TE Bvwg Erkenntnis 2017/11/30 L513 2164333-1

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Veröffentlicht am 30.11.2017
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Entscheidungsdatum

30.11.2017

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L513 2164333-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. DDr. Friedrich KINZLBAUER, LL.M über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.06.2017, Zl. 1087373105-151352115, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß den § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3, § 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt den nachfolgenden Sachverhalt als erwiesen an:

I.1. Bisheriger Verfahrenshergang

I.1.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als "BF" bezeichnet), ein Staatsangehöriger des Irak, der arabischen Volksgruppe sowie der schiitischen Religionsgemeinschaft zugehörig, stellte bei der Polizeiinspektion Heiligenkreuz i. L. nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 15.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz (AS 9). Dazu wurde er erstbefragt und zu den im Akt ersichtlichen Daten von einem Sicherheitsorgan niederschriftlich einvernommen.

Im Rahmen der Erstbefragung am 16.09.2015 (AS 1 - 17) gab der Beschwerdeführer hinsichtlich der Fluchtgründe zu Protokoll, dass neben ihm zwei Autobomben und eine weitere Bombe explodiert seien, als er beruflich für die Firma XXXX als Vertreter unterwegs gewesen sei. Auch beruflich würde er in seinem Land keine Zukunft sehen. Er sei vor sieben Monaten von einer bewaffneten Gruppe entführt und als Geisel festgehalten worden. Nach einem Monat habe man ihn wieder freigelassen.

Bei einer Rückkehr hätte er Angst um sein Leben, da es keine Sicherheit gebe. Die Männer würden alle zum Krieg eingezogen, was er nicht wolle.

Am 23.05.2017 erfolgte eine Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge kurz als "BFA" bezeichnet) (AS 25 - 35). Der BF gab zunächst zu Protokoll, zwei Punkte bezüglich der Erstbefragung korrigieren zu wollen. So sei er nicht der Schlepper gewesen, sondern hätte er lediglich das Boot gekauft. Des Weiteren sei sein jüngster Bruder nicht 49, sondern 19 Jahre alt. Im Übrigen sei er nicht ein Vertreter der Firma XXXX , sondern bei einer Firma namens XXXX angestellt gewesen. Dieses Unternehmen habe mit der Firma XXXX gearbeitet. Sonst stimme alles.

Zu seinen Ausreisegründen befragt, erklärte der BF, dass er nach Abschluss der Uni BWL studiert hätte und er eine Arbeit als Buchhalter finden habe wollen. Er habe versucht sich bei der staatlichen Bank zu bewerben, aber aufgrund der Korruption, hätte er $ 20.000 als Schmiergeld bezahlen müssen, um eine Stelle zu erhalten. Diese Summe habe er kurz nach Abschluss der Uni nicht aufbringen können. Er habe dann eine Anstellung beim XXXX -Unternehmen erhalten und sei dort von 2013 bis 2014 tätig gewesen. Anschließend habe er sich selbständig gemacht. Seine Arbeitsstelle sei auf der Straße gewesen. Er habe so viele Explosionen gesehen und glücklicherweise zwei Auto-Explosionen und eine Bombenexplosion überlebt.

Anfang 2014 hätte er einen Mann namens XXXX kennengelernt und ca. fünfmal in einem Kaffeehaus getroffen. Die Bindung habe sich verstärkt. Dieser sei bei der Stadt angestellt und selbständig gewesen. XXXX sei mit der politischen Lage im Land auch nicht einverstanden gewesen und habe vorgeschlagen, sich in einem Kaffeehaus auf der Straße Al Mutanabi zu treffen. Auf dieser Straße gebe es immer wieder friedliche Demos und sei dies im Oktober 2014 das erste Mal gewesen, dass er an einer Demo teilgenommen habe. Es sei um die politische Lage und Korruption im Land gegangen und hätte er in der Folge jeden Freitag an den Demos teilgenommen. Eines Tages habe er mit XXXX in Camp Sara einen berühmten Aktivist besucht, welcher bis heute verschwunden sei. Bei diesem Treffen habe der Aktivist vorgeschlagen, auf der Al Mutanabi Straße zu demonstrieren. Des Weiteren hätten sie auch eine Versammlung namens " XXXX " gegründet und beschlossen, Flugblätter in XXXX zu verteilen, um die Menschen zu motivieren, sich an einem Platz im Zentrum namens Al Tahrer zu sammeln. Sie hätten Änderungen/ Reformen gewollt und sich für die Rechte des Volkes eingesetzt. Am 09.01.2015 sei er entführt worden. Im Zuge einer Demo habe eine Person laut den Namen des religiösen Führers Muktada AL-SADR gerufen, was er gestoppt hätte. Er habe weder politische, noch religiöse Namen in ihrer Gruppe hören wollen. Diese Person habe ihn daraufhin angeschrien, wie er den Mut haben könne, sich gegen so einen Mächtigen zu wehren. Nach einem Streit und Drohungen seitens dieser Person sei er nach der Demo nach Hause gegangen. Am Anfang seines Stadtviertels seien zwei Fahrzeuge zu ihm gefahren und habe man ihm auf den Kopf geschlagen, Handschellen angelegt, die Augen verbunden und in den Kofferraum getan. Der Leiter eines Kontrollpunktes habe die Entführung gesehen und dies seinem Vater mitgeteilt. Jeden Tag sei er beschimpft und gefoltert worden. Wenn er Sunnit wäre, wäre er heute nicht hier. Durch Beziehungen seines Vaters sei er nach über 25 Tagen freigekommen. Sein Vater hätte sich sogar bereit erklärt, Geld für seine Freilassung zu zahlen. Man habe ihm aber lediglich eine Lektion erteilen wollen. Er sei anschließend einen Monat zu Hause gewesen. Er habe wegen des Schocks nichts machen können und nur Besucher empfangen. Er sei psychisch auf dem Boden gewesen. Im März habe er erst wieder mit der Arbeit begonnen und im Juni wieder an den Demos teilgenommen. Der Security der Uni seines Vaters, welcher bei der Freilassung geholfen habe, habe seinem Vater mitgeteilt, dass wenn er diesmal festgenommen werden würde, ihm keiner helfen könne.

