Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
BFA-VG 2014 §9;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2017/20/0267 Ra 2017/20/0270 Ra 2017/20/0269 Ra 2017/20/0268Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Mitter, in den Rechtssachen der Revision 1. des H A, 2. der S A, 3. des A A, 4. des H Al, 5. der L A, alle in L, alle vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis vom 16. Juni 2017, 1) Zl. L518 1438444-2/45E, 2) Zl. L518 1438445- 2/8E, 3) Zl. L518 1438446-2/8E, 4) Zl. L518 1438447-2/67E und
5) Zl. L518 2118423-1/8E, des Bundesverwaltungsgerichts, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die erst- und zweitrevisionswerbenden Parteien sind die Eltern der minderjährigen dritt- bis fünftrevisionswerbenden Parteien. Die erst- bis viertrevisionswerbenden Parteien stellten am 5. Jänner 2013 Anträge auf internationalen Schutz. Die fünftrevisionswerbende Partei wurde in Österreich geboren. Sie stellte am 28. Mai 2014 gleichfalls einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Die Revisionswerber gaben zu den Fluchtgründen im Wesentlichen an, sie stammten aus Syrien, wo sie als Schafhirten gearbeitet hätten. Sie seien Zugehörige der Volksgruppe der Kurden und Angehörige der jesidischen Religionsgemeinschaft. In Syrien herrsche Krieg. Die Revisionswerber seien von Soldaten bedroht worden. Sie seien Analphabeten und würden nur Kurmanji sprechen.
3 Mit Bescheiden des BFA vom 26. November 2015 wurden die Anträge der Revisionswerber hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde jeweils nicht erteilt. Gegenüber den Revisionswerbern wurden jeweils Rückkehrentscheidungen erlassen und unter einem festgestellt, dass die Abschiebung nach Armenien zulässig sei.
4 Eingeholte Sprachanalysen betreffend die erst- und zweitrevisionswerbende Partei hätten ergeben, dass Syrien als Herkunftsstaat nicht wahrscheinlich, Armenien hingegen sehr wahrscheinlich sei. Das BFA schenkte aus diesem Grund dem Vorbringen, wonach die Revisionswerber aus Syrien stammten, keinen Glauben.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 16. Juni 2017 wies das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
6 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, die Revisionswerber hätten die Behörden über ihre Identität und Herkunft getäuscht. Ihr wahrer Herkunftsstaat sei Armenien. Dies ergebe sich insbesondere aus der äußerst vagen Schilderung des Fluchtvorbringens, den schlechten geographischen Kenntnissen hinsichtlich des behaupteten Heimatdorfes sowie der dortigen näheren Umgebung und aufgrund der durchgführten Sprachanalysen. Daraus seien insbesondere die mangelhaften Kenntnisse der Heimatregion, der Währung, des Preises von Schafen und - insbesondere hinsichtlich des Erstrevisionswerbers - der jesidischen Kultur hervorgegangen. Zusätzlich hätten die Revisionswerber einen gefälschten syrischen Führerschein vorgelegt, was ihre Unglaubwürdigkeit untermauere. Folglich habe Asyl nicht zuerkannt werden können.
Hinsichtlich des Herkunftsstaates Armenien könne die Gefahr einer Verletzung in Rechten nach den Art. 2 und 3 EMRK nicht erkannt werden, weshalb auch subsidiärer Schutz nicht zuzuerkennen gewesen sei. Die Rückkehrentscheidung stelle keine Verletzung des Art. 8 EMRK dar, zumal davon auszugehen sei, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts der Revisionswerber deren persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiege.
7 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen ausführt, es bedürfe nach der Rechtsprechung im Zusammenhang mit Sprachanalysen einer besonders sorgfältigen Überprüfung, weil es zu Unschärfen und fehlerhaften Einschätzungen kommen könne. Das BVwG habe diese besondere Sorgfalt nicht walten lassen. Die Revisionswerber würden einige für die nordsyrische Gegend charakteristische Ausdrücke in Kurmanji, die Außenstehende nicht kennen könnten, sprechen. Auch der aus Syrien stammende Dolmetscher habe in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass es möglich sei, dass die Revisionswerber aus der behaupteten nordsyrischen Gegend stammten. Weiters werde bemängelt, dass die Sprachanalysen zwar ausdrücklich als "sonstiges Beweismittel" qualifiziert würden, sich jedoch die gesamte Beweiswürdigung auf diese stütze. Insgesamt liege gegenständlich eine die Rechtssicherheit beeinträchtigende Beweiswürdigung vor. Schließlich weiche das BVwG von der Rechtsprechung zur Rückkehrentscheidung ab, indem es die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK fehlerhaft durchgeführt habe.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Soweit sich die Revision gegen die Beweiswürdigung des BVwG betreffend die von den Revisionswerbern behauptete syrische Herkunft richtet, ist zunächst auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu verweisen, wonach dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen, soweit der Sachverhalt genügend erhoben ist und die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, nicht berufen ist (vgl. VwGH 21.2.2017, Ra 2016/18/0229, mwN). Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wäre nur dann gegeben, wenn das Verwaltungsgericht die Würdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. VwGH 27.4.2017, Ra 2016/22/0119, mwN).
12 Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284, mwN).
13 Das BVwG führte eine mündliche Verhandlung durch und gab den Revisionswerbern Gelegenheit, zu den Ausführungen in den Sprachanalysen Stellung zu nehmen. Das BVwG setzte sich mit den Ergebnissen der Sprachanalysen eingehend auseinander und ging zutreffend davon aus, dass diese als sonstige Beweismittel der freien Beweiswürdigung unterliegen. Wenn die Revisionswerber bemängeln, das BVwG stütze seine gesamte Beweiswürdigung auf die Sprachanalyse, so ist dem entgegenzuhalten, dass sich jene im gegenständlichen Fall nicht allein auf die Sprache der Revisionswerber beschränkte, sondern auch geographische, ökonomische, kulinarische, kulturelle und administrative Aspekte des behaupteten Herkunftsortes miteinbezog. Dass die vorgenommene Würdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise erfolgt wäre, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.
14 Hinsichtlich der Rückkehrentscheidung ist festzuhalten, dass das BVwG durch eine dem Gesetz entsprechende Abwägung des öffentlichen Interesses mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen der Revisionswerber zu dem Ergebnis gelangte, dass weder ein unzulässiger Eingriff in das Privat- noch in das Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegt. Die Revision vermag nicht aufzuzeigen, dass die vorgenommene Interessenabwägung von den Leitlinien der Rechtsprechung abweicht.
15 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 14. November 2017
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017200266.L00.1Im RIS seit
07.12.2017Zuletzt aktualisiert am
13.07.2018