TE Bvwg Beschluss 2017/11/22 L515 2150226-1

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Veröffentlicht am 22.11.2017
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Entscheidungsdatum

22.11.2017

Norm

BBG §42
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

L515 2150226-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. H. Leitner als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumsservice, Landesstelle Oberösterreich, vom, 09.02.2017, Zl. OB: XXXX , beschlossen:

A) Der bekämpfte Bescheid wird gem. § 28 Abs. 3 VwGVG, Bundesgesetz

über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz), BGBL I 33/2013 idgF, behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumsservice, Landesstelle Oberösterreich, zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Die beschwerdeführende Partei (in der Folge bP) beantragte am 11.10.2016 beim Sozialministeriumservice (in der Folge belangte Behörde bzw "bB") unter Beifügung eines ärztlichen Attests die Neufestsetzung des Grades der Behinderung im Behindertenpass sowie die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass.

In dem von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten wird von Dr. XXXX , Allgemeinmediziner, basierend auf der persönlichen Untersuchung am 16.01.2017, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

"[ ]

Derzeitige Beschwerden:

Frau XXXX hat große Probleme im Kreuzbereich und mit den Knien. Das linke Bein lässt immer wieder aus und das linke Knie ist meist geschwollen. Sie wurde an beiden Knien bereits operiert. Bei ihrem Hausarzt Dr. XXXX erhält sie dreimal pro Woche Infusionen. Derzeit hat sie einen Behinderungsgrad von 50%. Sie gibt ziehende Schmerzen in die Beine an. Fortbewegen kann sie sich nur mit Hilfe einer Unterarmstützkrücke. Die maximale Gehleistung ist bei 100 Metern. Sie wohnt in einem Mehrfamilienhaus im Erdgeschoss. [ ] Sie hat beim Gehen große Probleme und beim Stiegen steigen. Einerseits benötigt sie die Krücke, andererseits machen ihr die Schmerzen zu schaffen. Es besteht eine ständige Sturzgefahr. [ ]

Gesamtmobilität - Gangbild:

kann sich von alleine aufrichten und sich mit Hilfe einer Unterarmstützkrücke, dezent nach rechts hinkend selbständig fortbewegen

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Position

GdB %

01

Kniegelenk - Untere Extremitäten, Kniegelenk - Funktionseinschränkung mittleren Grades beidseitig kein aktuellen unfallchirurgischen Fachbefunde vorliegend, Zustand nach Knieendoprothese bds., mäßiggradige Bewegungseinschränkung, unverändert gegenüber Vorgutachten

02.05.21

40

02

Wirbelsäule, Wirbelsäule - Funktionseinschränkungen mittleren Grades keine aktuellen unfallchirurgischen Fachbefunde, klinisch zum Untersuchungszeitpunkt leichte Funktionseinschränkung, anamnestisch laufend analgetische Infusionstherapie, neurologische Ausfälle nicht objektivierbar, gleichbleibend zum Vorgutachten

02.01.02

40

03

Hüftgelenke beidseitig radiologisch nachweisbare Veränderungen mit geringgradigen Bewegungseinschränkungen mit belastungsabhängigen Schmerzreizen, anamnestisch keine Schmerzmedikation

02.05.08

30

04

Diabetes mellitus, nicht insulinpflichtiger Diabetes mellitus internistischer Fachbefund vorliegend, medikamentöse Therapie, kein Hinweis auf Instabilität oder Organschäden, unverändert gegenüber Vorgutachten

09.02.01

20

05

Bluthochdruck gute Einstellung unter medikamentöser Therapie, unverändert gegenüber Vorgutachten

05.01.02

20

06

Depression unter Medikation stabil , soziale Integration

03.06.01

20

Gesamtgrad der Behinderung

60

 

 

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Führende Position ist Punkt 01 der durch die positive Wechselwirkung mit den Punkten 2 und 3 um zwei Stufen erhöht wird. Die weiteren Punkte 4, 5 und 6 führen zu keiner Anhebung.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Adipositas permagna

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

zusätzliche Punkte 3 und 6

Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:

steigernde Wirkung Pkt. 3 zusätzliche Beeinträchtigung des Bewegungsapparats

Die im Hinblick auf die Auswirkungen der festgestellten Gesundheitsschädigung auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gestellten Fragen wurde wie folgt beantwortet:

Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

trifft nicht zu; eine kurze Wegstrecke kann selbständig zurückgelegt werden; das Ein- und Aussteigen bei einem üblichen Niveauunterschied ohne Fremdhilfe ist möglich; ein sicherer Transport (z.B. Handgriffe) im öffentlichen Verkehrsmittel unter den üblichen Transportbedingungen möglich;

Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass gemäß § 45 BBG sowie § 1 Abs. 2 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen ab. Begründend wurde ausgeführt, dass das eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten vom 25.01.2017 betreffend die Auswirkungen der Gesundheitsschädigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel als schlüssig erkannt und der Entscheidung in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt worden sei. Nach Zitierung der rechtlichen Grundlagen wurde festgehalten, dass keine die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bedingenden Einschränkungen vorliegen.

