähe ihres Wohnhauses befindliche Parlament verlegt worden und der Bezirk danach nicht mehr sicher gewesen sei. Zudem habe es die Probleme mit seinem Bruder gegeben.

In Österreich habe der Beschwerdeführer weder Familienangehörige noch Freunde. Eine Tante von ihm lebe seit 25 Jahren in Deutschland.

Der Beschwerdeführer legte unter einem Unterlagen zum Nachweis der von ihm besuchten Sprachkurse sowie des Vorbereitungslehrgangs zur Pflichtschulabschlussprüfung, Unterstützungsschreiben betreffend seine Integration in Österreich, zwei fachärztliche Befundberichte betreffend seinen Gesundheitszustand, ein amtliches Dokument Griechenlands, wonach er des Landes verwiesen worden sei, mehrere Bewerbungsschreiben sowie einen Zeitungbericht betreffend seine Mitarbeit bei einer Sportveranstaltung vor.

7. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid des BFA, als folgend belangter Behörde, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und nach § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers – vor dem Hintergrund, dass dessen Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme die wesentliche Entscheidungsgrundlage darstellen – sich insgesamt als nicht glaubhaft erwiesen habe. Zum einen sei es nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer als einziger aus seiner Familie persönlich bedroht worden sei, zum anderen erscheine es nicht lebensnah, dass seine Mutter – wie von ihm behauptet – ihre Beschäftigung aufgeben musste, obwohl es zu keinerlei Vorfällen gekommen sei und sein Vater demgegenüber aber unbehelligt weiter arbeiten konnte. Die Angaben, wonach sein Bruder nach dem auf den Beschwerdeführer verübten Überfall ihn und seine Familie nur noch alle zwei bis drei Wochen besucht habe, seien zudem widersprüchlich, da er in diesem Fall gar nicht mehr in Afghanistan gewesen wäre, zumal sich - gemäß seinen Ausführungen - der Vorfall einen Monat vor seiner Ausreise ereignet habe. Im Hinblick auf den vom Beschwerdeführer behaupteten Überfall, sollte sich dieser überhaupt tatsächlich ereignet haben, sei daher davon auszugehen, dass es sich dabei um einen strafrechtliches Delikt gehandelt habe, sodass keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vorliege.

Hinzu komme, dass vom Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Ersteinvernahme die Zeitangaben betreffend den tatsächlichen Zeitpunkt des behaupteten Selbstmords des Mädchens wiederholt korrigiert worden seien. Insoweit erscheine es nicht lebensnah, dass ein derart einschneidendes Erlebnis (zunächst) falsch wiedergegeben werde und demgegenüber aber unwesentliche Details genau erinnerlich gewesen seien.

Ferner habe der Beschwerdeführer angegeben, dass seine Familie erst vor fünf Monaten nach Indien ausgewandert sei, sodass es ihr offensichtlich möglich gewesen sei noch fast ein weiteres Jahr unbenommen in Kabul zu leben, ohne dass es zu weiteren Zwischenfällen gekommen sei. Die Aussagen des Beschwerdeführers seien im Gesamten oberflächlich, wenig substantiiert, nicht plausibel und nachvollziehbar und durch keine weiteren Beweismittel unterstützt gewesen, sodass diesen insgesamt die Glaubwürdigkeit zu versagen gewesen sei. Selbst unter hypothetischer Wahrannahme der Angaben des Beschwerdeführers würde lediglich ein privates/kriminelles Vergehen vorliegen, sodass es bereits aus diesem Grund an einer Asylrelevanz mangle.

Der Beschwerdeführer sei damit in Afghanistan keinen Verfolgungshandlungen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt gewesen und habe solche auch nicht zu erwarten.

Zu Spruchpunkt II. führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer bis zu seiner Ausreise in Kabul gelebt und dort als Elektriker gearbeitet habe, sodass er mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut sei. Zudem sei es ihm möglich gewesen, seine Flucht selbst zu finanzieren und habe er auch nicht von finanziellen Schwierigkeiten seiner Familie berichtet. Er sei ein junger, gesunder, arbeitsfähiger Mann, sodass im Falle seiner Rückkehr nicht davon auszugehen sei, dass er in eine aussichtslose Lage geraten würde.

Die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz lägen daher nicht vor. In Spruchpunkt III. wurde dargelegt, dass aus dem Privatleben des Beschwerdeführers keine objektiven Gründe ersichtlich seien, die einer Ausweisung entgegenstehen würden. Ein Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen werde dem Beschwerdeführer nicht erteilt.

8. Mit Verfahrensanordnung vom 07.07.2016 wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater für eine allfällige Beschwerdeerhebung zur Seite gestellt.

9. Gegen den verfahrensgegenständlichen Bescheid der belangten Behörde erhob der Beschwerdeführer fristgerecht die vorliegende Beschwerde in vollem Umfang wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts, unschlüssiger Beweiswürdigung sowie Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Beschwerdeführer brachte im Wesentlichen vor, dass seine Familie von Blutrache betroffen sei, da die Angehörigen des Mädchens, welches sich aus Verzweiflung umgebracht habe, da ihre Eltern gegen die Verbindung mit seinem Bruder gewesen seien, Rache geschworen hätten. Nach dem auf ihn verübten Überfall und der versuchten Entführung, der er – wie erstmals in der Beschwerde vorgebracht – nur durch Gegenwehr entkommen habe können, sei er gezwungen gewesen das Land zu verlassen. Auch sein Bruder habe untertauchen müssen.

Im Fall des Beschwerdeführers müsse davon ausgegangen werden, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan immer noch Verfolgung- bzw. Bedrohung durch die Familie des Mädchens und der ihm drohenden Blutrache als Angehöriger (seines Bruders) ausgesetzt sei und der Staat weder willens noch in der Lage wäre ihm ausreichend Schutz zu bieten. Die Verfolgung welche der Beschwerdeführer zu befürchten habe, ergebe sich aus seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie. Auch habe er das Land nachdem bereits eine konkrete Verfolgungshandlung stattgefunden habe verlassen, sodass er aus Afghanistan infolge der aktuellen Bedrohungslage fliehen musste.

