Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wien 5, Wiedner Hauptstraße 84–86, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei R*****, vertreten durch Dr. Roland Kometer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 82.142,13 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 21. Februar 2017, GZ 4 R 1/17d-12, mit dem das Zwischenurteil des Landesgerichts Innsbruck vom 14. November 2016, GZ 41 Cg 86/16i-7, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Berufungsurteil wird dahin abgeändert, dass das Zwischenurteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Entscheidungsgründe:
Ein Versicherter der Klägerin erlitt bei einem Faschingsumzug am 12. Februar 2012 schwere Verbrennungen, aufgrund derer er am 7. März 2012 verstarb. Er trug damals ein sogenanntes „Zottlerkostüm“ (Muller-Kostüm), welches aus Rupfensäcken hergestellt wurde und leicht brennbar war, weil es aus einer Arbeitslatzhose und einer Arbeitsjacke aus blauer Baumwolle, auf denen jeweils buntes, gerupftes Sackleinen aufgenäht war, bestand.
Mit Bescheiden vom 20. sowie 24. April 2012 anerkannte die Klägerin die von der Witwe und den Kindern des Versicherten am 20. März 2012 geltend gemachten Witwen- bzw Waisenpensionsansprüche.
Gegen den Beklagten wurde aufgrund dieses Unfalls ein Strafverfahren geführt, das – nach dem Inhalt des von beiden Seiten beantragten und einvernehmlich verlesenen Strafakts – folgenden Verlauf nahm (die Darstellung des Erstgerichts wurde vom Berufungsgericht und nunmehr durch den Obersten Gerichtshof ergänzt: RIS-Justiz RS0121557 [T4, T5, T7 und T9]).
Der Abschluss-Bericht der Polizei trägt das Datum 24. März 2012 und führt den hier Beklagten als Beschuldigten. Er enthält unter anderem einen Untersuchungsbericht einer Landesstelle für Brandverhütung vom 21. März 2012. Darin findet sich die Beurteilung, dass die durchgeführten Versuche den Schluss zuließen, dass die Entzündung der Hose des Kostüms des Versicherten durch eine direkte Berührung der „Jutefasern“ mit dem Abdeckgitter des Heizgebläses verursacht worden sei; bei einem geringen Abstand (ca 20 cm) komme es zu einer Erwärmung der Kleidung, die vom Träger der Kleidung wahrgenommen werden könne. Bei einer direkten Berührung der „Jutefasern“ mit dem Abdeckgitter der Ausblasöffnung bzw auch bei Annäherung auf wenige Zentimeter komme es in weniger als einer Sekunde zu deren Entflammung und in weniger als zwei Sekunden zum Vollbrand. Nach dem Abschluss-Bericht waren an der Heizkanone im Bereich des Luftauslasses Fasern sichergestellt worden, die „offensichtlich“ von der Kleidung des Versicherten stammten. „Im Bedarfsfall könnte eine dahingehende Vergleichsuntersuchung angeordnet werden.“
Der Abschluss-Bericht der Polizei gelangte der Klägerin am 5. Juni 2012 zur Kenntnis. Am 14. Juni 2012 wurde sie von der Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Beklagten verständigt. Die Klägerin schloss sich darin nicht als Privatbeteiligte an.
Die Staatsanwaltschaft stellte am 25. Juni 2012 gegen den (nunmehrigen) Beklagten einen Strafantrag, in dem sie ihm wegen des Unfalls vom 12. Februar 2012 unter anderem das Vergehen der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Abs 1 Z 1 StGB zur Last legte.
Mit Urteil des Erstgerichts vom 2. Oktober 2012 wurde der Beklagte unter anderem wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB schuldig erkannt. Der Erstrichter stützte sich unter anderem auf das brandtechnische Gutachten, das im Abschluss-Bericht der Polizei vom 24. März 2012 enthalten war. Die Alternativursache „brennende Zigarette“ widerlegte es aus eigenen Überlegungen mit den Bildern des Spurenberichts.
