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20/09 Internationales Privatrecht;Norm
FrG 1997 §10 Abs2 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hanslik, über die Beschwerde der 1950 geborenen L A in Belgrad, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. November 1998, Zl. 301.933/8-III/11/98, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine jugoslawische Staatsangehörige, stellte am 26. Jänner 1995 bei der österreichischen Botschaft in Belgrad einen als "Erstantrag" bezeichneten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, der am 6. Februar 1995 beim Magistrat der Stadt Wien einlangte.
Mit Bescheid vom 17. Februar 1995 wies der Landeshauptmann von Wien diesen Antrag gemäß § 4 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) ab. In der dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, ihre Mutter sei schon Pensionistin, auch ihr Vater werde bald in Pension gehen. Beide Eltern seien krank und brauchten die Unterstützung ihrer Tochter. Aus diesem Grund habe sie sich entschlossen, zu ihnen zu ziehen und bei verschiedenen Haushaltsarbeiten zu helfen. Die Eltern verfügten über genügend Einkommen, um sie zu unterstützen.
Der Bundesminister für Inneres wies die Berufung mit Bescheid vom 7. Juli 1995 gemäß § 5 Abs. 1 AufG ab.
Nachdem der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 13. Februar 1998, Zl. 95/19/1562, diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben hatte, wies der Bundesminister für Inneres, ohne dass aus dem Verwaltungsakt weitere Ermittlungsschritte ersichtlich wären, die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 17. Februar 1995 neuerlich, diesmal gemäß § 10 Abs. 2 Z. 1 und 2, § 10 Abs. 3 sowie § 21 Abs. 3 des Fremdengesetzes 1997 (FrG 1997) ab. In der Begründung führte der Bundesminister für Inneres aus, auf Grund der "nunmehr geltenden Rechtslage" sei der Antrag der Beschwerdeführerin als solcher auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung zu werten. Die Beschwerdeführerin habe in ihrem Antrag als Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit Fremden" angegeben. Ihre Eltern seien jugoslawische Staatsangehörige und somit im Sinne des FrG 1997 Drittstaatsangehörige. Gemäß § 21 Abs. 3 FrG 1997 sei der Familiennachzug Drittstaatsangehöriger, die sich vor dem 1. Jänner 1998 auf Dauer niedergelassen hätten, auf die Ehegatten und die Kinder vor Vollendung des 14. Lebensjahres beschränkt. Auf Grund dieser eindeutigen Bestimmung gehe klar hervor, dass im Falle der Beschwerdeführerin wegen ihrer Volljährigkeit der Zweck der Familiengemeinschaft ausgeschlossen sei. Als weiteren Aufenthaltszweck habe die Beschwerdeführerin "privater Aufenthalt" angegeben. Sie verfüge über keine eigenen Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes im Bundesgebiet. Mangels einer arbeitsrechtlichen Bewilligung habe sie auch nicht die Möglichkeit, im Bundesgebiet einer erlaubten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Daraus ergebe sich zwangsläufig, dass ihr Aufenthalt zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte. Zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes sei von der Beschwerdeführerin ausschließlich die Verpflichtungserklärung ihres Vaters vorgelegt worden. Gemäß § 10 Abs. 3 letzter Satz FrG 1997 sei jedoch die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung auf Grundlage einer Verpflichtungserklärung unzulässig. Bei Abwägung der privaten Interessen der Beschwerdeführerin mit den öffentlichen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK sei festgestellt worden, dass im vorliegenden Fall die öffentlichen Interessen überwögen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die maßgeblichen Bestimmungen des FrG 1997 lauten (auszugsweise):
"§ 10.
...
(2) Die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels kann
wegen Gefährdung öffentlicher Interessen (§ 8 Abs. 3 Z. 2)
insbesondere versagt werden, wenn
1. der Fremde ... nicht über ausreichende eigene Mittel zu
seinem Unterhalt ... verfügt;
2. der Aufenthalt des Fremden zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte, es sei denn, diese Belastung ergäbe sich aus der Erfüllung eines gesetzlichen Anspruches;
...
(3) Die Behörde kann einem Fremden trotz Vorliegens eines Versagungsgrundes gemäß Abs. 2 Z. 1 oder 2 ein Visum oder eine Aufenthaltserlaubnis erteilen, wenn ... auf Grund der Verpflichtungserklärung einer Person mit Hauptwohnsitz oder Sitz im Bundesgebiet die Tragung aller Kosten gesichert erscheint, die öffentlichen Rechtsträgern durch den Aufenthalt des Fremden entstehen könnten. Die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung auf Grundlage einer Verpflichtungserklärung ist unzulässig.
...
§ 21.
...
(3) Der Familiennachzug Drittstaatsangehöriger, die sich vor dem 1. Jänner 1998 auf Dauer niedergelassen haben, ist auf die Ehegatten und die Kinder vor Vollendung des 14. Lebensjahres beschränkt. Dasselbe gilt für den Familiennachzug quotenpflichtiger Drittstaatsangehöriger, der nicht gemäß Abs. 2 erfolgte.
...
§ 112. Verfahren zur Erteilung eines Sichtvermerkes sowie Verfahren zur Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung, die bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes anhängig sind, oder gemäß der §§ 113 und 114 anhängig werden, sind nach dessen Bestimmungen - je nach dem Zweck der Weise oder des Aufenthaltes - als Verfahren zur Erteilung eines Einreisetitels oder als Verfahren zur Erteilung eines Erstaufenthaltstitels oder eines weiteren Aufenthaltstitels fortzuführen. ..."
§ 24 und § 25 Abs. 2 IPRG lauten:
"§ 24. Die Wirkungen der Ehelichkeit und der Legitimation eines Kindes sind nach dessen Personalstatut zu beurteilen.