Die von ihm gegründete Gruppe sei aufgelöst worden. XXXX sei in die Türkei geflüchtet, eine Person sei umgebracht und eine Person sei in die Arabischen Emirate gegangen. Ein anderer Kollege sei in Jordanien. Fast alle seien Anhänger der Muktada AL-SADR-Partei.

Im Falle der Falle der Rückkehr in sein Heimatland würde er getötet werden.

Dem Beschwerdeführer wurde im Übrigen die Möglichkeit eingeräumt, in die länderkundlichen Feststellungen zur Lage im Irak Einsicht und gegebenenfalls bis zum 06.06.2017 schriftlich Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer bejahte diese Möglichkeit.

Im Rahmen der Einvernahme brachte der BF mehrere Unterlagen in Vorlage. Konkret handelte es sich hierbei - jeweils im Original - um einen irakischen Reisepass, fünf Empfehlungsschreiben, eine von einem Flüchtlingsberater der Caritas ausgestellte Integrationsbestätigung, eine Bestätigung der Marktgemeinde Wolfurt über die Teilnahme des BF am Deutschkurs von Plan W, eine Bestätigung über die freiwillige Mithilfe des BF beim Schenktag, Deutschkursbestätigungen Niveau A1.1 und A1.2, eine Bestätigung über Spenden des BF an Care und mehrere Fotografien (AS 38 - 76).

In einer Stellungnahme des BF zur Situation im Irak (AS 77 – 89 [Übersetzung: OZ 6]) wurde vom BF auf die weit verbreitete Korruption und die Sicherheitslage in seinem Herkunftsstaat verwiesen.

Des Weiteren bestätige der Amnesty International Jahresbericht 2016, dass die staatlichen Sicherheitskräfte und bewaffneten Milizen Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen begangen hätten. Zudem habe dieser Bericht die Fortsetzung des bewaffneten Konflikts zwischen den Regierungskräften und den Kräften des Islamischen Staates betont.

Die irakische Regierung habe die Todesstrafe in großem Maßstab fortgesetzt und zahlreiche Hinrichtungen durchgeführt.

Die Milizen seien stärker als die Armee und der Staat. Es gebe zahlreiche bewaffnete schiitische und sunnitische Milizen.

Was ihn persönliche betreffe, so werde eine Person, die eine andere Person, wie Muktada AL-SADR, kritisiere von der Mahdi-Armee oder Asa’ib Ahl al-Haqq verfolgt.

I.1.2. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde folglich mit im Spruch genannten Bescheid des BFA (AS 113 - 181) gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

I.1.2.1. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Irak traf das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ausführliche Feststellungen, wobei diese dem BF nachweislich zur Kenntnis gebracht wurden.

I.1.2.2. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete das BFA das Vorbringen des BF als unglaubwürdig.

I.1.2.3. In der rechtlichen Beurteilung wurde begründend dargelegt, warum der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Sachverhalt keine Grundlage für eine Subsumierung unter den Tatbestand des § 3 AsylG biete und warum auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr iSd § 8 Abs. 1 AsylG ausgegangen werden könne. Zudem wurde ausgeführt, warum ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wurde, weshalb gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass dessen Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Letztlich wurde erläutert, weshalb die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

I.1.2.4. Hinsichtlich des Inhaltes des angefochtenen Bescheides im Detail wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.

I.1.3. Mit Verfahrensanordnungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.06.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt und dieser ferner gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen (AS 203 - 205, AS 217 - 219).

I.1.4. Gegen den angefochtenen Bescheid des BFA richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom 06.07.2017 an das Bundesverwaltungsgericht (AS 229 - 245).

I.1.4.1. Zunächst wurde hinsichtlich der Fluchtgründe auf das bereits vor dem BFA Vorgebrachte verwiesen, da die dort gemachten Angaben der Wahrheit entsprechen würden, wobei in der Folge das Ausreisevorbringen des BF nochmals kurz wiederholt wurde. Die gegenwärtige Gefährdung aufgrund einer ihm unterstellten politischen Einstellung von Seiten der Privatakteure, nämlich der Anhänger der schiitischen Miliz Mehdi und ihres Führers sei definitiv gegeben und die daraus resultierende Furcht des BF wohl begründet. Der BF fürchte daher im Irak aufgrund der ihm unterstellten politischen Gesinnung asylerhebliche Eingriffe in seine körperliche Integrität und sei es ihm auch nicht möglich gewesen, die Schutzmechanismen der Sicherheitskräfte bzw. Behörden und Gerichte des Irak in Anspruch zu nehmen.