Der Berufung des Beklagten wurde mit Urteil des Berufungsgerichts vom 10. April 2013 Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Strafsache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückgewiesen. Zur zentralen Frage der Kausalität hegte es erhebliche Bedenken an der erstgerichtlichen Beweiswürdigung zu dem entscheidenden Tatumstand eines direkten Kontakts zwischen dem Beinkleid des Versicherten und dem Gebläse der Heizkanone und daran, dass die im Bereich des Luftauslasses vorgefundenen Fasern jenen des Mullerkostüms des Versicherten zugeordnet wurden. Dazu liege kein gesichertes Ermittlungsergebnis vor, weshalb eine fasertechnische Vergleichsuntersuchung der sichergestellten Fasern mit gleichfalls sichergestellten Vergleichsfasern vom Gewand des Versicherten erforderlich sei. Ob in weiterer Folge auch ein weiteres brandtechnisches Gutachten indiziert sei, werde das Erstgericht nach Vorliegen des vergleichenden Fasergutachtens zu beurteilen haben.
Der Untersuchungsbericht des Bundeskriminal-amts/Kriminaltechnik vom 29. Juli 2013, beim Erstgericht eingelangt am 6. August 2013, erlaubte keine zweifelsfreie Zuordnung der Spurfasern von der Gehäuse-Oberseite der Heizkanone zum eingesendeten Eigenmaterial der Oberbekleidung des Versicherten: Da nicht bekannt sei, ob sich weitere Personen mit bastverzierten Kostümen auf dem Wagen befunden haben, wurde es als „möglich“ bewertet, dass die auf der Heizkanone gesicherten Stofffasern vom Kostüm des Versicherten stammten.
In der folgenden Hauptverhandlung vom 22. Oktober 2013 beantragten sowohl die öffentliche Anklägerin als auch der Verteidiger die Einholung eines brandtechnischen Gutachtens zur Kausalität/zum Ausschluss der Verursachung der Entflammung durch die Heizkanone.
Davor wurde noch ein chemisches Gutachten vom 25. März 2014, beim Erstgericht eingelangt am 2. April 2014, zur Identität der am Heizlüfter festgestellten Fasern mit dem Eigenmaterial des vom Versicherten getragenen Kostüms eingeholt, das unter anderem zum Ergebnis kam, die vorhandenen Informationen deuteten darauf, dass die Fasern vom Kostüm des Versicherten stammen.
Am 18. Juni 2014 ordnete das Erstgericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der Brandermittlung an. In seinem Gutachten vom 30. September 2014, beim Erstgericht eingelangt am 6. Oktober 2014, gelangte der brandtechnische Sachverständige zusammenfassend zum Ergebnis, dass eine Entflammung der Kleider durch eine Zigarette mit dem Spurenbild nicht vereinbar sei. Es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass zum Zeitpunkt des Brandes die Heizkanone eingeschaltet gewesen sei, wobei das Kostüm des Versicherten (Zottlergewand) mit Sicherheit entzündet werde, wenn vereinzelt Bastfäden das Schutzgitter der Heizkanone berührten. Das Spurenbild an der Kleidung des Opfers lasse sich mit einer Entzündung durch die Heizkanone vereinbaren.
Mit Urteil des Erstgerichts vom 19. Februar 2015 wurde der Beklagte unter anderem schuldig erkannt, fahrlässig den Tod des Versicherten herbeigeführt zu haben. Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er am 12. Februar 2012 fahrlässig dadurch, dass er eine Gas-Heizkanone im Innenbereich eines Faschingswagens in Betrieb nahm, in der Folge aber unbeaufsichtigt ließ und auch niemanden mit der Beaufsichtigung des Geräts beauftragte, weshalb einige Zeit später die Faschingsbekleidung des im Wagen aufhältigen Versicherten durch eine Berührung mit der Heizkanone im Bereich der Ausblasöffnung innerhalb weniger Sekunden in Vollbrand geriet, den Tod des Genannten herbeigeführt.
