Entscheidungsdatum
27.03.2017Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art. 130 Abs1 Z2Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin Mag. Hornschall über die Maßnahmenbeschwerde des Herrn Y. E. vom 11.11.2016, vertreten durch die B. Rechtsanwälte OG, gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Organe der Landespolizeidirektion Wien als belangte Behörde am 1.10.2016
zu Recht e r k a n n t:
I. Gemäß § 28 Abs. 1 und § 31 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG wird das Beschwerdeverfahren hinsichtlich der in beschwerdegezogenen Vorkommnisse am 1.10.2016 in der Polizeistation in Wien, A.-straße (Anlegen von Handfesseln, Bruch des kleinen Fingers, Hinschlagen auf den Hinterkopf) eingestellt.
II. Diesbezüglich hat der Beschwerdeführer Herr Y. E. der Landespolizeidirektion Wien als obsiegender belangter Behörde gemäß § 35 VwGVG i.V.m. § 1 Ziffer 3 und 4 Verwaltungsgerichts-Aufwandsersatzverordnung – VwG-AufwErsV den Vorlageaufwand in der Höhe von € 57,40 und den Schriftsatzaufwand in der Höhe von € 368,80 binnen 14 Tagen ab Zustellung bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
III. Gemäß § 28 Abs. 1 und 6 iVm § 31 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde insofern stattgegeben, als das Nichtvorlassen des Rechtsbeistandes zum Beschwerdeführer am 1.10.2016 in den Arrestbereich des Polizeikommissariats in Wien, P.-gasse durch ein Organ der belangten Behörde für rechtswidrig erklärt wird.
IV. Diesbezüglich hat die Landespolizeidirektion Wien als belangter Behörde dem obsiegenden Beschwerdeführer Herr Y. E. gemäß § 35 VwGVG i.V.m. § 1 Ziffer 1 VwG-AufwErsV den Schriftsatzaufwand in der Höhe von € 737,60 binnen 14 Tagen ab Zustellung bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
V. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Gang des Verfahrens
Der Beschwerdeführer, Herrn Y. E., hat mithilfe seines Rechtsbeistandes, der B. Rechtsanwälte OG, die gegenständliche Maßnahmenbeschwerde vom 11.11.2016 eingebracht. Er führt darin wie folgt aus:
„Ich erhebe gegen die durch Organe der Landespolizeidirektion Wien - am 1.10.2016 ungefähr 7:45 Uhr beginnenden, ausgeübten Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, und zwar
1) die am 1.10.2016 um ca. 7:45 Uhr durch Beamte der Landespolizeidirektion Wien zugefügten Misshandlungen, insbesondere das unverhältnismäßige Anwenden von Gewalt im Zuge der Anlegung der Handfesseln, da es zu einem Bruch des kleinen Fingers der rechten Hand gekommen ist. Ferner das Enganziehen der Handschellen, obwohl mitgeteilt wurde, dass dies sehr schmerzen würde.
2) das zweimalige Hinschlagen auf den Kopf des Beschwerdeführers, obwohl der Beschwerdeführer bereits gefesselt war und die Situation überhaupt beruhigt war.
3) die Verweigerung der Kontaktaufnahme mit dem Rechtsbeistand.
durch Organe der belangten Behörde
BESCHWERDE
an das Landesverwaltungsgericht Wien gern Art 130 Abs 1 Zi 2 und Art 132 Abs 2 B-VG iVm § 88 SPG.
2. SACHVERHALT:
Der Beschwerdeführer (im Folgenden mit „BWF“ abgekürzt) war am 1. Oktober 2016 gegen 2.00 Uhr in der Früh mit Freunden im Club V.. Gegen 6.00 Uhr früh hat der BWF mit seinen Freunden das Lokal verlassen und gingen sie zum Taxistandplatz. Der BWF glaubte einen Mann zu erkennen, der ihn am 20.8.2015 brutal geschlagen und erheblich verletzt hat. Der BWF sprach den Mann an und warf ihm vor, dass er von ihm geschlagen worden sei, was dieser jedoch bestritt. Auf Grund dessen hat der BWF über den Notruf die Polizei geholt. Es kam dann ein Polizeiauto und haben sich die Polizisten etwas aufgeschrieben und sind dann wieder gefahren. Der BWF wusste jedoch nicht genau was passiert ist und rief deshalb nochmals die Polizei an. Die Polizei kam jedoch nicht. Der BWF hat vier Mal per Notruf die Polizei angerufen (6:45 Uhr; 6.53 Uhr; 7.18 Uhr und 7.22 Uhr). Die Polizei kam jedoch nicht mehr.