I.1.4.2. Sollte dem Vorbringen dennoch keine Asylrelevanz zugebilligt werden, so seien jedenfalls die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erfüllt, da eine Abschiebung in den Irak eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und Art. 3 EMRK sowie der Zusatzprotokolle bedeuten würde. Die derzeitige Situation im Irak wirke sich so aus, dass der BF im Falle einer Rückkehr einem Klima ständiger Bedrohung, struktureller Gewalt und unmittelbaren Einschränkungen sowie einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wäre. Die allgemeine Sicherheitssituation im Irak sei nach wie vor äußerst prekär, volatil und kritisch.

I.1.4.3. In weiterer Folge wurde ausgeführt, dass auch im Asylverfahren die AVG-Prinzipien der amtswegigen Erforschung des maßgeblichen Sachverhalts und der Wahrung des Parteiengehörs gelten würden. Diesen Anforderungen habe das BFA nicht genüge getan und sei unter anderem aus diesem Grund das Verfahren mit Mangelhaftigkeit belastet.

I.1.4.4. Was die im Rahmen der Beweiswürdigung thematisierten Zeitangaben betrifft, so lasse sich der Einvernahme des BF entnehmen, dass er am 09.01.2015 entführt und für ca. einen Monat festgehalten worden sei. Es sei zwar richtig, dass sich der BF nicht an den genauen Tag seiner Entlassung erinnern könne. Der Fakt sei, dass er für ca. 27 Tage festgehalten und gequält worden sei. Allein aufgrund der Tatsache, dass er sich nicht an den konkreten Tag seiner Entlassung, sondern ausschließlich an die ungefähre Dauer seiner Gefangenschaft erinnern könne, könne ihm seine Glaubwürdigkeit jedoch nicht abgesprochen werden.

Das BFA kritisiere in ihrer Beweiswürdigung weiters, dass der BF angegeben habe, eine halbe Stunde in einem Kofferraum gewesen zu sein, obwohl seine Augen verbunden gewesen seien. Hierzu sei auszuführen, dass seine Augen befreit worden seien, nachdem er von seinem Entführern in ein Zimmer gebracht worden sei, und er somit die Dauer der Fahrzeit feststellen habe können.

Insoweit der BF noch ca. ein halbes Jahr im Irak gelebt habe, sei anzumerken, dass er sich nach seiner Freilassung für einen Monat zu Hause versteckt gehalten habe. Um sein Trauma zu überwinden, habe sich der BF dazu entschlossen, zu seinem vorherigen Leben zurückzukehren. Der BF sei somit einer Arbeit nachgegangen und habe parallel an Demonstrationen teilgenommen. Es sei zwar richtig, dass er nicht mehr direkt bedroht worden sei, er habe allerdings nicht mehr in seiner Heimat weiterleben können. Die Situation habe sich gefährlicher als zunächst gedacht gezeigt, da ihm von dritter Seite mitgeteilt worden sei, seine Heimat unverzüglich zu verlassen, da er weiterhin unter Beobachtung stehe.

Zur Bestätigung seines Vorbringens habe der BF der belangten Behörde zudem diverse Bilder vorgelegt, welche belegen können, dass er an der Organisation von den Demonstrationen gegen die korrupte Regierung des Irak tatsächlich beteiligt gewesen sei.

I.1.4.5. Die belangte Behörde habe den Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen, weil sie das Vorbringen des BF für nicht glaubhaft erachte und davon ausgehe, dass der BF als Zivilperson im Falle seiner Rückkehr keiner wie auch immer gearteten Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt wäre. Diese Feststellung basiere auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung und verletze damit § 60 AVG.

I.1.4.6. Zudem habe der BF den Erhebungen vor Ort zugestimmt. Diese Überprüfungen seien seitens des BFA grundlos nicht durchgeführt worden.

I.1.4.7. Abschließend wurde daher beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge

* die angefochtene Entscheidung dahingehend abändern, dass dem Antrag auf internationalen Schutz Folge gegeben und dem BF der Status des Asylberechtigten zuerkannt werde;

* in eventu die angefochtene Entscheidung dahingehend abändern, dass gem. § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt werde;

* jedenfalls die angefochtene Entscheidung dahingehend abändern, dass der Bescheid im Spruchpunkt III. betreffend die gegen den BF gefällte Rückkehrentscheidung aufgehoben werde;

* in eventu die angefochtene Entscheidung zur Gänze beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückverweisen

* und eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen.

I.1.4.8. Hinsichtlich des Inhaltes der Beschwerde im Detail wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.

I.1.5.Die Beschwerdevorlage langte mit 14.07.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren der zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

I.1.6. Laut Abschluss-Bericht der Landespolizeidirektion Vorarlberg vom 01.11.2017 (OZ 7) bestehe gegen den BF der Verdacht der Begehung eines räuberischen Diebstahls nach § 131 StGB, zumal dieser beschuldigt werde am 10.10.2017 einer Person einen Kopfhörer der Marke Samsung gestohlen zu haben. Diese Person habe den BF im Anschluss auf die Kopfhörer angesprochen, woraufhin der BF dieser Person zu erkennen gegeben habe, dass er ihn zusammenschlagen werde, sollte er nochmals nach den Kopfhörern fragen.

