TE Bvwg Erkenntnis 2017/11/23 W133 2142264-1

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Veröffentlicht am 23.11.2017
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Entscheidungsdatum

23.11.2017

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W133 2142264-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Natascha GRUBER als Vorsitzende und den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 25.10.2016, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin ist seit 22.11.1993 Inhaberin eines unbefristeten Behindertenpasses.

Die Beschwerdeführerin stellte am 06.07.2016 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (in der Folge als "belangte Behörde" bezeichnet), einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragungen "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" und "Gesundheitsschädigung gemäß § 2 Abs. 1 dritter Teilstrich (VO BGBl. 303/1996)" in den Behindertenpass sowie auf Ausstellung eines Parkausweises gemäß § 29b StVO und legte medizinische Unterlagen und Befunde vor.

Die belangte Behörde holte in der Folge ein allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten vom 03.10.2016 ein, in welchem auf Basis einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin folgende Funktionseinschränkungen medizinisch festgestellt wurden:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

GdB %

1

Zustand nach Lungenkarzinom rechter Unterlappen

 

 

2

Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung

 

 

3

Chronische Polyarthritis

 

 

4

Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule

 

 

5

Zustand nach Mammakarzinom beidseits

 

 

6

Polyneuropathie der unteren Extremitäten nach Chemotherapie

 

 

7

Funktionseinschränkungen der Schultergelenke

 

 

8

Funktionseinschränkungen der Hüftgelenke

 

 

9

Degenerative Veränderungen der Kniegelenke

 

 

10

Depressio bei Anpassung- und Angststörung

 

 

Die Benützung

der öffentlichen Verkehrsmittel wurde als zumutbar erachtet. Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "D3" seien nicht gegeben.

Mit Bescheid vom 25.10.2016 wies die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" gemäß §§ 42 und 45 BBG ab. Sie stützte den Bescheid auf die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens. Als Beilage des Bescheides wurde der Beschwerdeführerin das ärztliche Sachverständigengutachten übermittelt.

Über den Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises gemäß § 29 b StVO sprach die belangte Behörde nicht bescheidmäßig ab. Der Begründung des Bescheides vom 25.10.2016 ist zu entnehmen, dass die Voraussetzungen nicht gegeben seien, da die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" nicht vorliege.

Mit weiterem Bescheid der belangten Behörde vom 28.10.2016 wurde auch der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Gesundheitsschädigung gemäß § 2 Abs. 1 dritter Teilstrich (VO BGBl. 303/1996)" gemäß §§ 42 und 45 BBG abgewiesen.

Gegen den Bescheid vom 25.10.2016 erhob die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin fristgerecht die nunmehr zu beurteilende Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin wird zusammengefasst vorgebracht, der Bescheid werde zur Gänze angefochten. Eine Gesamtschau ergebe, dass Beeinträchtigungen der unteren Extremitäten, eine postoperative Einschränkung der Lungenfunktion und der körperlichen Belastbarkeit vorlägen. Aufgrund des Lungenkarzinoms habe im September 2015 der rechte Unterlappen der Lunge operativ entfernt werden müssen. Bei der Lunge liege eine Ventilationsstörung vor, womit die verbleibende Lunge ihre körperlichen Aufgaben nur teilweise erfüllen könne. Hierbei sei auf die Lungenfunktionsprüfung vom 28.04.2016 hingewiesen. Atemnot sei chronisch vorhanden, sodass nur sehr kurze Gehstrecken möglich seien. Auch bestehe eine Arthrose der Hände, die gegen eine normale Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel spreche. Die chronische Beeinträchtigung aufgrund der Teilamputation der Lunge könne ohne einschlägige Untersuchungen und vor allem Funktionstests bzw. Belastungs-EKG überhaupt nicht beurteilt werden.

Die Beschwerdeführerin legte ihrer Beschwerde weitere medizinische Befunde bei.

Am 15.12.2016 wurden die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Die Beschwerdeführerin ist seit 22.11.1993 Inhaberin eines unbefristeten Behindertenpasses.

Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

Am 06.07.2016 stellte die Beschwerdeführerin unter anderem einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass und auf Ausstellung eines Parkausweises gemäß § 29 b StVO.

Bei der Beschwerdeführerin bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1) Zustand nach Lungenkarzinom rechter Unterlappen;

2) Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung;

3) Chronische Polyarthritis;

4) Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule;

5) Zustand nach Mammakarzinom beidseits;

6) Polyneuropathie der unteren Extremitäten nach Chemotherapie;

7) Funktionseinschränkungen der Schultergelenke;

8) Funktionseinschränkungen der Hüftgelenke;

9) Degenerative Veränderungen der Kniegelenke;

10) Depressio bei Anpassung- und Angststörung.

Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden einzelnen Funktionseinschränkungen, deren Ausmaß, wechselseitiger Leidensbeeinflussung, medizinischer Diagnose und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel werden die diesbezüglichen medizinischen Beurteilungen im Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 03.10.2016 der nunmehrigen Entscheidung zu Grunde gelegt.