Am 3. Juni 2015 langte ein Schreiben der Klägerin in der Strafabteilung des Erstgerichts ein, mit dem sie um Bekanntgabe des Verfahrensstands ersuchte. Ihr wurde noch am selben Tag mitgeteilt, dass bereits ein noch nicht rechtskräftiges Urteil ergangen sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten – mit einer hier nicht relevanten Ausnahme im Privatbeteiligtenpunkt – mit Berufungsurteil vom 1. Dezember 2015 keine Folge.
Mit ihrer am 12. August 2016 eingebrachten Klage begehrt die klagende Sozialversicherungsanstalt 82.142,13 EUR als Regress der von ihr im Zeitraum vom 8. März 2012 bis 31. Dezember 2015 an die Witwe und die Kinder des Versicherten erbrachten Leistungen sowie die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für alle künftig aus Anlass des Unfalls von der Klägerin zu erbringenden Leistungen.
Der Beklagte erhob unter anderem die Einrede der Verjährung. Der Klägerin sei der Schaden seit 8. März 2012 bekannt gewesen, weil sie seit diesem Zeitpunkt Leistungen an die Hinterbliebenen erbracht habe. Zumindest seit Juni 2012 habe sie von dem gegen den Beklagten geführten Ermittlungsverfahren gewusst. Es sei ihr daher zumutbar gewesen, sich bereits im Ermittlungsverfahren Kenntnis vom anspruchsbegründenden Sachverhalt zu verschaffen. Spätestens jedoch seit dem Urteil vom 2. Oktober 2012 habe sie die für die erfolgreiche Klageführung notwendigen Informationen gehabt.
Die Klägerin erwiderte, dass der Beklagte im Strafverfahren bis zuletzt bestritten habe, für den Tod des Versicherten verantwortlich zu sein, und sein Verschulden nicht klar ersichtlich gewesen sei. So sei das Ersturteil im ersten Rechtsgang zwecks weiterer Erhebungen aufgehoben worden. Die Klägerin sei zur Frage möglicher Brandursachen als Laie anzusehen, weshalb sie sich auf weitere Gutachten und deren Ergebnis verlassen und diese abwarten habe müssen. Die Schadenersatzforderungen im Regressweg hätten daher erst nach Vorliegen des rechtskräftigen Strafurteils gestellt werden können. Der Klägerin, die öffentliche Mittel verwalte, sei es aus Kostenersparnisgründen nicht zumutbar gewesen, zuvor Klage einzubringen; im Fall eines Freispruchs wären unnötige Anwaltskosten angefallen.
Mit dem angefochtenen Zwischenurteil gemäß § 393a ZPO verwarf das Erstgericht die Einrede der Verjährung. Bis zur aufhebenden Berufungsentscheidung vom 10. April 2013 sei der Sachverhalt nicht so weit geklärt gewesen, dass der Klägerin eine Klagsführung habe zugemutet werden können. Das brandtechnische Gutachten vom 30. September 2014, das im Hinblick auf die leugnende Verantwortung des Beklagten entscheidungsrelevant gewesen sei, sei erst am 6. Oktober 2014 beim Landesgericht Innsbruck eingelangt. Frühestens ab diesem Zeitpunkt sei die Verdachtslage so weit erhärtet gewesen, dass der Klägerin eine Klagsführung zumutbar gewesen sei. Die am 12. August 2016 bei Gericht eingelangte Klage sei daher rechtzeitig erhoben worden.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge, änderte das Ersturteil dahin ab, dass die Klage mit Endurteil abgewiesen wurde, und ließ die ordentliche Revision wegen Verwertung bestehender Judikatur und Einzelfallbeurteilung nicht zu. Die Klägerin hätte das Strafverfahren laufend verfolgen müssen. Sie müsse sich die Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände zu jenem Zeitpunkt zurechnen lassen, in dem sie diese in Erfahrung bringen hätte können. Maßgeblicher Zeitpunkt für den Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist sei die erste strafgerichtliche Verurteilung des Beklagten im ersten Rechtsgang am 2. Oktober 2012 gewesen, das sich bereits auf ein brandtechnisches Gutachten stütze, das im Abschluss-Bericht der Polizei enthalten gewesen sei. Bereits zu diesem Zeitpunkt sei erkennbar gewesen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit die Heizkanone Brandursache gewesen sei. Daran ändere auch nichts, dass in weiterer Folge das Berufungsgericht weitere Erhebungen aufgetragen habe, um jeglichen Zweifel auszuschließen.
Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Zwischenurteils. Sie macht im Wesentlichen als unrichtige rechtliche Beurteilung geltend, das Berufungsgericht habe der Begründung des aufhebenden Berufungsurteils im Strafverfahren vom 10. April 2013 zu wenig Gewicht beigemessen. Auch die Klägerin als Laie habe das Fachwissen der im Strafverfahren im zweiten Rechtsgang eingeholten Gutachten benötigt, um tatsächlich in Kenntnis des Kausalzusammenhanges zu sein. Selbst wenn sich daher die Klägerin dem Strafverfahren als Privatbeteiligte angeschlossen hätte, wäre erst nach Vorlage des brandtechnischen Gutachtens (gemeint: vom 30. September 2014) tatsächlich eine Beweislage gegeben gewesen, die es ihr ermöglicht hätte, klageweise vorzugehen.
Der Beklagte hält in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung die Lösung der Verjährungsfrage durch die zweite Instanz für vertretbar und daher die Revision für unzulässig.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist zulässig, weil die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, bereits die erstinstanzliche Verurteilung im Strafverfahren habe die Verjährungsfrist ausgelöst, obwohl dieser Schuldspruch wegen erheblicher Bedenken gegen die Beweiswürdigung zum Ursachenzusammenhang zwischen dem Schaden (Tötung des Versicherten) und dem Verhalten des Beschuldigten (= Beklagten) aufgehoben wurde, aus Gründen der Rechtssicherheit nicht aufrecht zu erhalten ist. Das Rechtsmittel ist – daher – im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Zwischenurteils – auch berechtigt.
1. Die Judikatur zum Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB lässt sich wie folgt zusammenfassen:
1.1. Für den Sozialversicherungsträger, der gemäß § 332 ASVG eine Schadenersatzforderung des Verletzten (Sozialversicherten) schon im Zeitpunkt des Entstehens der Schadenersatzforderung erwirbt, beginnt die Verjährungsfrist des § 1489 ABGB erst dann zu laufen, wenn er selbst die Kenntnis von Schaden und Schädiger erlangt hat oder erlangen hätte können (RIS-Justiz RS0116986).
1.2. Sie beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Ersatzberechtigte sowohl den Schaden als auch den Ersatzpflichtigen so weit kennt, dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann (RIS-Justiz RS0034524; vgl auch RS0034374). Die Kenntnis muss dabei den ganzen anspruchsbegründenden Sachverhalt umfassen, insbesondere auch die Kenntnis des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Schaden und einem bestimmten, dem Schädiger anzulastenden Verhalten, in Fällen der Verschuldenshaftung daher auch jene Umstände, aus denen sich das Verschulden des Schädigers ergibt (RIS-Justiz RS0034951 [T1, T2, T4 bis T7] uva). Der anspruchsbegründende Sachverhalt muss dem Geschädigten zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch so weit bekannt sein, dass er – objektiv betrachtet – in der Lage ist, das zur Begründung seines Anspruchs erforderliche Sachvorbringen konkret zu erstatten (RIS-Justiz RS0034366; RS0034524). Bloße Mutmaßungen über die angeführten Umstände genügen hingegen nicht (RIS-Justiz RS0034524 [T18]). Hat der Geschädigte als Laie keinen Einblick in die für das Verschulden maßgeblichen Umstände, so beginnt die Verjährung nicht zu laufen (RIS-Justiz RS0034603). Die bloße Möglichkeit der Ermittlung einschlägiger Tatsachen vermag ihr Bekanntsein nicht zu ersetzen (RIS-Justiz RS0034459). Maßgeblich ist also, ob dem Geschädigten objektiv alle für das Entstehen des Anspruchs maßgebenden Tatumstände bekannt waren (vgl RIS-Justiz RS0034547; zu alldem jüngst 7 Ob 12/17s).