I.1.7. Hinsichtlich des Verfahrensherganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Verfahrensbestimmungen

1.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

1.2. Anzuwendendes Verfahrensrecht

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

1.3. Prüfungsumfang

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

1.4. Verweise, Wiederholungen

1.4.1. Das erkennende ist Gericht berechtigt, auf die außer Zweifel stehende Aktenlage (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) zu verweisen, weshalb auch hierauf im gegenständlichen Umfang verwiesen wird.

1.4.2. Ebenso ist es nicht unzulässig, Teile der Begründung des Bescheides der Verwaltungsbehörde wörtlich wiederzugeben. Es widerspricht aber grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen eines (insoweit erstmals entscheidenden) Gerichts, wenn sich der Sachverhalt, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung nicht aus der Gerichtsentscheidung selbst, sondern erst aus einer Zusammenschau mit der Begründung des Bescheides ergibt. Die für die bekämpfte Entscheidung maßgeblichen Erwägungen müssen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof möglich ist (Erk. d. VfGH v. 7.11.2008, U67/08-9 mwN).

1.4.3. Grundsätzlich ist im gegenständlichen Fall anzuführen, dass das BFA ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchführte und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung in der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenfasste. Das BFA hat sich sowohl mit dem individuellen Vorbringen auseinander gesetzt, als auch ausführliche Sachverhaltsfeststellungen zur allgemeinen Situation im Irak auf Grundlage ausreichend aktuellen und unbedenklichen Berichtsmaterials getroffen und in zutreffenden Zusammenhang mit der Situation des BF gebracht.

2. Zur Entscheidungsbegründung:

2.1. Basierend auf dem Ergebnis des Beweisverfahrens sind folgende Feststellungen zu treffen:

2.1.1. Der Beschwerdeführer

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angegebenen Namen, ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und Moslem der schiitischen Glaubensrichtung. Er wurde am XXXX geboren und lebte anschließend in XXXX . Der Beschwerdeführer ist traditionell verheiratet und hat keine Kinder. Seine Eltern, vier Brüder und eine Schwester leben weiterhin in XXXX in einer Eigentumswohnung. Seine nach traditionellem Ritus geehelichte Frau ist ebenfalls im Irak bei deren Familie wohnhaft.

Der Beschwerdeführer verfügt über eine zwölfjährige Schulbildung auf Maturaniveau. Des Weiteren besuchte der BF für vier Jahre eine Universität.

Der Beschwerdeführer ist ein gesunder, arbeitsfähiger Mensch mit bestehenden Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage.

Der Beschwerdeführer verfügt über ein irakisches Ausweisdokument und eine Wohnmöglichkeit im Familienverband.

2.1.2. Behauptete Ausreisegründe aus dem Herkunftsstaat

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer von Anhängern des irakischen Geistlichen, Milizenführers und Schiiten-Politikers Muktada AL-SADR in Zusammenhang mit Demonstrationen bedroht oder entführt worden sei.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder Verfolgung in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.

2.1.3. Der Beschwerdeführer hält sich seit Mitte September 2015 in Österreich auf. Er reiste rechtswidrig in Österreich ein, ist seither Asylwerber und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel.

In Österreich leben keine Verwandten des Beschwerdeführers. Er verfügt auch über keine sonstigen relevanten familiären und privaten Anknüpfungspunkte in Österreich.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich noch keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen und bezieht Leistungen der Grundversorgung für Asylwerber, wobei er grundsätzlich erwerbsfähig ist. Er pflegt normale soziale Kontakte, übt ehrenamtliche Tätigkeiten aus und besucht in seiner Freizeit etwa ein Fitnesscenter sowie Veranstaltungen in seiner Wohnortgemeinde. Laut seinen eigenen Angaben und den vorgelegten Unterlagen hat er mehrere Deutschkurse, etwa auf Niveau A1.2, besucht. Ferner hat er eine von einem Flüchtlingsberater der Caritas ausgestellte Integrationsbestätigung und fünf Unterstützungserklärungen in Vorlage gebracht. Der BF verfügt über eine Einstellungszusage. Anderweitige Integrationsschritte hat der Beschwerdeführer nicht ergriffen.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

2.1.4. Die Lage im Herkunftsstaat Irak

Zur aktuellen Lage im Irak wird auf die länderkundlichen Feststellungen der belangten Behörde im bekämpften Bescheid verwiesen, die auch der gegenständlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde gelegt werden. Insbesondere wurden nachstehende länderkundliche Feststellungen (unter Heranziehung der im angefochtenen Bescheid im Detail angeführten und nachstehend abgekürzt zitierten Quellen) getroffen:

Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformation vom 16.2.2017:

Update Sicherheitslage allgemein: (Relevant für Abschnitt 3 - Sicherheitslage und 5 - Sicherheitskräfte)

Iraqi Body Count dokumentierte für 2016 über 16.000 zivile Todesfälle durch Gewalt (hier nach Monaten aufgeschlüsselt: Jänner bis Dezember 2016):

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(Iraqi Body Count 13.2.2017):

UNAMI, die UN-Mission für den Irak, veröffentlichte die folgenden Zahlen, die von Seiten der Staatendokumentation zu einer Grafik zusammengefasst wurden:

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(Quelle: Zahlen UNAMI 1.2.2017, Darstellung: Staatendokumentation)

Bei dieser Statistik handelt es sich um absolute Mindestzahlen. UNAMI wurde bei der Verifizierung der Opfer behindert. Darüber hinaus starb eine unbekannte Zahl an Menschen auf Grund von indirekten Folgen des Konfliktes, wie das Fehlen von Wasser, Nahrung, medizinischer Versorgung, etc. Des Weiteren ist zu beachten, dass UNAMI nach Beginn der Offensive zur Rückeroberung Mossuls und anderer Gebiete in Ninewa zahlreiche Berichte von zivilen Todesopfern erhalten hat, die aufgrund der Lage nicht verifiziert werden konnten. UNAMI lieferte für den Monat Dez. 2016 keine Zahlen der getöteten Iraker insgesamt, sondern ausschließlich Zahlen für die zivilen Opfer. Bei jenen Monaten, die mit Stern versehen sind, ist die Zahl der in Anbar getöteten Zivilisten nicht enthalten ist.

Die Zahl der Zivilpersonen, die im Jänner 2017 im Irak getötet wurden, beträgt 382, die Zahl der Verletzten 908. XXXX war, wie fast jeden Monat die am stärksten betroffene Provinz, Ninewa und Salahuddin waren ebenfalls besonders stark betroffen (UNAMI 1.2.2017).

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Seit August 2014 wurden im Irak von Seiten der US-geführten Koalition über 10.000 Luftschläge durchgeführt. Bis Februar 2016 waren es noch knapp 7.000 Luftschläge, die bis dahin durchgeführt worden waren (BBC 20.1.2017).

Die folgende Grafik zeigt die groben Kontrollgebiete der unterschiedlichen Akteure, wobei die Kategorie "Iraqi government" auch die Popular Mobilisation Forces (Volksmobilisierungseinheiten / Hashd al-Shaabi – bestehend aus fast ausschließlich schiitischen Milizen) umfasst:

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(BBC 20.1.2017)

2016 war für den Irak ein weiteres turbulentes Kriegsjahr. Die Terrormiliz Islamischer Staat büßte durch den Verlust wichtiger Städte (u.a. Ramadi Anfang 2016 und Falluja im Juni 2016) massiv an Territorium ein. [ ] Die derzeit laufende Offensive zur Rückeroberung Mossuls ist nach wie vor im Gange. Der IS, der noch knapp 4.000 Kämpfer in Mossul haben dürfte, wehrt sich mit Selbstmordkommandos, Scharfschützen, Drohnenbomben und chemischen Waffen, wie Chlor- und Senfgas (IFK 1.2017). (Näheres zu Mossul s. u.)

Die territoriale Zurückdrängung des IS hat die Zahl der terroristischen Anschläge in den genannten Provinzen nicht wesentlich verringert, in manchen Fällen sogar eine asymmetrische Kriegsführung des IS mit verstärkten terroristischen Aktivitäten provoziert (AA 7.2.2017). Der IS führte im Irak im Jahr 2016 über ein Dutzend Selbstmordanschläge und Autobomben-Anschläge durch. Am 3. Juli 2016 kamen bei einem Autobomben-Anschlag in XXXX über 200 Menschen ums Leben, hunderte weitere wurden verletzt. Der IS hält weiterhin ungefähr 3.200 jesidische Frauen und Kinder fest, die meisten davon werden in Syrien festgehalten (HRW 1.2017).

Laut UNAMI hat der IS seine Anschläge zunehmend auf Märkten und in Wohngegenden verübt, und hat dabei vorwiegend auf Zivilisten, auch Frauen, Kinder und ältere Personen abgezielt (UNAMI 1.2.2017). Am 2.1.2017 fand beispielsweise in einer belebten Straße im schiitisch dominierten Viertel Sadr City in XXXX ein größerer Autobombenanschlag statt, bei dem 35 Menschen starben und über 60 verletzt wurden (BBC 2.1.2017).

Im Zusammenhang mit der Zurückdrängung des Kontrollgebietes des IS sieht das Institute for the Study of War (ISW) bereits jetzt das erneute Aufflammen von Aufständen von Seiten der Sunniten im Irak, die durch die Schwächung des IS und den dadurch entstehenden Freiraum wieder Fuß fassen können. Regierungsfeindliche Gruppen formieren sich einerseits, weil die Sunniten im konfessionell geprägten Konflikt von der schiitisch dominierten Regierung weiterhin zunehmend marginalisiert werden, und sie Angst vor den an Bedeutung gewinnenden vom Iran aus gelenkten schiitischen Milizen haben. Andererseits werden diese Probleme von Seiten der bereits/nach wie vor existierenden radikalen Gruppen wie Al Qaeda und ex-/neo-baathistischen Gruppen wie Jaysh al-Rijal al-Tariqa al-Naqshbandiya (JRTN) benutzt, um sunnitische Bürger für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Diese Gruppen sind - Annahmen des ISW zufolge - bereits jetzt zunehmend für Anschläge im Irak verantwortlich. Die US-geführte Koalition gegen den IS habe sich zu sehr auf das Zurückdrängen des IS konzentriert und andere Organisationen vernachlässigt (ISW 7.2.2017).

