TE Bvwg Erkenntnis 2017/11/28 I412 2150185-1

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Veröffentlicht am 28.11.2017
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Entscheidungsdatum

28.11.2017

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §42
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I412 2150185-1/9.E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gabriele ACHLEITNER als Einzelrichterin und den Richter Mag. Gerhard AUER sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Dr. Elisabeth RIEDER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX

1. gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Tirol vom 06.02.2017, Zl. OB: XXXX, betreffend den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass ,

2. gegen den von der belangten Behörde am 06.02.2017 erstellten Behindertenpass mit dem ein Grad der Behinderung von 60% festgestellt wurde,

zu Recht erkannt:

A)

1. In Erledigung der Beschwerde zu 1. wird der angefochtene Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Tirol, vom 06.02.2017, Zl. OB: XXXX gemäß § 28 Abs 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) ersatzlos behoben.

2. Die Beschwerde gegen den am 06.02.2017 ausgestellten Behindertenpass wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Frau XXXX, geb. am XXXX (in der Folge als Beschwerdeführerin bezeichnet), beantragte am 21.10.2016 die Ausstellung eines Behindertenpasses sowie die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass.

Nach Einholung zweier medizinischer Sachverständigengutachten stellte das Sozialministeriumservice, Landesstelle Tirol (in der Folge als belangte Behörde bezeichnet) der Beschwerdeführerin am 06.02.2017 einen Behindertenpass aus (Grad der Behinderung 60%) und wies mit Bescheid gleichen Datums den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel) ab.

Begründend wurde im zitierten Bescheid ausgeführt, dass das ärztliche Begutachtungsverfahren gezeigt habe, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung nicht vorliegen würden.

Die Beschwerdeführerin erhob rechtzeitig und zulässig das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Sie richtet sich darin einerseits gegen die Einstufung ihrer Behinderung mit 60% und andererseits gegen die bescheidmäßige Abweisung der Vornahme der Zusatzeintragung. Zusammengefasst bringt die Beschwerdeführerin vor, dass in den der Entscheidung zugrundeliegenden Gutachten "ihre beiden Hauptdiagnosen ADHS und Angststörung seit 2013" nicht hinreichend berücksichtigt worden seien und nicht in die prozentuelle Einschätzung der Behinderung eingeflossen seien. Außerdem habe sie im Jahr 2015 eine schwere depressive Phase gehabt und müsse ihrer Ansicht nach mindestens eine depressive Störung der mittleren Schwere (Pos. 03.06.02) aber viel eher noch eine schwere Depression (Pos. 03.06.03) im Gutachten angeführt werden und nicht nur eine leichte Depression. Zudem führt die Beschwerdeführerin noch weitere Einschränkungen an, an denen sie leide und die nicht in das Gutachten Eingang gefunden hätten (Bruxismus mit Schneidezahntraume, Rückenprobleme die zu Spannungskopfschmerz führen ). Zudem führt sie aus, dass für sie die "soziale Exposition kaum machbar und enorm angstbesetzt sei" und sie schon große Mühe gehabt habe, den Weg zum Facharzt alleine zurück zu legen und das Gespräch alleine zu führen. Die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei auf Grund ihrer klaustrophobischen und sozial bedingten Phobien gegeben, nicht aufgrund körperlicher Gebrechen.

Beschwerde und bezughabender Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 15.03.2017 zur Entscheidung vorgelegt.

Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses wurde gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung I412 am 10.04.2017 neu zugewiesen.

Vom erkennenden Gericht wurde der medizinische Sachverständige Dr. T. neuerlich mit der Erstellung eines Ergänzungsgutachtens beauftragt.

Das von diesem am 01.09.2017 eingelangte Gutachten wurde den Verfahrensparteien im Rahmen des Parteiengehöres zur Kenntnis gebracht.

