Index
90/01 StraßenverkehrsrechtNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Entzug des gesetzlichen Richters durch Inanspruchnahme einer - dem Landesverwaltungsgericht wegen eingetretener Verfolgungsverjährung nicht mehr zugekommenen - Strafbefugnis; Zulässigkeit der Beschwerde trotz Einstellung des VerwaltungsstrafverfahrensSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Das Land Salzburg ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Tamsweg vom 9. Februar 2016 wurde über den Beschwerdeführer gemäß §52 lita Z10a Straßenverkehrsordnung 1960 iVm §99 Abs3 lita leg.cit. eine Geldstrafe in der Höhe von € 50,– (Ersatzfreiheitsstrafe: 18 Stunden) verhängt. Ihm wurde im Wesentlichen zur Last gelegt, er habe am 13. Mai 2014 auf der Tauernautobahn die kundgemachte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 13 km/h überschritten.
2. Die gegen das Straferkenntnis gerichtete Beschwerde wurde vom Landesverwaltungsgericht Salzburg mit Erkenntnis vom 8. Mai 2017 gemäß §50 VwGVG als unbegründet abgewiesen und der Beschwerdeführer gemäß §52 Abs1 und 2 VwGVG zu einem Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens in der Höhe von € 10,– verpflichtet. Das Erkenntnis wurde der Bezirkshauptmannschaft Tamsweg und dem Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie jeweils am 10. Mai 2017 zugestellt. Die unter einem angeordnete Zustellung an den Beschwerdeführer konnte zunächst nicht erfolgen, weil dieser bis 17. Mai 2017 ortsabwesend war. Auch der zweite Zustellversuch verlief wegen Ortsabwesenheit des Beschwerdeführers bis zum 21. Juni 2017 erfolglos. Schließlich fand eine rechtswirksame Zustellung an den Beschwerdeführer durch Hinterlegung am 10. Juli 2017 statt.
3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde vom 21. August 2017, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass das angefochtene Erkenntnis dem Beschwerdeführer erst nach Ablauf der Verjährungsfrist nach §31 Abs2 VStG zugestellt und der Beschwerdeführer deswegen rechtswidriger Weise trotz der eingetretenen Verjährung bestraft worden sei.
4. Die Verwaltungsbehörde und das Landesverwaltungsgericht Salzburg haben die Verwaltungs- bzw. Gerichtsakten vorgelegt. Das Landesverwaltungsgericht Salzburg hat überdies eine Gegenschrift erstattet.
5. Die Bezirkshauptmannschaft Tamsweg hat das Verwaltungsstrafverfahren mit Aktenvermerk vom 28. August 2017 gemäß §45 Abs1 Z1 VStG eingestellt und dies dem Beschwerdeführer schriftlich mitgeteilt.
II. Rechtslage
Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage (§§31 und 45 VStG) stellt sich wie folgt dar:
"Verjährung
§31. (1) Die Verfolgung einer Person ist unzulässig, wenn gegen sie binnen einer Frist von einem Jahr keine Verfolgungshandlung (§32 Abs2) vorgenommen worden ist. Diese Frist ist von dem Zeitpunkt zu berechnen, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat; ist der zum Tatbestand gehörende Erfolg erst später eingetreten, so läuft die Frist erst von diesem Zeitpunkt.
(2) Die Strafbarkeit einer Verwaltungsübertretung erlischt durch Verjährung. Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre und beginnt in dem in Abs1 genannten Zeitpunkt. In die Verjährungsfrist werden nicht eingerechnet:
1. die Zeit, während deren nach einer gesetzlichen Vorschrift die Verfolgung nicht eingeleitet oder fortgesetzt werden kann;
2. die Zeit, während deren wegen der Tat gegen den Täter ein Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft, beim Gericht oder bei einer anderen Verwaltungsbehörde geführt wird;
3. die Zeit, während deren das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage ausgesetzt ist;
4. die Zeit eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof, vor dem Verfassungsgerichtshof oder vor dem Gerichtshof der Europäischen Union.
(3) Eine Strafe darf nicht mehr vollstreckt werden, wenn seit ihrer rechtskräftigen Verhängung drei Jahre vergangen sind. In die Verjährungsfrist werden nicht eingerechnet:
1. die Zeit eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof, vor dem Verfassungsgerichtshof oder vor dem Gerichtshof der Europäischen Union;
2. Zeiten, in denen die Strafvollstreckung unzulässig, ausgesetzt, aufgeschoben oder unterbrochen war;
3. Zeiten, in denen sich der Beschuldigte im Ausland aufgehalten hat."
"§45. (1) Die Behörde hat von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn
1. die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Verwaltungsübertretung bildet;
2. der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen;
3. Umstände vorliegen, die die Verfolgung ausschließen;
4. die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering sind;
5. die Strafverfolgung nicht möglich ist;
6. die Strafverfolgung einen Aufwand verursachen würde, der gemessen an der Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und der Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat unverhältnismäßig wäre.
Anstatt die Einstellung zu verfügen, kann die Behörde dem Beschuldigten im Fall der Z4 unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid eine Ermahnung erteilen, wenn dies geboten erscheint, um ihn von der Begehung strafbarer Handlungen gleicher Art abzuhalten.
