Entscheidungsdatum
30.11.2017Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
I407 2147013-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Stefan MUMELTER als Vorsitzenden als Vorsitzenden und den Richter Dr. Harald NEUSCHMID sowie der fachkundigen Laienrichterin Mag. Dr. Elisabeth RIEDER als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX, (VN: XXXX), gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Tirol, vom 22.12.2016 (OB: XXXX) betreffend die Abweisung des Antrags auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Mit formularmäßigem Vordruck des Sozialministeriumservice Landesstelle Tirol (in der Folge: belangte Behörde), beantragte Herr
XXXX (in der Folge: Beschwerdeführer) am 04.10.2016, eingelangt am 07.10.2016, die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung".
2. In einem von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten vom 16.11.2016 führte dieser, basierend auf der Aktenlage, zu den Funktionseinschränkungen im Wesentlichen wie folgt aus:
"Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, weiche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Rahmensätze:
Pos. Nr.
GdB %
1
Wirbelsäule, Wirbelsäule - Funktionseinschränkungen schweren Grades
2
Anhaltend mittelschweres Asthma
3
Stoffwechselstörung, Stoffwechselstörung leichten Grades - Hypercholsterinämie
4
Hypertonie, Mäßige Hypertonie
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:
gleichbleibend
x Dauerzustand
0 Nachuntersuchung
Aufgrund der vorliegenden funktionellen Einschränkungen liegen die medizinischen Voraussetzungen für die Vornahme nachstehender Zusatzeintragungen vor :
0 JA 0 NEIN Die/Der Untersuchte
Prüfung der Auswirkungen der festgestellten Gesundheitsschädigungen nach Art und Schwere für die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:
1. Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel zu und warum?
Keine, die beigelegten Befunde ergeben keine Änderung zum Gutachten mit persönlicher Untersuchung vom 17.11.2015 bzgl. Gesamtmobilität - Gangbild: "Vorsichtig, ansonsten unbeeinträchtigt; Nach Angaben von Hr. XXXX in der Ebene mit Pausen, langsam, bis 5 km." Es kann außerdem davon ausgegangen werden, dass das Ein- und Aussteigen sowie ein sicherer Transport gewährleistet ist.
2. Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?
Nein"
3. Mit Schreiben vom 17.11.2016 wurde der Beschwerdeführer vom Ergebnis der Beweisaufnahme in Kenntnis gesetzt und ihm eine dreiwöchige Frist zur Stellungnahme eingeräumt. Der Beschwerdeführer gab keine Stellungnahme ab.
4. Mit Bescheid vom 22.12.201 wurde der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass das ärztliche Begutachtungsverfahren ergeben habe, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen.
5. Mit E-Mail vom 08.02.2017 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Begründend führte er aus, dass es ihm aufgrund seiner Schmerzen zunehmend schwerer falle mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Nicht die Fahrt selber sei erschwert, sondern vielmehr das Ein- und Aussteigen mit seinem Gepäck und das viele Treppen steigen mit dem Gepäck. Am 17.02.2017 habe er einen neuerlichen Termin zu einem MRT. Hier werde nochmal die gesamte Wirbelsäule untersucht.
6. Mit E-Mail vom 23.03.2017 reichte der Beschwerdeführer den Befund vom MRT vom 17.02.2017 nach und führte aus, dass sich der Zustand seit 2004 nicht gebessert habe.
1. Feststellungen:
Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:
1.1. Der Beschwerdeführer ist in Besitz eines Behindertenpasses. Bei ihm wurde ein Gesamtgrad der Behinderung von 70% festgestellt.
1.2 Der Beschwerdeführer leidet an Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule schweren Grades, mittelschweren Asthma, an Hypercholesterinämie sowie an einer mäßigen Hypertonie.
1.3. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist dem Beschwerdeführer dennoch zumutbar.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zum Antrag und zur Ausstellung eines Behindertenpasses wurden aus dem Akt der belangten Behörde entnommen.
2.2. Die Feststellung zu den funktionellen Einschränkungen des Beschwerdeführers basieren auf dem erstinstanzlichen Gutachten. Im Sachverständigengutachten vom 16.11.2016 wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei gegeben. Es könne eine kurze Wegstrecke zurückgelegt werden und sei das sichere Ein- und Aussteigen möglich. Diesen Schlussfolgerungen wurde von Seiten des Beschwerdeführers nicht substantiiert entgegengetreten, zumal die Funktionseinschränkung der Wirbelsäule schweren Grades im Gutachten berücksichtigt wurden. Wenn vom Beschwerdeführer neue MRT Befunde seine Wirbelsäule vorlegt und ausführt, dass sich sein Zustand seit 2004 nicht gebessert habe, so verkennt der Senat nicht, dass es sich dabei um eine belastende Situation im Alltagsleben des Beschwerdeführers handelt, doch ist das Vorbringen nicht geeignet, die Feststellungen des Sachverständigen, dass der Beschwerdeführer eine kurze Wegstrecke zurücklegen könne, in Zweifel zu ziehen. Das Gangbild wurde vom Sachverständigen darüber hinaus als "Vorsichtig, ansonsten unbeeinträchtigt" beurteilt.
