TE Bvwg Erkenntnis 2017/11/24 W189 2177037-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.11.2017
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Entscheidungsdatum

24.11.2017

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z4
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a

Spruch

W189 2177037-1/2E

W189 2177038-1/2E

W189 2177040-1/2E

W189 2177042-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerden 1.) von XXXX , geb. XXXX , 2.) von XXXX , geb. XXXX , 3.) von XXXX , geb. XXXX und 4.) von XXXX , geb. XXXX , alle StA. Ukraine, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.10.2017 Zlen. 1.) 1169124807-171089856, 2.) 1169124709-171089864,

3.) 1169124404-171089872 und 4.) 1169124502-171089885 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden werden gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 AsylG 2005, § 57 AsylG 2005,

§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. §§ 9 und 18 Abs. 1 Z4 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, § 52

Abs. 9 FPG, § 46 FPG sowie § 55 Abs. 1a FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Die Beschwerdeführer 1 bis 4, Staatsangehörige der Ukraine, der ukrainischen Volksgruppe zugehörig sowie orthodox, reisten am 22.09.2017 legal auf dem Luftweg in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 23.09.2017 Anträge auf internationalen Schutz, zu welchen sie am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes befragt wurden.

Der Erstbeschwerdeführer (BF1) erklärte dabei, den Herkunftsstaat mit seiner Ehefrau und den minderjährigen Töchtern verlassen zu haben. Die Ausreise sei von zuhause mit dem Auto erfolgt und in weiterer Folge sei die Familie mit einem Flugzeug von Kiew nach Wien gereist.

Im Herkunftsstaat würden sich sein Vater, seine Mutter und seine drei Geschwister aufhalten.

Zum Grund für die Ausreise befragt, erklärte er, dass die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Russland verboten sei und die Mitglieder verfolgt werden. Ein Verantwortlicher sei vor 3 Monaten verhaftet worden, da er bei einer Zusammenkunft dabei war und die Zusammenkunft geführt habe, er befinde sich immer noch in Haft. Er könne seine Kinder nicht nach seinem Glauben erziehen, weil sonst sein Sorgerecht entzogen würde.

Seine Tochter (BF3) sei krank und habe sie Probleme mit der Lunge und der Verdauung (genetische Ursache). Von dem behandelndem Arzt sei ihr ein Medikament verschrieben worden, das sie aber nie bekommen habe und wolle er, dass sie dieses Medikament in Österreich bekommt. Er habe keine weiteren Gründe einer Asylantragstellung.

Der Erstbeschwerdeführer legte einen ukrainischen Reisepass, ausgestellt am 11.08.2017 vor vor.

Die Zweitbeschwerdeführerin schilderte am selben Tag vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, den Herkunftsstaat am 21.09.2017 gemeinsam mit dem Ehemann und Kindern verlassen zu haben und in weiterer Folge von Kiew nach Wien geflogen zu sein.

Zum Grund für die Ausreise befragt, schilderte sie, den Zeugen Jehovas anzugehören und sei diese Glaubensgemeinschaft in Russland verboten. Ihre Mitglieder würden verfolgt werden. Sie habe laut russischer Verfassung dort kein Recht auf freie Ausübung des Glaubens, es sei ihnen verboten worden Zusammenkünfte abzuhalten und dürfen sie ihre Kinder nicht in ihrem Glauben erziehen. Im Kindergarten und in der Schule würden die Kinder ausgefragt werden, ob sie sich trotzdem treffen und ihren Glauben verbreiten.

Ihre Tochter sei seit Geburt krank und benötige Medikamente, die in Russland nur schwer zu bekommen seien. Sie hoffe, dass die Tochter hier in Österreich ihre lebenswichtige medizinische Behandlung bekomme. Ihre Tochter bekomme aufgrund ihrer Lungenkrankheit sehr schnell Infektionen. Sie habe vor kurzem eine Pilzinfektion an der Lunge gehabt und sei sie im Krankenhaus behandelt worden. Ihr sei ein teures Medikament verschrieben worden, um die Behandlung zu Hause fortzusetzen. Inzwischen sei von der russ. Regierung ein Gesetz erlassen worden, das die Zeugen Jehovas verboten seien und deshalb habe sie das Medikament dann nicht mehr bekommen.

Die Zweitbeschwerdeführerin legte ihren ukrainischen Reisepass wie auch die ukrainischen Reisepässe der beiden mj. BF3 und BF4 vor, welche allesamt am 11.08.2017 ausgestellt wurden. Hinsichtlich ihrer mj. Kinder würden dieselben Fluchtgründe gelten.

Am 03.10.2017 wurden BF1 und BF2 vor dem BFA, Regionaldirektion Niederösterreich, niederschriftlich einvernommen.

Dabei schilderte der Erstbeschwerdeführer, sich psychisch und physisch in der Lage zu fühlen, Angaben zu seinem Asylverfahren zu machen. Er und die mj. BF4 seien gesund, die mj. BF3 sei aber krank.

Er sei am Bau beschäftigt gewesen und habe seine Einkünfte als Einpersonenunternehmen versteuert. Er verneinte Probleme mit Behörden oder Polizei gehabt zu haben, er sei auch nie in Haft gewesen. Er gehöre der Volksgruppe der Ukrainer an und sei Zeuge Jehovas, was auch für die beiden mj. Töchter gelte. Er sei in einem näher bezeichneten Dorf auf der Krim geboren worden und habe bis zuletzt auf der Krim gelebt. Abgesehen von seiner Ehefrau und seinen Kindern habe er keine persönlichen Beziehungen in Österreich. Seine gesamte Familie würde auf der Krim leben, damit meine er die Eltern und drei weitere Geschwister. Mit seinem Vater habe er keinen Kontakt mehr.