Bei der Rückeroberung IS-kontrollierter Gebiete kam es weiterhin zu Exekutionen, Folter und Misshandlungen der örtlichen Bevölkerung durch schiitische Milizen der Popular Mobilisation Forces (HRW 1.2017).

Bzgl. der schiitisch-schiitischen Konflikte in XXXX und im Süden des Landes s. Abschnitt über Innenpolitik.

Rund 17 Millionen Menschen (53 Prozent der Bevölkerung) sind im Irak von Gewalt betroffen. Die irakischen Sicherheitskräfte sind nicht in der Lage, den Schutz der Bürger sicherzustellen. Gerichte und Sicherheitskräfte verfügen nicht über ausreichend qualifiziertes Personal, es fehlt an rechtsstaatlichem Grundverständnis. Gewalttaten bleiben oft straflos. Die Schwäche der irakischen Sicherheitskräfte erlaubt es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa’ib Ahl al-Haq und der Kata’ib Hisbollah, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. (AA 7.2.2017).

Mossul-Offensive: (Relevant für Abschnitt 3 - Sicherheitslage)

Die seit zwei Jahren geplante Offensive auf die zweitgrößte Stadt des Irak, Mossul, die Hochburg des IS im Irak, startete überstürzt im Oktober 2016, ohne die Frage der politischen Nachfolge in Mossul geklärt zu haben. Die Kampagne wird von einer sehr heterogenen Koalition aus lokalen und regionalen Akteuren mit unterschiedlichen Interessen geführt (IFK 1.2017).

Die irakische Armee hatte in der letzten Januarwoche des Jahres 2017 – mehr als drei Monate nach dem Start der Offensive – den Ostteil Mossuls für befreit erklärt. Die Extremisten wehren sich jedoch heftig und setzen dabei vor allem sprengstoffbeladene Autos mit Selbstmordattentätern oder Scharfschützen ein. Bis zur vollständigen Einnahme der Stadt dürfte es noch Wochen oder Monate dauern (Standard 1.2.2017).

Der [bevölkerungsreichere] Westteil Mossuls ist nach wie vor in den Händen des IS. Die Vereinten Nationen rechnen mit Militäraktionen zur Rückeroberung des Westteils in den kommenden Wochen. Ein Massenexodus kann dabei nicht ausgeschlossen werden. Aus dem Ostteil sind laut IOM (International Organization for Migration) im Zuge der Kämpfe 180.000 Menschen geflohen, 550.000 seien vor Ort geblieben (NNZ 24.1.2017).

Allgemein wird angenommen, dass die Einheiten bei der Eroberung des Westteiles auf noch größeren Widerstand treffen werden. Darüber hinaus verzeichnet die von den USA trainierte und ausgestattete Eliteeinheit Counter Terrorism Service (CTS), auf die sich der Irak bei der Eroberung Mossuls hauptsächlich verlässt, massive Verluste ("über 50 Prozent"). Auch bei der irakischen Armee würde es herbe Verluste geben, wobei jedoch die irakischen Behörden selbst keine Zahlen bekanntgeben (Al-Jazeera 31.1.2017).

Im Zuge der Offensive zur Rückeroberung der IS-Gebiete in und um Mossul evakuierte der IS Zivilisten, um diese als menschliche Schutzschilde zu benutzen (HRW 1.2017).

Die schiitischen Milizen (inzwischen rechtlich der regulären Armee gleichgestellt – s.u.) werden von vielen (insbesondere von vielen Sunniten) mehr gefürchtet als der IS. Ihnen werden Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen vorgeworfen. Zeugen berichten von Folter, Schlägen und Ermordungen. Im Zuge der Befreiung der Stadt Mossul nimmt das Terrain, das die Milizen unter ihrer Kontrolle haben, stark zu. Die Stadt Mossul ist von den Milizen [und den kurdischen Peschmerga] umzingelt (BBC 3.12.2016), wobei vereinbart war, dass die Milizen die Stadt nicht betreten werden, jedoch wird berichtet, dass (vermutliche) Miliz-Angehörige im Ostteil der Stadt auf Zivilisten schießen (MEM 8.2.2017).

Innenpolitik (Relevant für Abschnitt 2 – Politische Lage):

Die derzeitigen Anti-IS-Operationen sind zwar insofern erfolgreich, als sie den IS schwächen, gleichzeitig verschärfen sie aber die politische Instabilität. Die vom Iran unterstützten schiitischen Milizen haben gemeinsam mit der Partei des Ex-Premiers Nouri al-Maliki dem amtierenden Premier Abadi gedroht, ein Misstrauensvotum gegen ihn auszusprechen. Abadi steht in Gefahr sein Amt zu verlieren, und muss Zugeständnisse gegenüber den Milizen machen. Abadi war es beispielsweise auch nicht möglich, die Milizen davon abzuhalten, ihre Operationen in Tal Afar wieder aufzunehmen (ISW 7.2.2017).

Zusätzlich dazu hat das irakische Parlament im November 2016 die Volksmobilisierungseinheiten (Popular Mobilisation Forces/Hashd al-Shaabi) – jene Milizen, die wie die irakischen Sicherheitskräfte gegen den IS kämpfen – rechtlich der Armee gleichgestellt. [ ] Die meisten dieser Milizen sind schiitisch, etliche davon sind vom Iran abhängig, sind radikal und werden der Verbrechen an Sunniten beschuldigt. [ ] Diese rechtliche Gleichstellung ist ganz nach dem Geschmack von Expremier Nuri al-Maliki, der zurück an die Macht will und dessen neue politische Hausmacht die Milizen sind (Standard 28.11.2016).

