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E000 EU- Recht allgemein;Norm
12010P/TXT Grundrechte Charta Art4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Mitter, über die Revision des H H in G, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. März 2017, Zl. W175 2142894-1/7E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger Afghanistans und stellte am 14. Juni 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Mit Bescheid vom 5. Dezember 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz als unzulässig zurück, sprach aus, dass Ungarn zur Prüfung des Antrags zuständig sei, ordnete die Außerlandesbringung an und stellte unter einem fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Ungarn zulässig sei.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 6. März 2017 als unbegründet ab. Das BVwG führte aus, es hege keine Bedenken hinsichtlich der grundsätzlichen Zuständigkeit Ungarns, diese sei auch vom Revisionswerber nicht in Zweifel gezogen worden. Es bestünden weder unzumutbar lange Verfahrensdauern, noch systematische bzw. notorische Menschenrechtsverletzungen in Ungarn und es seien solche auch nicht vorgebracht worden. Dublin-Rückkehrer hätten in Ungarn Zugang zum Asylsystem und es sei auszuschließen, dass der Revisionswerber nach Serbien rückgeschoben werden könne. Es sei weiters nicht davon auszugehen, dass dem Revisionswerber als Dublin-Rückkehrer bei geordneter Rückführung eine Inhaftierung drohe. Im Ergebnis sei keine Verletzung von Rechten des nicht als vulnerable Person anzusehenden Revisionswerbers nach der EMRK oder der GRC zu befürchten, sodass keine Veranlassung bestanden habe, vom Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in welcher zu deren Zulässigkeit zunächst vorgebracht wird, das angefochtene Erkenntnis weiche vom hg. Erkenntnis vom 8.9.2015, Ra 2015/18/0113 - 0120, zur Widerlegung der Sicherheitsvermutung ab, zumal der Revisionswerber substantiierte Kritik an den Verhältnissen in Ungarn vorgebracht habe, sodass von einer solchen Widerlegung ausgegangen werden könne.
5 Weiters weiche das BVwG von der hg. Rechtsprechung zur Begründungspflicht ab, da es auf die vom Revisionswerber vorgebrachte Inhaftierung mit keinem Wort eingegangen sei. Die gegenteilige Erfahrung des Revisionswerbers, der mehrere Monate inhaftiert gewesen sei, lasse das BVwG außer Acht und werde dieses - den dortigen Feststellungen widersprechende - Vorbringen im angefochtenen Erkenntnis nicht gewürdigt.
6 Schließlich habe der Revisionswerber durch die Vorlage aktueller Länderberichte einen über das Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens hinausgehenden Sachverhalt behauptet, weshalb das BVwG gehalten gewesen wäre, ein ergänzendes Ermittlungsverfahren zu führen und eine mündliche Verhandlung durchzuführen oder nach § 21 Abs. 6a iVm Abs. 3 BFA-VG vorzugehen.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Vorausgeschickt wird, dass der Verwaltungsgerichtshof die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVwG gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen hat (vgl. etwa VwGH 8.5.2017, Ra 2017/18/0060, mwN). Dementsprechend entziehen sich Änderungen der Sach- und Rechtslage in Bezug auf Ungarn, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses Anfang März 2017 ereignet haben, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren.
11 Die Revision führt unter Hinweis auf VwGH vom 8.9.2015, Ra 2015/18/0113-0120, aus, das BVwG weiche von dieser Rechtsprechung zur Widerlegung der Sicherheitsvermutung ab, weil der Revisionswerber sowohl in seiner Einvernahme vor dem BFA als auch in der Beschwerde - untermauert durch den Hinweis auf aktuelle Länderberichte und Entscheidungen von Gerichten anderer Mitgliedstaaten - geltend gemacht habe, nach seiner aus Deutschland erfolgten Überstellung nach Ungarn dort ohne Bekanntgabe von Gründen "ständig eingesperrt" gewesen zu sein und angesichts seiner Nierenerkrankung keine adäquate medizinische Versorgung erhalten zu haben. Damit habe der Revisionswerber Gründe glaubhaft gemacht, die zu einer Widerlegung der Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 in Bezug auf Ungarn führten.
12 In dem in der Revision angesprochenen Erkenntnis vom 8.9.2015, Ra 2015/18/0113-0120, gelangt der VwGH zu dem Schluss, dass jede einer asylwerbenden Partei bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat des Dublin-Systems mit realem Risiko ("real risk") drohende Verletzung von Art. 3 MRK (bzw. Art. 4 GRC) von den österreichischen Asylbehörden wahrzunehmen ist und zur Unzulässigkeit der Überstellung in den Zielstaat führt. Eine andere Sichtweise stünde im Widerspruch zum absoluten Charakter des durch Art. 3 MRK (bzw. Art. 4 GRC) garantierten Schutzes und den damit durch Österreich übernommenen (grundrechtlichen) Verpflichtungen.