Zum Grund für das Verlassen des Herkunftsstaates befragt, schilderte er vorerst eigentlich Russland verlassen zu haben, es gelte auf der Krim de facto russisches Recht. Der erste Grund sei, dass es unlängst eine Gerichtsentscheidung in Russland gegeben habe, wonach die Organisation der Zeugen Jehova verboten sei. Sie würden als Extremisten angesehen werden. Ihm, als Organisator von Versammlungen, drohe daher nach russischem Recht mindestens fünf Jahre Haft oder mehr. Der zweite Grund sei, dass man ihm die Obsorge für die Kinder entziehen könne, wenn er seine Kinder so erziehen wolle, wie er es nach seinem Gewissen und Glauben für richtig halte. Erklärend dazu, wenn er beispielsweise den Kindern aus der Bibel vorlese und er sie nach dem Wort Gottes lehre, werde dies als Extremismus angesehen. Wenn man zum Beispiel auf eine Versammlung die Kinder mitnehmen würde, sei dies verboten, bei ihnen ist es aber so vorgesehen, dass die Kinder dabei seien. Auf Nachfrage über weitere Gründe für die Asylantragstellung schilderte er, dass ihr älteres Kind (BF3) an Fibrose (Kistosny Fibros) leide. Es habe mit der Lunge zu tun und den inneren Organen. Das Kind brauche unbedingt Medikamente. Es seien auf der Krim zwei Behandlungszyklen mit Medikamenten verordnet worden. In der Ukraine gebe es das entsprechende Medikament nicht. Das Kind habe den ersten Zyklus absolviert. Der zweite Zyklus sei nicht verabreicht worden. Sie hätten sich beim Ministerium erkundigt und die Information erhalten, dass nach dem Gerichtsentscheid die Zeugen Jehova betreffend das Medikament einem anderen Kind zugedacht worden sei.

Auf Nachfrage, ob BF1 beweisen könne, dass jenes Medikament in der Ukraine nicht erhältlich sei, gab dieser an, es nenne sich "Kolestin". Er habe keine Unterlagen, dass dieses Medikament in der Ukraine nicht erhältlich sei. Sie hätten sich aber erkundigt und in Erfahrung gebracht, dass man es zwar in der Ukraine finde, es aber sehr teuer sei. In Russland würden die Kosten für den ersten Behandlungszyklus von der Versicherung bezahlt werden. Auf Vorhalt, dass dies keinen Asylgrund darstelle, gab BF1 an, das dies nur ein zusätzlicher Grund für die Ausreise gewesen sei. In der Ukraine würden solche Kinder medizinisch nicht versorgt werden. Es gebe eine Statistik, dass von zehn Kindern nur eines das achtzehnte Lebensjahr erreiche. Er wolle, dass sein Kind lebt. Sein Hauptgrund sei sein Glaubensbekenntnis. Zum Vorhalt, dass BF1 die Möglichkeit habe sich in der Ukraine niederzulassen, wo er nach seinem Glauben leben könne, gab dieser an, dass es sehr schwierig sei diesen Pass zu bekommen. In der Ukraine könne er mit seinem kranken Kind nicht leben. Das Klima sei ganz anderes. Zuhause hätten sie geeignete Bedingungen für die Betreuung des Kindes geschaffen. Auch könnten sie sich die Medikamente in der Ukraine nicht leisten, weil diese sehr teuer seien. In der Ukraine würden sie als Bewohner der Krim auch als Verräter angesehen werden. Es bestehe ja diese Übereinkunft mit Russland, dass die Krim sich der russischen Föderation freiwillig angeschlossen habe.

Zur Frage, ob er schon versucht habe über caritative Einrichtungen, etwa Spitäler in Österreich oder Deutschland, eine Behandlung für das Kind zu bekommen gab er an, dass es in Russland solche Organisationen gebe. Es habe auch Vorfälle gegeben, bei welchen sie aufgefordert worden seien die Krim zu verlassen.

Zum Vorhalt, dass für ihn eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe, gab er an, dass er sich ja auch einen russischen Reisepass hätte ausstellen lassen können. Nachgefragt, dass er der ukrainischen Volksgruppe angehöre und die ukrainische Staatsbürgerschaft habe, meinte er, dass die Ukrainer sie als Verräter ansehen würden.

Über Aufforderung dazu konkrete Angaben zu machen, führte BF1 aus, dass zum Beispiel beim Grenzübertritt von der Krim in die Ukraine, der Grenzbeamte gestänkert und ihn gefragt habe, wie es sich in der Ukraine lebe.

Nachgefragt, ob er versucht habe auf dem Territorium der Ukraine Fuß zu fassen, gab er an, dass er das nicht versucht habe, aber er habe Verwandte besucht. Die Eltern seiner Frau würden dort leben.

Zusätzlich brachte BF1 noch vor, dass sie einmal, als sie mit den Kindern nachts auf ukrainischem Gebiet in Richtung Charkov zu unseren Verwandten unterwegs angehalten worden seien und von bewaffneten Männern, die keine Uniform getragen hätten überprüft und befragt worden seien, wie denn das Leben in Russland so sei. Es sei spürbar gewesen, dass sie die BF kompromittieren wollten, sie hätten wissen wollen, was sie dort täten und ob ihnen Russland gefalle. Es habe noch einen Vorfall in Charkov gegeben, wo ein Parkwächter, als er ihr Fahrzeug mit dem Kennzeichen der Krim gesehen habe, gesagt hätte "er werde jetzt Leute herbeirufen, sie kämen mit dem Auto hier nicht mehr weg". Er habe damit gemeint, dass sein Auto fahruntauglich gemacht werden würde.

Nach Erörterung der Länderfeststellungen unter besonderem Hinweis auf die allgemeine Lage ebenso wie hinsichtlich der persönlichen Merkmale (Abstammung oder Glauben oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe) gab BF1 an, dass er damit nicht einverstanden sei, er könne in der Ukraine nicht leben, aus den erwähnten Gründen. Er möchte noch hinzufügen, dass man in der Ukraine an seinem Akzent gleich erkenne, dass er von der Krim stamme. Er habe auch miterlebt, wie Personen von der Krim in der Ukraine behandelt werden. Um ihn und seine Familie zu schützen, sei er gezwungen gewesen diesen Asylantrag zu stellen. Ihm habe gereicht was er auf der Krim erlebt habe auch im Zusammenhang mit der Erkrankung seiner Tochter, er möchte seine Familie keinen Gefahren mehr aussetzen.

