Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 23. Oktober 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Niederleitner und Dr. Bartl sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wetter als Schriftführer in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufung des Kammeranwalts wegen Schuld gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Kärntner Rechtsanwaltskammer vom 6. Februar 2017, AZ D 8/13, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, und des Kammeranwalts Dr. Tschurtschenthaler, jedoch in Abwesenheit des Beschuldigten zu Recht erkannt:
Spruch
In Stattgebung der Berufung wird das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt:
***** ist schuldig, er hat – unter Verstoß gegen das Verbot der Doppelvertretung nach § 10 Abs 1 RAO – zumindest am 5. März 2012 in Klagenfurt Christian E***** im (gegen diesen unter anderem wegen des Vorwurfs der Veruntreuung und Untreue zum Nachteil der M***** GmbH unter Involvierung der F***** GmbH & Co KG geführten) Strafverfahren AZ ***** des Landesgerichts K***** verteidigt, nachdem er bis 16. April 2010 die geschädigte M***** GmbH in einer damit im Zusammenhang stehenden Sache gegen die F***** GmbH & Co KG vertreten hatte.
Er hat hiedurch die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt begangen und wird hiefür zu einer Geldbuße von 2.000 Euro und zum Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens einschließlich des Rechtsmittelverfahrens verurteilt.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt ***** vom im Spruch genannten Vorwurf unter Anwendung des § 3 DSt freigesprochen.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die nominell auf Z 9 lit b, der Sache nach Z 9 lit a (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 634; RIS-Justiz RS0118286) des § 281 Abs 1 StPO gestützte Berufung des Kammeranwalts wegen Schuld; sie ist im Recht.
Nach den Feststellungen des Disziplinarrats hat der Beschuldigte im Februar 2009 für die M***** GmbH ein (Inkasso-)Mandat übernommen. Er wurde vom (damaligen) Angestellten der M***** GmbH Christian E***** beauftragt, Forderungen gegen die F***** GmbH & Co KG aus einer Provisionsvereinbarung zu betreiben, wobei ihm die angeführte Vereinbarung samt diversem Schriftverkehr und Zahlungsnachweisen zur Prüfung und Verfolgung der Ansprüche übergeben wurde. Das Mandatsverhältnis endete am 16. April 2010. Im Strafverfahren AZ ***** des Landesgerichts K***** schritt der Beschuldigte sodann als Verteidiger des wegen des Verdachts der Veruntreuung und Untreue zum Nachteil der M***** GmbH angeklagten Christian E***** ein. Das Strafverfahren betraf auch die abgeschlossene Provisionsvereinbarung. In der Hauptverhandlung am 5. März 2012 sprach die Zeugin Margit M***** im Zuge ihrer Befragung zu den Auszahlungsbelegen des Unternehmens C***** den Beschuldigten auch auf seine Tätigkeit als „Firmenanwalt“ für die M***** GmbH an und legte ein Schreiben betreffend dessen anwaltliche Tätigkeit vor. Schließlich erging „unter anderem ein Schuldspruch, da Bargeldbeträge, die von der F***** GmbH & Co KG übergeben worden sind, nicht an die M***** weitergeleitet worden sind“. Der Beschuldigte konnte als Verteidiger im Strafverfahren „jedenfalls ein Wissen einbringen“, das ihm ermöglichte, „Gegenbehauptungen“ der Geschäftsführerin des geschädigten Unternehmens „durch inhaltlich konkrete Fragen zur Provisionsvereinbarung einer Prüfung zu unterziehen“
(ES 3– 5).
Der Disziplinarrat bejahte einen Verstoß gegen das Verbot der Doppelvertretung nach § 10 Abs 1 RAO, fällte aber einen auf § 3 DSt gestützten Freispruch, weil lediglich ein „geringer Grad des Verschuldens“ vorliege und der Sorgfaltsverstoß deutlich geringer sei als in „Durchschnittsfällen der Deliktsverwirklichung“.
Zutreffend zeigt die Rechtsrüge auf, dass der Disziplinarrat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 DSt zu Unrecht angenommen hat.
Das in § 10 Abs 1 RAO statuierte Verbot, dass ein Anwalt nicht beiden Teilen im selben Rechtsstreit dienen oder Rat erteilen darf, ist aus rechtspolitischer Sicht weit auszulegen. Es betrifft überhaupt alle Rechtskonstellationen, in denen Interessenskollisionen zweier Parteien vorliegen oder sich bereits abzeichnen (RIS-Justiz RS0117715). Uneigentliche Doppelvertretung nach § 10 Abs 1 erster Satz RAO liegt vor, wenn ein Anwalt eine Partei vertritt oder berät, nachdem er die Gegenpartei in derselben oder einer damit zusammenhängenden Sache vertreten oder beraten hatte (RIS-Justiz RS0054995). Der Begriff der „Gegenpartei“ ist dabei so weit auszulegen, dass nicht nur auf die formal Prozessbeteiligten, sondern auch auf den Widerstreit der Interessenlagen abzustellen ist (24 Os 1/14y; 26 Os 3/14g; 28 Os 2/15a).