Im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ersuchte der Beschwerdeführer um Berücksichtigung, dass sein Bruder nicht auffindbar sei und seine Familie nach Indien geflohen sei. In Afghanistan verfüge er über keinerlei soziales Auffangnetz. Angesichts der schwierigen Versorgungslage könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass er dort in der Lage wäre Fuß zu fassen und seine existenziellen Bedürfnisse zu decken, da er nicht über die notwendigen finanziellen Mittel verfüge.

Der Beschwerde beigeschlossen waren ein Schreiben, in welchem er seine Lebenssituation und die Gründe für seine Flucht aus seinem Heimatland nochmals in eigenen Worten darlegt sowie ein E-Mail seiner in Deutschland lebenden Tante und eine Bestätigung hinsichtlich des von ihm besuchten Vorbereitungslehrgangs zur Pflichtabschlussprüfung.

10. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 27.07.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein. In der Beschwerdevorlage wurde Seitens der belangten Behörde ausdrücklich auf die Durchführung und die Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

11. Mit Urkundenvorlage vom 26.09.2016 legte der Beschwerdeführer sein Zeugnis über die von ihm am 06.09.2016 positiv absolvierte Pflichtabschlussprüfung vor.

12. Mit Eingabe vom 16.03.2017 übermittelte der Beschwerdeführers nochmals sein Zeugnis über die von ihm absolvierte Pflichtabschlussprüfung, ein Unterstützungsschreiben betreffend seine Integration in Österreich sowie eine Schulbesuchsbestätigung der näher bezeichnete Bildungseinrichtung.

13. Mit Vorlage vom 02.10.2017 übermittelte der Beschwerdeführer seine Teilnahmebestätigung an dem näher bezeichneten Werte- und Orientierungskurs des Österreichischen Integrationsfonds. Zudem legte er zwei psychiatrische Befundberichte des darin näher bezeichneten Facharztes, eine Bestätigung, wonach der Beschwerdeführer regelmäßig in einer Fußballmannschaft spielt, ein Bewerbungsschreiben, ein Klassenfoto seiner Schulklasse, eine Bestätigung des Österreichischen Roten Kreuzes über die Einleitung der Familiensuche sowie eine Schulbesuchsbestätigung für das Schuljahr 2016/2017 vor.

14. Mit Vollmacht vom 17.10.2017 wies sich Dr. Heinz-Dieter Flesch als nunmehriger Rechtsberater des Beschwerdeführers aus.

15. Mit Eingabe vom 18.10.2017 legte der Verein Menschenrechte Österreich seine Vollmacht zur Vertretung des Beschwerdeführers in dem vorliegenden Beschwerdeverfahren zurück.

16. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 19.10.2017 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, dessen rechtswirksam bevollmächtigter Vertreter sowie eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen.

Soweit entscheidungswesentlich stellte sich der Gang der Verhandlung wie folgt dar:

"[ ]

I. Zum aktuellen Zustand des BF:

R: Wie geht es Ihnen gesundheitlich (sowohl in psychischer als auch in physischer Hinsicht [die Begriffe werden mit dem BF abgeklärt, sodass ihm diese geläufig sind]): Sind Sie insbesondere in ärztlicher Behandlung, befinden Sie sich in Therapie, nehmen Sie Medikamente ein?

BF: Ich kann der heutigen Verhandlung problemlos folgen. Ich werde wegen meiner psychischen Erkrankung medikamentös behandelt. Ich nehme 3 verschiedene Medikamente, ich schlafe schlecht, bin unruhig und gestresst. Ich denke viel nach. Ich habe auch mehrere Therapien besucht.

RV legt dazu Unterlagen vor (Endoskopischer Befund vom 29.07.2016, Beilage ./A), Endoskopischer Befund vom 27.08.2015 (Beilage ./B), Therapiebestätigung vom 17.10.2017 (Beilage ./C).

R: Gibt es irgendwelche Unterlagen, welche Medikamente Sie einnehmen?

RV: Verwiesen wird auf OZ 8.

R: Warum hat die psychiatrische bzw. psychologische Behandlung erst so spät begonnen?

BF: Mein Zustand war nicht allzu schlecht. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich eine Therapie brauche. Jedenfalls hat sich mein Zustand massiv verschlechtert, sodass ich davon körperlich beeinträchtigt wurde. Dann beschloss ich, eine Therapie zu machen.

II. Zum Verfahren vor dem BFA bzw. den Organen des öffentlichen

Sicherheitsdienstes:

R: Sie wurden bereits beim BFA bzw. vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Polizei) niederschriftlich einvernommen. Haben Sie dort immer die Wahrheit gesagt oder möchten Sie etwas richtig stellen?

BF: Ich habe zwar immer die Wahrheit gesagt, aber im Protokoll sind meine Aussagen falsch niedergeschrieben.

R: Was möchten Sie richtig stellen?

BF: Mein richtiges Geburtsdatum lautet: XXXX. Überdies wurde ich gefragt, wie die finanzielle Situation in Afghanistan war. Protokolliert wurde schlecht. Ich habe jedoch mit gut geantwortet.

R: Wurden Ihnen die Niederschriften, die die Polizei im Rahmen der Erstbefragung und das BFA im Zuge Ihrer Einvernahme mit Ihnen aufgenommen haben, rückübersetzt?

BF: Nein. Die Erstbefragung wurde nicht rückübersetzt. Die Niederschrift vor dem BFA wurde rückübersetzt.

R hält dem BF vor, dass die Einvernahme vor der Polizei rückübersetzt wurde und dass es keine Einwände dagegen gab und der BF dies durch seine Unterschrift bestätigte. Wie lässt sich das mit Ihrem jetzigen Vorbringen in Übereinstimmung bringen?

BF: Der Dolmetscher hat meine Aussagen wiedergegeben, aber so steht es nicht in der Niederschrift. Er hat sich das gemerkt und mir das dann gesagt.

III. Zur persönlichen Situation des BF:

a) in Österreich:

R: Leben Sie in Österreich alleine oder leben Sie mit jemandem zusammen? Wie ist Ihre aktuelle Wohnsituation? Leben Sie in einer Flüchtlingspension?

