Entscheidungsdatum
30.11.2017Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
I412 2151982-1/13.E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gabriele ACHLEITNER als Vorsitzende und den Richter Mag. Gerhard AUER sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Dr. Elisabeth RIEDER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Vorarlberg (SMS) vom 13.02.2017, Zl. OB: XXXX, gegen die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass nach nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird Folge gegeben und festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass vorliegen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Am 28.11.2016 beantragte Herr XXXX, geb. am XXXX (in der Folge als Beschwerdeführer bezeichnet), bei Sozialministeriumservice; Landesstelle Vorarlberg (in der Folge als belangte Behörde bezeichnet), die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in seinen Behindertenpass. Dem Antrag wurden aktuelle Befunde und Arztbriefe beigelegt.
2. Nach persönlicher Untersuchung des Beschwerdeführers stellte der Sachverständige Dr. E., Arzt für Allgemeinmedizin folgende Funktionseinschränkungen in seinen Gutachten vom 02.02.2017 bzw. 09.02.2017 fest:
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Als Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten (Gutachten vom 03.09.2015 mit welchem ein Gesamtgrad der Behinderung von 80% festgestellt wurde) wurde ausgeführt, dass keine wesentlichen Veränderungen der Gesamtsymptomatik eingetreten seien. Der Beschwerdeführer sei aufgrund seiner kombinierten Störung verursacht durch eine Inkontinenz nach Prostataentfernung und einer zusätzlichen Parkinsonerkrankung zwar beeinträchtigt. Durch großes Entgegenkommen am Arbeitsplatz sei er aber gut sozial integriert.
Die Frage, welche festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zulassen und warum, wurde im Gutachten vom 02.02.2017 folgend beantwortet:
"Urologisch und neurologisch bedingte Harninkontinenz"
und
"Gutachterliche Stellungahme:
Ausgeprägte temperaturabhängige Inkontinenz und Schmerzen des Bewegungsapparates bei Z.n. Prostataektomie mit Parkinson-Syndrom. Die Gehstrecke abhängig von der Schwere des Parkinsonsyndroms, die nicht kontrollierbare Inkontinenz lässt eine Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu:"
Das Gutachten von Dr. E. vom 09.02.2017 ist gleichlautend, die oben angeführte Frage zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde aber folgend beantwortet:
"trotz teilweise therapieabhängiger Inkontinenz nach Prostataektomie und Mb. Parkinson ist lt den Vorgaben die Benützung ÖVM gegeben."
und
"Gutachterliche Stellungahme:
In Anbetracht des Urteil des Verwaltungsgerichtes (gemeint ist das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes Zl. I403 2119962/4E vom 16.02.2016) zum Vorgutachten und der Bestätigung des Gutachtens kann in der Frage der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgendes festgehalten werden. Die Harninkontinenz ist nach wie vor störend, die Versorgung mit Inkontinenzmitteln jedoch ausreichend. Dadurch ergibt sich in diesem Punkt keine Unzumutbarkeit. Einige Strecke von 3-400 m wird als ausreichend zu Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel betrachtet. Diese Situation ist nach wie vor gegeben, allerdings treten in der letzten Zeit wiederholt "Freezing" Phasen auf. Eine Untersuchung an der Uni des Klinik (gemeint: Universitätsklinik) Innsbruck für Neurologie sieht jedoch keinen Anlass für eine Änderung der Gesamttherapie. Auch wenn es dem Patienten schwer fällt den Arbeitsplatz mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen ist nach Interpretation der vorliegenden Verordnungen nach wie vor eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht gegeben. Die Entfernung des Arbeitsplatzes von der nächstgelegenen Bushaltestelle ist in dieser Hinsicht laut Erkenntnis des Verwaltungsgerichts irrelevant."
3. Mit Bescheid vom 13.02.2017 wurde der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in seinen Behindertenpass abgewiesen. Das ärztliche Begutachtungsverfahren habe ergeben, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht gegeben seien. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens können der Beilage entnommen werden und bilden einen wesentlichen Bestandteil der Bescheidbegründung.
