Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner und Dr. Weixelbraun-Mohr sowie die fachkundigen Laienrichterinnen Dr. Martina Rosenmayr-Khoshideh und Mag. Susanne Haslinger als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei DI M*****, vertreten durch Freimüller/
Obereder/Pilz RechtsanwältInnen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei U***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Helmut Engelbrecht, Rechtsanwalt in Wien, wegen 9.253,42 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. Oktober 2016, GZ 10 Ra 74/16z-17, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 24. Mai 2016, GZ 22 Cga 84/15f-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 833,88 EUR (darin 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist seit Februar 1998 bei der Beklagten beschäftigt. Eine – auch für den Kläger geltende – Betriebsvereinbarung ermöglicht es den Mitarbeitern der Beklagten, Arbeitsbeginn und Arbeitsende innerhalb eines festgelegten Zeitraums (Montag bis Freitag, 6:00 Uhr bis 20:00 Uhr) selbst zu bestimmen. Die tatsächliche Arbeitszeit der Mitarbeiter wird durch ein Zeiterfassungssystem erfasst. Über- und Unterschreitungen der täglichen Sollarbeitszeit werden innerhalb des (drei Monate betragenden) Durchrechnungszeitraums ausgeglichen; jeweils am Ende dieses Zeitraums wird eine verbleibende Differenz dem Gleitzeitkonto gutgeschrieben. Mitarbeiter, deren Zeitsaldo über 20 Stunden liegt, haben die Möglichkeit, sich Gutstunden auszahlen zu lassen.
Der Kläger ist Mitglied des Betriebsrats. Am 30. Jänner 2014 stellte die Beklagte den Kläger dienstfrei und brachte eine Klage auf Zustimmung zu seiner Entlassung ein; diese Klage wurde schließlich rechtskräftig abgewiesen.
Im Jahr vor seiner Dienstfreistellung wurden dem Kläger jeweils über dessen Wunsch im jeweiligen Quartal 10 Überstunden für Jänner, 6 Überstunden für Februar, 5,79 Überstunden für April, 10 Überstunden für Oktober und 8,05 Überstunden für November ausbezahlt; für Jänner 2014 erhielt der Kläger 26,68 Überstunden bezahlt.
Der Kläger begehrte von der Beklagten die (rechnerisch unstrittigen) Entgeltdifferenzen für den Zeitraum Februar 2014 bis Februar 2016, die sich daraus ergeben, dass die Beklagte nach Meinung des Klägers bei der Berechnung des ihm für die Zeit der Dienstfreistellung gebührenden Entgelts den Durchschnitt der Überstunden unrichtig ermittelt habe. Die Beklagte sei dabei von einem Beobachtungszeitraum von einem Jahr ausgegangen, während richtigerweise der Durchschnitt der in den letzten 13 Wochen vor der Dienstfreistellung geleisteten Überstunden heranzuziehen sei. Außerdem habe die Beklagte Nichtarbeitszeiten im Beobachtungszeitraum (Urlaub, Krankenstand) zu Unrecht nicht „neutralisiert“ und nicht alle geleisteten, sondern nur die ausbezahlten Überstunden berücksichtigt. Richtigerweise errechne sich daher ein Durchschnitt von 9,72 Überstunden monatlich, während die Beklagte nur 3,32 Überstunden pro Monat angerechnet habe.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Begehrens; ihre Berechnung des dem Kläger auszuzahlenden Entgelts für Überstunden sei zutreffend.
Das Erstgericht folgte den Berechnungen der Beklagten und wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Überstunden des Klägers seien erheblichen Schwankungen unterworfen gewesen, weshalb ein einjähriger Beobachtungszeitraum angemessen sei. Teilweise habe der Kläger für seine „Überstunden“ Zeitausgleich konsumiert. Bei der gebotenen fiktiven Betrachtung sei davon auszugehen, dass auch im Fall der Weiterarbeit in der Zeit der Dienstfreistellung im gleichen Umfang Zeitausgleich in Anspruch genommen worden wäre. Ausgeglichene „Überstunden“ seien keine zu berücksichtigenden Mehrleistungen. Das Erstgericht habe daher zu Recht nur die über Wunsch des Klägers ausbezahlten Überstunden berücksichtigt. Auch für die Nichtarbeitszeiten (Krankheit, Urlaub) sei mangels gegenteiligen Vorbringens zu unterstellen, dass sie bei Weiterarbeit in der Zeit der Dienstfreistellung für den Kläger im selben Umfang angefallen wären. Es bestehe daher kein Anlass, Krankenstands- und Urlaubstage – wie vom Kläger
gewünscht – zu „neutralisieren“.
Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht mit der Begründung zu, dass der Oberste Gerichtshof noch nicht dazu Stellung genommen habe, welche Überstunden im Fall von Zeitausgleich für die Berechnung des nach § 1155 ABGB zu zahlenden Entgelts heranzuziehen seien und ob im Fall einer Dienstfreistellung „Nichtarbeitszeiten“ zu berücksichtigen seien.
Der Kläger beantragt in seiner Revision die Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts im klagsstattgebenden Sinn, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Klarstellung zulässig. Sie ist jedoch nicht berechtigt.