BF: Ich wohne in einer Flüchtlingsunterkunft. Früher wohnten dort sieben Asylwerber, aber jetzt wohnen wir zu zweit. Ich habe ein eigenes Zimmer.

R: Sprechen Sie auch schon ein bisschen Deutsch? Welches Sprachniveau haben Sie? Besuchen Sie Sprachkurse oder sonstige Kurse, Schule, Vereine oder Universität?

BF: Ich habe den Hauptschulabschluss (Pflichtschulabschluss) gemacht. Ich habe auch mehrere Kurse besucht. Derzeit bin ich in der

1. Klasse der Handelsschule.

R: Was machen Sie unter Tags so? Wie stellt sich ein typischer Tagesablauf dar?

BF: Mein Unterricht beginnt täglich um 07:45 Uhr und dauert bis 13:00 Uhr, 15:00 Uhr, oder 16:00 Uhr. Es ist unterschiedlich. Nach dem Unterricht gehe ich nach Hause und esse etwas und ich kümmere mich ein bisschen um den Haushalt. Anschließend lerne ich für die Schule. In meiner Freizeit, vor allem sonntags, spiele ich Fußball. Ich habe einen Englisch-Kurs besucht. Ich habe eine Bestätigung mit. Ansonsten pflege ich meine Kontakte mit meinen österreichischen Freunden und Bekannten, damit meine Sprachkenntnisse besser werden. Ich habe Bestätigungen über die anderen Deutschkurse, die ich besucht habe (vorgelegt wird eine Bestätigung der HAK XXXX vom 16.10.2017, welche in Kopie als Beilage ./D zum Akt genommen wird). Eine Teilnahmebestätigung der XXXX vom 04. August 2017 (Beilage ./E).

R: Befinden sich in Österreich Familienangehörige von Ihnen?

BF: Nein.

R: Gehen Sie in Österreich einer arbeitmäßigen Beschäftigung nach?

BF: Ich helfe freiwillig bei der Verteilung von Altkleidern mit und wollte nach dem Pflichtschulabschluss arbeiten, jedoch wurde auf Grund meines Status daraus nichts.

R: Sind Sie in Österreich bisher strafrechtlich verurteilt worden?

BF: Nein.

R: Das Gericht kann sich auf Grund Ihrer Angaben nunmehr ein Bild über ihre privaten sowie familiären Bindungen in Österreich machen und erscheinen hierzu seitens des Gerichts keine weiteren Fragen offen. Wollen Sie sich noch weitergehend zu Ihren privaten und familiären Bindungen in Österreich bzw. ihrer Integration äußern?

BF: Nein.

b) im Herkunftsstaat:

R: Im angefochtenen Bescheid des BFA wurde u.a. bereits festgestellt, dass Sie aus Afghanistan stammen. Geben Sie bitte nochmals an, welcher Volksgruppe und Religionsgemeinschaft Sie angehören?

BF: Ich bin Tadschike und sunnitischer Moslem.

R: Erzählen Sie mir etwas von Ihrem Leben in Afghanistan: Wo und wann sind Sie geboren und aufgewachsen?

BF: Ich bin in Kabul im7. Bezirk im Stadtteil XXXX geboren und ich habe bis zu meinem fünften oder sechsten Lebensjahr dort gelebt. Danach sind wir in den 6. Bezirk in den Stadtteil XXXX umgezogen und ich habe bis zu meiner Ausreise dort gelebt.

R: Wo haben Sie die Schule besucht?

BF: In der Stadt Kabul im XXXX.

R: Wie lange haben Sie die Schule besucht?

BF: Zehn Jahre.

R: Welche Sprache sprechen Sie?

BF: Ich spreche Dari, Hindi, ein bisschen Deutsch und Englisch.

R: Welche weitere Ausbildung haben Sie in Afghanistan gemacht. Wo und wie lange?

BF: Neben der Schule habe ich zwei Jahre in der Australischen Botschaft eine Lehre als Elektriker gemacht.

R: Haben Sie die Lehre bei einem privaten Unternehmen gemacht oder in der Botschaft selbst?

BF: In der Botschaft hatte eine private Firma ihren Sitz. Ich wurde von einer Baufirma zu dieser Firma geschickt, um dort die Elektrolehre zu machen.

R: Welche Verwandte befinden sich noch in Ihrem Herkunftsstaat und wo befinden sich diese Verwandten genau?

BF: Ich habe in Afghanistan niemanden.

R: Keine Onkel, Tanten, Nichten, Neffen, keine entfernten Verwandten?

BF: Ich habe eine Tante väterlicherseits. Diese lebt in Deutschland, in Frankfurt.

R: Wo befinden sich dann die Familienangehörigen?

BF: Sie leben alle außerhalb von Afghanistan.

R: Die Frage war wo?

BF: Ich habe einen Cousin väterlicherseits. Er lebt in London. Seine Eltern sind aber verstorben. Mit meinen Familienangehörigen habe ich seit dem 26.04.2016 keinen Kontakt mehr.

R: Wo befanden sich Ihre Familienangehörigen damals?

BF: In Indien.

R: Wer von Ihrer Familie befand sich konkret in Indien?

BF: Mein Vater, meine Mutter und meine zwei Schwestern waren damals in Indien. Drei Monate nach meiner Ankunft in Österreich ist mein Bruder verschwunden. Er hat keinen Kontakt mit meiner Familie aufgenommen. Deshalb waren meine restlichen Familienangehörigen auch gezwungen, das Land zu verlassen. Mein Kontakt damals erfolgte über Viber. Das Viber-Programm war der afghanischen Telefonnummer meiner Familie aktiv, jedoch befand sich meine Familie in Indien.

R: Wann ist Ihre Familie aus Kabul nach Indien ausgereist?

BF: Drei Monate nach meiner Ankunft nach Österreich ist mein Bruder verschwunden. Ca. eine Woche später ist meine Familie aus Afghanistan geflüchtet.

R: Sind Sie sicher, was die Daten der Ausreise seiner Eltern aus Afghanistan betrifft?

BF: Ja. Ich bin mir sicher. Ich habe mit meiner Familie über Viber telefoniert. Sie haben gesagt, dass sie in Indien sind und ich mir keine Sorgen um sie machen soll. Sie wohnten in der Stadt Delhi.

