TE Vwgh Erkenntnis 2000/7/7 99/19/0084

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Veröffentlicht am 07.07.2000
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
20/09 Internationales Privatrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

ABGB §143;
FrG 1997 §19;
FrG 1997 §8;
IPRG §24;
IPRG §25 Abs2;
IPRG §5 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hanslik, über die Beschwerde des 1940 geborenen YH in der Volksrepublik China, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. März 1999, Zl. 124.726/2-III/11/99, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt II wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte am 13. November 1997, beim Amt der Tiroler Landesregierung eingelangt am 28. Jänner 1998, die Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz. Der Beschwerdeführer gab als Aufenthaltszweck den der Familiengemeinschaft mit seinem in Österreich lebenden Sohn an.

Die Bezirkshauptmannschaft Kufstein brachte mit Schreiben vom 15. Juli 1998 dem Beschwerdeführer zur Kenntnis, dass der Familiennachzug Drittstaatsangehöriger, die sich vor dem 1. Jänner 1998 auf Dauer niedergelassen haben, auf Ehegatten und Kinder vor Vollendung des 14. Lebensjahres beschränkt sei. Darüber hinaus handle es sich bei der vom Beschwerdeführer angegebenen Wohnung nicht um eine ortsübliche Unterkunft.

Mit Schreiben vom 5. November 1998 gab der Beschwerdeführer dazu bekannt, ein Großteil seiner Familie halte sich in Österreich auf, wobei es sich dabei einerseits um österreichische Staatsbürger handle, andererseits entsprechende Niederlassungsbewilligungen vorlägen. Es bestehe daher ein beachtliches familiäres und soziales Interesse an der Familienzusammenführung. Hinsichtlich der Wohnverhältnisse werde mitgeteilt, dass der Sohn des Beschwerdeführers über eine Eigentumswohnung in Wien verfüge und diese den Eltern für Wohnzwecke zur Verfügung gestellt werden könnte. Auch die im Antrag genannte Unterkunft entspreche aus näher genannten Gründen sehr wohl den ortsüblichen Verhältnissen.

Mit Schriftsatz vom 4. Jänner 1999, eingelangt am 18. Jänner 1999, beantragte der Beschwerdeführer den Übergang der Entscheidungspflicht auf die Behörde zweiter Instanz.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde unter Spruchpunkt I dem Devolutionsantrag vom 18. Jänner 1999 gemäß § 73 Abs. 1 AVG stattgegeben. Unter Spruchpunkt II wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 21 Abs. 1 bis 3 FrG 1997 abgewiesen. Spruchpunkt II wurde nach Wiedergabe des Wortlautes des § 21 Abs. 1 bis 3 FrG zum einen damit begründet, dass der Beschwerdeführer nicht in den dort genannten Personenkreis falle und somit gemäß § 21 FrG 1997 die Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung ausgeschlossen, der Antrag daher abzuweisen gewesen sei. Unter Bezugnahme auf § 8 Abs. 1 und 3 leg. cit. führte die belangte Behörde sodann aus, die Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung zum Zwecke der Familiengemeinschaft mit dem in Österreich lebenden Sohn sei ausgeschlossen, weil eine gesetzliche Verpflichtung des Sohnes auf Unterhaltsleistung bei einer derartigen Fallkonstellation - Familienzusammenführung - nicht gegeben sei. Nach der ständigen Judikatur der beiden Gerichtshöfe öffentlichen Rechtes und des Europäischen Gerichtshofes bestehe kein Rechtsanspruch auf Familienzusammenführung "im Hinblick auf Art. 8 MRK für die nationalen Behörden, wenn dies nicht unbedingt (auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung) erforderlich scheine". Somit liege es im Ermessen, nach den bereits angeführten gesetzlichen Kriterien der Behörde den Antrag zu beurteilen. Demnach sei der vom Beschwerdeführer angeführte Zweck für einen Aufenthaltstitel ohne gesetzliche Grundlage und somit nicht zu erteilen. Weiters sei festzuhalten, dass der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die anderen möglichen Aufenthaltszwecke nach dem FrG 1997 im Hinblick auf die Vielzahl der Bewilligungswerber nur mäßig oder überhaupt nicht erfülle. Aus diesem Grund habe die Berufungsbehörde die öffentlichen Interessen "höher beurteilt" als die privaten und das Begehren des Beschwerdeführers abgewiesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - erkennbar nur gegen Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides gerichtetete - Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

§ 8 Abs. 1 und 3, § 19 Abs. 5, § 20, § 21 Abs. 3 FrG 1997 lauten:

"§ 8. (1) Einreise- und Aufenthaltstitel können Fremden auf Antrag erteilt werden, sofern diese ein gültiges Reisedokument besitzen und kein Versagungsgrund wirksam wird (§§ 10 bis 12).

...