13 Der VwGH führte darin ebenso aus, dass negative Erlebnisse der asylwerbenden Partei in Ungarn zwar eines von vielen Indizien für die Behandlung von Asylwerbern in Ungarn sein können, sie aber keinen (alleinigen) Rückschluss darauf zulassen, dass der asylwerbenden Partei bei Rücküberstellung nach Ungarn Gleiches widerfahren würde. Entscheidend sei vielmehr eine prognostische Beurteilung der Verhältnisse im Aufnahmestaat, die auf der Grundlage einer Gesamtbeurteilung der den Asylbehörden bzw. dem BVwG vorliegenden aktuellen Berichtslage unter Bedachtnahme auf die individuelle Lage des betroffenen Asylwerbers zu erfolgen habe.
14 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich zuletzt in seinem Erkenntnis vom 20.6.2017, Ra 2016/01/0153, ausführlich mit der Bestimmung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 und dem diesbezüglichen unionsrechtlichen Hintergrund - insbesondere dem sich in der "Sicherheitsvermutung" des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 wiederfindenden Prinzip des gegenseitigen Vertrauens zwischen den die Dublin III-Verordnung anwendenden Staaten - auseinandergesetzt. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird insoweit auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen. Hervorzuheben ist im gegebenen Zusammenhang, dass demnach die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 nur durch eine schwerwiegende, etwa die hohe Schwelle des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC übersteigende allgemeine Änderung der Rechts- und Sachlage im zuständigen Mitgliedstaat widerlegt werden kann (Rz 35 und 44 des zitierten Erkenntnisses vom 20.6.2017).
15 Das BVwG traf - bezogen auf seinen Entscheidungszeitpunkt -
umfassende Feststellungen u.a. zur Situation von Dublin-Rückkehrern sowie zur fremdenpolizeilichen und zur asylrechtlichen Haft in Ungarn. Dem hält der Revisionswerber seine eigenen Wahrnehmungen in Ungarn entgegen, wo er nach seiner Rücküberstellung aus Deutschland für ca. siebeneinhalb Monate inhaftiert gewesen sei, ohne über die Gründe hierfür informiert worden zu sein. Damit setzt sich das BVwG unter Hinweis auf die Gebundenheit der Haft an gesetzliche Vorgaben sowie auf die Feststellungen über die näher dargestellte, relativ geringe Zahl der Inhaftierten auseinander. Davon ausgehend erachtete es als nicht wahrscheinlich, dass der Revisionswerber in Ungarn willkürlich inhaftiert würde. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der oben zitierten hg. Rechtsprechung ist das Vorbringen des Revisionswerbers über die nach seinen Angaben in Ungarn erfolgte Inhaftierung nicht geeignet, die Sicherheitsvermutung zu widerlegen, zumal sich die vom Revisionswerber im erstinstanzlichen Verfahren und in der Beschwerde angesprochenen Berichte mit der Situation vulnerabler Personen kritisch auseinandersetzen, wozu der Revisionswerber - von der Revision unbestritten - nicht zählt.
16 Anhand des oben dargestellten Maßstabs für die Widerlegung der Sicherheitsvermutung kann auch die Aussage des Revisionswerbers, seine Nierenerkrankung sei erst nach vier Tagen und nur mit Schmerztabletten behandelt worden, nicht als ausreichendes Indiz hierfür angesehen werden.
17 Weder vor dem Hintergrund der Feststellungen des BVwG zur Lage in Ungarn noch aufgrund des Vorbringens des Revisionswerbers ergeben sich somit konkrete Hinweise darauf, dass es nach der Rücküberstellung des Revisionswerbers zu einer Verletzung von Art. 3 oder 5 EMRK käme. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass die in § 5 Abs. 3 AsylG 2005 zum Ausdruck gebrachte Sicherheitsvermutung erschüttert wäre.
18 Soweit die Revision eine ausreichende Auseinandersetzung mit dem Parteivorbringen zur Situation bzw. zur selbst erlebten Behandlung in Ungarn vermisst, ist der Revisionswerber darauf hinzuweisen, dass es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ausreicht, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der Verfahrensmängel in konkreter Weise darzulegen (vgl. etwa VwGH 10.4.2017, Ra 2017/01/0088).
19 Die Ausführungen in der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Revision werden dieser Anforderung nicht gerecht, zumal nicht konkret dargelegt wird, zu welchem - speziell den Revisionswerber betreffenden - Ergebnis das BVwG bei einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem ungarischen Asylwesen bzw. dem Vorbringen des Revisionswerbers zu seiner behaupteten Inhaftierung gekommen wäre.
20 Im Übrigen übersieht die Revision, dass die Verhandlungspflicht in Dublin-Verfahren besonderen Verfahrensvorschriften (§ 21 Abs. 3 und Abs. 6a BFA-VG) folgt, die sich von jenen, welche die Revision im Blick hat (§ 21 Abs. 7 BFA-VG), unterscheiden. Die Auslegung dieser Sondervorschriften hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 30.6.2016, Ra 2016/19/0072, vorgenommen und es wird zur Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf diese Entscheidung verwiesen. Dass das BVwG von den dort aufgestellten Leitlinien zur Verhandlungspflicht im Zulassungsverfahren abgewichen wäre, zeigt die Revision ebenso wenig auf wie das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Beschwerdestattgebung.
21 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 14. November 2017
Schlagworte
Gemeinschaftsrecht Verordnung EURallg5European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017200108.L00Im RIS seit
07.12.2017Zuletzt aktualisiert am
07.12.2017