1.3. Der Geschädigte darf sich allerdings nicht einfach passiv verhalten und es darauf ankommen lassen, dass er von der Person des Ersatzpflichtigen eines Tages zufällig Kenntnis erhält (RIS-Justiz RS0065360). Wenn er die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, gilt die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre (RIS-Justiz RS0034327; RS0034335). Bei der Frage des Ausmaßes der Erkundigungspflicht des Geschädigten (Legalzessionars) über den die Verjährungsfrist auslösenden Sachverhalt kommt es immer auf die Umstände des Einzelfalls an (RIS-Justiz RS0113916). Die Erkundigungspflicht des Geschädigten, die sich auf die Voraussetzungen einer erfolgversprechenden Anspruchsverfolgung schlechthin und nicht nur auf die Person des Schädigers erstreckt, darf dabei nicht überspannt werden (RIS-Justiz RS0034327; zu alldem jüngst 7 Ob 12/17s).
1.4. Der Umstand, dass sich ein Sozialversicherungsträger dem Strafverfahren gegen den Beklagten nicht als Privatbeteiligter anschloss und daher keine unmittelbaren Informationen über den Fortgang des Strafverfahrens hatte, bewirkt für sich allein kein Hinausschieben des Beginns der Verjährungsfrist bis zum Ende des Strafverfahrens oder gar bis zum Vorliegen der schriftlichen Urteilsausfertigung (5 Ob 2339/96y = RIS-Justiz RS0105969 = RS0034459 [T3]). Der Geschädigte darf den rechtskräftigen Ausgang des Strafverfahrens nämlich nicht einfach abwarten (RIS-Justiz RS0034483; RS0034340). Demgemäß ist auch die Rechtsansicht, dass dem Sozialversicherungsträger als Legalzessionar eine (neuerliche) Einsichtnahme in den Strafakt in einem fortgeschritteneren Verfahrensstadium als der bloßen Polizeianzeige zumutbar sei, vertretbar (2 Ob 118/09f). Kann doch die relevante Kenntnis von Schaden und Schädiger auch durch entsprechende Verfahrensergebnisse in einem Strafverfahren begründet werden (vgl 2 Ob 597/93; 7 Ob 602/94; 5 Ob 2339/96y; 3 Ob 9/14s).
1.5. Ist der Geschädigte Laie und setzt die Kenntnis des Kausalzusammenhangs und – bei verschuldensabhängiger Haftung – die Kenntnis der Umstände, die das Verschulden begründen, Fachwissen voraus, so beginnt die Verjährungsfrist regelmäßig erst zu laufen, wenn der Geschädigte durch ein Sachverständigengutachten Einblick in die Zusammenhänge erlangt hat (RIS-Justiz RS0034603 [T2 und T23]; vgl RS0113727). Zwar ist er im Regelfall nicht verpflichtet, ein Privatgutachten einzuholen (RIS-Justiz RS0034327 [T2 und T33]). Ausnahmsweise kann aber, sofern eine Verbesserung des Wissensstands nur so möglich und dem Geschädigten das Kostenrisiko zumutbar ist, auch – nach einer gewissen Überlegungsfrist (3 Ob 162/12p mwN) – die Einholung eines Sachverständigengutachtens als Obliegenheit des Geschädigten angesehen werden (RIS-Justiz RS0034327 [T10]; jüngst 7 Ob 12/17s). Der erkennende Senat hat aber auch schon festgehalten, dass im Abwarten des Ganges eines behördlichen Ermittlungsverfahrens in der keineswegs realitätsfremden Hoffnung, in diesem werde ein Gutachten eines brandtechnischen Sachverständigen zur Klärung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach § 170 StGB erstattet oder der relevante Sachverhalt auf andere Weise ausreichend geklärt werden, keine Verletzung der Erkundigungsobliegenheit erkannt werden kann (3 Ob 9/14s).