1. Gemäß § 1155 Abs 1 erster Halbsatz ABGB erhält der Arbeitnehmer sein Entgelt auch für Dienstleistungen, die nicht zustande gekommen sind, wenn er zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf Seiten des Arbeitgebers liegen, daran verhindert worden ist. Die Bestimmung des § 1155 ABGB beruht auf dem Lohnausfallsprinzip. Danach gebührt dem Arbeitnehmer bei Vorliegen der geforderten Voraussetzungen jenes Entgelt, das er bekommen hätte, wenn er wie bisher weiter gearbeitet hätte (8 ObA 75/08z; Spenling in KBB5 § 1155 Rz 8; Rebhahn in ZellKomm2 § 1155 ABGB Rz 46 uva). Davon sind auch die Entgelte für regelmäßig geleistete Überstunden umfasst (RIS-Justiz RS0028112).
Bei schwankendem Entgelt führt in der Regel die Berechnung nach dem Jahresdurchschnitt zu einem einigermaßen befriedigenden Ergebnis (vgl RIS-Justiz RS0027935; RS0043295; zuletzt 9 ObA 12/15b). Richtig ist, dass die Rechtsprechung – allerdings im Zusammenhang mit § 6 Abs 3 UrlG bzw mit § 8 Abs 1 AngG – bei Überstunden als Beobachtungszeitraum die letzten 13 Wochen zugrunde gelegt hat; reicht aber unter den im konkreten Fall gegebenen Umständen dieser Dreizehnwochenzeitraum für die Beurteilung nicht aus, wurde – um dem Gedanken der Kontinuität Rechnung zu tragen – auch in diesem Zusammenhang von einem längeren (in der Regel von einem einjährigen) Beobachtungszeitraum ausgegangen (RIS-Justiz RS0064288; zuletzt 9 ObA 12/15b).
Da – wie die Vorinstanzen überzeugend begründet haben – die anzurechnenden Überstunden des Klägers erheblichen Schwankungen unterworfen waren, erweist sich der hier zugrunde gelegte einjährige Beobachtungszeitraum als zutreffend.
2. Auch die Frage, ob bei der Ermittlung der anrechenbaren Überstunden von den tatsächlich geleisteten „Überstunden“ oder von den ausbezahlten Überstunden auszugehen ist, haben die Vorinstanzen richtig gelöst.
Der Abbau von Zeitguthaben durch Zeitausgleich hat keinen Entgeltcharakter; er führt vielmehr zu einer anderen Verteilung der Arbeitszeit (RIS-Justiz RS0051784; 8 ObA 64/15t). Soweit Zeitguthaben durch Zeitausgleich unter Anrechnung auf die Normalarbeitszeit verbraucht wurden, liegen daher keine Überstunden vor. Eine Berücksichtigung dieser (bereits ausgeglichenen) Stunden kommt daher grundsätzlich nicht in Betracht (in diesem Sinn bereits 9 ObA 213/88; vgl auch RIS-Justiz RS0051781).
Die Vorinstanzen haben daher zutreffend nur die dem Kläger ausgezahlten Überstunden in die Berechnung seines Anspruchs nach § 1155 ABGB einbezogen.
3. Schließlich besteht auch für die vom Kläger geforderte „Neutralisierung“ von Nichtarbeitszeiten (Urlaub, Krankheit) keine Veranlassung. Mangels jeglichen Vorbringens, dass für den Kläger im Beobachtungszeitraum solche Nichtarbeitszeiten in einem atypischen Ausmaß entstanden wären, kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger auch dann, wenn er während der (insgesamt zweijährigen) Dienstfreistellung gearbeitet hätte, in (annähernd) gleichem Ausmaß Urlaube konsumiert und Krankenstandszeiten gehabt hätte. Diese Annahme haben die Vorinstanzen der Berechnung zugrunde gelegt.
Aus der vom Kläger für die Neutralisierung von Nichtarbeitszeiten ins Treffen geführten Rechtsprechung zu § 6 UrlG ist für den hier zu beurteilenden Fall nichts zu gewinnen: Es trifft zu, dass nach dieser Bestimmung der Arbeitnehmer während seines Urlaubs grundsätzlich jenes Entgelt zu erhalten hat, das er verdient hätte, wenn er in dieser Zeit gearbeitet hätte (also nicht auf Urlaub gewesen wäre). Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass bei der hier maßgebenden Beurteilung nach § 1155 ABGB und einem einjährigen Beobachtungszeitraum zu unterstellen wäre, dass der Kläger im gesamten Jahr keinen Urlaub verbraucht (und daher ohne Unterbrechungen Überstunden geleistet) hätte. Dass der Kläger auch während des Urlaubs die von ihm regelmäßig geleisteten Überstunden weitergezahlt erhalten hat, obwohl er sie nicht geleistet hat, trifft zu. Das bedeutet aber nicht, dass die von ihm nicht geleisteten Überstunden nun nach § 1155 ABGB ein zweites Mal abgegolten werden müssten.
Der insgesamt unberechtigten Revision des Klägers war daher nicht Folge zu geben.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Textnummer
E120038European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2017:008OBA00007.17P.1025.000Im RIS seit
12.12.2017Zuletzt aktualisiert am
21.11.2018