Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Brenn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martina Rosenmayr-Khoshideh und Mag. Susanne Haslinger in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. G***** M*****, vertreten durch Dr. Ronald Gingold, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Wien, Rathaus, 1082 Wien, vertreten durch Dr. Andreas Joklik, Rechtsanwalt in Wien, wegen 23.716,89 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. November 2016, GZ 7 Ra 97/16k-23, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).
Text
Begründung:
Die Klägerin war bei der Beklagten vom 2. 11. 2011 bis 31. 5. 2015 als Spitalsärztin beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis war die Dienstordnung 1994 (DO, jeweils idF bis 31. 7. 2015) der Beklagten anzuwenden. Der Klägerin wurden Vordienstzeiten nach § 14 Abs 1 Z 5 und § 8 DO für die Zeit der Ausbildung im Höchstausmaß von sechs Jahren angerechnet. Für Vordienstzeiten der Klägerin, die sie bei privaten Dienstgebern zurückgelegt hatte (nach dem Klagsvorbringen 16 Jahre und einen Monat), wurde ihr nach § 14 Abs 2 DO das Höchstmaß von drei Jahren zur Hälfte, also eineinhalb Jahre angerechnet.
Das Klagebegehren ist auf die Zahlung von Entgeltdifferenzen gerichtet, die sich bei vollständiger Anrechnung jener facheinschlägigen Vordienstzeiten ergeben würden, die die Klägerin nicht bei einer Gebietskörperschaft erworben hat. Die Nichtanrechnung dieser Zeiten widerspreche dem Unionsrecht und dem Verfassungsrecht.
Das Klagebegehren blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos. Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig, weil die zu lösenden Rechtsfragen in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung hinreichend geklärt seien.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision der Klägerin ist aus den bereits vom Berufungsgericht dargelegten Gründen nicht zulässig.
1. Der strittige § 14 Abs 1 DO 1994 in der im klagsgegenständlichen Zeitraum geltenden Fassung sah vor:
(1) Folgende, dem Tag der Anstellung vorangegangene Zeiten sind dem Beamten für die Vorrückung zur Gänze anzurechnen:
1. die Zeit, die entweder in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen Gebietskörperschaft oder zu einem inländischen Gemeindeverband oder im Lehrberuf an einer inländischen öffentlichen Schule oder an einer mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten inländischen Privatschule zurückgelegt wurde;
(…)
8. bei einem Beamten der Verwendungsgruppe A oder L 1 die Zeit eines abgeschlossenen Studiums an einer inländischen Universität oder Kunsthochschule bis zu dem in der Anlage festgesetzten Höchstausmaß;
(...)
11. die Zeit eines Dienstverhältnisses oder Lehrverhältnisses, eines Dienstes, eines Praktikums oder einer abgeschlossenen Ausbildung, die den in Z 1 bis 10 genannten Dienstverhältnissen oder Lehrverhältnissen, Diensten, Praktika oder Ausbildungen entsprechen und von einem Staatsangehörigen eines in § 3 Abs. 1 Z 2 genannten Landes in einem anderen solchen Land absolviert worden sind; die Obergrenzen der Z 5 bis 8 sind zu beachten.
(...)
(2) Die dem Tag der Anstellung vorangegangenen Zeiten, die nicht nach Abs. 1 anzurechnen sind, sind dem Beamten für die Vorrückung bis zu einem höchstens zu berücksichtigenden Ausmaß von drei Jahren zur Hälfte anzurechnen.
Bei den in § 14 Abs 1 Z 11 DO 1994 genannten Ländern handelt es sich nach § 3 Abs 1 Z 2 DO um jene, die „Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder eines anderen Landes, dessen Staatsangehörigen Österreich auf Grund des Rechtes der Europäischen Union oder eines Staatsvertrages im Rahmen der europäischen Integration dieselben Rechte für den Berufszugang zu gewähren hat wie österreichischen Staatsbürgern“ sind.
2. Die Änderung des § 14 Abs 1 DO 1994 durch die Novelle LGBl 2014/34 hat auf die Ansprüche der Klägerin, die nur Ansprüche aus Perioden vor deren Inkrafttreten geltend macht und ihr Dienstverhältnis auch schon vor diesem Stichtag beendet hatte, keine Auswirkungen (vgl auch 8 ObA 34/17h). Die Parteien haben auch nicht in Frage gestellt, dass die Übergangsbestimmung des § 115o DO in diesem Zusammenhang nichts anderes anordnet.