Die Beschwerdeführerin begründet ihre Beschwerde im Wesentlichen mit dem Vorbringen, dass durch die Beeinträchtigungen der oberen und unteren Extremitäten sowie der Einschränkung der Lungenfunktion die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel nicht zumutbar sei. Diese Einwendungen vermögen jedoch vor dem Hintergrund des vorliegenden Gutachtens und der vorliegenden medizinischen Befunde nicht die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung zu rechtfertigen; diesbezüglich wird auf die noch folgenden beweiswürdigenden und rechtlichen Ausführungen verwiesen.

Im Rahmen der gutachterlichen persönlichen Untersuchung wurde festgestellt, dass an den oberen und unteren Extremitäten keine erheblichen Funktionseinschränkungen objektivierbar sind, welche das Zurücklegen einer kurzen Gehstrecke (300 bis 400 Meter) und das Ein- und Aussteigen erheblich einschränken. Die Kraft der oberen Extremitäten ist seitengleich ausgestaltet, die Greif- und Haltefunktionen sind nicht auf erhebliche Weise eingeschränkt. Der Nackengriff ist beidseits durchführbar, der Schürzengriff ist beidseits eingeschränkt möglich. Ein sicheres Festhalten in einem öffentlichen Verkehrsmittel ist gewährleistet.

Das Gangbild ist etwas verlangsamt und hinkend, jedoch insgesamt sicher und flüssig. Es wird eine Unterarmstützkrücke verwendet. Ein freies Stehen ist möglich. Der Zehenspitzen- und Fersengang sind durchführbar.

Das Festhalten beim Ein- und Aussteigen ist ausreichend möglich, der Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln ist daher gesichert durchführbar. Die Geh-, Steh- und Steigfähigkeit der Beschwerdeführerin sowie die Möglichkeit, Haltegriffe zu erreichen und sich festzuhalten sind ausreichend.

Bei Zustand nach Unterlappenresektion erreicht die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung kein Ausmaß, welches die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel unzumutbar macht. Es besteht keine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit.

Weiters liegen keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten oder von Sinnesfunktionen vor, es ist auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vorhanden.

Eine Ausschöpfung der zumutbaren Therapieoptionen betreffend die Funktionseinschränkung der Lunge ist zudem nicht belegt.

Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist der Beschwerdeführerin zumutbar.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen über die Ausstellung eines Behindertenpasses am 22.11.1993 und über das Datum der Einbringung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" im Behindertenpass sowie auf Ausstellung eines Parkausweises gemäß § 29b StVO basieren auf dem Akteninhalt. Über den Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises gemäß § 29 b StVO wurde von der belangten Behörde nicht bescheidmäßig abgesprochen.

Die Feststellung zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Inland ergibt sich aus dem im Akt aufliegenden Auszug aus dem Zentralen Melderegister; konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland hätte, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Auch die belangte Behörde ging vom Vorliegen dieser Voraussetzung aus.

Die Feststellungen zu den bestehenden Leidenszuständen und zur aktuellen Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gründen sich auf das durch die belangte Behörde eingeholte Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 03.10.2016. Darin wird nachvollziehbar ausgeführt, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel für die Beschwerdeführerin aktuell zumutbar ist. Im Gutachten wird auf die Art der Leiden der Beschwerdeführerin und deren Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Der Gutachter setzt sich auch umfassend und nachvollziehbar mit den im Zuge des Verfahrens vorgelegten Befunden auseinander. Die getroffenen Einschätzungen und medizinischen Beurteilungen basieren auf den im Rahmen persönlicher Untersuchungen erhobenen Befunden und entsprechen auch den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen (zur Art und zum Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen und deren Auswirkungen wird auf die detaillierten, oben auszugsweise wiedergegebenen Ausführungen in dem Gutachten verwiesen).

Hinsichtlich des Lungenleidens der Beschwerdeführerin ergibt sich aus dem vorliegenden Sachverständigengutachten, dass bei Zustand nach Unterlappenresektion der Lunge, die chronisch –obstruktive Lungenerkrankung kein Ausmaß erreicht, welches die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel auf erhebliche Weise einschränkt. Zum Untersuchungszeitpunkt bestanden basale substanzarme und leise Atemgeräusche der rechten Lunge, ansonsten waren eine Vesikuläratmung und einer sonorer Klopfschall objektivierbar. Die Basen waren atemverschieblich, eine Sprechdyspnoe konnte nicht objektiviert werden. Der in der Beschwerde genannte Befund eines Facharztes für Lungenkrankheiten vom 28.04.2016, welchem ein Lungenfunktionstest zugrunde liegt, wurde bei der gutachterlichen Einschätzung entsprechend berücksichtigt. Diesem Befund ist darüber hinaus auch eine Therapieoption durch die Einnahme von zwei namentlich genannten Medikamenten zu entnehmen.