R: Auf AS 111 werden Sie verwiesen. Dort haben Sie gesagt, Ihre Eltern leben seit 5 Monaten in Indien, am 11.05.2016 war diese Einvernahme. Das würde rechnerisch bedeuten, dass Ihre Eltern im Jänner 2016 Kabul verlassen haben.

BF: Vielleicht haben Sie einen Fehler gemacht. Ich habe angegeben, dass nach drei Monaten mein Bruder verschwunden ist und dann meine Familie geflüchtet ist.

RV: Haben Sie den Versuch unternommen, Ihre Familie über das Rote Kreuz oder den Halbmond ausfindig zu machen?

BF: Ja. Diesbezüglich habe ich auch eine Bestätigung.

RV: Über welche Organisation und welches Ergebnis und wann wurde der Antrag gestellt?

BF: An den Zeitpunkt des Suchantrages kann ich mich nicht erinnern. Ich habe den Antrag beim Roten Kreuz gestellt. Die Information des Roten Kreuzes war, dass sie Kontakt zu meiner Familie aufgenommen hatten und meine Familie bei dem Gespräch mitgeteilt hat, dass sie mich kontaktieren wird. Das ist jedoch nicht geschehen. Das Rote Kreuz wollte es wieder versuchen, Kontakt aufzunehmen. Ich kann den Suchantrag vorlegen.

R: Hat ihre Familie Besitztümer in Afghanistan (Grundstücke, Firmen, Geschäfte)?

BF: Wir haben ein Haus in Kabul in XXXX, das Haus gibt es noch immer und in meinem Geburtsort Waselabad steht das Haus meines Großvaters. Es wurde vermietet und nicht zerstört.

R: Was hat ihre Flucht gekostet und wer hat die Flucht finanziert?

BF: Meine Flucht hat 10.000 US-Dollar gekostet. Ich habe sie selbst finanziert. Ich hatte nämlich zwei Jahre gearbeitet und monatlich 600 US-Dollar verdient. Den Schlepper hat meine Familie gefunden.

R: Waren Sie in Ihrem Heimatland politisch tätig oder gehörten Sie einer politischen Partei an?

BF: Nein.

R: Hatten Sie persönlich Probleme mit Behörden (oder staatsähnlichen Institutionen) im Heimatland?

BF: Nein. Ich hatte grundsätzlich keine Probleme mit staatlichen Behörden.

R: Wurden Sie in Ihrem Heimatland wegen Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit oder Religion verfolgt?

BF: Nein.

R: Haben Sie sich in Afghanistan, jemals außerhalb Ihrer Heimatprovinz, zum Beispiel in Kabul-Stadt, Herat oder in Mazar-e Sharif aufgehalten?

BF: Niemals.

R: Wann genau sind Sie aus Ihrem Herkunftsstaat ausgereist?

BF: Am 13. Jänner 2015.

R: Falls Sie nach Afghanistan abgeschoben würden, hätten Sie etwaige Bedrohungen oder Verfolgungen zu befürchten und wenn ja, konkret auf Ihre Person bezogen, welche?

BF: Ich wäre einer Bedrohung seitens der Familie, mit der wir in Konflikt geraten sind, und welche im Innenministerium tätig ist, ausgesetzt. Es gab auch einen Übergriff auf meine Person.

[ ]

IV. Fluchtgründe des BF:

R: Erzählen Sie mir bitte Ihre konkreten Fluchtgründe?

BF: Meine Probleme begannen, als ich eines Tages nach der Arbeit am Straßenrand wartete. Plötzlich hielt ein weißes Fahrzeug mit dunklen Fenstern dort an. Darin saßen 5 Personen. Sie waren vermummt. Zunächst fragten sie mich nach meinem Namen. Als ich ihnen diese sagte, sagten sie, dass sie mich mitnehmen wollten. Sie zogen mich in Richtung ihres Fahrzeuges und hatten die Absicht, mir ein weißes Tuch vor die Nase zu halten. Dann spürte ich einen Schlag. Ich weiß nicht, ob dieser Schlag durch einen Gewehrkolben oder durch den Arm einer dieser Personen erfolgt ist. Ich wurde bewusstlos. Vor diesem Schlag habe ich auch viele Schläge bekommen.

Ich erlangte im Krankenhaus wieder das Bewusstsein, weiß jedoch nicht, wer mich im Krankenhaus, vor allem wie, gebracht hat. Im Krankenhaus sah ich zuerst meine Familie. Mein Vater arbeitete in diesem Krankenhaus. Es handelt sich dabei um das Krankenhaus XXXX im Verwaltungsbereich. Als ich aufwachte, fragte ich meine Familie, warum ausgerechnet mir so etwas passiert ist, zumal wir doch mit niemandem Probleme gehabt haben.

Meine Familie antwortete, dass auch sie nicht wüssten, weshalb mir so etwas passiert ist. Dann kam die Polizei und befragte mich. Ich erzählte von dem Vorfall. Sie fragten mich, wen ich verdächtigte. Da ich von nichts wusste, sagte ich, dass ich niemanden in Verdacht hatte, weil wir mit niemandem Probleme gehabt haben.

Ich verbrachte 5 Tage im Krankenhaus. Meine Wunde am Kopf wurde mit 3 oder 4 Nähten genäht. Auch meine Hand wurde behandelt. Nach 5 Tagen ging ich nach Hause. Ich erholte mich ein bisschen. Dann unterhielt ich mich eines Tages mit meinen Eltern und fragte sie wieder, warum so etwas passiert ist. Sie begannen von meinen Bruder zu erzählen und zwar, dass er eine Beziehung mit einem Mädchen gehabt hat und dass mein Bruder und das Mädchen einander geliebt haben. Meine Eltern sind auch bei der Familie des Mädchens gewesen, um um die Hand des Mädchens anzuhalten.

Der Antrag meiner Eltern ist von der Familie des Mädchens abgelehnt worden. Die Familie des Mädchens hatte behauptet, dass diese zwei Familien überhaupt nicht zueinander passen würden, zumal sie ein weitaus höheres Niveau hätten. Sie ermahnten meine Eltern, nie wieder in ihr Haus zu gehen.