Da der BWF weiß, dass in der Nähe die Polizeistation A.-straße ist, ist der BWF alleine dorthin gegangen und wollte der BWF eine Information haben, warum die Polizei den Mann weitergehen ließ und wie dieser heißt. Der BWF ist immer im Eingangsbereich hinter dem Glas gestanden und konnte nur über eine Gegensprechanlage mit den Polizisten reden. In der Polizeiinspektion hat der BWF insgesamt 4-5 Polizisten hinter dem Glas gesehen. Einer hat mit dem BWF relativ laut gesprochen.
Da die Polizisten sich zunächst weigerten, die Anzeige des BWF entgegenzunehmen bzw die Identitätsfeststellungen vorzunehmen und den Anzeiger aufforderten, die PI A.-strasse zu verlassen, rief er seine rechtsfreundliche Vertretung, Rechtsanwalt Mag. S., an und teilte ihm den Sachverhalt mit, insbesondere, dass er bei den Polizisten keinen Gehör finden würde und diese ihn von der PI A.-strasse wegschicken würden.
Der rechtsfreundliche Vertreter, Mag S., hörte dann im Hintergrund, dass der BWF die Polizisten ersuchte, mit der rechtsfreundlichen Vertretung zu telefonieren. Die rechtsfreundliche Vertretung hörte dann im Hintergrund eine Männerstimme (offensichtlich Polizist) und teilte dieser mit, dass er nicht telefonieren wird. Der BWF schaltete daraufhin seine Lautsprecher ein, so dass die rechtsfreundliche Vertretung über die Lautsprecherfunktion mitteilte, dass er die rechtsfreundliche Vertretung Rechtsanwalt Mag. S., ist und ersuchte, dass ein Beamter das Mobiitelefon in die Hand nimmt und mit ihm spricht und wies daraufhin, dass das Wegschicken seines Mandanten von der PI A.-strasse allenfalls den Tatbestand des Amtsmissbrauches darstelle. Die rechtsfreundliche Vertretung RA Mag. S. wurde jedoch ignoriert. Da der BWF unbedingt seine Peiniger identifizieren lassen wollte, bat er seine rechtsfreundliche Vertretung, in die PI A.-strasse zu kommen, was dieser auch tat.
Der BWF ersuchte den Polizisten, seinen Namen und den Namen des Mannes aufzuschreiben, was dieser jedoch nicht machte. Der BWF hat 20 bis 30 Minuten im Vorraum gewartet. Der BWF wollte nämlich auf seinen Rechtsanwalt warten. Der Polizist hat dem BWF mehrmals grundlos erklärt, er solle die Polizeiinspektion verlassen, sonst würde er festgenommen werden. Der BWF teilte dem Polizisten jedoch mit, dass er nicht gehen werde, wenn der Polizist den Vorfall nicht aufnimmt und im Übrigen warte er auf seinen Rechtsanwalt.
Der BWF hat sich weder aggressiv noch zu lautstark mit dem Polizisten unterhalten. Der Polizist wirkte sehr genervt und war sehr unfreundlich und aggressiv.
Es kamen dann plötzlich und für den BWF völlig unerwartet 3 bis 4 Beamte, als der BWF sich hinsetzen wollte. Diese packten den BWF mit übertriebener und übermäßiger Kraft bzw. Gewalt, verdrehten dem BWF die Hände am Rücken und legten ihm Handschellen an. Dabei verdrehten sie ihm übertrieben und brutal die Hand und schmerzte dabei der kleine Finger des Beschwerdeführers sehr stark. Der BWF hatte sofort erhebliche Schmerzen verspürt, da die Handschellen zu fest verschlossen wurden. Obwohl der BWF den Polizisten dies mitteilte, haben diese grundlos die Handschellen nicht gelockert.
