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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision des M S in B, vertreten durch die Eisenberger und Herzog Rechtsanwalts GmbH in 8010 Graz, Hilmgasse 10, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 26. Jänner 2017, LVwG 41.9-1491/2016-17, betreffend Abweisung eines Antrages in einer Angelegenheit nach dem Passgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Südoststeiermark), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Südoststeiermark vom 21. April 2017 wurde der Antrag des Revisionswerbers auf Ausstellung eines Reisepasses gemäß § 16 Abs. 2 iVm § 4 Passgesetz 1992 (PassG) abgewiesen.
2 Begründend führte die Bezirkshauptmannschaft aus, dass Verleihungsbehörde für die Staatsbürgerschaft die Landesregierung sei und die Bezirksverwaltungsbehörde die Verleihung der Staatsbürgerschaft nicht zu prüfen habe.
3 In der dagegen erhobenen Beschwerde führte der Revisionswerber aus, dass er gemäß § 8 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) bis zum Beweis des Gegenteils im Zeitpunkt seiner Geburt als österreichischer Staatsbürger hätte deklariert werden müssen, weil er im Staatsgebiet geboren und im Alter von unter sechs Monaten aufgefunden worden sei.
4 Diese Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab. Weiters sprach es aus, dass eine ordentliche Revision gegen dieses Erkenntnis unzulässig sei.
5 Das Verwaltungsgericht führte begründend aus, dass bisher zwei Verleihungsverfahren geführt worden seien. Zuletzt sei ein Antrag des Revisionswerbers auf Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 StbG abgewiesen worden. Weiters stellte das Verwaltungsgericht fest, dass die Verleihung einer Staatsbürgerschaft derzeit nicht möglich sei, weil das Einkommen des Revisionswerbers gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 StbG nicht hinreichend gesichert sei und der Revisionswerber wegen Vorsatztaten zu Freiheitsstrafen, deren Tilgung erst mit 13. November 2023 eintrete, verurteilt worden sei. In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht aus, dass schon für die Staatsbürgerschaftsbehörde die Staatsbürgerschaft des Revisionswerbers nach wie vor ungeklärt sei und die Ausnahmetatbestände im Sinn der §§ 8 und 14 Abs. 1 StbG schon im zuvor erfolgten Verleihungsverfahren nicht angewandt worden seien. Zusammengefasst - so das Verwaltungsgericht abschließend - ergebe sich, dass die Feststellung der österreichischen Staatsbürgerschaft unabdingbare Voraussetzung für die Ausstellung des Reisepasses sei. Dies sei in einem eigenen Verleihungsverfahren nach dem StbG von der Landesregierung zu prüfen. Mangels Feststellung der österreichischen Staatsbürgerschaft sei der Beschwerde ein Erfolg versagt.
6 Die ordentliche Revision sei unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen gewesen sei.
7 In der außerordentlichen Revision wurde zu ihrer Zulässigkeit ausgeführt, das Verwaltungsgericht habe die Verpflichtung, den maßgeblichen Sachverhalt festzustellen, verletzt. Der Revisionswerber sei - wie bereits in seiner Beschwerde ausgeführt - der Auffassung, dass er die Staatsbürgerschaft kraft Abstammung nach § 8 StbG bereits von Geburt an innehabe. Die Frage, ob dem Revisionswerber die Staatsbürgerschaft kraft Abstammung zukomme, sei von der Steiermärkischen Landesregierung noch nie entschieden worden. Diese Vorfrage hätte daher vom Verwaltungsgericht gemäß § 38 AVG beurteilt werden müssen.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
10 § 4 und § 16 (auszugsweise) PassG lauten:
"§ 4. Gewöhnliche Reisepässe, Dienstpässe und Diplomatenpässe dürfen nur für Personen ausgestellt werden, die die Staatsbürgerschaft besitzen."
"§ 16. (1) Amtshandlungen obliegen im Zusammenhang mit
1. gewöhnlichen Reisepässen im Inland den
Bezirksverwaltungsbehörden, im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, dem Bürgermeister, im Ausland den Vertretungsbehörden;
(...)"