Die Beschwerdeführerin nahm von der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme mit Schreiben vom 22.09.2017 Gebrauch und gab im Zuge dessen bekannt, dass sie ihren Antrag auf die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" zurückziehe". Weiters wird von ihr zusammengefasst vorgebracht, dass das Hauptproblem bei der Begutachtung durch Dr. T darin bestehe, dass sie nicht über die Angstsymptomatik sowie ADHS und die damit verbundenen Vermeidungsstrategien befragt worden sei und va. darin, dass ihre Hauptdiagnosen der sozialen Phobie/Angst und ADHS sodann nicht in der Begutachtung aufscheinen würden. Es gehe ihr nicht darum, eine höhere oder niedriger einzustufende Behinderung zu erwirken; sie vertraue bei der Diagnosenerstellung allerdings insbesondere auf ihre längerfristigen Behandler, die sie in vielen Gesprächen kennengelernt und eingeschätzt hätten. Dies könne logischerweise in einem kurzen Gespräch mit dem Begutachter nicht geleistet werden, der insbesondere ihrer Ansicht nach die neueren Befunde viel zu wenig berücksichtigt habe und die Hauptdiagnosen (ADHS und Angst) außer Betracht gelassen habe. Sie ersuche nach wie vor darum, die ADHS-Erkrankung in ihrer Befundung zu berücksichtigen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin eines Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 60%.

2. Die Beschwerdeführerin leidet an folgenden Funktionseinschränkungen:

1. Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen, Persönlichkeits- bzw. Verhaltensstörung mit maßgeblichen sozialen Beeinträchtigungen, unterer Rahmensatz, da stabile therapeutische Beziehungen, keine stationäre Aufnahme seit 1 Jahr (Pos. Nr. 03.04.02.) mit einem Grad der Behinderung von 50%

2. Affektive Störungen; manische, depressive und bipolare Störungen, Depressive Störung – Dysthymie – leichten Grades/Manische Störung – Hypomanie – leichten Grades; Oberer Rahmensatz, da auch unter Med. nicht ausreichend stabilisiert. Es treten wiederkehrend depressive Episoden auf (Pos. Nr. 03.06.01) mit einem Grad der Behinderung von 40%

Hauptleiden 1 und Zusatzleiden 2 beeinflussen sich wechselseitig andauernd ungünstig, weshalb der Gesamtgrad der Behinderung 60% beträgt.

3. Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

4. Mit Schriftsatz vom 22.09.2017 (eingelangt am 25.09.2017) hat die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung in den Behindertenpass vom 21.10.2016 zurückgezogen.

2. Beweiswürdigung:

1. Die Feststellungen betreffend den Behindertenpass der Beschwerdeführerin, sowie deren Wohnsitz wurden dem Akt der belangten Behörde übernommen.

2. Die Feststellungen bezüglich der bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Funktionseinschränkungen ergeben sich aus den Sachverständigengutachten des Dr. T., Facharzt für Psychiatrie, insbesondere dem nach persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin erstellten Gutachten vom 12.12.2016 sowie des im Auftrag des erkennenden Gerichtes erstellten Psychiatrischen Gutachtens vom 01.09.2017.

In dem zuletzt angeführten Ergänzungsgutachten führt Dr. T. schlüssig und nachvollziehbar aus, dass die in den erwähnten Gutachten angeführte Einschätzung der Leiden weiter aufrecht erhalten wird, da sich aus dem zuletzt noch nachgereichten Befund keine neue Erkenntnis gewinnen lasse. Die Positionsnummer 03.02., im Rahmen derer das ADHS erwähnt sei, sei nur für Entwicklungseinschränkungen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr anzuwenden, weshalb im Fall der Beschwerdeführerin die Positionsnummer 03.04.02. anzuwenden gewesen sei. Dass eine schwere depressive Episode in der Vergangenheit aufgetreten sei, sei nicht in Frage zu stellen, allerdings habe bei der persönlichen Untersuchung eine leichte depressive Symptomatik vorgelegen, zugleich keine völlige Stabilisierung unter Medikation, es sei daher auch eine noch leichte depressive affektive Störung unter der Positionsnummer 03.06.01 festzustellen gewesen. Bei der Einschätzung des Schweregrades einer Depression sei in der Positionsnummer nicht die schwerste depressive Phase in der Anamnese, sondern ein Längsschnitt und auch der gegenwärtige Zustand unter Therapie zu beurteilen, und in der Gesamtschau sei die Symptomatik gegenwärtig als noch leichtgradig zu diagnostizieren gewesen.

