TE Vfgh Erkenntnis 2017/11/24 E1506/2017 ua

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Veröffentlicht am 24.11.2017
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Index

L6500 Jagd, Wild

Norm

B-VG Art83 Abs2
Tir JagdG 2004 §2 Abs8, §37a, §52, §70

Leitsatz

Entzug des gesetzlichen Richters durch Einstellung von Beschwerdeverfahren gegen Abschussaufträge nach Ende ihres zeitlichen Geltungsbereiches; Unzulässigkeit einer Beschwerde mangels eines an diese Beschwerdeführerin adressierten Abspruches

Spruch

I. Der (Erst-) Beschwerdeführer ist durch die angefochtenen Beschlüsse im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Die Beschlüsse werden aufgehoben.

II. Das Land Tirol ist schuldig, dem Erstbeschwerdeführer die mit € 3.096,- bestimmten Prozesskosten zuhanden ihres Rechtsvertreters binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin zu E1507/2017 wird zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.        Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.        Der Beschwerdeführer zu E1506/2017 und Erstbeschwerdeführer zu E1507/2017 ist Pächter der Genossenschaftsjagd Nesselwängle und gemeinsam mit der Zweitbeschwerdeführerin zu E1507/2017 Pächter der Genossenschaftsjagd Musau. Mit Bescheiden vom 4. August 2014 wurde dem Beschwerdeführer – einmal als Jagdausübungsberechtigtem der Genossenschaftsjagd Nesselwängle, einmal als Jagdleiter der Genossenschaftsjagd Musau – gemäß §52 Abs1 Tiroler Jagdgesetz 2004 (im Folgenden: TJG 2004), LGBl 41/2004 idF 64/2015, zur Verminderung des Wildstandes zur Verhütung ernster Schäden an Wäldern und Kulturen der Abschuss von näher bezeichnetem Wild in der angegebenen Stückzahl für die Genossenschaftsjagd Nesselwängle und die Genossenschaftsjagd Musau vorgeschrieben. Die Abschussaufträge waren bis 31. Dezember 2014 zu erfüllen.

2.       Gegen diese Bescheide erhob der Beschwerdeführer bzw. erhoben der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin gemeinsam Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Tirol, welches die Verfahren nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Beschlüssen vom 21. März 2017 mangels Beschwer einstellte. Beide Beschlüsse sind nur an den (Erst-) Beschwerdeführer adressiert. Begründend führte das Landesverwaltungsgericht Tirol zusammengefasst aus, dass der Beschwerdeführer – ursprünglich jedenfalls – durch die in den angefochtenen Abschussaufträgen auferlegten Abschussverpflichtungen beschwert gewesen sei. Auf Grund der zum Entscheidungszeitpunkt des Landesverwaltungsgerichtes bereits für die Folgejahre ergangenen (teils rechtskräftigen) Abschussanordnungen könnten die Abschussaufträge jedoch keine Wirkungen mehr entfalten, weshalb kein rechtliches Interesse des Beschwerdeführers an einer Entscheidung über die Beschwerden mehr vorliege. Dies habe die Gegenstandslosigkeit der Beschwerden zur Folge. Das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) regle zwar nicht eigens, aus welchen Gründen eine Zurückweisung oder Einstellung zu erfolgen habe. In analoger Anwendung des §33 Abs1 VwGG sei allerdings bei Wegfall des rechtlichen Interesses an einer meritorischen Entscheidung mit Einstellung des Verfahrens vorzugehen.

3.       Gegen diese Beschlüsse des Landesverwaltungsgerichtes Tirol richten sich die vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden, wobei die Beschwerde zu E1507/2017 von beiden Jagdausübungsberechtigten des Genossenschaftsjagdgebietes Musau erhoben wurde. In den Beschwerden wird zusammengefasst vorgebracht, dass wegen der Verweigerung der Sachentscheidung eine Verletzung des gemäß Art83 Abs2 B-VG gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter vorliege. Auch nach Ablauf des Jagdjahres 2014/2015 bestehe ein rechtliches Interesse der Beschwerdeführer an der inhaltlichen Überprüfung der betroffenen Abschussaufträge. Allfällige nachfolgende Abschussanordnungen würden keinesfalls zum Wegfall des Beschwerdegegenstandes führen, weil nach wie vor die Gefahr einer verwaltungsstrafrechtlichen Verfolgung drohe, ohne dass zuvor die Möglichkeit bestanden habe, den "Maßnahmenbescheid" im Zuge eines fairen Verfahrens vor dem gesetzlichen Richter zu bekämpfen. Wegen dieser Vorgehensweise des Landesverwaltungsgerichtes Tirol seien zudem der Gleichheitssatz (Art7 B-VG) und das Recht auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK) verletzt. Auch habe eine Verletzung des Rechts auf Unverletzlichkeit des Eigentums (Art5 StGG) stattgefunden, weil der unrechtmäßige Abschussauftrag durch die Bereitstellung der dafür benötigten Jäger, Munition usw. Mehrkosten verursache.