Die Polizisten haben dann den BWF einfach warten lassen. Dann kam ein Polizist (1,80 Meter groß, Kurzhaarschnitt, auffällig jedoch an den Seiten ganz kurz geschnitten, ein „Irokesenschnitt") zum BWF, zog seine Handschuhe aus und hat dem BWF mit seiner flachen Hand (welche genau weiß der BWF nicht mehr) auf den Hinterkopf geschlagen. Dieser sagte dann, der BWF müsse leiser sein. Der BWF hatte ca. 4 Tage erhebliche Schmerzen von den Schlägen und war der Hinterkopf des BWF auch angeschwollen. Der BWF hat sich im Spital mit einer Computertomografie röntgen lassen. Der BWF wurde dann unnötigerweise zu der Polizeidienststelle in die P.-gasse gebracht und dort angehalten.
Aus dem Amtsgutachten des Polizeikommissariats ... vom 4.10.2016 ergibt sich, dass der BWF im Zuge der übertriebenen und überharten Festnahme eine schwere Körperverletzung erlitten hat.
Im Amtsgutachten des Polizeikommissariats ... vom 4.10.2016 wurde wie folgt Befund aufgenommen und diagnostiziert:
„Laut UKH: Schädelprellung, Bruch des 5. Mittelhandknochens re.
Behandlung mit dorsaler Gipsschiene für 4 Wochen.
Bei der Untersuchung ist ein Bluterguss an der Unterseite des li. Handgelenks erkennbar.
Es handelt sich um eine an sich schwere Körperverletzung mit Gesundheitsschädigung und mit Berufsunfähigkeit von mehr als 24 tägiger Dauer."
In der Krankengeschichte des BWF vom UKH wurde wie folgt diagnostiziert:
„Cont. Capitis, Fract. Subapit. Metacarp. V dext“
Dem BWF wurde dann erst am 28.10.2016 der Gips abgenommen.
In die Polizeiinspektion angekommen (20 - 25 Minuten später nach dem obigen Telefonat), erfuhr die rechtsfreundliche Vertretung, dass der BWF aufgrund seiner angeblichen Aggressivität und weil er „gegen das LärmG“ verstoßen habe festgenommen worden sei und in die Polizeiinspektion P.-gasse überstellt worden sei. Auffällig war, dass der Polizist (Dienstnummer: ...2) genervt und sehr unfreundlich war. Offensichtlich musste etwas vorgefallen sein.
Die rechtsfreundliche Vertretung des BWF begab sich dann in die PI P.-gasse und sprach dort im Eingangsbereich vor, dass sie ihren Mandanten besuchen möchte, der festgenommen wurde. Der dortige Polizist mit der Dienstnummer ...6 teilte mit, dass er Rücksprache halten wird. Wieder zurückgekommen teilte dieser mit, dass die rechtsfreundliche Vertretung des BWF nicht zum BWF darf und fragte ferner, was die rechtsfreundliche Vertretung mit ihm besprechen würde. Die rechtsfreundliche Vertretung teilte ihm darauf mit, dass nach dem SPG sein Mandant ein Recht auf seinen Rechtsbeistand hat. Der Polizist mit der Dienstnummer ...6 antwortete, dass bei ihnen ein Rechtsanwaltsbesuch nicht vorgesehen ist und die rechtsfreundliche Vertretung allenfalls bei der Einvernahme dabei sein darf. Eine Einvernahme würde allenfalls am Nachmittag erfolgen und die rechtsfreundliche Vertretung möge seine Daten zurücklassen. Das Ersuchen den Polizeijuristen zu kontaktieren und der Hinweis, dass die späte Einvernahme am Nachmittag nicht verhältnismäßig ist, wurde von dem Polizisten ignoriert.
Nachdem die rechtsfreundliche Vertretung, RA Mag. S., die PI P.-gasse verließ, rief er den BWF an und teilte dieser seiner rechtsfreundlichen Vertretung weinend mit, dass er geschlagen worden sei und dadurch Verletzungen erlitten habe. Die rechtsfreundliche Vertretung ersuchte den BWF Geduld zu üben und teilte ihm den Inhalt des Gespräches mit dem Polizisten mit. Ferner teilte RA Mag S. dem BWF mit, dass er es den Polizisten mitteilen soll, wenn der BWF Schmerzen hat.
Beweis:
PV; ZV Amtsarzt Dr. F.; ZV der einschreitenden Beamten; einzuholendes medizinisches SV-Gutachten; herbeizuschaffender Verwaltungsakt der LPD Wien; vorzulegendes E-Mail vom 1.10.2016; weitere Beweise Vorbehalten.