Dann hat laut meinen Eltern mein Bruder telefonischen Kontakt aufgenommen und auch das Mädchen hatte ein Geständnis über ihre Beziehung mit meinem Bruder abgelegt.

Das Mädchen hatte gedroht, dass sie mit meinem Bruder die Flucht ergreifen wird, falls sich ihre Eltern mit ihrer Heirat mit meinem Bruder nicht einverstanden erklären.

Die Familie des Mädchens hat daher entschieden, das Mädchen mit jemand anderen zu verheiraten und als die Familie diesen Entschluss gefasst hat, hat das Mädchen Selbstmord begangen.

Danach veränderte sich der Zustand meines Bruders. Er kam selten nach Hause und das auch nur nachts und er blieb nur eine halbe bis eine ganze Stunde und er ging wieder.

Wenn mein Bruder für diese kurzen Stunden nach Hause gekommen ist, hat er laut meinen Eltern immer zu ihnen gesagt, dass er die Familie des Mädchens nicht verschonen wird und dass das Mädchen nicht Selbstmord begangen hat, sondern von ihrer Familie getötet worden ist. Meine Eltern hätten versucht, meinen Bruder zu beruhigen, indem sie ihn darauf hingewiesen hätten, dass die Familie des Mädchens über Einfluss verfügt, da sie im Innenministerium tätig seien und dass dies der Grund deshalb sei, dass meine Eltern nicht zur Polizei gegangen sind.

Meine Eltern haben weiter erzählt, dass eine Nachricht vom Handy des Mädchens an meinen Bruder geschickt worden ist. Darin stand, dass das Mädchen Selbstmord begehen wollte. In Afghanistan ist es immer sehr fragwürdig, warum ein Mädchen Selbstmord begeht. Daher hat ihre Familie ihren Einfluss und ihre Kontakte genutzt, um eine Krankengeschichte zu erstellen, damit sie behaupten konnten, dass das Mädchen krank gewesen und an ihrer Krankheit verstorben ist. Mein Bruder hatte aber einen Beweis, dass das Mädchen angeblich Selbstmord begehen wollte.

Wenn ein Mädchen unabhängig davon, ob sie einer gewöhnlichen Familie oder einer Familie mit Einfluss in der Regierung zugehört, Selbstmord begeht bzw. eine Beziehung mit einem Jungen gepflegt hat, dann schädigt es den Ruf der Familie.

R: Wie viel Zeit vor Ihrer Flucht hat sich der Vorfall ereignet, den Sie geschildert haben?

BF: Ich wusste kein genaues Datum, aber ich habe ein Datum ausgerechnet, indem ich meine Einreise nach Österreich am 26. Februar, sowie die 45tägige Flucht berücksichtigt habe. Dies würde das Datum 10.12.2014 ergeben.

R: Wann haben Sie erstmals von dieser Beziehungsgeschichte mit dem Mädchen und Ihrem Bruder erfahren?

BF: Ich habe davon erstmals von meinen Eltern nach meinem 5tägigen Krankenhausaufenthalt gehört. Ca. eine Woche vor dem Vorfall hat mir meine Mutter immer wieder gesagt, dass ich vorsichtig sein soll und nicht in andere Orte fahren soll.

R: Wann hat Ihre Familie um die Hand dieses Mädchens angehalten?

BF: Das weiß ich nicht genau.

R: Wann haben die konkreten Probleme mit der Familie des Mädchens begonnen?

BF: Das hat mir niemand gesagt. Ich bin der jüngste Sohn, deshalb wurde ich nie über die Geschehnisse informiert.

R: Haben Sie Ihre Eltern konkret danach gefragt?

BF: Nein. Nach dem Krankenhausaufenthalt war ich ca. ein Monat lang zu Hause. Danach habe ich mein Heimatland verlassen. Während dieses einen Monates haben mich meine Eltern über die Probleme informiert. Ich erlitt eine psychische Erkrankung, weil ich nachts im Schlaf geschrien habe. Ich hatte so einen Vorfall zum ersten Mal in meinem Leben erlebt und ich war wirklich verängstigt.

R: Haben Sie mit Ihrem Bruder über diese Beziehung gesprochen, wann sie begonnen hat und wie sie sich abgespielt hat?

BF: Nein. Mein Bruder war nie bereit, darüber zu sprechen. Wir haben uns kaum gesehen, da ich in die Schule gegangen bin und danach gearbeitet habe. Wir sind beide nachts spät nach Hause gekommen und waren meistens so müde, dass wir uns gleich hingelegt haben. Außerdem ist es in Afghanistan verboten, außereheliche Beziehungen zu führen. Niemand spricht darüber, auch mein Bruder hat es mir nicht erzählt.

R: Haben Sie nach dem Vorfall Ihren Bruder konkret gefragt?

BF: Nein. Mein Bruder war nicht bereit, über die Beziehung zu sprechen. Meine Eltern haben versucht, ihn zur Vernunft zu bringen und haben ihn darüber aufgeklärt, dass diese Familie sehr mächtig gewesen ist und er der Familie nicht drohen sollte, vor allem, weil er dadurch die ganze Familie in Schwierigkeiten bringen könnte.

Alles, was ich Ihnen bisher erzählt habe, beruht auf den Aussagen und Erzählungen meiner Mutter.

R: Es erscheint für mich äußerst unglaubwürdig, wenn es zu so einem dramatischen Vorfall kommt und Sie nachträglich von Ihren Eltern nicht wissen wollen, was der konkrete Anlassfall war und wie sich das abgespielt hat. Was sagen Sie dazu?

BF: Nach dem Vorfall war ich in einem sehr schlechten Zustand, den ich nicht vorher gesehen hatte. Ich hatte etwas nie zuvor erlebt. Ich habe zwar meine Eltern nach den Gründen gefragt, aber in Afghanistan ist es nicht üblich, dass Eltern ihren Kindern alles detailliert erzählen. Vielleicht hat es viel mehr Probleme gegeben, als ich erfahren habe. Ich bin in Afghanistan aufgewachsen und kann daher beurteilen, wohin eine solche Beziehung führen kann.