4. Gegen den abweisenden Bescheid erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig und zulässig eine als Beschwerde zu behandelnde Berufung an das Bundesverwaltungsgericht und führte aus, dass erhebliche Einschränkungen am linken Fuß bestünden, welche zum Stolpern und Hinfallen führen würden. Die Wegstrecke zu seinem Arbeitsplatz betrage bei Benützung des Busses insgesamt 1,7km. Das Gehen sei ihm aufgrund der Parkinsonerkrankung unzumutbar. Zusätzliche Beeinträchtigung bestehe bei Kälte. Er habe dann Schmerzen von den Schultern bis zur Hüfte. Längeres Busfahren sei aufgrund der Harninkontinenz nicht möglich, Ersatzmaßnahmen seien nicht ausreichend. Die Inkontinenz sei so stark und führe zu Stress, was sich wiederum auf das Parkinson-Syndrom negativ auswirke. Es könne ein Gutachten über die Auswirkungen von Parkinson in seinem konkreten Fall nachgereicht werden.
5. Beschwerde und bezughabender Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 03.04.2017 vorgelegt.
6. Vom erkennenden Gericht wurde Dr. E. erneut beauftragt, ein Ergänzungsgutachten zur Frage der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zu erstellen und spezifische Fragen zu beantworten. Das ergänzende Sachverständigengutachten langte nach persönlicher Untersuchung des Beschwerdeführers am 03.08.2017 am 08.08.2017 beim Bundesveraltungsgericht ein.
Der medizinische Sachverständige führt darin auszugsweise aus (Anonymisierung durch das Bundesverwaltungsgericht):
" 1. Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke von 300-400 m nicht zu und warum:
Die Bewältigung einer Wegstrecke von 300-400 m ist fallweise gegeben. Die Voraussetzung für diese Leistungsfähigkeit ist stark temperaturabhängig. Bei Temperaturen unter 10 °C treten wiederholt und vermehrt "Freezing"-Phasen und Stürze auf. Dieses "Freezing" äußert sich in einer Akinesie (Bewegungsunfähigkeit) und muskulären Grenzen in den Beinen und Oberarmen sowie Schulter Nackengürtel. Die Bewältigung der geforderten Wegstrecke ist unter diesen Bedingungen nicht gegeben. Diese Störungen sind nicht durch eine Änderung der medikamentösen Therapie möglich. Laut rechtlichen Grundlagen muss die Bewältigung der Strecke von 300-400 m jederzeit möglich sein damit die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gegeben ist.
2. Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Ein- Aussteigen in bzw. aus einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum:
Zu dieser Fragestellung kann auf Punkt 1 verwiesen werden. Bei tiefen Temperaturen besteht wiederholt die Situation des "Freezing", der Patient ist dann nicht in der Lage sich zu bewegen und in ein öffentliches Verkehrsmittel einzusteigen. Der Patient ist nach eigenen Angaben auch nicht in der Lage bei tiefen Temperaturen sein Privatauto zu benutzen. Er ist deswegen auf eine fernbediente Standheizung angewiesen, da er bei Temperaturen unter 10 °C das Auto nicht bedienen kann.
3. Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum:
der sichere Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel scheint derzeit noch gegeben, da in diesen regelmäßig eine Temperatur über 10° herrscht. Die in den Vorgutachten beschriebenen Inkontinenzprobleme lassen sich durch die Benützung entsprechender Hilfsmittel insoweit bewältigen, dass vermehrt größere (saugstärkere) Vorlagen benützt werden. Bzgl. der Parkinson-Symptomatik ist das sichere Ein-und Aussteigen sowie der sichere Transport während der Fahrt gegeben.
4. Inwieweit wirkt sich das neu aufgetretene "Freezing" bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus.
Dieses "Freezing" ist temperaturabhängig, bei Temperaturen unter 10° kommt es wiederholt zu einer Verkrampfung des linken Beines sodass der Patient nicht mehr gehen kann und zusätzlich zu einer massiven Verkrampfung der Schulter- Nacken-Rückenmuskulatur. In dieser Situation ist die Bewältigung einer Gehstrecke von 300-400 m nicht mehr möglich und der Patient kann nicht selbständig in ein öffentliches Verkehrsmittel einsteigen.
5. Kann die festgestellte Harninkontinenz während der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel durch den Beschwerdeführer verhindert oder zumindest gemindert werden beispielsweise durch kontrollierte Flüssigkeitsaufnahme im Vorfeld?
Die Harninkontinenz kann durch eine veränderte Flüssigkeitsaufnahme nicht beeinflusst werden. Die Inkontinenz ist nicht davon abhängig wie viel der Patient unmittelbar davor getrunken hat. Beim Sitzen hat der Patient eine deutlich geringere Inkontinenz. Diese tritt vorwiegend beim Aufstehen oder Niedersetzen oder beim Gehen auf. Allerdings hat der Patient gelernt diese Inkontinenz mit geeigneten Einlagen zu beherrschen dass die Einschränkungen im täglichen Leben erträglich sind.