§ 25.
...
(2) Die Wirkungen der Unehelichkeit eines Kindes sind nach dessen Personalstatut zu beurteilen."
Art. 299 des serbischen Gesetzes über die Ehe und die Familienbeziehungen vom 22. April 1980 idF des Gesetzes vom 30. Mai 1994 (abgedruckt in Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Kindschaftsrecht VI, Jugoslawien, Seite 41 ff (75)) lautet:
"Art. 299. Ist ein volljähriges Kind wegen Krankheit, körperlicher oder geistiger Mängel arbeitsunfähig, hat es keine notwendigen Mittel zum Unterhalt oder kann es sie aus dem bestehenden Vermögen nicht aufbringen, sind die Eltern verpflichtet, so lange dieser Zustand andauert, Unterhalt für es zu leisten."
Weder nach der Aktenlage noch nach dem Beschwerdevorbringen verfügte die Beschwerdeführerin jemals über einen Aufenthaltstitel für die Republik Österreich. Die belangte Behörde wertete ihren Antrag vom 26. Jänner 1995 daher in Anwendung des § 112 FrG 1997 zu Recht als solchen auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung.
Zunächst ist der belangten Behörde beizupflichten, dass die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft für die bereits unbestritten volljährige Beschwerdeführerin gemäß § 21 Abs. 3 FrG 1997 nicht in Frage kam.
Die belangte Behörde ging aber zu Recht davon aus, dass die Beschwerdeführerin ihren Antrag erkennbar auch mit dem Zweck des privaten Aufenthaltes begründet hatte. Sie stützte die Versagung der Niederlassungsbewilligung diesbezüglich auf die Annahme, dass die Beschwerdeführerin nicht über ausreichende eigene Mittel zu ihrem Unterhalt im Sinne des § 10 Abs. 2 Z. 1 FrG 1997 verfüge und ihr Aufenthalt gemäß § 10 Abs. 2 Z. 2 FrG 1997 zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 1999, Zlen. 98/19/0139, 0140) verschafft auch das Bestehen eines gesetzlichen Unterhaltsanspruches gegen eine Person, die in der Lage ist, diesen zu erfüllen, eigene Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes. Diese zu § 10 Abs. 1 Z. 2 des Fremdengesetzes 1992 ergangene Rechtsprechung ist auch auf § 10 Abs. 2 Z. 1 FrG 1997 anwendbar.
Im Hinblick auf das erkennbare Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrer Berufung, sie beabsichtige, von Unterhaltsleistungen seitens ihrer Eltern zu leben, hätte die belangte Behörde demnach von Amts wegen die Rechtsfrage zu klären gehabt, ob der Beschwerdeführerin ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch gegen ihre Eltern zusteht.
Der Anwendungsbereich der §§ 24 und 25 Abs. 2 IPRG erstreckt sich grundsätzlich auf den gesamten Inhalt des Eltern-Kind-Verhältnisses. Hiezu zählen insbesondere auch die wechselseitigen Unterhalts- und Versorgungsansprüche (vgl. das bereits erwähnte hg. Erkenntnis vom 27. Mai 1999).
In Ermangelung einer gemäß § 5 Abs. 1 IPRG zu beachtenden Rückverweisung durch das internationale Privatrecht Jugoslawiens wäre vorliegendenfalls Art. 299 des oben wiedergegebenen Gesetzes über die Ehe und die Familienbeziehungen für die Beurteilung der Frage des Bestehens eines gesetzlichen Unterhaltsanspruches der Beschwerdeführerin gegen ihre Eltern maßgeblich gewesen. Wäre der Beschwerdeführerin aber, wie es der Wortlaut des Art. 299 des erwähnten Gesetzes zumindest nicht ausschließt, ein solcher Unterhaltsanspruch in ausreichender Höhe zugestanden (wofür gegebenenfalls der Umstand spräche, dass die Beschwerdeführerin angesichts des von ihr geltend gemachten Aufenthaltszweckes in Österreich keiner Erwerbstätigkeit nachgehen könnte und die Eltern dem Aufenthalt in Österreich überdies zugestimmt haben), so wäre weder der Versagungsgrund des § 10 Abs. 2 Z. 1 noch, weil auch eine finanzielle Belastung einer Gebietskörperschaft absehbar wäre, derjenige nach § 10 Abs. 2 Z. 2 FrG 1997 vorgelegen.
Im vorliegenden Fall hat sich die Beschwerdeführerin auf eine Verpflichtungserklärung ihres Vaters berufen. Wie der Verwaltungsgerichtshof im erwähnten Erkenntnis vom 27. Mai 1999 hervorgehoben hat, soll mit § 10 Abs. 3 letzter Satz FrG 1997 zum Ausdruck gebracht werden, dass im Verfahren zur Erteilung einer Niederlassungsbewilligung § 10 Abs. 2 Z. 1 FrG 1997 ungeachtet der Vorlage der Verpflichtungserklärung anzuwenden ist. Keinesfalls führt jedoch die Vorlage einer Verpflichtungserklärung zur Versagung der beantragten Niederlassungsbewilligung, wenn im Übrigen eigene Mittel in Form gesetzlicher Unterhaltsansprüche vorliegen.
Auf der Grundlage ihrer unrichtigen Rechtsansicht, dass bereits die Vorlage einer Verpflichtungserklärung zur Versagung der beantragten Erstniederlassungsbewilligung führe, hat es die belangte Behörde verabsäumt, begründete Feststellungen darüber zu treffen, ob und in welcher Höhe der Beschwerdeführerin ein Unterhaltsanspruch gegen ihre in Österreich lebenden Eltern zustand und ob diese auch in der Lage sind, einen solchen Anspruch zu erfüllen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 7. Juli 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1999190011.X00Im RIS seit
20.11.2000