Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Schwarzenbacher, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj S***** G*****, vertreten durch die Mutter N***** G*****, vertreten durch Dr. Stefan Gloss und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Land Niederösterreich, St. Pölten, Landhausplatz 1, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen 10.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 5.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 31. Mai 2017, GZ 21 R 31/17t-63, womit das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 27. September 2016, GZ 5 C 152/14a-54, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.096,56 EUR (darin 182,76 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die 2003 geborene Klägerin litt ab Sommer 2012 an wiederholten Entzündungen der Mandeln, weshalb sie im September 2012 zur Behandlung ins Krankenhaus der beklagten Partei kam. Nach Durchführung von sorgfältigen und mehrstufigen Untersuchungen wurde zunächst eine Antibiotikatherapie durchgeführt, die zu keinem Erfolg führte. Es wurde eine chronische Entzündung festgestellt. In der Folge konzentrierten sich die Untersuchungen (klinische Untersuchungen, Sonographie und ein MRT) auf einen Tumorverdacht, der zwar relativiert, aber nicht gänzlich ausgeschlossen werden konnte.
Im Jänner 2013 wurde die Klägerin im Krankenhaus der beklagten Partei an den (Gaumen-)Mandeln operiert, wobei auch die Rachendachmandeln („Polypen“) entfernt wurden. Die vollständige chirurgische Entfernung der Gaumenmandeln war aufgrund der chronischen Entzündungen mit Biofilmbildung alternativlos.
Der Operation, die zum richtigen Zeitpunkt durchgeführt wurde, gingen mehrere mündliche Aufklärungsgespräche voraus. Die Mutter wurde sogar „doppelt“ aufgeklärt, weil der ursprüngliche Operationstermin um einige Wochen verschoben und das gesamte Prozedere wiederholt wurde, sodass sie auch längere Zeit nachdenken konnte. Sie wurde mehrfach über das Risiko von Nachblutungen und des „Näselns“ informiert. Ferner wurde ihr ein schriftliches Aufklärungsformblatt übergeben, in dem für den Fall von Nachblutungen darauf hingewiesen wurde, dass diese allenfalls durch einen weiteren chirurgischen Eingriff behandelt werden müssten. Eine mündliche Aufklärung über eine solche Nachoperation erfolgte nicht. Die Mutter wurde aber hingewiesen, dass sie sich das Formblatt genau durchlesen soll. Sie hatte keine weiteren Fragen. Es liegen keine Feststellungen darüber vor, ob die Mutter das Aufklärungsformblatt auch tatsächlich durchlas.
Trotz lege artis durchgeführter Operation kam es bei der Klägerin zu Nachblutungen, die in einer Nachoperation gestillt wurden. Diese Nachoperation führte zu weiteren Komplikationen.
Die Klägerin begehrt 10.000 EUR an Schadenersatz und die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für künftige Schäden. Ihre Schadenersatzansprüche leitet sie aus den Komplikationen der Nachoperation ab. Soweit für das Revisionsverfahren noch von Relevanz, stützt sich die Klägerin auf eine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflichten anlässlich der ersten Operation. Diesbezüglich sei nur eine Aufklärung über mögliche Blutungen erfolgt. Die den Ärzten der beklagten Partei vorgeworfenen (und von den Vorinstanzen verneinten) Behandlungsfehler bei der ersten Operation sind nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens.
Das Erstgericht verneinte eine Aufklärungspflichtverletzung durch die behandelnden Ärzte und wies die Klage ab. Es bestehe keine Haftungsgrundlage für die bei der Klägerin schicksalhaft eingetretenen Beschwerden.
Das Berufungsgericht bestätigte die Klagsabweisung. Ein Arzt müsse nicht auf alle denkbaren Folgen einer Behandlung hinweisen. Der Umfang der Aufklärung richte sich nach der Dringlichkeit und Notwendigkeit der Operation. Die gesetzliche Vertreterin der Klägerin sei über das wesentliche Risiko, das sich verwirklicht habe (Nachblutungen), aufgeklärt worden. Über die mit der Nachoperation im Zusammenhang stehenden Folgen sei nicht aufzuklären. Auch im Hinblick auf das mit einer unterbliebenen (ersten) Operation verbundene gesundheitliche Risiko für das klagende Kind sei eine mangelnde Aufklärung über Komplikationen wegen einer notwendigen Nachoperation nicht zu beanstanden.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR nicht übersteigt und ließ die Revision zu, weil keine Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob und inwieweit eine ärztliche Aufklärung über eine notwendige Nachoperation (Notoperation) wegen Nachblutungen nach einer Mandeloperation erforderlich sei.
Die dagegen erhobene Revision der klagenden Partei, die sich im Wesentlichen auf Ausführungen zur Verletzung der Aufklärungspflicht vor der ersten Operation beschränkt, ist ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
1. Der konkrete Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht richtet sich stets nach den Umständen des Einzelfalls und wirft – von hier nicht vorliegender auffälliger Fehlbeurteilung abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Der Arzt muss nicht auf alle nur denkbaren Folgen der Behandlung hinweisen (RIS-Justiz RS0026529).