2. Wenn sowohl der Beklagte als auch das Berufungsgericht davon ausgehen, dass die Klägerin das Strafverfahren von Beginn an und laufend zu verfolgen und so die erste Verurteilung des Versicherten zu beachten gehabt hätte, gestehen sie damit – zutreffend – zu, dass die Kenntnis vom Inhalt des Abschluss-Berichts der Polizei allein keiner fristauslösenden Kenntnis vom anspruchsbegründenden Sachverhalt entsprach. Eine – über eine optische Beurteilung hinausgehende – Prüfung, ob die an der Heizkanone im Bereich des Luftauslasses sichergestellten Fasern der Bekleidung des Versicherten zuzuordnen sind, war damals ja noch gar nicht erfolgt, sodass dazu nur eine bloße Vermutung angestellt werden konnte.
3. Unterstellt man die Verpflichtung der Klägerin, das Strafverfahren laufend zu verfolgen, und erblickt darin die Möglichkeit, die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Bemühungen in Erfahrung bringen zu können, gilt die Kenntnisnahme hier als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie der Klägerin bei angemessener Erkundigung zuteil gewesen wäre (RIS-Justiz RS0034327 [T1]; RS0034366 [T20]). Daher ist entscheidend, ob die Klägerin dem Strafakt bis zum 13. August 2013 (das ist der Beginn der Dreijahresfrist, wenn man von der Klageeinbringung am 12. August 2016 zurückrechnet) Kenntnisse hätte entnehmen können, die ihr eine erfolgversprechende Anspruchsverfolgung ermöglicht hätten.
4. Das ist aus folgenden Gründen zu verneinen:
4.1. Wurde doch der erste, im Wesentlichen nur auf dem Abschluss-Bericht basierende Schuldspruch im April 2013 aufgehoben, weil das Berufungsgericht wegen ungenügender Ermittlungsergebnisse erhebliche Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichts hatte, welche die Zuordnung des Brandes in die Verantwortung des Beklagten, also den Kausalzusammenhang und damit auch die Frage, ob der Beklagte der Schädiger sei, betrafen.
4.2. Der bekämpften Beurteilung, die diese Bedenken der zweiten Strafinstanz zur für die Klägerin zentralen Frage, ob sie den Beklagten in Anspruch nehmen soll, völlig ignoriert, obwohl die Klägerin im Zivilprozess für den Kausalzusammenhang und den Schädiger beweispflichtig ist, vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. Lag für die Klägerin doch, auch wenn sie sich um den Stand des Strafverfahrens gekümmert hätte, weiterhin keine klarere Situation vor, als aufgrund des Abschluss-Berichts der Polizei, weil zwar nach wie vor die Möglichkeit der (bestrittenen) Täterschaft des Beklagten bestand, aber ein Instanzgericht die Einholung von zumindest einem Gutachten für erforderlich hielt, um diese Frage ausreichend beurteilen zu können. Dass die Klägerin selbst über die entsprechenden Fachkenntnisse (zum Faservergleich, aber auch zur bis dahin nicht sachverständig begutachteten Brandentwicklung beim Versicherten) verfüge, ist weder offenkundig noch wurde dies vom Beklagten behauptet. Sie konnte diese Tatfrage also nur laienhaft beurteilen und war deshalb – wie von Anfang
an – auf die Einholung des vom Berufungsgericht geforderten Gutachtens angewiesen.
Wenn das Strafgericht die Täterschaft des Beklagten in dieser Situation (noch) in Zweifel zog, darf dem Geschädigten nicht vorgehalten werden, er habe (bereits) über einen Informationsstand verfügt, der ihm eine erfolgversprechende Klage gegen den Beklagten ermöglichte. Die Klageerhebung und Eröffnung eines weiteren Gerichtsverfahrens in diesem Stadium zu fordern, wäre – im Hinblick auf die zeitnah im Strafverfahren zu erwartende Klärung – vielmehr schikanös und völlig unökonomisch gewesen (gerade die Prozessökonomie ist aber der Zweck des Verjährungsrechts [RIS-Justiz RS0097976]).