§ 3 DSt verlangt kumulativ, dass das Verschulden des Rechtsanwalts geringfügig ist und sein Verhalten keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat (RIS-Justiz RS0113534 [T1, T2]). Spezial- oder generalpräventive Erwägungen sind kein Kriterium für die Anwendung (RIS-Justiz RS0114103; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek RAO9 § 3 DSt Rz 2). Das Verschulden ist als (hypothetische) Strafzumessungsschuld iSd §§ 32 ff StGB zu verstehen (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek RAO9 § 3 DSt Rz 5). Es ist als geringfügig zu beurteilen, wenn nach Lage des Falls Handlungs- und Gesinnungsunwert erheblich hinter jenen typischer Fälle der jeweiligen Deliktsverwirklichung zurückbleiben (RIS-Justiz RS0101393, RS0089974).
Eine derartige Konstellation ist im gegenständlichen Fall nicht gegeben. Denn indem der Beschuldigte die Verteidigung eines ehemaligen Mitarbeiters seiner früheren Mandantin wegen des Verdachts von zu deren Nachteil begangenen Vermögensdelikten im Zusammenhang (unter anderem) mit den im Rahmen des zuvor bestandenen Mandatsverhältnisses geprüften und betriebenen Forderungen (zeitnah) übernahm und so sein Wissen aus dem früheren Vertretungsverhältnis im Rahmen der Verteidigung verwenden konnte, hat er sich nicht bloß in eine Situation begeben, in der Interessenkollisionen absehbar waren, sondern auch (zumindest) den – insbesondere im Rahmen der Hauptverhandlung auch für die Öffentlichkeit wahrnehmbaren – Anschein einer Preisgabe der Interessen seiner ehemaligen Mandantin (als Geschädigte seines aktuellen Mandanten) gesetzt. Von einem geringfügigen Verschulden iSd § 3 DSt kann insofern keine Rede sein, sodass eine Anwendung der genannten Bestimmung schon aus diesem Grund nicht in Betracht kommt.
Im Übrigen ist nach dem vorliegenden Sachverhalt auch nicht von unbedeutenden Folgen auszugehen, ist doch das Verhalten des Beschuldigten im Rahmen des Strafverfahrens den beteiligten Richtern und Staatsanwälten, aber auch der Öffentlichkeit zur Kenntnis gelangt (vgl 26 Os 3/14g), wodurch eine erhebliche Beeinträchtigung des Vertrauens der rechtssuchenden Bevölkerung in die Tätigkeiten des Anwaltsstandes verbunden war (24 Os 1/14y; 20 Os 9/16y).
Soweit der Beschuldigte in seiner schriftlichen Äußerung zur Berufung (§ 48 Abs 2 DSt) damit argumentiert, dass er aus der Bearbeitung des seinerzeitigen Inkassofalls keinerlei Informationen verwenden konnte, die im Strafverfahren relevant gewesen wären, vermag er keine Bedenken gegen die gegenteiligen Annahmen des Disziplinarrats zu wecken. Zudem liegt ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelvertretung nicht nur dann vor, wenn der Rechtsanwalt tatsächlich „Sonderwissen“ aus dem früheren Mandat zugunsten seines neuen Mandanten verwertet hat (vgl 26 Os 3/14g), sondern auch dann, wenn durch die Doppelvertretung die Interessen des Mandanten nicht beeinträchtigt wurden (RIS-Justiz RS0096650, RS0072365), zumal durch eine Doppelvertretung stets der Eindruck erweckt wird, es könnten materielle Interessen des ehemaligen Mandanten preisgegeben werden (RIS-Justiz RS0055369 [T5]).
In Stattgebung der Berufung war daher ein Schuldspruch wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten sowie der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt zu fällen.
Bei der Strafbemessung wertete der Oberste Gerichtshof die zweifache Qualifikation als erschwerend (RIS-Justiz RS0055369 [T6]), die disziplinäre Unbescholtenheit und das lange Zurückliegen der Tat hingegen ebenso als mildernd, wie die unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer (§ 34 Abs 2 StGB). Aufgrund letztgenannten Umstands erschien anstelle einer mit 2.500 Euro auszumessenden Geldbuße eine solche in der Höhe von 2.000 Euro angemessen (vgl RIS-Justiz RS0114926) und den – mangels Angaben des Beschuldigten mit einem Durchschnittswert anzunehmenden – Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Beschuldigten entsprechend (§ 16 Abs 6 DSt).
Textnummer
E120048European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2017:0250DS00006.17Z.1023.000Im RIS seit
12.12.2017Zuletzt aktualisiert am
06.06.2018