Die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) erklärte auf Nachfrage, sich psychisch und physisch in der Lage zu fühlen, Angaben zu ihrem Asylverfahren zu machen.

Sie und BF 4 seien gesund, BF3 sei krank. BF2 legte diesbezüglich medizinische Befunde die BF3 betreffend aus dem Heimatland vor. Sie gehöre der Volksgruppe der Ukrainer an und sei Zeuge Jehova, für ihre Töchter gelte dasselbe, mit der Einschränkung, dass bei die Taufe erst im Erwachsenenalter erfolge. Sie habe nicht gearbeitet, sie sei Hausfrau gewesen und habe sich um die Kinder gekümmert, vor allem um das kranke Kind. Sie habe deshalb eine staatliche Beihilfe bekommen, wie auch ihr Kind eine Invaliditätspension. Der Mann habe am Bau gearbeitet.

Sie habe in der Ukraine keine Probleme mit den Behörden, der Polizei gehabt und sei auch nie in Haft gewesen.

Zuletzt habe sie auf der Krim im Bezirk XXXX gelebt.

Sie habe Angehörige in der Ukraine und zwar in Charkov. Dort würden die Eltern, ihre Schwester und zwei Brüder leben.

Zum Grund der Asylantragstellung gab sie an, dass ihnen Verfolgung drohe, nachdem die Bevölkerung der Krim sich der Russischen Föderation angeschlossen habe und am 20.04.2017 ein Gesetz bestätigt worden sei, dem zufolge ihre Glaubensgemeinschaft verboten sei. Die Zeugen Jehova würden als extremistische Organisation angesehen werden. Bei Ausübung des Glaubens würden Freiheits- und Geldstrafen drohen. Außerdem bestehe die Gefahr, dass ihnen die Obsorge entzogen werde, weil sie angeblich nicht richtig erziehen, wenn sie der Bibel nach lehren. Es habe auch einen konkreten Fall gegeben, die ältere Tochter habe einmal die Woche die Vorschule besucht. Vor dem Jahreswechsel 2016 auf 2017, noch vor dem Gerichtsentscheid hätten die Kinder in der Schule Tannenbäume gezeichnet. Ihre Tochter habe das abgelehnt, weil dies für sie kein Feiertag sei und sie deshalb keine Tannenbäume habe zeichnen wollen. Die Lehrerin habe dann in das Heft ihrer Tochter Tannenbäume gezeichnet und das Kind gezwungen Schmuck darauf hinzuzufügen. Anm: Das angebliche Schulheft der Tochter mit gezeichneten Tannenbäumen wurde hergezeigt. Sie habe das erst im Mai gesehen. Sie sei dann im Mai zur Lehrerin gegangen, welche ihr gesagt habe, dass es jetzt für sie noch schwieriger sei, denn sie sei jetzt verpflichtet Meldung zu erstatten. Ihre Nichte besuche dieselbe Schule und werde diese regelmäßig von den Lehrkräften befragt was sie über die Versammlungen wisse, wo diese stattfänden und was sie darüber wisse. Das Mädchen sei schon 15 Jahre alt und könne schon ganz gut damit umgehen, aber ihre Tochter sei noch klein und verstehe nicht, warum sie nicht offen über das sprechen könne. Sie könne ja auch unmöglich sagen, dass sie lügen solle. Wenn ihre Tochter einer Mitschülerin oder auch in der Klasse irgendjemanden erzähle, dass sie die Bibel lesen oder sich versammeln, könne es sein, dass ihnen die Obsorge entzogen werde. Weil sie als extremistische Organisation eingestuft werden würden, drohe ihnen Gefängnis von fünf bis acht Jahren.

Zu den weiteren Gründen der Ausreise führte sie aus, dass die Tochter erkrankt sei. Dies habe auch einen Zusammenhang mit dem Glauben. Sie leide unter Mukoviszidose, vor dem Hintergrund dieser schweren genetischen Erkrankung habe ihre Tochter im Juni 2016 eine schwere Infektion erlitten. Vom 01. – 17.03.2017 sei das Kind dann endlich richtig behandelt worden. Sie wären stationär im Krankenhaus gewesen und sei ein Inhalations-Antibiotikum verschrieben worden. Dieses Medikament sei sehr teuer und ein Behandlungszyklus dauere eineinhalb Monate. Sie habe den ersten Zyklus absolviert und nach einer Unterbrechung hätte der zweite Zyklus folgen sollen. Das Medikament für den zweiten Behandlungszyklus sei schon auf den Namen ihres Kindes bestellt worden. In der Apotheke sei es aber nicht ausgegeben worden. Sie hätten sich dann erkundigt und seien auf Ende Juni vertröstet worden, dann Ende Juli. Man habe ihnen die Telefonnummer einer Hotline des Gesundheitsministeriums gegeben und hätten sie schließlich erfahren, dass jenes Medikament, welches für die Tochter bestimmt gewesen sei, einem anderen Kind in Jalta zugeteilt worden sei. Nachdem sie als betroffene Eltern vernetzt seien, wüssten sie welches Kind das sei. Der Schwere der Erkrankung entsprechend sei ihre Tochter jedenfalls vorgereiht und seien sie überzeugt, dass sie das Präparat deshalb nicht bekommen hätten, weil das Berufungsgericht die Entscheidung gegen die Zeugen Jehova bestätigt hätte.

Auf Nachfrage, woher sie wüssten, dass es sich dabei um das Medikament der Tochter gehandelt habe, gab BF2 an, dass sie bei der Hotline des Gesundheitsministeriums angerufen und dort die Namen und Versicherungspolizze durchgegeben hätten und man ihnen gesagt habe, dass das Medikament auf ihren Namen bestellt und jetzt aber nach Jalta umgeleitet worden sei.