R: Wenn Ihre Familie wusste, welche Konsequenzen das Verhalten Ihres Bruders haben könnte, warum hat Ihre Familie Sie nicht konkret im Vorfeld des Vorfalles davor gewarnt?

BF: Erst nach dem Vorfall hat mein Bruder meinen Eltern erzählt, dass er Kontakt mit der Familie aufgenommen und die Familie des Mädchens bedroht hat.

Die Familie des Mädchens hätte sich mit der außerehelichen Beziehung und dem abgelehnten Heiratswunsch, sowie dem Tod der Tochter abgefunden. Die Probleme begannen erst, nachdem mein Bruder die Familie des Mädchens provoziert hat.

R: Wenn das so wäre: Warum haben Sie dann vorher gesagt, dass Ihre Mutter vor dem Vorfall Ihnen mitgeteilt hat, dass Sie vorsichtig sein sollen und an keine anderen Orte reisen sollen, wenn zu dem Zeitpunkt nach Ihren Aussagen kein Problem mit der Familie bestanden hätte.

BF: Meine Eltern wussten nur, dass das Mädchen Selbstmord begangen hatte und deshalb hat mich meine Mutter darauf hingewiesen, vorsichtig zu sein, aber von den Bedrohungsäußerungen meines Bruders gegenüber der Familie des Mädchens haben die Eltern nach dem Vorfall erfahren. Meine Mutter hat mich gewarnt, obwohl sie davon ausgegangen ist, dass die Familie des Mädchens ruhig bleiben wird, da sie einflussreich war und das nicht "an die große Glocke hängen wollte".

R: Laut der Aussage beim BFA wurden Sie von fünf unbekannten Personen attackiert und dreimal auf den Kopf geschlagen, danach seien Sie erst im Krankenhaus wieder aufgewacht, wie lässt sich dieser Widerspruch zu Ihrem Vorbringen in der Beschwerde aufklären , wonach Sie durch Ihre heftige Gegenwehr verhindern konnten, dass Sie in ein Auto gezerrt wurden?

BF: Im Ort des Vorfalles halten sich hauptsächlich Diplomaten auf. Dort ist es sicherer als in anderen Orten. Man hat zu mir gesagt, dass die Polizei veranlasst hätte, dass ich ins Krankenhaus komme. Ich weiß nicht, ob die Polizei beim Vorbeifahren vom Vorfall mitbekommen hat oder verständigt worden ist.

Die Polizei hat mir gesagt, dass die Angreifer bei Eintreffen der Polizei geflüchtet wären. Das Fahrzeug hätte keine Kennzeichen gehabt und die Polizei habe gemeint, dass wir richtige Probleme haben müssten, dass sich ein solches Fahrzeug ins Diplomatenviertel fahren getraut hat.

R: Warum haben Sie diesen Umstand bisher nicht geschildert?

BF: Ich hatte bei meinen Einvernahmen vor der Erstinstanz absolut keine Erfahrungen, wie eine solche Einvernahme verläuft. Vor dem BFA konnte ich nicht alles detailliert schildern, da ich immer wieder unterbrochen wurde und eine ganz andere Frage gestellt wurde. Ich wusste nicht, dass ich alles Punkt für Punkt detailliert angeben muss.

R: In Ihrer Beschwerde schildern Sie auf Seite 1 den Vorfall wie folgt: "Ich wurde auch einmal auf meinem Weg zur Arbeit von unbekannten Tätern niedergeschlagen. Sie versuchten mich in ein Auto zu zerren, ich konnte mich durch Gegenwehr befreien. Aus diesem Grund musste ich aus Afghanistan flüchten". Warum schildern Sie in Ihrer eigenen Beschwerde den Vorfall anders?

BF: Beim Verfassen der Beschwerde habe ich den Vorfall nicht geschildert. Das dürfte der Verfasser von mir geschrieben haben. Ich habe heute immer die Wahrheit gesagt. Ich gehe davon aus, dass auf Grund der Menge der Beschwerden manchmal Fehler passieren.

R: In diesem Zusammenhang möchte ich Sie auf Ihre Eingabe vom 18.07.2016 verweisen, worin Ihre Lebensgeschichte unter Beifügung von Lichtbildern dargelegt wird und der Vorfall wie in der Beschwerde geschildert wird und sämtliche Seiten Ihre Unterschrift tragen.

BF: Bei dem Verfassen dieses Schreibens war kein Dolmetscher anwesend. Das kann der Grund für die Abweichungen sein.

R: Woher wissen Sie, dass die Angreifer nicht irgendwelche Kriminellen waren?

BF: Über diese Leute kann ich nichts angeben. Ich kann sie auch nicht zuordnen. Vorher hatten wir nie Probleme. Wir führten ein ruhiges Leben, ich ging zur Schule und arbeitete. Meine Eltern arbeiteten. Meine Schwestern gingen zur Schule und mein Bruder studierte an der Universität.

Meine Mutter hat erzählt, dass dieser Vorfall mit dem Konflikt mit dieser Familie in Zusammenhang gebracht werden kann. Sie hat gesagt, dass mein Bruder die Familie des Mädchens bedroht hat. Daraufhin hat die Familie des Mädchens meinem Bruder gedroht, dass seiner Familie etwas zustoßen würde. Mein Bruder hätte geantwortet, dass für ihn das Mädchen das Wichtigste auf der Welt gewesen sei und dass die Familie ihm gleichgültig sei. Außerdem hätte die Familie nach dem Vorfall zu meinem Bruder gesagt, dass dieser Vorfall lediglich als Warnung gelten sollte.

R: Wurde außer Ihnen noch jemand aus Ihrer Familie attackiert?

BF: Nein. Meine Schwestern gingen auch nicht zur Schule. Mein Bruder kam nur einmal pro Woche bzw. alle eineinhalb Wochen für wenige Stunden nach Hause. Wir haben in einer sehr sicheren Gegend gewohnt, wo alle Personen auch durchsucht werden könnten.

R: Hat sich das Krankenhaus, in dem Ihr Vater gearbeitet hat, auch in dieser sicheren Region befunden?