Gutachterliche Stellungnahme:
Die erneute Untersuchung des Patienten sowie die Berücksichtigung des neurologischen Befundberichts der medizinischen Universität Innsbruck, Klinik für Neurologie vom 20. März ergibt folgendes Gesamtbild:
In der Anamnese wird im Arztbrief eine deutliche Verschlechterung der Parkinsonsymptome bei Kälte mit einer Steifigkeit und Nachziehen des linken Beines mit einer erhöhten Sturzgefahr und Schmerzen im Bereich der Schultergürtels vermerkt. Der neurologische Status bestätigt eine Hypomimie bei fehlendem Ruhetremor aber feinschlägigem Halte-und Intentionstremor bds., eine mäßiggradige Bradykinesie bei repetitiven Handbewegungen links mehr als rechts, ein mildes Fuß- Tapping links sowie ein milder Rigor bds. Das Gangbild wird als kleinschrittig normalbasig beschrieben.
Zusätzlich liegt eine ärztliche Bestätigung von Dr. R. L., Arzt für Allgemeinmedizin, vor, in dem bestätigt wird, dass bei Kälte unter 10 °C (Oktober bis April) Kältezittern mit Verkrampfung der Rückenmuskulatur und Beinmuskulatur und eine dadurch bedingte hochgradige Bewegungseinschränkung vorliegt. Er empfiehlt neben der bestehenden Sitzheizung im Auto auch eine Standheizung. Aus seiner Sicht ist eine Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht gegeben. Dies wird mit der Entfernung der Bushaltestelle vom Wohnort begründet.
Wenn eine Gehstrecke von 300-400 m gegeben sein muss, unabhängig davon ob in dieser Entfernung eine Bushaltestelle liegt, so ist logischerweise zwingend notwendig, dass diese Entfernung während des gesamten Jahres sicher und sturzfrei bewältigt werden können muss. Da während des gesamten Winterhalbjahres mit Temperaturen unter 10° gerechnet werden muss, ist logischerweise die Bewältigung der geforderten Gehstrecke während dieser Zeit nicht immer möglich. Das gleiche gilt für die Bewältigung der Gehstrecke vom Parkplatz bis zu seinem Arbeitsplatz. Hier ist ein Parkplatz notwendig der für eine ferngesteuerte Standheizung des Privat PKWs geeignet ist.
Aus diesem Grund ist abschließend festzustellen, dass bei Abwägung der Gesamtsituation und möglichen zeitlichen, medizinisch begründeten körperlichen Einschränkungen eine Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht gegeben ist.
"
7. Den Verfahrensparteien wurde mit Schreiben vom 09.08.2017 das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zur Kenntnis gebracht. Die belangte Behörde nahm dazu am 10.08.2017 Stellung und führte zusammengefasst aus, dass die beim Beschwerdeführer festgestellte Harninkontinenz mit geeigneten Einlagen beherrschbar sei und keine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel begründe. Zu den "Freezing"-Phasen als Folge des Parkinsonsyndroms merkt die belangte Behörde an, dass die Judikatur auf das Vorliegen von allgemeinen und nicht von besonderen Verhältnissen abstelle. Daher sei es auch unerheblich, ob während der Wintermonate mit Temperaturen unter 10°C gerechnet werden muss. Außerdem biete die moderne Textilindustrie Bekleidung an, welche die Muskulatur auch bei Temperaturen unter 10°C ausreichend vor Auskühlung schütze und das "Freezing" verhindern könne.
Seitens des Beschwerdeführers langte keine Stellungnahme ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1. Der Beschwerdeführer ist in Besitz eines Behindertenpasses und stellte am 28.11.2016 den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung". Er hat seinen Wohnsitz im Inland.
2. Der Beschwerdeführer leidet an Parkinson, an den Folgen einer Prostataoperation und einem mäßiggradig depressiven Syndrom.
3. Dem Beschwerdeführer ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund seiner Funktionseinschränkungen unzumutbar.
2. Beweiswürdigung:
1. Die Feststellungen zur Person, zum Antrag und zum Behindertenpass ergeben sich aus dem Verwaltungsakt der belangten Behörde und sind unstrittig.