2.3. Somit ist zu konstatieren, dass es dem Beschwerdeführer durchaus zumutbar ist, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen.
2.4. Gemäß § 24 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur vergleichbaren Regelung des § 67d AVG (vgl. VwGH vom 24.4.2003, 2002/07/0076) wird die Durchführung der Verhandlung damit ins pflichtgemäße Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die Wendung "wenn es dies für erforderlich hält" schon iSd rechtsstaatlichen Prinzips nach objektiven Kriterien zu interpretieren sein wird (vgl. VwGH vom 20.12.2005, 2005/05/0017). In diesem Sinne ist eine Verhandlung als erforderlich anzusehen, wenn es nach Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 Abs. 2 GRC geboten ist, wobei gemäß Rechtsprechung des VfGH der Umfang der Garantien und des Schutzes der Bestimmungen ident sind.
Der Rechtsprechung des EGMR kann entnommen werden, dass er das Sozialrecht auf Grund seiner technischen Natur und der oftmaligen Notwendigkeit, Sachverständige beizuziehen, als gerade dazu geneigt ansieht, nicht in allen Fällen eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. Eriksson v. Sweden, EGMR 12.4.2012; Schuler-Zgraggen v. Switzerland, EGMR 24.6.1993).
Im Erkenntnis vom 18.01.2005, GZ. 2002/05/1519, nimmt auch der Verwaltungsgerichtshof auf die diesbezügliche Rechtsprechung des EGMR (Hinweis Hofbauer v. Österreich, EGMR 2.9.2004) Bezug, wonach ein mündliches Verfahren verzichtbar erscheint, wenn ein Sachverhalt in erster Linie durch seine technische Natur gekennzeichnet ist. Darüber hinaus erkennt er bei Vorliegen eines ausreichend geklärten Sachverhalts das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise an, welches das Absehen von einer mündlichen Verhandlung gestatte (vgl. VwGH vom 4.3.2008, 2005/05/0304).
Der im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde auf gutachterlicher Basis ermittelt. Zudem wurde weder in der Beschwerde noch im Rahmen des Parteiengehörs ein Vorbringen erstattet, welches eine weitere Erörterung notwendig erscheinen ließ. Eine mündliche Verhandlung wurde auch nicht beantragt.
Im Hinblick auf obige Überlegungen sah der erkennende Senat daher unter Beachtung der Wahrung der Verfahrensökonomie und -effizienz von einer mündlichen Verhandlung ab, zumal auch eine weitere Klärung der Rechtssache hierdurch nicht erwartbar war.
3. Rechtliche Beurteilung:
Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts und die Entscheidung durch einen Senat ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm. § 45 Abs. 3 und 4 BBG.
Zu Spruchpunkt A) - Abweisung der Beschwerde
Gegenstand des angefochtenen Bescheides war die Abweisung des Antrages der Beschwerdeführerin auf Eintragung des Zusatzvermerkes "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass.
§ 1 Abs. 2 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, regelt unter anderem die Zusatzeintragungen in den Behindertenpass und lautet:
"§ 1. (...)
2) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:
(...)
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
-
erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
-
erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
-
erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
-
eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-
eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d vorliegen."
Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 20.04.2004, 2003/11/0078 [= VwSlg. 16.340 A/2004]; VwGH 01.06.2005, 2003/10/0108; VwGH 29.06.2006, 2006/10/0050; VwGH 18.12.2006, 2006/11/0211; VwGH 17.11.2009, 2006/11/0178; VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142; VwGH 23.05.2012, 2008/11/0128; VwGH 17.06.2013, 2010/11/0021, je mwN).
Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (20.03.2001, 2000/11/0321 [= VwSlg. 15.577 A/2001]). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hiebei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).
Dabei kommt es entscheidend auf die Art und die Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Allgemeinen an, nicht aber auf andere Umstände, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus sonstigen, von der Gesundheitsbeeinträchtigung unabhängigen Gründen erschweren, wie etwa die Entfernung des Wohnorts des Beschwerdeführers vom nächstgelegenen Bahnhof (vgl. VwGH 22.10.2002, 2001/11/0258 und 27.05.2014, Ro 2014/11/0013).
Im Beschwerdefall stellt sich die Frage, ob es dem Beschwerdeführer unzumutbar ist, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Der Sachverständige kam in seinem Gutachten vom 16.11.2016 zum Ergebnis, dass der Zustand gegenüber dem Vorgutachten aus dem Jahr 2015 unverändert sei und dem Beschwerdeführer auch weiterhin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei.
Die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung" im Behindertenpass liegen daher nicht vor, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.
Zu Spruchpunkt B) - Unzulässigkeit der Revision
§ 25a Abs. 1 VwGG lautet wie folgt:
Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von den Grundsätzen der bisherigen - nicht uneinheitlichen - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Einschätzung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ab. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Behindertenpass, Sachverständigengutachten, ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2017:I407.2147013.1.00Zuletzt aktualisiert am
12.12.2017