3. Nach der Beurteilung des Verfassungsgerichtshofs ist die Anrechnungsregel des § 14 Abs 1 Z 1 erster Fall Wiener DO 1994 aF auch nicht gleichheitswidrig. Der Verfassungsgerichtshof hegte keine Bedenken gegen die Unterscheidung des Gesetzgebers bei der Anrechnung von Vordienstzeiten unter Bedachtnahme auf deren Einschlägigkeit zwischen Zeiten, die in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen Gebietskörperschaft zurückgelegt worden seien, einerseits und sonstigen Zeiten (in der Privatwirtschaft) andererseits. Dieser Unterscheidung sei im Hinblick auf Art 21 Abs 4 erster und zweiter Satz B-VG und aus der Sicht des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes, unter Berücksichtigung des dem Gesetzgeber bei der Regelung des Dienst-, Besoldungs- und Pensionsrechts der Beamten eingeräumten, verhältnismäßig weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraums nicht entgegenzutreten (VfGH B 1427/08, VfSlg 19.110; vgl auch 9ObA145/13h&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">9 ObA 145/13h).
4. Aus Sicht einer behaupteten Verletzung des Unionsrechts kommt hier als sekundärrechtlicher Rechtsakt nur die Verordnung 492/2011/EU über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union in Betracht.
Hiezu hat der erkennende Senat bereits jüngst in der Entscheidung 8 ObA 34/17h, die ähnliche Ansprüche eines Vertragsbediensteten der Beklagten zum Gegenstand hatte, ausgeführt: „Art 7 Abs 1 der Verordnung 492/2011/EU stellt allerdings nur eine besondere Ausprägung des primärrechtlichen Diskriminierungsverbots nach Art 45 Abs 2 AEUV dar und ist daher genauso auszulegen wie die primärrechtliche Grundlage (C-371/04, EK gegen Italien, Rn 17; C-514/12, SALK, Rn 23). Dies bedeutet, dass Art 7 der genannten Verordnung keinen weiteren unionsrechtlichen Anwendungsbereich als Art 45 AEUV selbst eröffnet.
Art 45 AEUV garantiert die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und verbrieft – so wie jede Grund- bzw Verkehrsfreiheit – sowohl ein Verbot der unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit als auch ein allgemeines Beschränkungsverbot in Bezug auf den Marktzugang. Der Anwendungsbereich von Art 45 AEUV als unionsrechtliches Primärrecht ist aber nur dann eröffnet, wenn ein aktueller grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt (vgl auch 8 ObA 67/16k; 8 ObA 74/16i). In der Entscheidung zu C-268/15, Ullens de Schooten, bekräftigte der Europäische Gerichtshof (gleichsam als Abkehr von der 'Venturini-Formel') ausdrücklich, dass die Bestimmungen des AEUV über die Grundfreiheiten auf einen Sachverhalt, dessen Merkmale sämtliche nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen, keine Anwendung finden (siehe dazu auch Brenn, Gerichtlicher Schutz der Grundfreiheiten und amtswegige Prüfung, in EU-Recht in der Praxis 68 ff).“
Da im Anlassfall kein grenzüberschreitender Sachverhalt, sondern ein reiner Inlandssachverhalt vorliegt, ist der Anwendungsbereich von Art 45 AEUV nicht eröffnet.
5. Soweit sich die Klägerin auf eine Inländerdiskriminierung beruft, weil Bedienstete der Beklagten, die als Wanderarbeitnehmer in deren Dienst eintreten, eine weitergehende Anrechnung ihrer bei ausländischen Arbeitgebern absolvierten Vordienstzeiten beanspruchen können als Inländer, ist festzuhalten, dass es sich hiebei insofern um eine hypothetische Fragestellung handelt, als der Anwendungsbereich des Unionsrechts nicht eröffnet ist. Nach Auffassung des erkennenden Senats steht es mit dem Unionsrecht im Einklang, dass sich im Zusammenhang mit der Beurteilung einer allenfalls unzulässigen Inländerdiskriminierung das dafür zuständige Gericht auch mit der unionsrechtlichen Vorfrage auseinandersetzt, wobei Art 267 AEUV zu beachten ist (8 ObA 34/17h).
6. Der Entscheidung 9 ObA 98/16a lag ein anders gelagerter Sachverhalt zugrunde, und zwar eine Regelung, die im Gegensatz zu § 14 DO 1994 keine Gleichstellung von Vordienstzeiten innerhalb der EU und des EWR vorsah.
Schlagworte
;Arbeitsrecht;Europarecht;Textnummer
E119977European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2017:008OBA00008.17K.1025.000Im RIS seit
07.12.2017Zuletzt aktualisiert am
07.12.2017