2. Die festgestellten Funktionseinschränkungen basieren auf dem im Verwaltungsverfahren eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten vom 02.02.2017 bzw. 09.02.2017. Da beide Gutachten bis auf Ausführungen zur Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gleichlautend sind (siehe oben), werden diesbezüglich beide Gutachten herangezogen.
3. Die Feststellung zur Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel basiert auf dem vom Bundesverwaltungsgericht ergänzend eingeholten Gutachten des medizinischen Sachverständigen Dr. E., welches vom Gericht für vollständig und schlüssig erkannt wurde.
Es wird vom erkennenden Senat nicht verkannt, dass das von der belangten Behörde zuletzt in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten vom 09.02.2017 noch von der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ausgegangen war. Allerdings muss auch berücksichtigt werden, dass der Beschwerdeführer am 03.08.2017 vom Sachverständigen neuerlich untersucht wurde und ein weiterer Befundbericht, datiert mit März 2017, hinzugekommen ist. Die zuletzt gutachterlich festgestellte körperliche Verfassung des Beschwerdeführers erscheint dem erkennenden Senat als am ehesten dem aktuellen Zustand entsprechend und wird dieses Gutachten vom 03.08.2017 daher der Entscheidung des Gerichtes zu Grunde gelegt. Der Sachverständige legt plausibel dar, dass der Beschwerdeführer bei Temperaturen unter 10°C eine Wegstrecke von 300-400m nicht zurücklegen kann. Er erklärt verständlich, welche Auswirkungen tiefe Temperaturen auf seine Funktionseinschränkung haben und welche Folgen weiters eintreten. In Zusammenschau aller Faktoren kommt der medizinische Sachverständige nachvollziehbar zum Schluss, dass dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht (ganzjährig) zumutbar ist.
Den Einwendungen der belangten Behörde kann entgegen gehalten werden, dass der Sachverständige klar ausführt, den Beschwerdeführer untersucht zu haben und im Zuge dessen festgestellt werden konnte, dass dieser bei Temperaturen unter 10°C aufgrund von "Freezing"-Erscheinungen nicht selbstständig in ein öffentliches Verkehrsmittel einsteigen kann. Wenn die belangte Behörde vorbringt, dass auf das Vorliegen von allgemeinen und nicht besonderen Verhältnissen, welche von der Gesundheitsschädigung unabhängig sind, abzustellen ist, so kann ausgeführt werden, dass die festgestellten Freezing-Sycmptome bei Temperaturen unter 10°C gerade mit der Gesundheitsschädigung in Zusammenhang stehen und sich direkt auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirken. Der Beschwerdeführer kann in diesem (von ihm unbeeinflussbaren) Fall nicht sicher in ein öffentliches Transportmittel einsteigen bzw. eine kurze Wegstrecke zurücklegen.
Der – medizinisch nicht näher belegte - Einwurf der belangten Behörde, sich der modernen Textilindustrie zu bedienen und so die Muskulatur auf einer kurzen Wegstrecke von 300-400 Meter vom Auskühlen zu schützen geht ins Leere.
Der Sachverständige führt die Problematik der Akinesie bei tiefen Temperaturen nachvollziehbar aus und geht der erkennende Senat auch davon aus, dass der Feststellung des medizinischen Sachverständigen der bekleidete Zustand des Beschwerdeführers zugrunde gelegt wurde. Welche Kleidungsstücke genau von der belangten Behörde gemeint sind, wurde in der Stellungnahme nicht angeführt. Da von einem "normal" bekleideten Beschwerdeführer ausgegangen wird, kann nur spezielle Winter- oder Thermokleidung angedacht gewesen sein. Unabhängig davon, dass das Tragen solcher Kleidung für den Weg zur Haltestelle aus Sicht des erkennenden Senates in keinem Verhältnis zu den weiteren Folgen des Aus- und Umziehens im wiederum beheizten öffentlichen Verkehrsmittel steht, ist davon auszugehen, dass die Symptomatik dadurch nicht verhindert werden kann, zumal der Beschwerdeführer sich auch nicht an sämtlichen Körperstellen (insbesondere etwa dem Gesicht) durch das Tragen zusätzlicher Kleidung schützen kann.
Angesichts dessen folgt der erkennende Senat den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen, der sich von der Funktionsbeeinträchtigung des Beschwerdeführers durch persönliche Untersuchung einen Eindruck machen konnte und schlüssig darlegt, dass ihm die Bewältigung einer kurzen Wegstrecke sowie das sichere Einsteigen nicht jederzeit möglich sind.