2. Beschwerdegründe
2.1 Das unverhältnismäßige Anwenden von Gewalt durch Beamte der belangten Behörde im Zuge der Anlegung der Handfesseln:
Die unter Punkt 2. dargestellte Vorgehensweise der Anlegung der Handfessel stellt eine Verletzung des Art 3 EMRK und der UNO-Folterkonvention dar.
Gern Art 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen werden.
Nach der ständigen Judikatur des VfGH verletzen physische Zwangsakte die Bestimmung des Art. 3 EMRK, wenn ihnen eine die Menschenwürde beeinträchtigende, gröbliche Missachtung des Betroffenen als Person zu Eigen ist (VfSIg 8654 u.a.). So hat der VfGH beispielsweise das Verabreichen von Ohrfeigen, Zerren an den Haaren und ähnliches als Verletzung des Art. 3 EMRK qualifiziert.
Nach ständiger Spruchpraxis der EKM umfasst der Begriff "unmenschliche Behandlung" zumindest solche Handlungen, die absichtlich schweres geistiges oder physisches Leid verursachen und in der besonderen Situation nicht zu rechtfertigen sind (EKM 14.12.1976, EuGRZ 1977, 488, unter Verweis auf frühere Entscheidungen). Das unnotwendige und ungerechtfertigte Anlegen von Handfessel verletzt Art. 3 EMRK (VfGH vom 07.10.1981, B 70/81, VfSIg 8654/1979 mwN).
Beim Anlegen der Handfesseln wurde dem BFW dermaßen die Hand verdreht, dass es zu einem Bruch des kleinen Fingers der rechten Hand kam. Ferner wurde auf die Biutzirkulation nicht geachtet, obwohl der BFW den Beamten mitteilte, dass er Schmerzen hatte. Beweis: PV;
ZV Organe der belangten Behörde; einzuholendes medizinisches SV Gutachten; weitere Beweise Vorbehalten.
3.2. Das zweimalige Hinschlagen auf den Hinterkopf, obwohl der Beschwerdeführer bereits gefesselt war und die Situation überhaupt beruhigt war.
Diese Handlung stellt einen eigenen Verwaltungsakt dar, da die Situation sich bereits beruhigt hatte und der Beschwerdeführer gefesselt gesessen ist. Das Hinschlagen des Organes der belangten Behörde auf eine gefesselte Person stellt einen Exzessakt dar und ist der Foltertatbestand erfüllt.
Auf die rechtlichen Ausführungen im Punkt 3.1 wird hingewiesen.
3.3. Die Nichtanweisung bzw. Verweigerung der Kontaktaufnahme zu meinem Rechtsbeistand:
Gem. § 47 Abs. 1 SPG habe ich das Recht:
„ (1) Jeder nach § 45 Festgenommene oder nach § 46 Vorgeführte hat das Recht, dass auf sein Verlangen ohne unnötigen Aufschub und nach seiner Wahl ein Angehöriger, in den Fällen des § 45 Abs. 1 Z 1 und des § 46 auch ein Rechtsbeistand, von der Festnahme (Vorführung) verständigt wird. Bei der Festnahme (Vorführung) und Anhaltung ist auf die Achtung der Menschenwürde des Betroffenen und auf die möglichste Schonung seiner Person Bedacht zu nehmen."
Der BWF wurde nicht über seine Rechte belehrt. Des weiteren wollte seine rechtsfreundliche Vertretung ihn in der PI P.-gasse besuchen, um den Vorfall zu besprechen. Der dortige Sicherheitswachbeamte verweigerte dies jedoch.
Beweis: ZV Mag. S., p.A. … Wien; ZV des Organs der belangten Behörde mit der Dienstnummer ...6; p.A. der belangten Behörde; weitere Beweise Vorbehalten.