Der Gutachter führt zudem in schlüssiger Weise aus, dass weiterhin die Frage zu verneinen ist, dass eine erhebliche Einschränkung der psychischen, neurologischen oder intellektuellen Fähigkeiten im Sinne einer Klaustrophobie, einer sozialen Phobie oder einer hochgradigen Entwicklungsstörung mit gravierender Verhaltensauffälligkeit vorliege. Die gesamte Befundhistorie spreche nicht für das Vorliegen einer sozialen Phobie, auch im einzigen diesbezüglich konkret diagnostizierenden Befund von Dr. M vom Jänner 2017 sei insofern ein logischer Bruch festzustellen gewesen, als die Diagnose einer sozialen Phobie noch ein gutes Monat zuvor nicht gestellt worden sei.

Die von Dr. T. erstellten Gutachten sind ausführlich begründet, schlüssig und nachvollziehbar und weisen keine Widersprüche auf. Die getroffenen Einschätzungen basieren auf den im Rahmen der persönlichen Untersuchung am 12.12.2016 erhobenen Befund und entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen. Die vorgelegten Beweismittel stehen nicht im Widerspruch zum Ergebnis des Gutachtens, diese wurden vom Sachverständigen eingesehen und in die Einschätzung einbezogen. Sofern dieser teilweise zu einer anderen Einschätzung gekommen ist, wurde dies schlüssig und nachvollziehbar begründet, so dass es keinen Anlass gibt, die von ihm getroffenen Einschätzungen in Zweifel zu ziehen.

Der medizinische Sachverständige ist insbesondere auch auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin ausführlich eingegangen, die Diagnose ADHS in den Befund aufzunehmen, und führt zutreffend aus, dass die Positionsnummern 03.02. (Entwicklungseinschränkungen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr), im Rahmen derer ADHS erwähnt ist, für die im Jahr 1986 geborene Beschwerdeführerin nicht mehr zur Anwendung kommen können.

3. Das Vorbringen "Ich möchte meinen Antrag auf die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" zurückziehen" im Schriftsatz vom 22.09.2017 (eingelangt am 25.09.2017) ist eindeutig formuliert und lässt keinen Zweifel am Willen der Beschwerdeführerin, den das Verfahren einleitenden Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung in den Behindertenpass zurückziehen zu wollen.

Zum Unterbleiben der mündlichen Verhandlung:

Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG). Wurde – wie im vorliegenden Fall – kein entsprechender Antrag gestellt, ist die Frage, ob von Amts wegen eine Verhandlung durchgeführt wird, in das pflichtgemäße – und zu begründende – Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die in § 24 Abs. 2, 3, 4 und 5 normierten Ausnahmebestimmungen als Anhaltspunkte der Ermessensübung anzusehen sind (vgl. zur insofern gleichartigen Regelungsstruktur des § 67d Abs. 1 und 2 bis 4 AVG [alte Fassung] die Darstellung bei Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 17 und 29, mwH). Gemäß Abs. 3 leg.cit. hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Gemäß Abs. 4 leg. cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und dem zusätzlich eingeholten Ergänzungsgutachten. Dies lässt – gerade auch vor dem Hintergrund des Umstandes, dass eine mündliche Verhandlung nicht ausdrücklich beantragt wurde und dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht (auf gleicher fachlicher Ebene) entgegengetreten wurde – die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Nach § 7 Abs. 1 BVwGG besteht der Senat aus einem Mitglied als Vorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern als Beisitzern. Ist in Bundes- oder Landesgesetzen die Mitwirkung fachkundiger Laienrichter an der Rechtsprechung vorgesehen, sind diese anstelle der Mitglieder nach Maßgabe der Geschäftsverteilung als Beisitzer heranzuziehen (§ 7 Abs. 2 BVwGG). Für den Beschwerdefall kommt § 45 Abs. 3 BBG zur Anwendung , wonach in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen hat.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Nach § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen ist.

Zu Spruchpunkt A.1:

Gegenständlich steht der maßgebliche Sachverhalt im Sinne von § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG fest.

Wie der Verwaltungsgerichtshof u.a. in seinem Erkenntnis vom 23.01.2014, Zl. 2013/07/0235, ausgeführt hat, bewirkt - wenn der verfahrenseinleitende Antrag im Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht eine wesentliche Änderung erfährt und der Antragsteller damit eindeutig zu erkennen gibt, dass er seinen ursprünglichen verfahrenseinleitenden Antrag nicht mehr aufrechterhält - die (konkludente) Zurückziehung des verfahrenseinleitenden Antrags den Wegfall der Zuständigkeit der Behörde zur Erlassung des Bescheides und damit (nachträglich) dessen Rechtswidrigkeit. Das Verwaltungsgericht ist somit gehalten, den bekämpften Bescheid (ersatzlos) zu beheben (vgl. VwGH E 19. November 2014, Ra 2014/22/0016; E 23. Jänner 2014, 2013/07/0235).