BF: Auch das Krankenhaus befindet sich im Diplomatenviertel, dort befinden sich Botschaften, u.a. die US-Amerikanische Botschaft. Wenn ich manchmal Angst hatte, hat mein Vater gesagt, dass wir uns in einer sicheren Region befinden und ich keine Angst haben brauche.

Der Vorfall ereignete sich am Rande der Hauptstraße. Als sicher gelten die Gebäude, die um das wichtige und bewachte Gebäude liegen. Aber eine Hauptstraße ist nicht sicher. In der Nähe des Vorfallortes befinden sich die Australische Botschaft und die US-Amerikanische Botschaft. Ich habe am Rande der Hauptstraße auf das Linienfahrzeug gewartet, mit dem ich nach Hause gefahren bin.

R: Wo hat Ihr Bruder vor diesem Vorfall, den Sie geschildert haben, gewohnt?

BF: Mit uns zusammen. Wir haben alle zusammen gewohnt.

R: Warum hat man gerade Sie attackiert und nicht Ihren Bruder?

BF: Weil mein Bruder über alles Bescheid wusste, ich aber gar nichts wusste. Außerdem war mein Bruder kaum zu Hause.

Er hat irgendwie versteckt gelebt.

R: Wann? Vor dem Vorfall oder nach dem Vorfall?

BF: Sowohl vorher, als auch danach.

R: Vor dem Vorfall hat der Bruder mit der gesamten Familie zusammengewohnt sagten Sie eben. Wie lässt sich dieser Widerspruch erklären?

BF: Damit meine ich, dass mein Bruder, nachdem er vom Selbstmord des Mädchens erfahren hat, sehr selten nach Hause gekommen ist. Er ist kaum noch zu Hause gewesen, er ist von dieser Gefahr nicht betroffen gewesen. Niemand wusste, wo er sich aufhält und wo er seine Zeit verbringt.

R: Hat die Familie des Mädchens gewusst, wo Ihre Familie wohnt?

BF: Ja.

R: Warum konnte Ihr Vater als Familienoberhaupt dann noch monatelang nach dem Vorfall unbehelligt in Kabul leben und arbeiten gehen?

BF: Meine Mutter hat mit ihrer Arbeit aufgehört. Meine Schwestern sind nicht zur Schule gegangen. Mein Vater ist jemand, der nur auf sich selbst hört. Außerdem wurde er von einem Mitarbeiterfahrzeug abgeholt und zur Arbeit gebracht und nach der Arbeit wurde er bis zur Haustür zurückgebracht. Außerdem befand sich unser Haus in einer Gegend, wo Fremde keinen Zutritt hatten, aber mittlerweile wurde unser Parlament verlegt.

Wir hatten keine finanziellen Probleme. Meine Eltern wollten Afghanistan nicht verlassen.

R: Warum hat dann konkret Ihre Familie Kabul verlassen?

BF: Mein Bruder ist ja ca. einmal pro Woche nach Hause gekommen. Irgendwann ist er gar nicht mehr nach Hause gekommen. Auch der telefonische Kontakt wurde abgebrochen. Mein Bruder ist somit verschwunden. Damit hat mein Vater erkannt, wie ernst die Gefahr ist. Meine Familie hat Kontakt mit meiner Großmutter in Kanada aufgenommen. Sie hat meine Eltern aufgefordert, das Land so schnell als möglich zu verlassen.

R: Es gab also keinen konkreten Vorfall, warum Ihre Familie aus Kabul weggegangen ist?

BF: Als der Kontakt zu meinem Bruder komplett abgebrochen wurde, wurde auch unser Parlament verlegt, das bedeutet, dass unsere Gegend nicht mehr so sicher war und dass jeder problemlos durchfahren konnte. Meine Familie hat einerseits wegen des Verschwindens meines Bruders und andererseits wegen des Umzuges des Parlamentes das Land verlassen.

R: Gibt es noch weitere Fluchtgründe?

BF: Nein, das ist der einzige Fluchtgrund.

R: Welche konkrete Bedrohung gegen Ihre Person würden Sie unabhängig von dem von Ihnen geschilderten Blutfehdegeschehen befürchten, wenn Sie nach Kabul zurückkehren müssten?

BF: Im Falle einer Rückkehr wäre ich gefährdet, weil die Familie des Mädchens im Innenministerium arbeitet und das Innenministerium beinhaltet alle Sicherheits- und Polizeibehörden und somit wird es der Familie nicht schwer fallen, mich ausfindig zu machen.

R: Meine Frage war: Ob es eine konkrete Gefährdung unabhängig von der geschilderten Blutrache für Sie gibt?

BF: Zum Zeitpunkt meiner Ausreise war Kabul eine sichere Stadt. Ich konnte in die Schule gehen und arbeiten. Mittlerweile lese ich in verschiedenen sozialen Medien und höre in den Nachrichten, dass sich die Sicherheitslage in Kabul extrem verschlechtert hat und dass es vermehrt Anschläge mit vielen Toten gibt. Ich habe gelesen, dass Kabul mittlerweile als die gefährlichste Region von Afghanistan gilt.

Ich möchte, dass Sie berücksichtigen, dass ich in Afghanistan niemanden mehr habe und seit dem 26.04.2016 keinen Kontakt zu meiner Familie habe.

R an RV: Hätten Sie Fragen zum Beschwerdegrund?

RV: Nein.

V.: Fragen zur Integration:

R: Sind Sie verheiratet?

BF: Nein.

R: Sind Sie je in Österreich von einer gerichtlichen Untersuchung als Zeuge oder Opfer oder einem zivil- oder strafrechtlichen Gerichtsverfahren oder einer (einstweiligen) gerichtlichen Verfügung betroffen gewesen?

BF: Nein.

Dem BF werden aktuelle Länderberichte (Staatendokumentation,

Afghanistan: Zina, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Schweizer Flüchtlingshilfe, Gutachten Blutrache und Ehrenmord in Afghanistan vom 27.07.2009) übergeben und diesem eine zehntägige Frist einlangend, zur Stellungnahme eingeräumt.

R fragt BF, ob er die D gut verstanden habe.