Auf die Frage, warum Sie sich das Medikament nicht in einem anderen Land besorgt hätten, führte diese aus, dass sie die behandelnde Fachärztin angerufen und diese gesagt habe, sie verstünde selbst nicht warum man ihnen das Medikament nicht gegeben habe. Dann sei es so, dass man dieses Präparat nur im Internet bestellen könne und der Preis für einen Behandlungszyklus 173.000 Rubel betrage, umgerechnet etwa € 2.500. Das sei sehr teuer. Sie hätten damit verstanden, dass man ihnen auch in Zukunft Behandlungen und Medikamente verweigern würde. Sie glaube es bestehe ein Zusammenhang zur Verfolgung, weil sie Zeugen Jehova seien. Es sei jetzt ein Gesetz in Russland welches Jarovoj heiße und dieses erlaube weitgehende Ermittlungsmethoden, es könnten also Telefone und das Internet überprüft werden. Weil ihr Mann Versammlungen organisiert habe, sei er in unmittelbarer Gefahr. Es habe aber keinen Kontakt zwischen den Behörden und ihrem Mann gegeben.

Zur Frage was gegen eine Niederlassung in der restlichen, nicht annektierten Ukraine spreche, führte diese an, dass dies der einzige Vorteil der Ukraine sei, dass man seinen Glauben dort ausleben könne. Das Problem sei aber, dass sie als Krim-Bewohner von den Ukrainern als Verräter angesehen würden. Es äußere sich auch in sehr unangenehmen Kontakten beim Grenzübertritt. Immer seien sie verhört worden. Sie hätten wissen wollen, was sie in der Ukraine machen und wie es sich in Russland lebe, wie viel sie verdienen würden usw. Einmal in der Nacht als sie mit dem Auto von der Krim nach Charkov unterwegs gewesen seien, seien sie wegen des Kennzeichens von bewaffneten nicht Uniformierten angehalten, kontrolliert und durchsucht worden. Das habe sie sehr erschrocken. Es habe noch einen Vorfall gegeben. Ein Parkwächter in Charkov habe damit gedroht ihr Auto in Brand zu setzen. Es seien überall die Kinder dabei gewesen. Die ältere Tochter habe deshalb Albträume, erst vor ein paar Tagen habe sie ihr erzählt, sie hätte geträumt man hätte sie abgeholt und den Papa ins Gefängnis gesteckt.

Sie habe von diesen Personen weder einen Ausweis gesehen noch danach gefragt, sie seien verängstigt gewesen. Sie glaube, es handle sich um eine eigene ukrainische Gruppe, die nicht staatlich sei und die es als ihre Aufgabe ansehe, Russen aus der Krim an der Einreise in die Ukraine zu hindern bzw. ihnen verständlich zu machen, dass sie unerwünscht seien.

Ihr sei die Ausreise aus der Krim nicht verweigert worden. Sie sehe ihre Eltern in Charkov einmal im Halbjahr. Beim letzten Mal seien sie in die Ukraine gereist, um sich Dokumente ausstellen zu lassen, dabei hätten sie auch Verwandte besucht.

Ergänzend führte die BF 2 an, dass sie nicht in die Ukraine könnten, weil es dort keine geeignete Versorgung für ihr Kind gebe. Auf Vorhalt, wonach die Visumfreiheit auch eine Behandlung des Kindes in anderen Ländern ermögliche, gab diese an, dass in der Ukraine statistisch erwiesen sei, dass Kinder mit dieser Erkrankung früher sterben als in Europa. Auch seien sie Staatsbürger der Russischen Föderation.

Auf Vorhalt, dass aufgrund der vorgelegten ukrainischen Reisepässe deren ukrainische Staatsangehörigkeit klar zu entnehmen sei, entgegnete BF2, dass die Behandlung für diese Erkrankung sehr viel Geld koste.

Nach Erörterung der Länderberichte gab BF2 an, dass die Tochter dringend eine medizinische Behandlung brauche.

Auf Vorhalt, dass dies in der Ukraine möglich sei, sie keiner Verfolgung dort ausgesetzt seien, gab BF2 an, dass ihre Kinder in der Ukraine als Verräter beschimpft werden würden.

Mit Bescheiden des BFA vom 14.10.2017 wurden unter Spruchteil I. die Anträge auf internationalen Schutz vom 23.09.2017 bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und unter Spruchteil II. gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. diese Anträge auch bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Ukraine abgewiesen. Unter Spruchteil III. wurde den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist und gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt werde. Unter Spruchteil IV. wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 1 Z 4 BFA-VG die aufschiebende aberkannt.

In den Bescheiden wurde die Identität der Beschwerdeführer festgestellt.

Festgestellt wurde, dass die BF sich seit 23.09.2017 in Österreich aufhalten und legal eingereist seien. Ihr Aufenthalt gründe auf asylrechtlicher Basis und würden die BF ihren Lebensunterhalt durch die Grundversorgung bestreiten. Die BF gehen keiner Arbeit nach und sprechen nicht Deutsch.

Die belangte Behörde führte weiters aus, dass die wirtschaftliche Lage in der Heimat sicherlich eine schwierige sei, dennoch hätten die Beschwerdeführer nicht glaubhaft darzulegen vermocht, dass sie im Fall der Rückkehr keine Lebensgrundlage mehr hätten.

Die belangte Behörde ging wie dargestellt davon aus, dass das Vorbringen der Beschwerdeführer über die Probleme in der Ostukraine, genauer auf der Krim, keine Asylrelevanz aufweist. Die belangte Behörde ging zudem davon aus, dass es den Beschwerdeführern als ukrainische Staatsangehörige frei stünde, sich in einem anderen Landesteil, etwa in einem Gebiet außerhalb des Krisengebietes Ostukraine niederzulassen.

Das ins Treffen geführte Gesetz hinsichtlich der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehova gelte lediglich in den annektierten Teilen der Ukraine, nicht aber in jenen, welche unter der Kontrolle der ukrainischen Regierung stehen. Aus den Länderfeststellungen sei zu entnehmen, dass in der Ukraine Religionsfreiheit gelte, auch für Zeugen Jehova.