4.       Das Landesverwaltungsgericht Tirol und die Bezirkshauptfrau von Reutte legten die Gerichts- bzw. Verwaltungsakten vor, stellten den Antrag, die Beschwerden als unbegründet abzuweisen und verzichteten im Übrigen auf die Erstattung einer Gegenschrift.

II.      Rechtslage

Die §§2, 37a, 52 und 70 des Tiroler Jagdgesetzes 2004 (TJG 2004), LGBl 41/2004 idF 64/2015, lauten auszugsweise:

"§2

Begriffsbestimmungen

[…]

(8) Das Jagdjahr ist der Zeitraum zwischen dem 1. April und dem 31. März des Folgejahres.

[…]

§37a

Erstellung des Abschussplanes

(1) Der Abschuss von Schalenwild – mit Ausnahme von Schwarzwild – und von Murmeltieren darf nur im Rahmen eines Abschussplanes erfolgen. Dieser ist unter Bedachtnahme auf die Ziele nach §1a so zu erstellen, dass ein angemessener Wildbestand erhalten bzw. hergestellt und sowohl eine landeskulturell untragbare Vermehrung des Wildbestandes als auch eine die Erhaltung des Wildbestandes in seiner Vielfalt und seiner Alters- und Sozialstruktur gefährdende Verminderung des Wildbestandes vermieden wird. Zur nachhaltigen Herstellung eines angemessenen Wildbestandes kann kurzfristig vom geschlechtlich ausgewogenen Verhältnis zwischen männlichem und weiblichem Wild durch vermehrten bzw. verminderten Abschuss von weiblichen Zuwachsträgern abgewichen werden, wenn eine Vermehrung oder Verminderung des Wildbestandes im landeskulturellen Interesse erforderlich ist.

(2) Der Abschussplan ist auf der Grundlage des Wildbestandes, der Verjüngungsdynamik sowie der Wildgesundheit jeweils für ein Jagdjahr und für ein Jagdgebiet sowie für den Teil eines Jagdgebietes, der Gegenstand eines Jagdpachtvertrages nach §18 Abs1 dritter Satz ist, zu erstellen.

(3) Der Abschussplan ist so zu erstellen, dass der für das betreffende Jagdgebiet oder für den betreffenden Teil eines Jagdgebietes mit Rücksicht auf dessen Größe und Lage, auf die natürlichen Äsungsverhältnisse, auf den natürlichen Altersaufbau und die Wildgesundheit, auf ein ausgewogenes zahlenmäßiges Verhältnis zwischen männlichem und weiblichem Wild, auf die Verjüngungsdynamik sowie auf die Interessen der Landeskultur angemessene Wildstand erreicht und erhalten, aber nicht überschritten wird. Bei der Erstellung des Abschussplanes ist auf die Erfüllung des Abschussplanes in den vorangegangenen drei Jagdjahren Bedacht zu nehmen. Die Wildbestandserhebung ist vom Hegemeister zu koordinieren und auf ihre ordnungsgemäße Durchführung und Schlüssigkeit zu überprüfen.

[…]

§52

Maßnahmen zur Hintanhaltung von Wildschäden

(1) Soweit sich beim Auftreten von Wildschäden die Verminderung oder die Regulierung des Wildbestandes zur Verhütung ernster Schäden an Kulturen, in der Tierhaltung, an Wäldern oder Fischwässern als notwendig erweist und eine andere zufriedenstellende Lösung nicht möglich ist, hat die Bezirksverwaltungsbehörde von Amts wegen oder auf Antrag des Grundeigentümers, von Teilwaldberechtigten, Einforstungsberechtigten, sonstigen Nutzungsberechtigten oder des Obmannes der Bezirkslandwirtschaftskammer unter Bedachtnahme auf die im §37a Abs1 und 3 angeführten Ziele den Jagdausübungsberechtigten jener Jagdgebiete, die zum Lebensraum des den Wildschaden verursachenden Wildes gehören,

a) einen zeitlich und allenfalls auch örtlich bzw. ziffernmäßig, erforderlichenfalls auch in Form von Mindest- oder Höchstabschüssen, zu begrenzenden Abschuss von Wild vorzuschreiben, wobei ein solcher Abschuss auch während der Schonzeit, zur Nachtzeit, unter Vorlage von Futtermitteln außerhalb von Fütterungsanlagen zur Ankirrung, auf Wildruheflächen und ohne Bedachtnahme auf den Abschussplan vorgeschrieben werden kann, sowie

b) die Grünvorlage von aufgrund eines Auftrags nach lita erlegten Wildstücken, die Führung des Nachweises über den Ort der Erlegung dieser Wildstücke oder sonstige geeignete Maßnahmen vorzuschreiben, soweit dies zur Sicherung der Vorschreibungen nach lita erforderlich ist.

[…]

§70

Strafbestimmungen

(1) Wer

[…]

24.  entgegen §52 Abs1 lita den ihm aufgetragenen Abschuss nicht entsprechend dem Auftrag tätigt, Aufträgen nach §52 Abs1 litb nicht nachkommt oder entgegen dem §52 Abs2 die ihm aufgetragenen Maßnahmen nicht entsprechend dem Auftrag durchführt,

[…]

begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 6.000,- Euro zu bestrafen.