4. Anträge:
Der Beschwerdeführer stellt daher die
Anträge,
das Verwaltungssenat Wien möge nach Durchführung der beantragten Beweise und Anberaumung einer öffentlichen und mündlichen Verhandlung aussprechen, dass der Beschwerdeführer
1. dadurch, dass die Organe der belangten Behörde am 1.10,2016 durch unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt beim Anlegen der Handschellen den kleinen Finger der rechten Hand des Beschwerdeführers brachen und auf die Blutzirkulation nicht geachtet haben;
2. dadurch, dass das Organ der belangten Behörde dem Beschwerdeführer am 1.10.2016 - trotz Deeskalation der Situation - zweimal mit der flachen Hand auf den Kopf schlug;
3. dadurch, dass die Kontaktaufnahme zum Rechtsbeistand verweigert wurde;
a. in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gern Art 2, Art 3 und Art 6 EMRK,
b. in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gem. dem BVG über die rassische Diskriminierung
sowie den korrespondierenden einfachgesetzlichen Rechten verletzt wurde.
Ferner gemäß § 35 VwGVG dem Bund als Rechtsträger der belangten Behörde die Kosten des Verfahrens auferlegen. Es wird der Ersatz der Eingabegebühr, der Fahrtkosten sowie des Pauschalbetrages für den Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand gemäß der VwG-AufwErsV BGBl II 2013/517 geltend gemacht.
Die Landespolizeidirektion Wien legt eine Ausfertigung des von ihrem Polizeikommissariat … zu AZ: VStV/916100498932/001/2016 elektronisch geführten Verwaltungsstrafakts sowie Ablichtungen der von diesem Polizeikommissariat zu AZ: D1/329322/2016 (samt den beiden dazugehörigen Tagesbericht-Eintragungen über die Einsätze in Wien, W.-straße) und B6/ 329305/2016 geführten kriminalpolizeilichen Ermittlungsakten vor.
Wegen der vom BF behaupteten Misshandlungen werden vom Referat Besondere Ermittlungen der Landespolizeidirektion Wien kriminalpolizeiliche Ermittlungen geführt (GZ: D1/329377/2916), deren vorläufiges Ergebnis mit Anfallsbericht vom 03.10.2016 der StA Wien übermittelt wurde.“
Schließlich legte die Landespolizeidirektion Wien die Verfahrensakten vor und erstattet nachfolgende Gegenschrift vom 13.12.2016:
„I. SACHVERHALT
Der Sachverhalt ergibt sich zunächst aus der im vorgelegten Verwaltungsstrafakt enthaltenen Anzeige der PI A.-straße vom 01.10.2016.
Zu ergänzen ist, dass beim Anlegen der Handfesseln keineswegs Körperkraft in überschießendem Maß angewendet wurde. Der Beschwerdeführer (in der Folge kurz: „BF“) wurde auch nicht in der von ihm geschilderten Art durch Versetzten von Schlägen auf den Kopf misshandelt. Im Hinblick auf den behaupteten Bruch eines Fingers wird besonders darauf hingewiesen, dass der BF heftig gegen die Tür der Arrestzelle geschlagen (und getreten) hat (siehe die bei den vorgelegten Haftunterlagen befindliche Meldung vom 01.10.2016 über die Verlegung in die besonders gesicherte Zelle).
Was die Verweigerung der Kontaktaufnahme in der PI P.-gasse betrifft, ist auszuführen, dass sich der - alkoholisierte - BF nach Abgabe in die Arrestzelle wiederholt rabiat gebärdete, indem er gegen die Zellentür trat und schlug. Bei Eintreffen des einschreitenden RA war daher die Durchführung eines Besuchs im Arrest aus Sicherheitsgründen nicht möglich.
Abtlnsp. P. verfügte sohin, dass der einschreitende RA den BF derzeit nicht aufsuchen könne. Freilich wurde der RA vom nachfolgenden Einvernahmetermin rechtzeitig verständigt, sodass er dabei anwesend sein konnte.
Beweis: vorgelegte Verwaltungsakten
II. RECHTSLAGE
Der BF erachtet sich in seinen Rechten dadurch verletzt, dass beim Anlegen der Handfesseln auf die Blutzirkulation nicht geachtet worden sei und ihm durch unverhältnismäßige Gewalt behaupteter Maßen der kleine Finger der rechten Hand gebrochen worden sei. Weiters sei ihm mit der flachen Hand zweimal auf den Kopf geschlagen worden. Schließlich habe der rechtsfreundliche Vertreter den BF im Arrest besuchen wollen, was dem Vertreter verweigert worden sei.