Die belangte Behörde verwies die Beschwerdeführer somit auf die Möglichkeit einer Innerstaatlichen Fluchtalternative. Die Innerstaatliche Fluchtalternative sei erreichbar, es sei den Beschwerdeführern möglich und zumutbar, sich in einem anderen Landesteil außerhalb des bisherigen Lebensbereiches innerhalb der Ukraine niederzulassen.

Betreffend der behaupteten Vorfälle, welchen entnommen werden sollte, dass die Beschwerdeführer aus Sicht der Ukrainer nicht willkommen wären, weil Sie den Wohnsitz auf der seit 2014 annektierten Krim-Halbinsel hätten, könne keinerlei Verfolgungshandlungen ukrainischer Behörden entnommen werden.

Zum Vorbringen hinsichtlich der Probleme in der Schule könne einerseits kein Glaube geschenkt werden und leite sich davon ebenfalls keine Verfolgung im Konventionssinn ab. Abgesehen davon, dass als einziger Beweis für diesen Vorfall, ein Heft mit teilweise Kinderzeichnungen, teilweise Zeichnungen von Erwachsenen, vorgelegt wurde, welcher aus Sicht der belangten Behörde nicht als Beweismittel einer religiös-motivierten Verfolgung einer staatlichen Organisation entspreche, könne auch daraus weder eine Diskriminierung, noch eine Unterdrückung oder dergleichen abgeleitet werden. Auch, dass die Tochter in der Vorschule ausgefragt werden sollte, wo Versammlungen der Zeugen Jehova abgehalten werden würden, könne nicht nachvollzogen werden. Wenn staatliche Stellen der Russischen Föderation Kenntnisse über die Beschwerdeführer und die Versammlungen der Zeugen Jehova haben möchten, sei dazu mit Sicherheit nicht die Bespitzelung von Vorschulkindern von Nöten.

Weiters hatten Sie die Erkrankung Ihrer Tochter als Grund für Ihre Antragstellung ins Treffen geführt. Hierzu wird wiederum darauf verwiesen, dass dies keinesfalls einen Grund zur Gewährung des internationalen Schutzstatus darstellen kann. Dass das erforderliche Medikament sehr teuer sei, könne kein Grund dafür sein, das österreichische Asylsystem zur kostenlosen medizinischen Behandlung zu missbrauchen. Auch wenn die Tochter an einer schweren Erkrankung leide, bestehe in Ihrem Fall keine unmittelbare Lebensgefahr. Entsprechende Behandlungen seien auch in der Ukraine möglich, wie die Beschwerdeführer selbst angegeben hatten. Weiters hätten die Beschwerdeführer die Möglichkeit gehabt, Anfragen an caritative medizinische Einrichtungen zu stellen, wovon es in Europa zahlreiche gibt, um Ihrer Tochter eine Behandlung etwa in Österreich zu ermöglichen. Die Beschwerdeführer hätten diese Möglichkeit überhaupt nicht in Erwägung gezogen, sondern hätten sich Reisepässe ausstellen lassen und seien nach Wien geflogen.

Insgesamt gesehen geht das Bundesamt davon aus, dass Ihr einziger Grund für die Stellung des Asylantrags war, eine kostenlose Behandlung zu erlangen und nicht weil im Heimatland eine Verfolgung oder sonstige Gefährdung gedroht hätte. Den Beschwerdeführern stehe jedenfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.

Betreffend die Rückkehrentscheidung führte die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführer nur seit kurzer Zeit im Bundesgebiet aufhältig seien und lasse sich aus diesem Aufenthalt keine Bindung zu Österreich ableiten. Bei einer individuellen Abwägung der öffentlichen Interessen und der privaten Interessen würden die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegen. Den Beschwerdeführern habe immer klar sein müssen, dass der Aufenthalt als Asylwerber in Österreich nur ein vorübergehender sei.

Gegen diese Entscheidung wurde fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben. Die Beschwerdeführer beschränkten sich dabei jedoch im Wesentlichen auf eine Beurteilung der gesundheitlichen Situation der BF3. Zudem seien die Beschwerdeführer als Zeugen Jehovas in Folge der Gesetze der Okkupationsmacht Russlands iSd GFK verfolgt.

Eine Auseinandersetzung mit der von der belangten Behörde angenommenen innerstaatlichen Fluchtalternative findet in der gegenständlichen Beschwerde nur insofern statt, als diese vorbringt, dass die Beschwerdeführer dort als Kollaborateure mit Russland betrachtet werden würden. Auch könne sich die Familie unmöglich am letzten Ort ihres Wohnsitzes auf der Krim begeben, dies sei ohne Dokumente nicht möglich und wäre BF3 damit nicht vom staatlichen Gesundheitssystem versorgt.

Darüber hinaus verweisen die Beschwerdeführer auf deren gute Integration und eine positive Zukunftsprognose.

Der Beschwerde beigelegt war ein Patientenbrief der Kinder-und Jugendambulanz des Wilhelminenspitals vom 21.10.2017, welcher allgemeine Informationen über das Krankheitsbild Mykovizidose und die Handhabung der therapeutischen Maßnahmen und Hygieneinformationen beinhaltet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten der BF, beinhaltend die niederschriftlichen Einvernahmen vor dem BFA, die vorgelegten Dokumente bzw. Unterlagen, die Beschwerde vom 13.11.2017, die im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen, durch Einsicht in Auszüge aus ZMR, GVS, IZR und Strafregister und schließlich durch Berücksichtigung der Länderinformationen bestehend aus nachfolgenden Quellen:

• Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 11.11.2016 zur Situation der IDPs in der Ukraine

• Auswärtiges Amt Berlin vom 07.02.2017, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2017) sowie

• Aktuelles LIB der Staatendokumentation.