(3) Die Behörde hat bei der Ausübung des in Abs. 1 eingeräumten Ermessens jeweils vom Zweck sowie von der Dauer des geplanten Aufenthaltes des Fremden ausgehend

1. auf seine persönlichen Verhältnisse, insbesondere seine familiären Bindungen, seine finanzielle Situation und die Dauer seines bisherigen Aufenthaltes, 2. auf öffentliche Interessen,

insbesondere die sicherheitspolizeilichen und wirtschaftlichen Belange, die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes und die Volksgesundheit und

3. auf die besonderen Verhältnisse in dem Land des beabsichtigten Aufenthaltes Bedacht zu nehmen.

...

§ 19. ...

(5) ... Drittstaatsangehörigen, die sich ohne Erwerbsabsicht auf Dauer in Österreich niederlassen, wird eine Niederlassungsbewilligung für Private erteilt; sie gilt für jeglichen Aufenthaltszweck außer für Erwerbstätigkeit.

§ 20. (1) Ehegatten und minderjährigen unverheirateten Kindern solcher Fremder, die rechtmäßig in Österreich auf Dauer niedergelassen sind, ist auf deren Antrag eine Erstniederlassungsbewilligung zu erteilen, sofern sie ein gültiges Reisedokument besitzen und kein Versagungsgrund wirksam wird (§§ 10 bis 12).

(2) Für das Ende der Minderjährigkeit gemäß Abs. 1 ist ungeachtet der Staatsangehörigkeit des Kindes österreichisches Recht maßgeblich (§ 21 ABGB).

§ 21. ...

(3) Der Familiennachzug Drittstaatsangehöriger, die sich vor dem 1. Jänner 1998 auf Dauer niedergelassen haben, ist auf die Ehegatten und die Kinder vor Vollendung des 14. Lebensjahres beschränkt."

Art. 15 des Ehegesetzes der Volksrepublik China (zitiert nach Bergmann-Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht) lautet:

"Art. 15. Die Eltern sind verpflichtet, den Kindern Unterhalt zu gewähren und sie zu erziehen; die Kinder sich verpflichtet, den Eltern Unterhalt und Beistand zu gewähren. ... Wenn die Kinder ihre Unterhaltspflicht nicht erfüllen, haben die arbeitsunfähigen oder sich hinsichtlich ihres Lebensunterhaltes in Schwierigkeiten befindlichen Eltern das Recht, von den Kindern Unterhaltsleistungen zu verlangen. ..."

§ 143 ABGB lautet:

"§ 143. Das Kind schuldet seinen Eltern und Großeltern unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse den Unterhalt, soweit der Unterhaltsberechtigte nicht im Stande ist, sich selbst zu erhalten, und sofern er seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind nicht gröblich vernachlässigt hat. ..."

Vorauszuschicken ist, dass die belangte Behörde - wie vom Beschwerdeführer auch nicht bestritten wird - den ursprünglich auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gerichteten Antrag zu Recht als einen solchen auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung wertete, weil der Beschwerdeführer darin die Aufnahme des Familienlebens mit seinem Sohn beabsichtigte. Der belangten Behörde ist weiters darin zuzustimmen, dass die Bestimmung des § 21 FrG 1997 eine Familienzusammenführung von Eltern mit ihren in Österreich aufhältigen Kindern nicht vorsieht, ein darauf gestützter Rechtsanspruch des Beschwerdeführers somit nicht besteht.

Die belangte Behörde hätte aber von Amts wegen die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Gründe für die angestrebte Niederlassungsbewilligung - ihr Vorliegen vorausgesetzt - einem zu ihrer Verwirklichung tauglichen gesetzlichen Aufenthaltszweck zu subsumieren und den Antrag im Rahmen der für diesen Zweck vorgesehenen Niederlassungsquote zu behandeln gehabt. War aber nach dem Vorgesagten die Erteilung einer Bewilligung gemäß § 21 FrG 1997 nicht möglich, so war die belangte Behörde gehalten, den Antrag des Beschwerdeführers im Rahmen der gemäß § 19 Abs. 5 zweiter Satz FrG 1997 festgelegten Quote für Drittstaatsangehörige, die sich ohne Erwerbsabsicht auf Dauer in Österreich niederlassen, zu behandeln (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 11. Juni 1999, Zlen. 98/19/0282 sowie 98/19/0236).

Die belangte Behörde war daher gehalten, in Anwendung der §§ 8 und 19 FrG 1997 eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen, ob dem Beschwerdeführer im Rahmen dieser Quote eine Niederlassungsbewilligung zu erteilen war. Die belangte Behörde vertrat im angefochtenen Bescheid die Auffassung, die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus dem Grunde der Familienzusammenführung mit dem in Österreich aufhältigen Sohn bzw. den übrigen Verwandten sei auch deshalb ausgeschlossen, weil der Sohn des Beschwerdeführers zur Leistung von Unterhalt im Falle der Familienzusammenführung nicht gesetzlich verpflichtet wäre.