2.1 Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, das im Anlassfall eine Aufklärungspflicht über eine Nachoperation und deren Risiken verneinte, hält sich im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze.
2.2 Entscheidend ist, dass der Patient als Aufklärungsadressat die für seine Entscheidung maßgebenden Kriterien erfährt, die ihn in die Lage versetzen, die Tragweite seiner Zustimmung zum Eingriff zu überblicken (RIS-Justiz RS0026413). Die Aufklärungspflicht darf dabei nicht überspannt werden (RIS-Justiz RS0026362 [T1]).
3. Die vom Berufungsgericht als erheblich betrachtete Frage wurde in der Judikatur schon mehrfach behandelt.
3.1 Nach der Entscheidung 7 Ob 228/11x (= RdM 2012/85 [zust Leischner-Lenzhofer]) ist eine Ausweitung der Risikoaufklärung auf typische Risiken eines dringend erforderlichen (nachträglichen) Sanierungseingriffs bei Verwirklichung einer der Operation typischerweise anhaftenden Komplikation abzulehnen.
3.2 Auch die Entscheidungen 4 Ob 212/09v und 3 Ob 82/15b stützen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass grundsätzlich keine Informationspflicht über jene Komplikationen besteht, die Folgen einer aufklärungsbedürftigen Komplikation sein können.
3.3 Eine ähnliche Richtung ist auch aus 4 Ob 12/10h abzuleiten. Vor einem kosmetischen Eingriff ist zwar über die typischen Risiken, aber nicht schon vorab über sämtliche Therapievarianten für den Fall aufzuklären, dass sich ein solches Risiko verwirklichen sollte (vgl Leischner-Lenzhofer, RdM 2012/85 [Entscheidungsanm]).
3.4 Keine erhebliche Rechtsfrage wurde zu 3 Ob 94/14s in der Verneinung eines Verstoßes gegen die Aufklärungspflicht gesehen, wenn ein Patient darüber aufgeklärt wird, dass es bei der in Aussicht genommenen Operation zu einer Milzverletzung, allenfalls auch zu einem Totalverlust der Milz kommen kann, nicht aber darüber, welche Folgen die Entfernung der Milz nach sich ziehen könnte, zumal der klagende Patient hiezu keine Fragen gestellt hat.
3.5 Die Pflicht zur Aufklärung über eine allenfalls notwendige Folgebehandlung im Fall eines typischen Operationsrisikos (Wundinfektion) wurde auch in der Entscheidung 5 Ob 290/08w verneint.
4. Die Zulässigkeit der Revision kann auch nicht mit der von der Klägerin herangezogenen Entscheidung 7 Ob 233/00s begründet werden. Vom Obersten Gerichtshof wurde in diesem Fall eine Verletzung der Aufklärungspflicht deshalb bejaht, weil über das Risiko von Nachblutungen nicht ausreichend, sondern nur formularmäßig bzw (mit Hinweis auf die völlige Ungefährlichkeit) verharmlosend aufgeklärt wurde. Damit lassen sich die gegenständlich festgestellten Aufklärungshandlungen der beklagten Partei nicht vergleichen. Zu einer allfälligen Pflicht zur Aufklärung über Folgeoperationen musste in der Entscheidung 7 Ob 233/00s gar nicht Stellung genommen werden.
5. Wenn das Berufungsgericht im Sinne der Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0026375 [T5]) davon ausgeht, dass bei einem dringenden Eingriff, der für den Patienten vitale Bedeutung hat, die Aufklärungspflicht des Arztes nicht überspannt werden darf, bedarf dies unter Berücksichtigung der im Einzellfall vorliegenden Umstände keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung. Die Operation der Klägerin stand im Zusammenhang mit einem Tumorverdacht bzw häufigen Mandelentzündungen und war deshalb dringend und medizinisch indiziert.
6. Insoweit die Klägerin die Zulässigkeit des Rechtsmittels auf den Vorwurf stützt, es bleibe im Zusammenhang mit der zweiten Operation offen, ob diese lege artis durchgeführt worden sei und ob diesbezüglich eine ausreichende Aufklärung stattgefunden habe, ist darauf schon im Hinblick auf das Neuerungsverbot nicht näher einzugehen. Im Verfahren erster Instanz hat die Klägerin ihre Ansprüche ausschließlich auf ein Fehlverhalten der beklagten Partei bei (bzw vor) der ersten Operation gestützt. Das korrespondiert auch mit dem Umstand, dass sich das Feststellungsbegehren ausdrücklich (nur) auf die erste Operation bezieht und die Klägerin das Leistungsbegehren aus einer fehlerhaften Behandlung ableitet.
7. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
Textnummer
E119976European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2017:0040OB00184.17P.1024.000Im RIS seit
07.12.2017Zuletzt aktualisiert am
25.01.2019