1. Feststellungen:

Feststellungen zu den BF:

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Ukraine. Sie sind nach eigenen Angaben Angehörige der Ukrainischen Volksgruppe. Ihre Identität steht infolge der Vorlage unbedenklicher Dokumente fest.

Nicht festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführer in der Ukraine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität – oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität – in der Vergangenheit gedroht hat bzw. aktuell droht.

Nicht festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführer im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine in ihrem Recht auf Leben gefährdet wären, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würden oder von der Todesstrafe bedroht wären. Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Fall ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Darüber hinaus kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer an dermaßen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen leiden, welche eine Rückkehr in die Ukraine iSd. Art. 3 EMRK unzulässig machen würde.

Die Beschwerdeführer halten sich nach legaler Einreise seit September 2017 im Bundesgebiet auf. Die volljährigen BF1 und BF2 haben keine Prüfungsbestätigung Deutsch auf dem Niveau A2 vorgelegt. Sie gehen keiner legalen Beschäftigung nach und leben von der Grundversorgung.

Eine fortgeschrittene Integration der Beschwerdeführer im Bundesgebiet ist nicht erfolgt.

Die Beschwerdeführer sind unbescholten.

Im Herkunftsstaat halten sich deren Familien auf, insbesondere im nicht annektierten Teil der Ukraine hält sich die gesamte Familie der BF2 auf, zu welchen auch regelmäßiger Kontakt besteht.

Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat der BF:

Aktuelles Länderinformationsblatt der Staatendokumentation

KI vom 15.4.2016, Neue Regierung bestätigt (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage)

Das ukrainische Parlament (Werchowna Rada) hat Wolodymyr Hrojsman am 14. April zum neuen Ministerpräsidenten gewählt. 257 der aktuell 421 Abgeordneten stimmten dafür. Mit der Abstimmung wurde gleichzeitig auch das Rücktrittsgesuch von Amtsvorgänger Arsenij Jazenjuk angenommen. Anschließend wurde die neue Regierung im Paket abgesegnet. Die Regierungskoalition besteht nun aus dem Petro-Poroschenko-Block und der Narodnyj Front (Volksfront) und verfügt formal über 227 Stimmen.

Der Gesundheitsminister ist noch nicht bestimmt. Außenminister und Verteidigungsminister, welche beide vom Präsidenten bestimmt werden, bleiben im Amt. Internationale Partner der Ukraine äußerten sich erleichtert über das Ende der politischen Krise in der Ukraine, welche durch den angeblich zu laschen Kampf der alten Regierung gegen die Korruption ausgelöst worden war (UN 14.4.2016; vgl. RFE/RL 15.4.2016.

Quellen:

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RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (15.4.2016): Ukrainian Parliament Approves Government Shake-Up, http://www.rferl.org/content/ukraine-hroysman-approved-prime-minister/27674344.html, Zugriff 15.4.2016

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UN – Ukraine Nachrichten (14.4.2016): Das Ministerkabinett von Wolodymyr Hrojsman,

http://ukraine-nachrichten.de/ministerkabinett-wolodymyr-hrojsman_4420, Zugriff 15.4.2016

1. Politische Lage

Die Ukraine befindet sich in einer schwierigen Umbruchsituation, die einerseits durch die Annexion der Halbinsel Krim durch Russland und den Konflikt in der Ost-Ukraine, andererseits durch Reformbemühungen geprägt ist. Die Präsidentschaftswahlen am 25.05.2014 konnten mit Ausnahmen von Teilen der Ostukraine und der Krim in der ganzen Ukraine ohne nennenswerte Auffälligkeiten durchgeführt werden. Petro Poroschenko ging mit 54,7% im ersten Wahlgang als klarer Sieger hervor. Julia Tymoschenko erreichte mit 12% den zweiten Platz. Am 07.06.2014 wurde Petro Poroschenko als Präsident vereidigt, am 26.10.2014 das Parlament neu gewählt. Ministerpräsident Jazenjuk führt seitdem eine Regierungskoalition aus fünf Parteien (AA 05.2015).

Am 27.11.2014 trat das neugewählte Parlament erstmals in Kiew zusammen. Der neuen Regierungs-Koalition gehören unter anderem der Block von Präsident Petro Poroschenko und die Volksfront von Jazenjuk an. Neuer Parlamentspräsident ist der bisherige Vize-Premier Wolodimir Groisman. In der Obersten Rada säßen vorerst nur 418 von ursprünglich 450 Abgeordneten. Die übrigen Plätze blieben frei, weil Teile der umkämpften Ostukraine sowie die im März von Russland einverleibte Schwarzmeer-Halbinsel Krim an der Wahl nicht teilnehmen konnten (Presse 27.11.2014).

Die Ukraine-Beauftragte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Heidi Tagliavini, legt ihr Amt nieder. Zu den konkreten Beweggründen der Schweizer Spitzendiplomatin, die zwischen den Konfliktparteien vermittelte, machten die OSZE und das Außenministerium in Bern keine Angaben. In diplomatischen Kreisen wurde auf den bisher schwersten Bruch der im März 2015 vereinbarten Waffenruhe zwischen ukrainischen Regierungstruppen und pro-russischen Rebellen in der zurückliegenden Woche verwiesen. Zudem sei eine weitere Gesprächsrunde zwischen den Konfliktgegnern ergebnislos beendet worden (Standard 7.6.2015).

In Kiew kommt es immer wieder zu Protesten vor allem mit sozialen Forderungen. Die prowestliche Führung, die nach gewaltsamen Massenprotesten auf dem Maidan im vergangenen Jahr an die Macht gekommen war, wirft den Demonstranten vor, von russischen Geheimdiensten gesteuert und bezahlt zu sein. Auf Flugblättern war von einem "Maidan 3.0" die Rede - nach den beiden prowestlichen Massenprotesten 2004/2005 und 2013/2014 (Standard 8.6.2015).

