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20/02 FamilienrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Verfassungswidrigkeit der Voraussetzungen der Verschiedengeschlechtlichkeit für den Zugang zur Ehe und der Gleichgeschlechtlichkeit für die eingetragene Partnerschaft; Verstoß der gesetzlichen Trennung verschiedengeschlechtlicher und gleichgeschlechtlicher Beziehungen in zwei unterschiedliche Rechtsinstitute gegen das Diskriminierungsverbot des GleichheitsgrundsatzesRechtssatz
Aufhebung der Wortfolge "verschiedenen Geschlechtes" in §44 ABGB und der Wortfolgen "gleichgeschlechtlicher Paare" in §1, "gleichen Geschlechts" in §2 sowie der Ziffer 1 des §5 Abs1 Eingetragene Partnerschaft-G - EPG.
Bei der Schaffung des EPG hatte der Gesetzgeber zum Ziel, gleichgeschlechtlichen Paaren eine rechtliche Anerkennung ihrer Beziehung zu ermöglichen und so der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare entgegenzuwirken. Dass er für verschieden- und gleichgeschlechtliche Paare unterschiedliche Rechtsinstitute geschaffen hat, ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Ehe - einem bestimmten traditionellen Verständnis folgend - zumindest der Möglichkeit nach auch auf Elternschaft hin ausgerichtet ist und gleichgeschlechtlichen Paaren lange Zeit gerade keine gemeinsame Elternschaft möglich war.
Inzwischen entsprechen Ehe und eingetragene Partnerschaft einander sowohl von der Ausgestaltung als auch den Rechtsfolgen her weitgehend. Die jüngere Rechtsentwicklung ermöglicht insbesondere eine gemeinsame Elternschaft auch gleichgeschlechtlicher Paare: Gleichgeschlechtliche Paare dürfen Kinder (gemeinsam) adoptieren und die zulässigen Formen medizinisch unterstützter Fortpflanzung gleichberechtigt nutzen.
Die Differenzierung in zwei Rechtsinstitute lässt sich heute nicht aufrechterhalten, ohne gleichgeschlechtliche Paare im Hinblick auf ihre sexuelle Orientierung zu diskriminieren.
Denn auf diese Weise wird aus der Perspektive gleichgeschlechtlicher Paare mit dem unterschiedlichen Rechtsinstitut öffentlich und für jede Person deutlich gemacht, dass die von der eingetragenen Partnerschaft erfasste Beziehung zwischen zwei Personen gleichen Geschlechts etwas anderes ist als die Ehe zwischen Personen verschiedenen Geschlechts, obwohl beide Beziehungen intentional von den gleichen Werten getragen sind. Die Trennung in zwei Rechtsinstitute bringt somit - auch bei gleicher rechtlicher Ausgestaltung - zum Ausdruck, dass Personen mit gleichgeschlechtlicher sexueller Orientierung nicht gleich den Personen mit verschiedengeschlechtlicher Orientierung sind. Die damit verursachte diskriminierende Wirkung zeigt sich darin, dass durch die unterschiedliche Bezeichnung des Familienstandes ("verheiratet" versus "in eingetragener Partnerschaft lebend") Personen in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft auch in Zusammenhängen, in denen die sexuelle Orientierung keinerlei Rolle spielt und spielen darf, diese offen legen müssen und, insbesondere auch vor dem historischen Hintergrund, Gefahr laufen, diskriminiert zu werden. Vor solchen Wirkungen will Art7 Abs1 Satz 2 B-VG in besonderer Weise schützen.
Die gesetzliche Trennung verschiedengeschlechtlicher und gleichgeschlechtlicher Beziehungen in zwei unterschiedliche Rechtsinstitute verstößt damit gegen das Verbot des Gleichheitsgrundsatzes, Menschen auf Grund personaler Merkmale wie hier der sexuellen Orientierung zu diskriminieren.
Zur Herstellung eines die Verfassungswidrigkeit beseitigenden Rechtszustandes ist es erforderlich, es genügt aber auch, die genannten Wortfolgen in §44 ABGB und in §1 und §2 EPG sowie §5 Abs1 Z1 EPG als verfassungswidrig aufzuheben. Denn diese komplementären Zugangsbeschränkungen sind Teil eines gesetzes- bzw rechtsinstitutsübergreifenden Systems im Partnerschaftsrecht, welches die Ehe verschiedengeschlechtlichen Paaren und die eingetragene Partnerschaft gleichgeschlechtlichen Paaren vorbehält. Würde nur die eine Zugangsbeschränkung beseitigt, ergäbe sie sich weiterhin aus der anderen. Dass nach der Aufhebung verschieden- wie gleichgeschlechtlichen Paaren jeweils die Wahl zwischen Ehe und eingetragener Partnerschaft offen steht, stellt im Hinblick darauf, dass das EPG im Übrigen damit auch für bestehende eingetragene Partnerschaften als Rechtsrahmen in Geltung bleibt, keinen völlig veränderten Gesetzesinhalt dar.
Im Übrigen, nämlich hinsichtlich der darüber hinaus in Prüfung gezogenen Teile des EPG, keine Aufhebung des EPG.
(Anlassfall E230/2016 ua, E v 04.12.2017, Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses; Quasi-Anlassfälle E298/2016 ua, E312/2016 ua, E739/2016, alle E v 13.12.2017).
Entscheidungstexte
Schlagworte
Zivilrecht, Eherecht, Ehe und Verwandtschaft, Homosexualität, VfGH / VerwerfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2017:G258.2017Zuletzt aktualisiert am
21.03.2019