(2) Wird die Einstellung verfügt, so genügt ein Aktenvermerk mit Begründung, es sei denn, daß einer Partei gegen die Einstellung Beschwerde beim Verwaltungsgericht zusteht oder die Erlassung eines Bescheides aus anderen Gründen notwendig ist. Die Einstellung ist, soweit sie nicht bescheidmäßig erfolgt, dem Beschuldigten mitzuteilen, wenn er nach dem Inhalt der Akten von dem gegen ihn gerichteten Verdacht wußte."
III. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit der Beschwerde
1.1. Das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg wurde dem Beschwerdeführer nach der Aktenlage und seinem Vorbringen, das weder von der Bezirkshauptmannschaft Tamsweg noch dem Landesverwaltungsgericht Salzburg bestritten wird, am 10. Juli 2017 zugestellt. Die vom Beschwerdeführer am 21. August 2017 erhobene Beschwerde ist daher rechtzeitig.
1.2. Wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, ist die Beschwerdelegitimation nach Art144 Abs1 B-VG nur dann gegeben, wenn durch das bekämpfte Erkenntnis irgendein subjektives Recht der beschwerdeführenden Partei verletzt worden sein kann (vgl. etwa VfSlg 17.840/2006, 17.920/2006, 18.442/2008). Die Zulässigkeit der Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes setzt daher ein Interesse des Beschwerdeführers an der Beseitigung des angefochtenen Erkenntnisses voraus. Ein solches Interesse ist nur gegeben, wenn der Beschwerdeführer durch das Erkenntnis beschwert ist. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Beurteilung durch den Beschwerdeführer, sondern darauf an, ob bei Anlegung eines objektiven Maßstabes gesagt werden kann, dass das angefochtene Erkenntnis die Rechtsposition des Beschwerdeführers zu dessen Nachteil verändert (vgl. VfSlg 11.764/1988, 12.452/1990, 13.433/1993, 14.413/1996, 16.516/2002 und18.171/2007).
1.3. Das ist hinsichtlich des Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg der Fall: Der Beschwerdeführer ist als Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vom Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg betroffen; über ihn wird mit der Abweisung der an das Landesverwaltungsgericht gerichteten Beschwerde im Ergebnis eine Geldstrafe verhängt und er überdies zur Tragung eines Teils der Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens und des Beschwerdeverfahrens verpflichtet, sodass er durch die Entscheidung beschwert ist. Zwar hat die Bezirkshauptmannschaft Tamsweg das Verwaltungsstrafverfahren mit Aktenvermerk vom 28. August 2017 gemäß §45 Abs1 Z1 VStG eingestellt und den Beschwerdeführer mit Mitteilung vom selben Tag über die Einstellung informiert, doch vermag die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens – ungeachtet der Frage, ob überhaupt noch eine Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens gemäß §45 Abs1 VStG zulässig war (vgl. zB Fister in: Lewisch/Fister/Weilguni [Hrsg.], VStG2, §45 Rz 1 mwN) – die Wirkung der Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung und somit auch die Beschwer nicht zu beseitigen (VfSlg 15.760/2000, 16.747/2002 mwN).
1.4. Da auch die anderen Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.
2. In der Sache
2.1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes verletzt, wenn das Verwaltungsgericht eine ihm gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn es in gesetzwidriger Weise seine Zuständigkeit ablehnt, etwa indem es zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 8900/1980 und 16.550/2002 mwN) wird das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter etwa dann verletzt, wenn das Verwaltungsgericht eine Strafbefugnis in Anspruch nimmt, die ihm wegen eingetretener Verfolgungsverjährung nicht mehr zukommt (zur Strafbarkeitsverjährung vgl. VfSlg 16.550/2002).
2.2. Ein solcher Fehler ist dem Landesverwaltungsgericht Salzburg unterlaufen: Die dem Beschwerdeführer zur Last gelegt Tat hat sich am 13. Mai 2014 ereignet. Nach §31 Abs2 VStG iVm Abs1 leg.cit. erlischt die Strafbarkeit einer Verwaltungsübertretung durch Verjährung drei Jahre nachdem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen ist. Das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg vom 8. Mai 2017 wurde dem Beschwerdeführer unstrittiger Weise am 10. Juli 2017 – sohin nach Ablauf dieser Frist – zugestellt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Frist des §31 Abs2 VStG nur dann gewahrt, wenn das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes innerhalb der dort genannten Frist gegenüber dem Beschuldigten rechtswirksam erlassen wurde (vgl. VwGH 12.6.2017, Ra 2017/02/0089 mwN). Die Erlassung gegenüber einer anderen Verfahrenspartei ist nicht geeignet, diese Wirkung herbeizuführen. Dadurch dass die Zustellung des hier angefochtenen Erkenntnisses an den Beschwerdeführer als Beschuldigten am 10. Juli 2017 erst nach Ablauf der in §31 Abs2 VStG geregelten Frist stattfand, hat das Landesverwaltungsgericht Salzburg eine Strafbefugnis in Anspruch genommen, die ihm wegen eingetretener Verjährung nicht mehr zugekommen ist (vgl. etwa VwGH 13.12.2016, Ra 2016/02/0199, mwN).
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Straßenpolizei, Geschwindigkeitsüberschreitung, Verwaltungsstrafrecht, Verjährung, Verfolgungsverjährung, Verwaltungsstrafverfahren, Einstellung, Beschwer, Rechtskraft, VfGH / LegitimationEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2017:E2845.2017Zuletzt aktualisiert am
19.12.2017