In ihrer fristgerecht erhobenen Beschwerde brachte die bP unter Beilegung eines ärztlichen Attests im Wesentlichen vor, dass die aus den beiliegenden Befunden resultierenden gesundheitlichen Einschränkungen sowohl in medizinischer als auch rechtlicher Hinsicht nicht richtig beurteilt wurden, da die Voraussetzungen gem. § 42 Abs. 1 BBG iV.m. § 45 Abs. 2 BBG vorliegen.

Mit Schreiben vom 16.03.2017 erfolgte die Beschwerdevorlage durch die bB, sie langte am selben Tag beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die bP hat ihren Wohnsitz im Inland, sie hat einen Behindertenpass mit einem GdB von 60 von Hundert.

Es liegen folgende Funktionsbeeinträchtigungen vor: Kniegelenk - Untere Extremitäten, Kniegelenk - Funktionseinschränkung mittleren Grades beidseitig; kein aktuellen unfallchirurgischen Fachbefunde vorliegend, Zustand nach Knieendoprothese bds., mäßiggradige Bewegungseinschränkung, unverändert gegenüber Vorgutachten; Wirbelsäule, Wirbelsäule - Funktionseinschränkungen mittleren Grades; keine aktuellen unfallchirurgischen Fachbefunde, klinisch zum Untersuchungszeitpunkt leichte Funktionseinschränkung, anamnestisch laufend analgetische Infusionstherapie, neurologische Ausfälle nicht objektivierbar, gleichbleibend zum Vorgutachten; Hüftgelenke beidseitig; radiologisch nachweisbare Veränderungen mit geringgradigen Bewegungseinschränkungen mit belastungsabhängigen Schmerzreizen, anamnestisch keine Schmerzmedikation; Diabetes mellitus, nicht insulinpflichtiger Diabetes mellitus; internistischer Fachbefund vorliegend, medikamentöse Therapie, kein Hinweis auf Instabilität oder Organschäden, unverändert gegenüber Vorgutachten; Bluthochdruck, gute Einstellung unter medikamentöser Therapie, unverändert gegenüber Vorgutachten; Depression, unter Medikation stabil, soziale Integration.

Laut Anamnese hat die beschwerdeführende Partei große Probleme im Kreuzbereich und mit den Knien. Das linke Bein lässt immer wieder aus und das linke Knie ist meist geschwollen. Sie wurde an beiden Knien bereits operiert. Bei ihrem Hausarzt Dr. XXXX erhält sie dreimal pro Woche Infusionen. Sie gibt ziehende Schmerzen in die Beine an. Fortbewegen kann sie sich nur mit Hilfe einer Unterarmstützkrücke. Die maximale Gehleistung liege bei 100 Metern.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich zweifelsfrei aus dem zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakt der belangten Behörde sowie des Gerichtsaktes.

Aus Formulierung der Beschwerde ergibt sich, dass sich dieses ausschließlich gegen die bescheidmäßige Verweigerung der genannten Zusatzeintragung richtet.

In Bezug auf jenen Sachverhalt, welcher zu erheben wäre um beurteilen zu können, ob die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist, feststellen zu können, liegen augenfällige Ungereimtheiten vor. Zum einen wird vom Gutachter festgehalten, dass die "maximale Gehleistung bei 100 Meter" liegt, zum anderen wird davon ausgegangen, dass kurze Wegstrecken selbstständig zurückgelegt werden können. Hier liegt innerhalb des Gutachtens eine offene Diskrepanz vor, welche die bP durch zusätzliche Erhebungen aufzuklären gehabt hätte.

Der bP wurde auch nicht die Möglichkeit eingeräumt, im Zuge des Parteiengehörs zum Gutachten Stellung zu nehmen

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor, soweit die Beschwerde abgewiesen wurde.

Gem. § 28 Abs 3 VwGG ist die Aufhebung und Zurückverweisung an die Behörde – wodurch die Rechtssache nicht materiell erledigt wird, sondern handelt es sich hierbei um eine kassatorisch-prozessuale Entscheidung – aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung mittels Beschluss vorzunehmen. Ebenso ordnet der Gesetzgeber in § 24

(2) VwGVG ausdrücklich an, dass eine Verhandlung dann entfallen kann, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Da im gegenständlichen Fall die Rechtssache –soweit das ho. Gericht kassatorisch vorgeht- für eine materielle Entscheidung mangels hinreichend feststehenden Sachverhaltes für den Senat noch nicht verhandlungs- bzw. entscheidungsreif war, ergibt sich die Zuständigkeit für diese Zurückverweisung an die belangte Behörde durch den Einzelrichter.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zur Behebung des angefochtenen Bescheides:

Das oa. Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Insoweit erscheinen auch die von der höchstgerichtlichen Judikatur -soweit sie nicht die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung betrifft- anwendbar, weshalb unter Bedachtnahme der genannten Einschränkungen die im Erk. des VwGH vom 16.12.2009, GZ. 2007/20/0482 dargelegten Grundsätze gelten. Mängel abseits jener der Sachverhaltsfeststellung legitimieren das Gericht nicht zur Behebung aufgrund § 28 Abs. 3, 2. Satz (Erk. d. VwGH vom 19.11.2009, 2008/07/0167; vgl. auch Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), Anm. 11 zu § 28 VwGVG).