§ 8, § 10, § 39 und § 42 StbG lauten auszugsweise:
"§ 8. (1) Bis zum Beweis des Gegenteiles gilt als Staatsbürger kraft Abstammung, wer im Alter unter sechs Monaten im Gebiet der Republik aufgefunden wird.
(2) (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 136/2013)
(3) Abs. 1 gilt auch für Personen, die vor dem 1. September 1983 im Gebiet der Republik aufgefunden worden sind."
"§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn
(...)
2. er nicht durch ein inländisches oder ausländisches
Gericht wegen einer oder mehrerer Vorsatztaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, die der Verurteilung durch das ausländische Gericht zugrunde liegenden strafbaren Handlungen auch nach dem inländischen Recht gerichtlich strafbar sind und die Verurteilung in einem den Grundsätzen des Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, entsprechendem Verfahren ergangen ist;
(...)
7. sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist oder der Fremde seinen Lebensunterhalt aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen dauerhaft nicht oder nicht in ausreichendem Maße sichern kann und
(...)."
"§ 39. (1) Zur Erlassung von Bescheiden in Angelegenheiten der Staatsbürgerschaft ist unbeschadet des § 41 die Landesregierung zuständig."
"§ 42. (1) Außer den in den §§ 38 und 58c besonders geregelten Fällen ist ein Feststellungsbescheid in Angelegenheiten der Staatsbürgerschaft zu erlassen, wenn der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der Feststellung hat.
(...)
(3) Ein Feststellungsbescheid kann von Amts wegen erlassen werden, wenn ein öffentliches Interesse an der Feststellung besteht."
§ 38 AVG lautet:
"Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird."
11 Gemäß § 4 PassG dürfen (u.a.) gewöhnliche Reisepässe nur für Personen ausgestellt werden, die die (österreichische) Staatsbürgerschaft besitzen.
Über die Frage allein, ob eine bestimmte Person die Staatsbürgerschaft besitzt, hat die Landesregierung (§ 39 StbG) zu entscheiden. Diese von der Landesregierung als Hauptfrage zu entscheidende Rechtsfrage stellt im Hinblick auf § 4 PassG für die zur Ausstellung eines Reisepasses zuständige Behörde (§ 16 Abs. 1 leg. cit.) eine Vorfrage dar. Die Entscheidung der Staatsbürgerschaftsfrage ist für die von der Passbehörde zu treffende Hauptfragenentscheidung - Ausstellung eines Reisepasses -
eine unabdingbare (unentbehrliche) Grundlage, welche die Passbehörde bindet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. November 1997, 97/18/0445).
12 Hat die Landesregierung bisher kein Verfahren zur Feststellung der Staatsbürgerschaft des Revisionswerbers geführt und ist auch kein solches anhängig, so hat die Passbehörde das (Nicht)Bestehen der Staatsbürgerschaft als Vorfrage selbst zu beurteilen.
13 Den Ausführungen des Verwaltungsgerichts, dem Revisionswerber sei bisher die österreichische Staatsbürgerschaft nicht verliehen worden, ist entgegenzuhalten, dass sich der Revisionswerber nicht auf eine Verleihung (gemäß § 10 StbG) beruft, sondern ein (umfangreiches) Vorbringen zu seiner Staatsbürgerschaft kraft Abstammung gemäß § 8 Abs. 1 StbG erstattet hat. Mit diesem Vorbringen hat sich das Verwaltungsgericht jedoch nicht auseinandergesetzt und keine diesbezüglichen Feststellungen getroffen. Fallbezogen wurde nicht vorgebracht und ist nicht hervorgekommen, dass bisher ein Verfahren zur Feststellung der Staatsbürgerschaft des Revisionswerbers geführt worden bzw. anhängig sei.
14 Das Verwaltungsgericht hat somit aufgrund einer unrichtigen Rechtsansicht nicht selbst die erforderlichen Feststellungen getroffen und die dargelegte Vorfrage beurteilt.
15 Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 25. Oktober 2017
Schlagworte
sachliche Zuständigkeit in einzelnen AngelegenheitenBesondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017220050.L00Im RIS seit
07.12.2017Zuletzt aktualisiert am
07.12.2017