Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U***** AG, *****, vertreten durch ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei L*****gesellschaft mbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Martin Getreuer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 75.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. April 2017, GZ 5 R 9/17f-32, in nichtöffentlicher Sitzung, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Beklagte beauftragte ein Bauunternehmen als Generalunternehmer eines Bauvorhabens. Zur „Besicherung des Deckungsrücklasses“ sämtlicher Teilrechnungen in Bezug auf dieses Bauvorhaben erklärte die Klägerin im Auftrag des Bauunternehmens gegenüber der begünstigten Beklagten, die Garantie zur Zahlung von 450.000 EUR zu übernehmen. Die Beklagte nahm die Garantie am 13. 8. 2013 im Umfang von 75.000 EUR in Anspruch, weil das Bauunternehmen infolge Konkurseröffnung die Bautätigkeit eingestellt und die Beklagte ein anderes Unternehmen mit der Fertigstellung des Bauwerks beauftragt hatte. Dadurch entstanden der Beklagten rund 250.000 EUR Mehrkosten gegenüber der Bauabwicklung durch die ursprüngliche Generalunternehmerin. Die Klägerin zahlte der Beklagten den abgerufenen Garantiebetrag.
Das Berufungsgericht gab der auf Rückzahlung des geleisteten Garantiebetrags gerichteten Klage statt. Aus dem Text der Garantieerklärung der Klägerin ergebe sich in seiner Gesamtheit durch die mehrfache Bezugnahme auf Teilrechnungen hinreichend deutlich, dass die Garantie im Sinn des Klagsvorbringens nur der Sicherung von Abrechnungsungenauigkeiten bei den Teilrechnungen dienen sollte, nicht hingegen der in der ÖNORM A 2050 zum Begriff „Deckungsrücklass“ weiters angeführten Sicherstellung der Vertragserfüllung. Die Beklagte habe die Garantie rechtsmissbräuchlich in Anspruch genommen, weil die Beklagte im Hinblick auf die eindeutige Textierung der Garantie und die Differenzierung zwischen den einzelnen Sicherstellungen im Auftragsbrief, der sowohl Deckungsrücklass als auch Erfüllungsgarantie erwähne, bei Ziehen der Garantie zur Abdeckung eines Nichterfüllungsschadens nicht vertretbar habe davon ausgehen dürfen, einen dem Garantiezweck entsprechenden Abruf zu tätigen.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision der Beklagten zeigt keine erhebliche Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) auf.
1. Die Auslegung von Garantieerklärungen gemäß §§ 914 f ABGB wirft regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage auf (RIS-Justiz RS0042936 [T20]). Ob auch eine andere Auslegung möglich ist, hat keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (RIS-Justiz RS0042871 [T15]). Auch wenn die Klägerin einen Garantietext wie den vorliegenden tausendfach verwendet, bedeutet dies noch keine Erheblichkeit der Rechtsfrage (vgl RIS-Justiz RS0042816).
2.1. In der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 9 Ob 9/16p wurde aus den in der dort zu beurteilenden Garantieerklärung gewählten Formulierungen „Garantie zur Besicherung des Deckungsrücklasses für sämtliche Teilrechnungen“ und „Besicherung des Deckungsrücklasses sämtlicher Teilrechnungen hinsichtlich des Bauvorhabens ...“, die auch die Klägerin in ihrer Garantieerklärung verwendet, geschlossen, eine zur Besicherung des Deckungsrücklasses gegebene Garantie könne nicht einseitig zur Besicherung des Haftrücklasses herangezogen werden. Die – auch in der vorliegenden Garantie weiter gebrauchte – Wendung, die Garantie diene der „Sicherstellung aller Rechte, die [der Begünstigten] aus dem … Bauvorhaben im Zusammenhang mit den gelegten Teilrechnungen zustehen ...“ führte zu keinem anderen Ergebnis.
2.2. Die andere Beurteilung einer Deckrücklassgarantie in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 7 Ob 121/16v, mit der eine außerordentliche Revision zurückgewiesen wurde, beruht auf einem Sachverhalt, der sich vom vorliegenden und jenem der Entscheidung 9 Ob 9/16p zugrundeliegenden Sachverhalt unterscheidet. In diesem Fall hatte das Erstgericht festgestellt, dass in der Baubranche und im Vertrag zwischen den Parteien des Bauvertrags der Begriff „Deckungsrücklass“ bzw „Deckungsrücklassgarantie“ so verstanden werde, wie es bereits seit Jahrzehnten jenem der ÖNORM B 2110 Punkt 1.2.13 bzw der derzeit geltenden ÖNORM A 2050 Punkt 3.20.3 entspricht, wonach der Deckungsrücklass auch Sicherstellung für die Vertragserfüllung ist, sofern diese nicht durch Kaution abgesichert sei.
3. Daraus erhellt zum einen, dass es für die Auslegung des Begriffs „Deckungsrücklass“ auf die Umstände des Einzelfalls ankommt. Je nach Parteienvereinbarung kann der Begriff und damit der Umfang der Garantie enger oder weiter verstanden werden. Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht kein bestimmtes übereinstimmendes Verständnis der Parteien, auch nicht ein solches im Sinn der Ö-Normen festgestellt. Die Auslegung der Garantieerklärung der Klägerin durch das Berufungsgericht ist auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts vor dem Hintergrund der Entscheidung 9 Ob 9/16p jedenfalls vertretbar, zumal Garantieerklärungen im Zweifel eher eng auszulegen sind (vgl RIS-Justiz RS0017005 [T5]).
4. Dem Berufungsgericht ist auch in der Bejahung der rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme der Garantie kein korrekturbedürftiger Fehler unterlaufen.
4.1. Rechtsmissbrauch liegt ua dann vor, wenn die Bankgarantie vom Begünstigten für ein Ereignis in Anspruch genommen wird, für das sie nicht übernommen wurde (RIS-Justiz RS0018027 [T9]; RS0005092 [T5]). Ist strittig, welche Forderungen durch die Garantie gesichert werden sollten, und ist der Begünstigte (subjektiv) der Meinung, nach dem wahren Vertragswillen der Parteien habe die Bankgarantie der Sicherung seiner Forderungen gedient, so liegt keine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme der Garantie vor (RIS-Justiz RS0017997 [T3]). Ob im Einzelfall die für die Annahme von Rechtsmissbrauch geforderten Voraussetzungen vorliegen oder nicht, ist eine Frage des Einzelfalls, die im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO darstellt (RIS-Justiz RS0017997 [T5]).
4.2. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe sich bei Abruf der Garantie aus den oben wiedergegebenen Erwägungen seines Urteils und insbesondere auch nach dem abschließenden Hinweis der Klägerin auf die Rechtslage nicht vertretbar für zum Abruf berechtigt halten können, ist nicht korrekturbedürftig (vgl 9 Ob 9/16p, wo der „eigenmächtige“ Abruf einer bloß zur Besicherung des Deckungsrücklasses gegebenen Garantie für den Haftrücklass als rechtsmissbräuchlich beurteilt wurde).
Textnummer
E120010European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00107.17D.1025.000Im RIS seit
11.12.2017Zuletzt aktualisiert am
22.11.2018