BF: Es gab absolut keine Verständigungsprobleme. Bei der Einvernahme vor dem BFA konnte der Farsi-Dolmetscher nicht ausreichend Dari verstehen, sodass wir 2 Stunden lang Verbesserungen bei der Übersetzung gemacht haben.

R: Die Dolmetscherin wird Ihnen jetzt die gesamte Verhandlungsschrift rückübersetzen. Bitte passen Sie gut auf, ob alle Ihre Angaben korrekt protokolliert wurden. Sollten Sie einen Fehler bemerken oder sonst einen Einwand haben, sagen Sie das bitte.

Die vorläufige Fassung der bisherigen Niederschrift wird durch die D dem BF rückübersetzt.

Keine Einwendungen.

17. Mit Äußerung vom 27.10.2017 nahm der Beschwerdeführer zu dem ihm in der mündlichen Verhandlung ausgefolgten herkunftslandbezogenen Länderberichten, der Länderanalyse der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zu "zina" und außerehelichem Geschlechtsverkehr sowie dem Gutachten zu Blutrache und Ehrenmord in Afghanistan Stellung.

Unter Bezugnahme auf die unter einem vorgelegte Bestätigung betreffend seines stationären Krankenhausaufenthalten in Kabul nach dem auf ihn behauptungsgemäß verübten Überfall erläuterte der Beschwerdeführer zunächst, aus welchem Grund die Unterlagen erst jetzt vorgelegt werden konnten.

Ergänzend führte der Beschwerdeführer aus, dass angesichts der Tatsache, dass die Suche des Roten Kreuzes nach seinen Eltern nach wie vor erfolglos geblieben sei davon ausgegangen werden müsse, dass diese im Gefängnis, getötet oder aus Furcht vor der Familie des Mädchens untergetaucht seien. Die gesamte Familie des Beschwerdeführer habe Angst vor Blutrache, die - wenn auch nicht sofort - jedenfalls drohe, da der Rufverlust der Familie des Mädchens gerächt werden müsse.

Im Weiteren führte der Beschwerdeführer unter Wiedergabe einzelner Passagen aus dem ihm ausgefolgten Gutachten zu Blutrache und Ehrenmord in Afghanistan sowie der Länderanalyse zu "zina" und außerehelichem Geschlechtsverkehr im Wesentlichen in Wiederholung seines bisherigen Vorbringens aus, dass die Familie des Mädchens, mit dem der Bruder des Beschwerdeführers heimlich eine außereheliche Beziehung begonnen habe, gegen diese Verbindung gewesen sei. Dennoch hätten sich die beiden weiter getroffen, was eine Ehrverletzung darstelle und daher als schweres Vergehen die Bestrafung erfordere. Es habe daher im Rahmen von Vergeltungsmaßnahmen zu einem Ausgleich zu kommen, um die gesellschaftliche Ordnung wieder herzustellen. Diese Selbstjustiz ist der Staat weder in der Lage noch willens zu verhindern.

Aus den dem Beschwerdeführer überreichten Unterlagen und herkunftslandbezogenen Erkenntnisquellen ergebe sich, dass die Wahrscheinlichkeit für den Beschwerdeführer einem Ehrenmord oder zumindest Blutrache gegenüberzustehen, wenn er in sein Heimatland zurückkehren müsse, sehr hoch sei. Dies werde dadurch verschärft, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatland vermutlich keine Verwandten habe und auch das Rote Kreuz seine Eltern nicht finden könne. Angesichts der Tatsache, dass der Vater des Mädchens im Innenministerium arbeite, sei er auch in der Lage mit seinen Polizeikräften den Beschwerdeführer ausfindig zu machen und ihn an Stelle seines Bruders zur Verantwortung zu ziehen. Der Beschwerdeführer beantragte daher seiner Beschwerde statt zu geben und ihm ein Aufenthaltsrecht in Österreich zuzuerkennen.

Unter einem legte der Beschwerdeführer eine eidesstattliche Erklärung seiner in Deutschland lebenden Tante sowie eine Krankenhausaufenthaltsbestätigung betreffend seiner stationären Behandlung vom 09.12.2014 bis 13.12.2014 in Kablu vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan. Er ist der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Er stammt aus der Hauptstadt Kabul, wo er zunächst mit seiner Familie im Stadtteil XXXX gelebt hat, bevor er schließlich als Kind mit ihr in den Stadtteil XXXX umgezogen ist. Dort hat der Beschwerdeführer bis zu seiner Ausreise gemeinsam mit seiner Familie in deren Haus gewohnt.

Der Beschwerdeführer hat 10 Jahre lang die Grundschule in Kabul besucht und neben der Schule zudem zwei Jahre lang eine Lehre als Elektriker absolviert.

Neben seiner Mutter und seinem Vater hat der Beschwerdeführer zudem noch zwei minderjährige Schwestern und einen Bruder. Seine Eltern und seine beiden Schwestern haben Afghanistan mittlerweile verlassen und leben in Indien. Der Beschwerdeführer hat zu ihnen seit dem 26.04.2016 keinen Kontakt mehr. Es kann nicht festgestellt werden, wo sich der Bruder des Beschwerdeführers aktuell aufhält.

Der Vater des Beschwerdeführers arbeitete in Kabul als Krankenpfleger. Seine Mutter war Angestellte im Gesundheitsministerium. Neben ihrem Wohnhaus im Stadtteil XXXX besitzt die Familie zudem ein Haus im Stadtteil XXXX, das dem Großvater des Beschwerdeführers gehörte und das vermietet ist. Wirtschaftlich geht es der Familie gut.

1.2. Der Bruder des Beschwerdeführers hatte sich in ein Mädchen verliebt und beabsichtigt dieses zu heiraten. Nachdem die Familie des Mädchens von der Verbindung erfuhr, sprach sie sich gegen diese aus und verlangte, dass das Mädchen einen anderen Mann heiratet, woraufhin sich die junge Frau schließlich das Leben nahm.

Am 09.12.2014 wurde der Beschwerdeführer von Unbekannten überfallen und von ihnen am Kopf verletzt. Er wurde daraufhin ins im XXXX Krankenhaus in Kabul gebracht und dort bis zum 13.12.2014 stationär behandelt.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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