Diese Ausführungen erweisen sich aus folgenden Überlegungen als unzureichend:

Gemäß den §§ 24 und 25 Abs. 2 IPRG sind die Wirkungen der Ehelichkeit und der Unehelichkeit eines Kindes nach dessen Personalstatut zu beurteilen. Der Anwendungsbereich dieser Bestimmungen erstreckt sich grundsätzlich auf den gesamten Inhalt des Eltern-Kind-Verhältnisses. Hiezu zählen insbesondere auch die wechselseitigen Unterhalts- und Versorgungsansprüche (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 1999, Zlen. 98/19/0139, 0140). Es kann dahinstehen, ob nach den Rechtsvorschriften der Volksrepublik China eine gemäß § 5 Abs. 1 IPRG zu beachtende Rückverweisung besteht oder nicht. Sowohl die Bestimmungen des chinesischen Rechtes (vgl. Art. 15 des Ehegesetzes der Volksrepublik China) als auch § 143 ABGB sehen nicht nur eine gesetzliche Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber ihren Kindern, sondern - unter bestimmten Voraussetzungen - auch von Kindern gegenüber ihren Eltern vor. Die belangte Behörde hat nun zum Vorliegen dieser Voraussetzungen keine Feststellungen getroffen und sich auch mit der Rechtslage nicht befasst, sondern ohne jegliche Begründung einen Unterhaltsanspruch des Beschwerdeführers gegen seinen Sohn verneint. Diese Mängel hindern den Verwaltungsgerichtshof daran, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides zu überprüfen. Der angefochtene Bescheid ist aus diesem Grund mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

Schließlich vermag auch die Begründung im angefochtenen Bescheid, der Beschwerdeführer erfülle "die Voraussetzungen für die anderen möglichen Aufenthaltszwecke nach dem FrG 1997 im Hinblick auf die Vielzahl der Bewilligungswerber nur mäßig oder überhaupt nicht", eine negative Ermessensentscheidung nicht zu tragen:

Zunächst ist nicht ersichtlich, ob die belangte Behörde in diesem Zusammenhang überhaupt von der Möglichkeit der Bedachtnahme auch auf den Aufenthalt des Sohnes und der übrigen Verwandtschaft des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ausging oder aber diese Möglichkeit in Verkennung des Regelungsgehaltes der §§ 19 Abs. 5 und 21 Abs. 3 FrG 1997 verneinte.

Selbst wenn man aber davon ausgehen wollte, dass die belangte Behörde auch die durch die Anwesenheit dieser Personen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet begründeten Interessen in ihre Erwägungen miteinbezogen hätte, erwiese sich der angefochtene Bescheid als nicht begründet:

Wenn die "Vielzahl der Bewilligungswerber" ins Treffen geführt wird, so ist eingangs festzuhalten, dass dem öffentlichen Interesse an der Verhinderung einer zu hohen Zahl von Zuwanderern zunächst durch die Ausgestaltung der in der Niederlassungsverordnung festgelegten Zuwanderungsquoten Rechnung getragen ist.

Insoweit die Begründung des angefochtenen Bescheides darauf abzielen sollte, dass (im Rahmen der Quote für Private) dringendere Anträge vorlägen als jener des Beschwerdeführers, ist Folgendes festzuhalten:

Der Verwaltungsgerichtshof hat im obzitierten hg. Erkenntnis vom 11. Juni 1999, Zl. 98/19/0282 unter Übernahme der Judikatur zu § 4 AufG ausgesprochen, dass die Abweisung eines Antrages lediglich mit dem Hinweis auf dringendere andere Anträge auch bei offener Quote ausgeschlossen ist und einen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet (vgl. dazu auch das zur Rechtslage vor Inkrafttreten des FrG 1997 ergangene Erkenntnis vom 14. Februar 1997, Zlen. 95/19/0629 bis 0631).

Sollte die belangte Behörde aber schließlich mit ihren Ausführungen die Auffassung vertreten, die vom Beschwerdeführer insgesamt ins Treffen geführten Gründe für eine positive Ermessensentscheidung, im vorliegenden Fall nicht nur der Aufenthalt seines Sohnes, sondern mehrerer Verwandter im Bundesgebiet, seien so geringfügig, dass ihm selbst dann eine Bewilligung nicht zu erteilen wäre, wenn er unter Berücksichtigung der Zahl der übrigen Bewerber in der Quote durchaus Platz fände, so wäre diese Auffassung zumindest ohne nähere Begründung nicht unmittelbar einsichtig, hat der Beschwerdeführer doch nicht unerhebliche Gründe für seinen Aufenthalt im Bundesgebiet ins Treffen geführt.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 7. Juli 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999190084.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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