1. Wie sich aus der Sachverhaltsdarstellung ergibt, hatte der BF ohne triftigen Grund in der PI A.-straße randaliert. Nicht nur, dass die von ihm gegen einen Bediensteten eines Lokals erhobenen Vorwürfe haltlos waren, geriet er wegen des ebenfalls von ihm erfundenen Vorwurfs, die Identität dieses Beschuldigten sei von der Polizei nicht festgestellt worden, dermaßen in Wut, dass er gegenüber völlig unbeteiligten EB in der PI A.-straße wiederholt ausfallend und aggressiv wurde. Nach mehreren - erfolglosen - Versuchen, ihn verbal zu beruhigen entschloss sich der amtshandelnde EB, den BF aus der PI zu weisen. Der BF kam der entsprechenden rein verbalen Aufforderung nicht nach, weshalb der EB die Verweisung aus der PI nach weiteren gegen ihn gerichteten ordinären Beschimpfungen, zwangsweise durchführte. Der BF kam jedoch neuerlich in die PI und wurde schließlich wegen der drei in der VStV-Anzeige genannten Übertretungen nach § 35 VStG festgenommen. Aufgrund seines Verhaltens wurden ihm Handfesseln angelegt. Die Handfesseln wurden weder zu eng gestellt, noch wurden dem BF dabei irgendwelche Knochenbrücke zugefügt.
Auch das Verabreichen von Schlägen auf den Kopf entspricht keineswegs den Tatsachen, wie sich aus der Sachverhaltsdarstellung ergibt.
Die Landespolizeidirektion Wien stellt daher den
ANTRAG,
die Beschwerde in diesem Punkt kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.
2. Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts dient eine Maßnahmenbeschwerde nur der Schließung einer Lücke im Rechtsschutzsystem, nicht aber der Eröffnung einer Zweigleisigkeit für die Verfolgung ein- und desselben Rechts. Beim Besuchsrecht des Inhaftierten handelt es sich um ein aus der Anhaltordnung (AnhO) erwachsendes Recht. Der zur Durchsetzung dieses Rechts vorgesehene Rechtsbeheif ist die Beschwerde beim Kommandanten des Arrests nach § 23 AnhO. Eine Wahlmöglichkeit, die mit der Anhaltung verbundene Beschränkung von Rechten mittels Maßnahmenbeschwerde zu bekämpfen, besteht nicht. Eine Maßnahmenbeschwerde steht nur bei Verletzung von Rechten zu, die nicht schon durch die Inhaftierung selbst eingeschränkt werden (UVS Wien 20.05.2010, UVS-02/13/1620,1621/2010).
Ungeachtet des Umstands, dass eine Durchführung des Besuchs zu der konkreten Zeit aus Sicherheitsgründen in der Praxis nicht möglich war, stellt die belangte Behörde daher den
ANTRAG,
die Beschwerde in diesem Punkt kostenpflichtig als unzulässig zurückzuweisen.
An Kosten werden Schriftsatzaufwand und Vorlageaufwand für jeden Verwaltungsakt gemäß § 1 der VwG-AufwErsV in der geltenden Fassung verzeichnet.“
Das Verwaltungsgericht Wien hielt am 27.3.2017 eine öffentliche mündliche Verhandlung ab.
Der Vertreter des Beschwerdeführers zog nach Diskussion der Sach- und Rechtslage die gegenständliche Maßnahmenbeschwerde betreffend die Ereignisse am 1.10.2016 in der Polizeiinspektion Wien, A.-straße zurück.
Der Vertreter der belangten Behörde gestand im Gegenzug zu, dass am 1.10.2016 der Anwalt des Beschwerdeführers, Herr Mag. S., zum inhaftierten Beschwerdeführer in den Arrestbereich des Polizeikommissariats in Wien, P.-gasse rechtswidrig nicht vorgelassen wurde.
Ad I.
Die gegenständliche Maßnahmenbeschwerde wurde vom Vertreter des Beschwerdeführers nach eingehender Diskussion der Sach- und Rechtslage und Beratung mit dem Beschwerdeführer in der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 27.3.2017 zurückgezogen. Aufgrund dieser unmissverständlichen Prozesserklärung war das Verfahren spruchgemäß einzustellen.
Ad II.
Die diesbezügliche Kostenentscheidung gründet sich auf § 35 Abs. 1, 2 und 4 Z 3 VwGVG iVm § 1 Z 3 und 4 VwG-AufwErsV. Da die Beschwerde vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht Wien zurückgezogen wurde, gilt die belangte Behörde als obsiegende und der Beschwerdeführer als unterlegene Partei.