3. Rechtliche Beurteilung:
§ 6 und 7 Abs. 1 BVwGG lauten wie folgt:
Einzelrichter
§ 6. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Senate
§ 7. (1) Die Senate bestehen aus einem Mitglied als Vorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern als Beisitzern. Für jeden Senat sind mindestens ein Stellvertreter des Vorsitzenden und mindestens zwei Ersatzmitglieder (Ersatzbeisitzer) zu bestimmen.
§ 45 Abs. 3 und 4 BBG lautet wie folgt:
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
Über die vorliegende Beschwerde war daher durch einen Senat, bestehend aus zwei Berufsrichtern und einem fachkundigen Laienrichter, zu entscheiden.
Die §§ 1, 17 und 58 Abs. 1 und 2 VwGVG lauten wie folgt:
§ 1. Dieses Bundesgesetz regelt das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.
§ 17. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 58. (1) Dieses Bundesgesetz tritt mit 1. Jänner 2014 in Kraft.
(2) Entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht sind, bleiben unberührt.
3.2. Zu Spruchpunkt A)
3.2.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes in der geltenden Fassung lauten wie folgt:
ABSCHNITT VI
BEHINDERTENPASS
§ 40 (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
(2) Der Behindertenpaß ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.
§ 45 (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
§ 1 Abs. 2 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl III 2013/495, lautet wie folgt:
Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
-
erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
-
erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
-
erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
-
eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-
eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 20.04.2004, 2003/11/0078 [= VwSlg. 16.340 A/2004]; VwGH 01.06.2005, 2003/10/0108; VwGH 29.06.2006, 2006/10/0050; VwGH 18.12.2006, 2006/11/0211; VwGH 17.11.2009, 2006/11/0178; VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142; VwGH 23.05.2012, 2008/11/0128; VwGH 17.06.2013, 2010/11/0021, je mwN).
Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (20.03.2001, 2000/11/0321 [= VwSlg. 15.577 A/2001]). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hiebei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).
Dabei kommt es entscheidend auf die Art und die Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Allgemeinen an, nicht aber auf andere Umstände, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus sonstigen, von der Gesundheitsbeeinträchtigung unabhängigen Gründen erschweren, wie etwa die Entfernung des Wohnorts des Beschwerdeführers vom nächstgelegenen Bahnhof (vgl. VwGH 22.10.2002, 2001/11/0258 und 27.05.2014, Ro 2014/11/0013).
Wie oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, wurde in dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten, auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers basierenden Sachverständigengutachten vom 08.08.2017 nachvollziehbar bejaht, dass im Fall des Beschwerdeführers die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass vorliegen.
Zum Unterbleiben der Durchführung einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur vergleichbaren Regelung des § 67d AVG (vgl. VwGH vom 24.4.2003, 2002/07/0076) wird die Durchführung der Verhandlung damit ins pflichtgemäße Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die Wendung "wenn es dies für erforderlich hält" schon iSd rechtsstaatlichen Prinzips nach objektiven Kriterien zu interpretieren sein wird (vgl. VwGH vom 20.12.2005, 2005/05/0017). In diesem Sinne ist eine Verhandlung als erforderlich anzusehen, wenn es nach Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 Abs. 2 GRC geboten ist, wobei gemäß Rechtsprechung des VfGH der Umfang der Garantien und des Schutzes der Bestimmungen ident sind.
In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).
Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung in den Behindertenpass sind die Art und das Ausmaß der beim Beschwerdeführer festgestellten Gesundheitsschädigungen. Zur Klärung des Sachverhaltes wurde daher ein ergänzendes Sachverständigengutachten eingeholt und herangezogen. Wie bereits ausgeführt, wurde dieses als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet.
Im Rahmen des Parteiengehörs hatten die Verfahrensparteien die Möglichkeit, sich zu äußern. Dem Ergebnis des verwaltungsgerichtlichen Ermittlungsverfahrens wurde jedoch nicht (auf gleicher fachlicher Ebene) entgegen getreten. Es wurden der Stellungnahme der belangten Behörde keine Beweismittel beigelegt, welche mit der gutachterlichen Beurteilung der Funktionseinschränkungen nicht in Einklang stehen. Die vorgebrachten Argumente wurden in den eingeholten ärztlichen Stellungnahmen berücksichtigt. Sohin ist der Sachverhalt geklärt und unbestritten. Daher konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Behindertenpass, Sachverständigengutachten, ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2017:I412.2151982.1.00Zuletzt aktualisiert am
06.12.2017