4.3. Der Klägerin ist daher zuzugestehen, das Ergebnis des im Strafverfahren aufgetragenen Gutachtens abwarten zu dürfen (vgl 3 Ob 9/14s), das hier am 6. August 2013 beim Erstgericht einlangte. Auf die (mögliche) Kenntnis der Klägerin davon kommt es nicht an, weil der Inhalt des Gutachtens die mögliche Klärung, dass die Fasern von der Kleidung des Versicherten stammten, gerade nicht erbrachte und die bestehenden Unklarheiten weiter aufrecht blieben. Auch wenn die Klägerin das Gutachten sofort erhalten/eingesehen hätte, wäre ihre Entscheidungsgrundlage somit nicht verbessert worden, weil die Zweifel der zweiten Strafinstanz noch immer nicht ausgeräumt waren.
4.4. Deshalb durfte die Klägerin davon ausgehen, das Strafgericht werde auch das von der zweiten Instanz angesprochene brandtechnische Gutachten, das der öffentliche Ankläger ebenfalls für notwendig erachtete, einholen (was tatsächlich geschehen ist) und dessen Ergebnis abwarten. Dieses brandtechnische Gutachten lag am 30. September 2014/6. Oktober 2014 vor und stellt ein Beweisergebnis dar, das der Klägerin – wie sie nunmehr in der Revision selbst zugesteht – schon vor der Rechtskraft des Strafurteils eine erfolgversprechende Klageführung ermöglichte. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB begann daher frühestens im Oktober 2014 zu laufen, selbst wenn die Klägerin das Strafverfahren intensiver beobachtet oder sich als Privatbeteiligte angeschlossen hätte.
4.5. An diesem Ergebnis vermag das zwischenzeitig eingeholte chemische Gutachten vom 25. März 2014/2. April 2014 nichts zu ändern, weil es die Unsicherheiten betreffend die Zuordnung der Fasern zur Kleidung des Versicherten erneut nicht beseitigen konnte.
4.6. Auch der Umstand, dass das im Oktober 2013 beantragte brandtechnische Gutachten erst im Juni 2014 vom Strafgericht beauftragt wurde und erst im Oktober 2014 vorlag, geht nicht zu Lasten der Klägerin, die auf den Gang des Strafverfahrens keinen relevanten Einfluss nehmen konnte. Abgesehen davon hat der Oberste Gerichtshof die Frage, ob unterlassene Urgenzen eines nicht rasch arbeitenden Privatgutachters einen Verstoß gegen die Erkundigungsobliegenheit des Geschädigten darstellen, bereits dahin beantwortet, eine Verpflichtung zu Bemühungen, den Sachverständigen zu rascherer Tätigkeit zu bestimmen, bestehe in aller Regel nicht, sondern sei nur in besonderen Ausnahmefällen denkbar (7 Ob 96/10h; 3 Ob 162/12p). Das muss im Besonderen auch gegenüber in Offizialverfahren tätigen Gerichten und vom Gericht bestellten Sachverständigen gelten. Da der hier gegebene Verlauf des Strafverfahrens nach Vorliegen des Vergleichsgutachtens im August 2013 nicht außergewöhnlich war, ist eine Säumnis der Klägerin zu verneinen.
5. Die knapp zwei Jahre später erhobene Klage unterbrach daher die damals noch nicht abgelaufene Verjährungsfrist. Da die Annahme der Verjährung der eingeklagten Forderung somit auf einem unvertretbaren Rechtsirrtum beruht, hat die Wiederherstellung des zutreffenden Zwischenurteils des Erstgerichts nach § 393a ZPO zu erfolgen.
6. Auch für ein solches Zwischenurteil gilt der Kostenvorbehalt gemäß § 393 Abs 4 ZPO (RIS-Justiz RS0128615).
Textnummer
E120043European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2017:0030OB00065.17F.1025.000Im RIS seit
12.12.2017Zuletzt aktualisiert am
22.08.2018