Ad III.
Feststellungen
Aufgrund des durchgeführten Verfahrens stellt das Verwaltungsgericht Wien folgen Sachverhalt als erwiesen fest:
Der Beschwerdeführer, Herrn Y. E., wurde am 1.10.2016 in der Polizeiinspektion in Wien, A.-straße von Organen der der Landespolizeidirektion Wien (belangte Behörde) gemäß § 35 Abs. 3 Verwaltungsstrafgesetz – VStG festgenommen. In der Folge wurde der Beschwerdeführer am 1.10.2016 kurzfristig im Arrestbereich des Polizeikommissariats in Wien, P.-gasse angehalten. Der Anwalt des Beschwerdeführers, Herr Mag. S., wurde von einem Organ der belangten Behörde nicht zum inhaftierten Beschwerdeführer vorgelassen.
Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers, dem von der belangten Behörde nicht entgegengetreten wurde.
Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:
Maßgebliche Rechtslage
§ 35 Verwaltungsstrafgesetz – VStG lautet:
FestnahmeDie Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes dürfen außer den gesetzlich besonders geregelten Fällen Personen, die auf frischer Tat betreten werden, zum Zweck ihrer Vorführung vor die Behörde festnehmen, wenn
1.
der Betretene dem anhaltenden Organ unbekannt ist, sich nicht ausweist und seine Identität auch sonst nicht sofort feststellbar ist oder
2.
begründeter Verdacht besteht, daß er sich der Strafverfolgung zu entziehen suchen werde, oder
3.
der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht.
§ 1 Anhalteordnung – AnhO lautet:
Anwendungsbereich(1) Diese Verordnung findet auf Menschen Anwendung, die angehalten werden, nachdem sie von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes festgenommen worden sind oder im Haftraum einer Sicherheitsbehörde eine mit Bescheid angeordnete Haft angetreten haben (Häftlinge).
(1) Das Recht der Häftlinge, Besuche zu empfangen, darf nicht über das durch diese Verordnung festgelegte Maß hinaus beschränkt werden. Besucher müssen sich mit einem amtlichen Lichtbildausweis legitimieren.
(2) Jeder Häftling darf einmal wöchentlich während der von der Behörde festgelegten Besuchszeit für die Dauer einer halben Stunde Besuch empfangen; hiebei dürfen jeweils nur zwei erwachsene Besucher gleichzeitig anwesend sein. Angehörigen unter 14 Jahren ist der Besuch nur in Begleitung eines Erwachsenen gestattet. Der Besuch ist nach Möglichkeit außerhalb der Zellen in hiefür geeigneten Räumlichkeiten abzuwickeln.
(2a) Für den Schubhaftvollzug ist grundsätzlich danach zu trachten, die Frequenz und Dauer der Besuchsmöglichkeiten im Interesse der Aufrechterhaltung familiärer und sonstiger persönlicher Bindungen, soweit dies organisatorisch möglich ist, zu erhöhen und auch den Rahmen des Besuchsraums und die Abwicklung der Besuche dementsprechend zu gestalten. Bei den diesbezüglichen Anordnungen sollte auch auf die voraussichtliche Dauer der Schubhaft Rücksicht genommen werden. Auf eine Überwachung solcher Besuche kann, soweit Sicherheitserwägungen dem nicht entgegenstehen, verzichtet werden.
(3) Besuche
1.
von Rechtsvertretern, Vertretern inländischer Behörden, diplomatischer oder konsularischer Vertretungen des Heimatstaates sowie von Organen, die durch für Österreich verbindliche internationale Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte eingerichtet sind, oder
2.
deren Bedeutung für die Regelung wichtiger persönlicher Angelegenheiten glaubhaft gemacht werden,
dürfen jederzeit im erforderlichen Ausmaß empfangen werden; nach Möglichkeit sind sie während der Amtsstunden abzuwickeln. Besuche von Vertretern der Schubhaftbetreuung sind während der Amtsstunden, darüber hinaus in Absprache mit dem Kommandanten abzuwickeln.
(4) Besuche Privater, nicht jedoch von Rechtsvertretern, dürfen auch inhaltlich überwacht werden; Gespräche und Handlungen, die dem Zweck der Haft zuwiderlaufen oder die Ordnung im Hause stören, sind zu unterbinden. Wiederholt der Besucher eine solche Handlung trotz Abmahnung, so ist der Besuch zu beenden.