Hinsichtlich der Einschränkungen der oberen Extremitäten hielt der Sachverständige nachvollziehbar fest, dass keine erheblichen Funktionseinschränkungen der Finger objektiviert werden konnten, welche die Greif- und Haltefunktionen einschränken. Der Faustschluss ist beidseits zwar gering eingeschränkt, die Handgelenke sind aber frei und bei den Schultergelenken ist eine Abduktion und Anteversion von 120 Grad möglich. Es liegt insgesamt eine ausreichend Kraft der oberen Extremitäten vor, um ein sicheres Anhalten zu gewährleisten.

An den unteren Extremitäten sind ebenfalls keine erheblichen Einschränkungen objektivierbar. Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke sowie das Ein- und Aussteigen in ein öffentliches Verkehrsmittel sind möglich. Die Füße können beidseits angehoben werden, um Niveauunterschiede zu überwinden. Der Zehenspitzen und Fersengang können durchgeführt werden. Bei hinkendem und mittels Benützung einer Unterarmstützkrücke sicherem Gangbild sowie bei Vorliegen eines altersentsprechenden Allgemeinzustandes ist ein sicherer Transport möglich.

Schließlich konnten im Beschwerdefall auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems und auch keine maßgeblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten objektiviert werden. Die Beschwerdeführerin ist in allen Qualitäten orientiert und es liegt keine Denkstörung vor.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 03.10.2016. Dieses wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) BGBl. Nr. 283/1990, idF des BGBl. I Nr. 155/2017, lauten auszugsweise:

"§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen."

§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 in der Fassung des BGBl. II Nr. 263/2016, lautet auszugsweise:

"§ 1 ....

(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen: 1. die Art der Behinderung, etwa dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes

a) b) 2. ...... 3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin

des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und - erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder - erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder - erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder - eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder - eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

(6)......"

Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).

In den auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz veröffentlichten Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen zur Stammfassung BGBl. II 495/2013 wird - soweit im Beschwerdefall relevant - Folgendes ausgeführt:

Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (auszugsweise) – (nunmehr seit der Novelle BGBl. II Nr. 263/2016 unter § 1 Abs. 4 Z. 3 geregelt):

"Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.

.

Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion – das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen – ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.

Durch die Verwendung des Begriffes "dauerhafte Mobilitätseinschränkung" hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.

Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.

Die Begriffe "erheblich" und "schwer" werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleich bedeutend.

Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:

-

arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option

-

Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen

-

hochgradige Rechtsherzinsuffizienz

-

Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie

-

COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie

-

Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie

-

mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss benützt werden.

Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:

-

Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,

-

hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,

-

schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,

-

nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden – Begleitperson ist erforderlich.

Eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, liegt vor bei:

-

anlagebedingten, schweren Erkrankungen des Immunsystems (SCID – sever combined immundeficiency),

-

schweren, hämatologischen Erkrankungen mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit (z.B: akute Leukämie bei Kindern im 2. Halbjahr der Behandlungsphase, Nachuntersuchung nach Ende der Therapie),

-

fortgeschrittenen Infektionskrankheiten mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit,

-

selten auftretenden chronischen Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantationen, die zu zusätzlichem Immunglobulinverlust führen.

."

Wie oben unter Punkt II.2. eingehend ausgeführt wurde, wird der gegenständlichen Entscheidung das allgemeinmedizinische Sachverständigengutachten vom 03.10.2016 zu Grunde gelegt, wonach der Beschwerdeführerin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist. Die bei der Beschwerdeführerin bestehende chronisch-obstruktive Lungenerkrankung erreicht nicht das in den Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen genannte Ausmaß einer COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie. Weder bestehen entscheidungserhebliche Einschränkungen der oberen oder unteren Extremitäten, noch der körperlichen Belastbarkeit, noch erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten oder Funktionen im Sinne der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen. Auch liegt keine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubheit vor sowie auch keine anhaltende Erkrankung des Immunsystems.

Ein psychiatrisches Leiden in einem Ausmaß, welches die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar machen würde, wurde ebenfalls nicht belegt. Es liegt im Beschwerdefall auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems im Sinne der genannten Verordnung vor.

Wie ebenfalls bereits oben im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt wurde, wurden von der Beschwerdeführerin keine Beweismittel vorgelegt, die geeignet wären, das Gutachten zu entkräften.

Weiters ist im Beschwerdefall auch nicht befundmäßig dokumentiert, dass hinsichtlich des Lungenleidens keine Therapieoption im Sinne des § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen mehr besteht.

Da somit festzustellen war, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen aktuell noch kein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" rechtfertigt, war die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid spruchgemäß abzuweisen.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren objektivierten Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Prüfung der "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.

Im gegenständlichen Fall wurde die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen geprüft. Die strittigen Tatsachenfragen (Schmerzen, Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen, deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel) gehören dem Bereich zu, der vom Sachverständigen zu beleuchten ist. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund des vorliegenden, nicht substantiiert bestrittenen schlüssigen Sachverständigengutachtens geklärt, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.12.2013, Zl. 2011/11/0180) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.12.2013, Zl. 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird (vgl. dazu jüngst die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 09.06.2017, Zl. E 1162/2017-5).

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass, Sachverständigengutachten, Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2017:W133.2142264.1.00

Zuletzt aktualisiert am

12.12.2017
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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