Hinsichtlich der Entscheidungsbefugnis bzw. Entscheidungsverpflichtung geht der Gesetzgeber bei den Verwaltungsgerichten vom Primat der Sachentscheidung aus, wenn er festlegt, dass gem. § 28 Abs. 1 VwGVG das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen hat, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Gemäß § 28 Abs. 3 leg. cit. hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.

3.2.3. Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Beim vom Gesetzgeber ins Auge gefassten Konzept – nämlich dem Primat der Sachentscheidung und dem untergeordnet die Möglichkeit der Verwaltungsgerichte, bei bestimmten qualifizierten Fallkonstellationen eine kassatorische Entscheidung zu treffen – ging dieser sichtlich von einer belangten Verwaltungsbehörde voraus, welche redlich bemüht ist, ein rechtskonformes Ermittlungsverfahren zu führen. Dass ihr trotz dieses Bemühens Fehler unterlaufen können, ist evident und wird vom Gesetzgeber zugestanden. Sicherlich hatte der Gesetzgeber keine belangte Behörde vor Augen, welche Ermittlungstätigkeiten gezielt und systematisch unterlässt, und sich so ihrer ihr zugewiesenen Zuständigkeit über weite Strecken entledigt.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher im Lichte der oa. Ausführungen insbesondere dann in Betracht kommen,

-

wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat,

-

wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder

-

bloß ansatzweise ermittelt hat.

-

Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Einzelfallbezogen ergibt sich Folgendes:

Die im Akt enthaltenen Gutachten sind – jedenfalls im Hinblick auf die beantragte Zusatzeintragung – zur Tatsachenfeststellung nicht tauglich, zumal zum einen festgehalten wird, dass die bP maximal 100 m zurücklegen kann, andererseits jedoch festgehalten wird, sie sei in der Lage kurze Wegstrecken zurücklegen.

Das gegenständliche Verfahren ist mit einem Mangel behaftet, welcher zu einer Behebung des angefochtenen Bescheides gem. § 28 Abs. 3 VwGVG führen musste. Im Lichte der in den Vorabsätzen dargelegten Überlegungen wird die belangte Behörde die entsprechenden Verfahrensschritte – Einholung von verwertbaren Gutachten (unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen) – nachzuholen und – nach Gewährung von Parteiengehör – einen entsprechenden Bescheid zu erlassen haben.

Trotz der Einrichtung von Außenstellen des BVwG ist auszuführen, dass aufgrund des organisatorischen Aufbaues des BVwG und des Sozialminsteriumservices eine Weiterführung des Verfahrens durch das BVwG im Sinne des § 28 Abs. 2 u 3 VwGVG nicht mit einer Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist bzw. zu keiner wesentlichen Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens führt.

Es darf an dieser Stelle auch darauf hingewiesen werden, dass die Lösung der Rechtsfrage der "Unzumutbarkeit" von der Behörde und nicht vom medizinischen Sachverständigen zu lösen ist.

Zu B) Zulässigkeit der Revision in Bezug auf die kassatorische Entscheidung

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, weil zur Frage, ob im gegenständlichen Fall abweichend vom Wortlaut des § 45 Abs. 2 und 3 BBG im Falle eines kassatorischen Beschlusses ohne vorhergehende Verhandlung gem. § 28 Abs. 3 VwGVG laut § 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 BVwGG der Einzelrichter zu entscheiden hat, es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt. Darüber hinaus wird diese Frage vom ho. Gericht in seiner Spruchpraxis nicht einheitlich beatwortet und reicht, weil sie das Recht auf den gesetzlichen Richter berührt, in die Verfassungssphäre.

In Bezug auf die Auslegung des § 28 Abs. 3 VwGVG und der §§ 39 Abs. 2 bzw. 45 Abs. 3 AVG orientiert sich das ho. Gericht an der einheitlichen Rechtsprechung des VwGH.

Absehen von einer mündlichen Verhandlung

Da der angefochtene Bescheid behoben wurde, war keine Verhandlung erforderlich.

Schlagworte

Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Revision zulässig, Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2017:L515.2150226.1.00

Zuletzt aktualisiert am

06.12.2017
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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