Maliki gelingt es auch zunehmend mit Misstrauensanträgen gegenüber Abadis Ministern die Regierung zerbröckeln zu lassen. Der Verteidigungsminister und der Finanzminister wurden im Jahr 2016 bereits entlassen (Standard 23.9.2016). Über die Sommermonate 2016 wurden mit derartigen Methoden bereits fünf Minister erfolgreich abgesetzt (AA 7.2.2017).

Auch für die Region Kurdistan im Irak ist die Frage, ob Maliki zurück an die Macht kommt, von großer Bedeutung. Massoud Barzani, der Präsident der Kurdischen Regionalregierung [Amtszeit bereits abgelaufen - er befindet sich aber nach wie vor Amt], hat immer wieder mit Ankündigungen, die Unabhängigkeit Kurdistans erklären zu wollen, aufhorchen lassen. Falls Maliki zurückkehren würde, würde er dies in die Tat umsetzen, so Barzani (Ekurd Daily 23.1.2017).

Insbesondere auch im Süden des Irak regt sich verstärkter Widerstand gegen Malikis Vorhaben, an die Spitze der Macht zurückkehren zu wollen. Die Anhänger der Sadr-Bewegung wollen mittels Demonstrationen die Hoffnung Malikis auf eine Rückkehr verhindern. Ein inner-schiitischer Konflikt zwischen Sadristen und Maliki-Anhängern ist spürbar, auch wenn diesbezügliche militärische Auseinandersetzungen unwahrscheinlich sind (Al Monitor 26.12.2017). Am 11. Februar kam es in XXXX allerdings zu schiitisch-schiitischen Zusammenstößen. Sicherheitskräfte der schiitisch dominierten Regierung schossen auf schiitische Demonstranten der regierungskritischen Sadr-Bewegung. Dabei wurden mindestens 6 Personen getötet, weitere hunderte wurden verletzt, außerdem wurden dabei Raketen in die "Green Zone" (ehemalige internationale Zone, in der sich viele Regierungs- und Botschaftsgebäude befinden) geschossen. Gerichtet war die Demonstration v.a. gegen den konfessionell-ethnischen Proporz in der irakischen Politik. Die Sadr-Bewegung richtet sich zwar v.a. auch gegen eine Rückkehr Malikis, gerade diesem könnte jedoch der Aktivismus Sadrs nutzen, da er den amtierenden Premier Abadi zusätzlich schwächt (MEE 12.2.2017, vgl. Standard 13.2.2017).

Flüchtlinge/Internvertriebene (Relevant für Abschnitt 11 - IDPs und Flüchtlinge):

Rund 3 Millionen Menschen wurden seit Januar 2014 intern-vertrieben, an ihre Heimatorte konnten in dieser Zeit rund 1,5 Millionen zurückkehren.

In der Region Kurdistan-Irak alleine halten sich mehr als 11,3 Millionen Binnenvertriebene auf. Über 10 Millionen Menschen, also rund ein Drittel der Bevölkerung, sind auf humanitäre Hilfe angewiesen (AA 7.2.2017). Bezüglich der Rückkehr von IDPs ist insbesondere Tikrit nennenswert, das eine unerwartete Wendung erlebt hat. Nachdem die Popular Mobilisation Forces nach der Rückeroberung in einem Racheakt zunächst ganze Stadtteile niederbrannten und andere Menschenrechtsverletzungen begingen (MOI 11.2.2016), konnten inzwischen die meisten der ursprünglichen Einwohner Tikrits zurückkehren. Allerdings ist der Großteil der Stadt zerstört und die Infrastruktur noch nicht wieder vollständig hergestellt (WP 23.11.2016).

Beispielsweise wird berichtet, dass von den rund 50.000 Familien, die von Salahuddin nach Kirkuk kamen, es nur 20.000 Familien möglich war, in rückeroberte Gebiete zurückzukehren, die übrigen Familien beschuldigen schiitische Milizen, dass diese sie nicht zurückkehren lassen würden (Rudaw 10.1.2017).

Innerhalb der letzten zwei Jahre seien ungefähr 900.000 Vertriebene nach Hause zurückgekehrt (Stand 23.11.2016), vorwiegend in sunnitische Städte wie Fallujah, Ramadi und Tikrit. An Orte zurückzukehren, an denen Sunniten in Nachbarschaft mit Schiiten oder Kurden gelebt hatten, ist für Sunniten besonders schwierig, und Hunderttausenden war dies nicht möglich, obwohl der IS dort bereits verdrängt wurde. Sunniten leiden unter dem Pauschalverdacht, mit dem IS zu sympathisieren. In manchen Orten, die die Popular Mobilisation Forces vom IS zurückerobert hatten, werden überhaupt keine ehemaligen Ortseinwohner zurückgelassen. Oft spielen dabei auch Stammeskonflikte oder Rachefeldzüge eine Rolle (WP 23.11.2016). Für Rückkehrer besteht oft auch die Gefahr, Opfer von explosiven Kampfmittelrückständen zu werden. Teilweise werden IDPs von Behörden aufgefordert in ihre Häuser zurückzukehren, obwohl die sehr reale Gefahr besteht, dass diese mit Sprengfallen versehen sind (MRG 22.12.2016).