(5) (Anm.: aufgehoben durch BGBl. II Nr. 439/2005)
§ 88 Sicherheitspolizeigesetz - SPG lautet:
Beschwerden wegen Verletzung subjektiver Rechte(1) Die Landesverwaltungsgerichte erkennen über Beschwerden von Menschen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt worden zu sein (Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG).
(2) Außerdem erkennen die Landesverwaltungsgerichte über Beschwerden von Menschen, die behaupten, auf andere Weise durch die Besorgung der Sicherheitsverwaltung in ihren Rechten verletzt worden zu sein, sofern dies nicht in Form eines Bescheides erfolgt ist.
(3) Beschwerden gemäß Abs. 1, die sich gegen einen auf dieses Bundesgesetz gestützten Entzug der persönlichen Freiheit richten, können während der Anhaltung bei der Sicherheitsbehörde eingebracht werden, die sie unverzüglich dem Landesverwaltungsgericht zuzuleiten hat.
(4) Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde beträgt sechs Wochen. Sie beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt hat, wenn er aber durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt behindert war, von seinem Beschwerderecht Gebrauch zu machen, mit dem Wegfall dieser Behinderung. Die Beschwerde ist beim Landesverwaltungsgericht einzubringen.
Rechtliche Beurteilung
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Entscheidung vom 16.05.2013, GZ: 2011/21/0185, mit welcher die von der Behörde angeführten Entscheidungen des unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 20.5.2010, Zl. UVS-02/13/1620 und 1621/2016 behoben wurden, ausgesprochen, dass die ausschließliche Verweisung auf die "Kommandantenbeschwerde" nach § 23 Abs. 1 AnhO 1999 nicht in Betracht kommt und die Umstände des Schubhaftvollzuges (Modalitäten der Haft) bzw. Vorkommnisse und Unterlassungen während des Schubhaftvollzuges mittels Maßnahmenbeschwerde gemäß § 88 SPG 1991 angefochten werden können (vgl. E 25. Oktober 2012, 2012/21/0064; E VfGH 30. September 2002, B 423/01, VfSlg. 16638, wonach die Umstände, unter denen eine Anhaltung erfolgt, einer gesonderten Anfechtung zugänglich sind und kann das Unterlassen bestimmter Maßnahmen während einer Anhaltung einen anfechtbaren Akt iSd Art. 129a B-VG darstellen; E 16. November 2012, 2012/21/0032, betreffend die Unterlassung der Beigebung eines Rechtsberaters; E 14. April 2011, 2007/21/0322; E 29. April 2010, 2008/21/0545; E 29. September 2011, 2008/21/0516, Unterbindung von Besuchskontakten zu einem Schubhäftling). Daraus ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht Wien für die Entscheidung über die in beschwerdegezogenen Modalitäten der Haft des Beschwerdeführers am 1.10.2016 zuständig ist.
Gemäß § 21 Abs. 3 Z 1 iVm § 1 Abs. 1 AnhO dürfen Menschen, die angehalten werden, nachdem sie von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes festgenommen worden sind, Besuche (unter anderem) von Rechtsvertretern jederzeit im erforderlichen Ausmaß empfangen.
Dieses Recht wurde dem zuvor gemäß § 35 VStG festgenommenen Beschwerdeführer gemäß den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes Wien am 1.10.2016 im Arrestbereich des Polizeikommissariats in Wien, P.-gasse verwehrt, indem sein Rechtsbeistand nicht zu ihm vorgelassen wurde.
Der Beschwerde war daher in diesem Punkt stattzugeben und die in Beschwerde gezogene Amtshandlung für rechtswidrig zu erklären.
Ad IV.
Die diesbezügliche Kostenentscheidung gründet sich auf § 35 Abs. 1, 2 und 4 Z 3 VwGVG iVm § 1 Z 6 VwG-AufwErsV. Da die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wurde, ist der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei.
Ad V.
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Maßnahmenbeschwerde; Einstellung des Verfahrens; Schubhaftvollzug; Besuch von Rechtsvertreter verweigert; Festnahme; BesuchsrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.102.012.14023.2016Zuletzt aktualisiert am
11.12.2017