[…]"

III.    Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden erwogen:

1. Der für die Genossenschaftsjagd Musau erlassene Abschussauftrag vom 4. August 2014 ist an den Erstbeschwerdeführer "als Jagdleiter" gerichtet. Dagegen wurde allerdings von beiden Jagdausübungsberechtigten Bescheidbeschwerde an das Landesverwaltungsgericht Tirol erhoben. Der nunmehr vor dem Verfassungsgerichtshof zu E1507/2017 angefochtene Einstellungsbeschluss des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 21. März 2017 ist wiederum nur an den Erstbeschwerdeführer adressiert, wie auch aus der Begründung der Entscheidung klar ersichtlich ist. Ungeachtet dessen, dass die Entscheidung beiden Beschwerdeführern zugestellt wurde, ist die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin daher unerledigt geblieben. Diese Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Tirol ist daher mangels eines an die Zweitbeschwerdeführerin adressierten Abspruches nicht geeignet, in die Rechtssphäre der Zweitbeschwerdeführerin zu E1507/2017 einzugreifen, weshalb dieser auch die Legitimation zur Erhebung der vorliegenden Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof fehlt. Daher war die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin mangels Legitimation als unzulässig zurückzuweisen (vgl. VfSlg 17.047/2003; VwGH 31.5.2012, 2010/09/0007).

2. Die – im Übrigen zulässigen – Beschwerden sind begründet:

2.1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes ua. dann verletzt, wenn das Verwaltungsgericht in gesetzwidriger Weise seine Zuständigkeit ablehnt, indem es etwa zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002). Ein solcher Fehler liegt hier vor:

2.2. Das Landesverwaltungsgericht Tirol begründet die angefochtenen Einstellungsbeschlüsse damit, dass das verfahrensrelevante Jagdjahr zwischenzeitlich verstrichen sei und bereits teils rechtskräftige Abschusspläne für die Folgejahre vorliegen würden. Daher mache es für den Beschwerdeführer keinen Unterschied, ob die von ihm angefochtenen Abschussaufträge gemäß §52 TJG 2004 aufrecht blieben oder aufgehoben würden. Das VwGVG regle zwar nicht eigens, aus welchen Gründen eine Zurückweisung oder Einstellung zu erfolgen habe. In analoger Anwendung des §33 Abs1 VwGG sei allerdings bei Wegfall des rechtlichen Interesses an einer meritorischen Entscheidung mit Einstellung des Verfahrens vorzugehen.

2.3. Bescheidmäßig vorgeschriebene Abschussaufträge sind in der Regel von vornherein so ausgestaltet, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Zeitpunkt der Entscheidung im Rechtsmittelverfahren bereits außer Kraft getreten sind. Gemäß §52 Abs1 Z1 TJG 2004 ist der Abschuss von Wild u.a. "zeitlich und allenfalls auch örtlich bzw. ziffernmäßig" begrenzt vorzuschreiben. Im vorliegenden Fall wurden die Abschussaufträge am 4. August 2014 erlassen und waren bis zum 31. Dezember 2014, somit innerhalb von knapp fünf Monaten und noch vor Ende des Jagdjahres 2014/2015, zu erfüllen. Ferner entwickeln Abschussaufträge auch über die bloße Festlegung der Abschusszahlen hinaus Rechtsfolgen, weil sie Grundlage für ein verwaltungsstrafrechtliches Folgeverfahren sind bzw. sein können (§70 Abs1 Z24 iVm §52 TJG 2004).

Daraus ergibt sich, dass das Landesverwaltungsgericht Tirol in den vorliegenden Fällen Rechtsschutz gewähren hätte müssen, weil die Abschussaufträge auch nach Ende ihres zeitlichen Geltungsbereiches rechtliche Wirkungen entfaltet haben (siehe zu insofern vergleichbaren Abschussplanbescheiden gem. §37a TJG 2004 VfGH 26.9.2017, E1511-1512/2017). Durch die Einstellung des Verfahrens hat das Landesverwaltungsgericht Tirol den (Erst-) Beschwerdeführer daher in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

IV.      Ergebnis

1. Der (Erst-) Beschwerdeführer ist durch die angefochtenen Beschlüsse im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Die Beschlüsse sind daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin zu E1507/2017 ist die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. Dem (Erst-) Beschwerdeführer war insgesamt der einfache Pauschalsatz zuzusprechen, weil die Beschwerden gegen gleichartige Entscheidungen im Zuge einer gemeinsamen Vertretung eingebracht wurden (zB VfSlg 17.317/2004, 17.482/2005, 19.404/2011, 19.709/2012). In den zugesprochenen Kosten sind Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,- sowie der Ersatz der für jede Beschwerde entrichteten Eingabengebühr in Höhe von € 240,- enthalten. Ein Streitgenossenzuschlag ist für Parteien, deren Antrag zurückgewiesen wird, nicht zuzusprechen (VfSlg 19.892/2014).

Schlagworte

Jagdrecht, Geltungsbereich, Rechtsschutz, VfGH / Legitimation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:E1506.2017

Zuletzt aktualisiert am

06.12.2017
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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