Tikrit kann, wie erwähnt, am ehesten noch als "Erfolg" gesehen werden, da laut Washington Post über 90 Prozent der Bevölkerung in diese Stadt zurückkehren konnten (Stand Nov. 2016), Auf lange Sicht sei dieser Erfolg aber fraglich, da keine ausreichenden finanziellen Mittel vorhanden seien, um das wiederaufzubauen, was im Zuge des Konfliktes zerstört wurde. Die irakische Regierung hat im Zuge des Konfliktes innerhalb kürzester Zeit fast die Hälft ihres Einkommens verloren, und das während sie große Mengen an finanziellen Mitteln für militärische Offensiven aufbringen musste/muss (WP 23.11.2016). Auf Grund der massiven finanziellen Schwierigkeiten kämpfen die irakische Regierung und die Regionalregierung Kurdistans auch auf Grund von Ressourcenproblemen mit der Bewältigung der IDP-Krise. Die irakischen Streitkräfte und die Streitkräfte der Regionalregierung tragen zur Unsicherheit der IDPs bei, indem sie sich zu wenig um den Schutz und die Unterstützung der vom Konflikt betroffenen IDPs kümmern, wodurch viele Vertriebene um ihr Leben kämpfen müssen, obwohl sie sich bereits in von der Regierung kontrollierten Gebieten befinden (MRG 22.12.2016).

Von der Mossul-Offensive sind laut UNHCR rund 1,5 Millionen Menschen in und um Mossul betroffen. Über 144.000 Menschen in und um Mossul zählen derzeit zu den Vertriebenen, über 23.000 konnten nach Beginn der Offensive wieder an ihren Herkunftsort zurückkehren. Die folgende Grafik zeigt die durch die Offensive ausgelösten Flüchtlingsströme:

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Die missliche Lage der IDPs wird zum Teil ausgenützt. So werden IDPs - Vorwürfen zufolge - teilweise von Milizen zwangsrekrutiert (auch Minderjährige). Die in Flüchtlingscamps untergebrachten IDPs haben häufig das Problem, dass ihre Bewegungsfreiheit drastisch eingeschränkt ist, sowie dass Milizen ihnen die Papiere abnehmen und für lange Zeit nicht zurückgeben. Ein zusätzliches Problem ist, dass sie nicht mit ihren Familien kommunizieren können, da ihnen die Mobiltelefone abgenommen werden (UNHCR 20.1.2017, vgl. Al-Jazeera 1.2.2017).

Quellen:

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Al Monitor (26.12.2017): Can public outcry in southern Iraq end Maliki’s political ambitions?

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Al-Jazeera (1.2.2017): Iraq's displaced 'in another prison' after fleeing ISIL,

http://www.aljazeera.com/indepth/opinion/2017/01/iraq-displaced-prison-fleeing-isil-170130070309929.html, Zugriff 14.2.2017

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Al-Jazeera (31.1.2017): Taking west Mosul: A bridge too far?, http://www.aljazeera.com/indepth/opinion/2017/01/west-mosul-bridge-170130133948071.html, Zugriff 13.2.2017

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AA – Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage der Republik Irak

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BBC (2.1.2017): IS conflict: Baghdad suicide car bomb blast kills 35, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-38488091 , Zugriff 14.2.2017

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BBC (20.1.2017): Islamic State and the crisis in Iraq and Syria in maps, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-27838034 , Zugriff 10.2.2017

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BBC (3.12.2017): Iraqi Shia militias' show of force in battle for Mosul , http://www.bbc.com/news/world-middle-east-38194653, Zugriff 13.2017

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Ekurd Daily (23.1.2017): Barzani: Kurdistan would declare independence if Maliki becomes Iraqi PM again, http://ekurd.net/kurdistan-independence-maliki-2017-01-23, Zugriff 13.2.2017

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HRW - Human Rights Watch (1.2017): Report: Iraq: Events of 2016, https://www.hrw.org/world-report/2017/country-chapters/iraq , Zugriff 13.22017

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Al Monitor (26.12.2016): Can public outcry in southern Iraq end Maliki’s political ambitions?,

http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/01/southern-iraq-muqtada-maliki-abadi-reform-shiite-protest.html, Zugriff 13.2.2017

http://www.understandingwar.org/backgrounder/warning-update-iraq%E2%80%99s-sunni-insurgency-begins-isis-loses-ground-mosul, Zugriff 13.2.2017

https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.2.2017

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IFK Analysezentrum (1.2017): Fact Sheet Syrien & Irak, Jahresrückblick 2016,

http://www.bundesheer.at/wissen-forschung/publikationen/publikation.php?id=810, http://www.bundesheer.at/pdf_pool/publikationen/fact_sheet_syrien_irak_jahresrueckblick_2016.pdf, Zugriff 10.2.2017

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IOM (2.2.2017): Displacement Tracking Matrix (DTM), http://iraqdtm.iom.int/, Zugriff 10.202017

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Iraqi Body Count (14.2.2017): Recent Events, https://www.iraqbodycount.org/database/recent/0/, Zugriff 14.2.2017

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Iraqi Body Count (13.2.2017): Documented civilian deaths from violence,

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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