Präsident Poroschenko ficht in Kiew allerdings bei weitem nicht nur mit Kremlchef Putin, sondern auch gegen aktuelle und ehemalige Mitglieder der eigenen Führungsspitze. Dabei spitzt sich hinter den Kulissen derzeit besonders der Konflikt mit dem Oligarchen und Ex-Gouverneur von Dnepropetrowsk Ihor Kolomoisky zu. Nachdem Poroschenko zuletzt dessen Vertrauten Igor Paliza als Gouverneur von Odessa entlassen und den Posten mit Michail Saakaschwili besetzt hatte, revanchierte sich Kolomoisky mit einem Überfall rechter Schläger auf die Gay-Parade in Kiew, um Poroschenko im Westen zu diskreditieren (Standard 10.6.2015).

Die Regionen der Ukraine:

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(Quelle: Uni Bremen 27.5.2015)

Quellen:

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AA – Auswärtiges Amt (05.2015): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 10.6.2015

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Uni Bremen – Forschungsstelle Osteuropa (27.5.2015):

ukraine-analysen,

http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen152.pdf

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Die Presse.com (27.11.2014): Ukrainisches Parlament wählt erneut Jazenjuk zum Premier,

http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/4606103/Ukrainisches-Parlament-waehlt-erneut-Jazenjuk-zum-Premier?from=suche.intern.portal, Zugriff 10.6.2015

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derStandard.at (7.6.2015): Ukraine-Beauftragte der OSZE gibt auf, http://derstandard.at/2000017079596/Ukraine-Beauftragte-der-OSZE-gibt-auf?ref=rec, Zugriff 10.6.2015

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derStandard.at (8.6.2015): Neues Protestcamp auf dem Maidan gewaltsam geräumt,

http://derstandard.at/2000017161310/Neues-Protestcamp-auf-dem-Maidan-gewaltsam-geraeumt?ref=rec, Zugriff 10.6.2015

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NZZ – Neue Zürcher Zeitung (9.6.2015): Die Ukraine sperrt russischen Transit,

http://www.nzz.ch/international/die-ukraine-sperrt-russischen-transit-1.18559057, Zugriff 11.6.2015

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derStandard.at (10.6.2015): Neue Kämpfe in der Ukraine: Feuer an allen Fronten,

http://derstandard.at/2000017215782/Feuer-an-allen-Fronten-in-der-Ukraine, Zugriff 11.6.2015

2. Sicherheitslage

Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland im März 2014 rissen pro-russische Separatisten in einigen Gebieten der Ost-Ukraine die Macht an sich und riefen unterstützt von russischen Staatsangehörigen die "Volksrepublik Donezk" und die "Volksrepublik Luhansk" aus. Der ukrainische Staat begann daraufhin eine sogenannte Antiterroroperation (ATO), um die staatliche Kontrolle wiederherzustellen. Bis August 2014 erzielten die ukrainischen Kräfte stetige Fortschritte, seitdem erlitten sie jedoch zum Teil schwerwiegende Verluste bedingt durch militärische Unterstützung der Separatisten aus Russland (AA 05.2015a).

Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützte die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine. Diese Unterstützung wird bis in die Gegenwart fortgesetzt (AA 05.2015b).

Mit seiner Unterschrift kündigte Präsident Poroschenko die letzten bilateralen Sicherheitsabkommen mit Russland auf. Beendet werden damit per sofort ein Verteidigungsbündnis, zwei Verträge über die Zusammenarbeit der Militärgeheimdienste sowie zwei Transitverträge für russische Truppen. Besonders die Auflösung des Vertrags über den Landtransport russischer Soldaten und von deren Familien in die Republik Moldau wiegt für Moskau schwer. Der Vertrag regelte die Versorgung der 14. Russischen Armee, die seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Tiraspol, der «Hauptstadt» der selbsternannten Republik Transnistrien, stationiert ist (NZZ 9.6.2015).

Auf der russisch besetzten Krim und in den von Separatisten kontrollierten Gebieten der Ostukraine waren Entführungen und Misshandlungen von Gefangenen an der Tagesordnung und betrafen Hunderte von Menschen. Besonders gefährdet waren Vertreter lokaler Behörden, pro-ukrainische politische Aktivisten, Journalisten und internationale Beobachter. Bis Ende 2014 waren im Zuge des Konflikts in der Ostukraine mehr als 4.000 Menschen getötet worden. Zahlreiche Zivilpersonen starben durch wahllosen Beschuss von Wohngebieten, insbesondere durch den Einsatz von ungelenkten Raketen und Mörsergranaten (AI 25.2.2015, vgl. HRW 29.1.2015).

Quellen:

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AA – Auswärtiges Amt (05.2015a): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 11.6.2015

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Der Standard (17.4.2014): Ukraine-Gipfel in Genf: Einigung auf Entwaffnung illegaler Gruppen,

http://derstandard.at/1397520853199/Ukraine-Angespannte-Lage-vor-Treffen-in-Genf, Zugriff 24.4.2014

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AA – Auswärtiges Amt (05.2015b): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 11.6.2015

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AI - Amnesty International (25.2.2015): Amnesty Report 2015 Ukraine, https://www.amnesty.de/jahresbericht/2015/ukraine, Zugriff 15.6.2015

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HRW – Human Rights Watch (29.1.2015): World Report 2015 – Ukraine, http://www.ecoi.net/local_link/295530/430562_de.html, Zugriff 15.6.2015

2.1. Krimhalbinsel

Die EU und die USA hatte die Annexion der Krim vor einem Jahr als Völkerrechtsbruch verurteilt und Strafmaßnahmen verhängt. Auf der Krim hatten die Menschen in einem international nicht anerkannten Referendum am 16. März (2014) für den Beitritt zu Russland gestimmt. Am 18. März wurde in Moskau die Aufnahme der Halbinsel in die Russische Föderation vertraglich besiegelt (Presse 18.3.2015).