Gemäß § 13 Abs. 7 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) können Anbringen in jeder Lage des Verfahrens zurückgezogen werden.

Im gegenständlichen Fall hat die Beschwerdeführerin vor dem erkennenden Gericht den ursprünglichen verfahrenseinleitenden Antrag ausdrücklich zurückgezogen.

Der vom der Beschwerdeführerin bekämpfte Bescheid war somit, da die Grundlage für eine Sachentscheidung weggefallen ist, spruchgemäß in Erledigung der Beschwerde ersatzlos zu beheben.

Zu Spruchpunkt A.2:

Gemäß § 40 Abs 1 des Bundesbehindertengesetzes (BBG), BGBl Nr 283/1990 idF BGBl I Nr 18/2017, ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ein Behindertenpass auszustellen, wenn sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl Nr 22/1970, angehören.

Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 BBG genannten Voraussetzungen gilt unter anderem ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (§ 41 BBG).

Im vorliegenden Fall sind die Tatbestandsmerkmale für die Ausstellung eines Behindertenpasses erfüllt und wurde der Beschwerdeführerin am 06.02.2017 ein Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 60% ausgestellt.

Weder aus dem Beschwerdevorbringen, noch aus der mündlichen Verhandlung sind Umstände hervorgekommen, die eine Rechtswidrigkeit im Zusammenhang mit dem ausgestellten Behindertenpass anzeigen würden.

Wie in der Beweiswürdigung ausgeführt, sieht das erkennende Gericht keinen Anlass, von den getroffenen Einschätzungen des medizinischen Sachverständigen zu den bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Funktionseinschränkungen abzugehen, und sind somit auch keine Umstände hervorgekommen, die den Grad der Behinderung in Zweifel ziehen würden und war somit die Beschwerde abzuweisen.

Ergänzend sei noch wie folgt ausgeführt: Auch ohne ausdrückliche Erwähnung durch den Gesetzgeber ist das Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers Voraussetzung für das Eingehen in eine Beschwerde. Das Rechtsschutzbedürfnis besteht im objektiven Interesse des Beschwerdeführers an der Beseitigung (oder Abänderung) des angefochtenen, ihn beschwerenden Verwaltungsaktes; das objektive Interesse des Beschwerdeführers an der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle gründet in dessen Beschwer. Eine derartige Beschwer liegt vor, wenn das angefochtene Verwaltungshandeln vom Antrag des Beschwerdeführers an die Verwaltungsbehörde zu dessen Nachteil abweicht (formelle Beschwer) oder mangels Antrag die Verwaltungsbehörde den Beschwerdeführer durch ihren Verwaltungsakt belastet (materielle Beschwer). Die zitierten, in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Beschwerdelegitimation nach Art. 130 B-VG getroffenen Aussagen (zB VwGH 17.02.1992, 92/15/0010; 28.06.1994, 92/05/0156; VwSlg. 15.709 A/2001; VwGH 30.06.2011, 2008/03/0168; 27.10.2014, 2012/04/0143) lassen sich auf die Beurteilung der Legitimation zur Erhebung des Rechtsmittels der Bescheidbeschwerde an das Verwaltungsgericht übertragen (zur Rechtsverletzungsmöglichkeit als Voraussetzung der Beschwerdelegitimation gemäß der Rechtslage nach der Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 2012, s. auch Faber, Verwaltungsgerichtsbarkeit [2013] Art. 132 B-VG Rz 6 ff) .

Die Beschwerdeführerin hat am 21.10.2016 die Ausstellung eines Behindertenpasses beantragt und wurde dies stattgebend durch dessen Ausstellung am 06.02.2017 erledigt. Schon aus diesem Grund war der Beschwerde, die den festgestellten Grad der Behinderung in der Beschwerde nicht moniert, nicht Folge zu geben.

Zu B) - Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf oben angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Antragszurückziehung, Behindertenpass, ersatzlose Behebung, Grad der
Behinderung, Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2017:I412.2150185.1.00

Zuletzt aktualisiert am

06.12.2017
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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