Nach der Annexion der Krim im März 2014 fanden dort russische Gesetze Anwendung, die das Recht auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit unterdrückten. Zivilgesellschaftliche Organisationen mussten ihre Arbeit einstellen, weil sie die rechtlichen Anforderungen Russlands nicht erfüllten. Die einheimische Bevölkerung wurde zu russischen Staatsbürgern erklärt. Wer die ukrainische Staatsbürgerschaft behalten wollte, musste die Behörden darüber informieren (AI 25.2.2015).

Quellen:

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Die Presse.com (18.3.2015): Putin nennt Sanktionen "sinnlose Beschäftigung",

http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/4688595/Putin-nennt-Sanktionen-sinnlose-Beschaeftigung, Zugriff 11.6.2015

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AI - Amnesty International (25.2.2015): Amnesty Report 2015 Ukraine, https://www.amnesty.de/jahresbericht/2015/ukraine, Zugriff 15.6.2015

2.2. Ostukraine

2.3. Aktuelles Lagebild Ostukraine:

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(Quelle: IAC 10.6.2015)

Schwer bewaffnete pro-russische Separatisten kämpfen in der Ost-Ukraine gegen offizielle ukrainische Kräfte und haben sich in den nicht anerkannten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk konstituiert. Die Opferzahlen betrugen laut VN-Zählungen im Mai 2015 über 6.100; daneben führte der Konflikt bisher zu rund 1,25 Mio. Binnenflüchtlingen. Unter dem Eindruck einer erneuten Verschärfung des Konflikts und nach langwierigen Verhandlungen auf oberster Ebene im sogenannten Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland) verständigte sich die Kontaktgruppe am 12. Februar 2015 auf das sogenannte Maßnahmenpaket zur Umsetzung der Minsker Absprachen. Der Rückzug schwerer Waffen von der Kontaktlinie kam daraufhin in Gang, wurde jedoch nach OSZE-Beobachtung bisher von keiner Seite vollständig umgesetzt (AA 05.2015).

In der Ostukraine ist trotz des Waffenstillstandsabkommens keine Ruhe eingekehrt, seit Anfang Juni wird wieder mit schweren Waffen gekämpft. Am Dienstag berichteten die Konfliktparteien über Gefechte entlang fast der gesamten Frontlinie. Die aktivsten Kampfhandlungen wurden aus Awdejewka, Horliwka, Krymskoje, Marjinka und Schirokino gemeldet. Diplomatisch gibt es immerhin eine vorsichtige Annäherung:

Die Rebellen haben neue Vorschläge zur Verfassungsänderung der Ukraine an die Kontaktgruppe geschickt. Einzelne Gebiete mit Sonderstatus oder ihre Vereinigungen sollen unveräußerlicher Bestandteil der Ukraine bleiben. Die Macht in der Region sollen laut diesem Vorschlag aber weiterhin Sachartschenko und das Oberhaupt der "Luhansker Volksrepublik" Igor Plotnizki ausüben (Standard 10.6.2015, vgl. BBC 3.6.2015).

Nach den jüngsten Kämpfen im Donbass hat der ukrainische Präsident Petro Poroschenko eine massive Aufrüstung im Osten des Landes angekündigt. Mehr als 50.000 Soldaten seien derzeit im Kampfgebiet im Einsatz. Bis zum Jahresende soll die Kampfstärke auf insgesamt 250.000 erhöht werden. Nach einem Angriff prorussischer Separatisten wurde in den vergangenen Tagen auch wieder schweres Kriegsgerät in die Region gebracht. Während sich Kiew und Moskau gegenseitig für die neuerliche Eskalation verantwortlich machen, warnt die EU vor einer Gewaltspirale. Brüssel forderte die Konfliktparteien zum wiederholten Male auf, das Minsker Waffenruheabkommen umzusetzen (Presse 4.6.2015).

Angesichts des bewaffneten Konflikts in der Ostukraine hat die Regierung in Kiew die Europäische Menschenrechtskonvention in den betroffenen Regionen teilweise ausgesetzt. Eine entsprechende Benachrichtigung traf beim Europarat in Straßburg ein. Demnach garantiert die Regierung in den Regionen Donezk und Luhansk, wo sich die Rebellen Kämpfe mit Regierungstruppen liefern, mehrere Grundrechte nicht mehr. Dazu gehören das Recht auf Freiheit und Sicherheit, auf ein faires Gerichtsverfahren und auf Schutz des Familienlebens. Kiew begründet die Aussetzung mit einer "bewaffneten Aggression" Russlands gegen die Ukraine. Eine Aussetzung der Menschenrechtskonvention ist vorgesehen, wenn die Sicherheit eines Landes etwa durch einen Krieg oder andere Notsituationen gefährdet ist. Der betroffene Staat muss diese Maßnahme begründen und auch angeben, welche Paragrafen des Abkommens und welche Gebiete davon betroffen sind (Standard 10.6.2015).

Quellen:

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AA – Auswärtiges Amt (05.2015): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 11.6.2015

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IAC – Information Analysis Center of NDSC (10.6.2015): MAP: THE SITUATION IN THE EASTERN REGIONS OF UKRAINE – 10.06.15 Map developed by Ukrainian Crisis Media Center, http://mediarnbo.org/2015/06/10/map-the-situation-in-the-eastern-regions-of-ukraine-10-06-15-map-developed-by-ukrainian-crisis-media-center/?lang=en, Zugriff 10.6.2015

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derStandard.at (10.6.2015): Neue Kämpfe in der Ukraine: Feuer an allen Fronten,

http://derstandard.at/2000017215782/Feuer-an-allen-Fronten-in-der-Ukraine, Zugriff 11.6.2015

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Die Presse.com (4.6.2015): Ostukraine: Kiew plant massive Aufrüstung,

http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/4746993/Ostukraine_Kiew-plant-massive-Aufrustung?from=suche.intern.portal, Zugriff 11.6.2015

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derStandard.at (10.6.2015): Kiew will in Kriegsgebiet Menschenrechte nicht mehr garantieren, http://derstandard.at/2000017283292/Kiew-will-in-Kriegsgebiet-Menschenrechte-nicht-mehr-garantieren, Zugriff 11.6.2015

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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